Beim Überholen, beim Vorbeifahren an haltenden und parkenden Fahrzeugen, beim Passieren von Linien- und Schulbussen müssen jeweils der vorgefundenen Verkehrssituation und den örtlichen Verhältnissen entsprechend unterschiedliche seitliche Sicherheitsabstände eingehalten werden.
Insbesondere auch bei Radfahrern ist die Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes von äußerster Wichtigkeit.
Auch bei verkehrswidrigem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer führt die Verletzung dieses Gebotes in der Regel zu einer Mithaftung des zu dicht Vorbeifahrenden.
AG Oranienburg v. 09.10.2003:
Wer sein auf der Autobahn liegengebliebenes Fahrzeug nicht mit Warndreieck sichert und dessen Tür nicht ordnungsgemäß schließt, trägt das Schadensrisiko, wenn ein Lkw beim Vorbeifahren keinen genügenden Seitenabstand einhält.
KG Berlin v. 24.11.2005:
Wer die linke Wagentür zum Aussteigen öffnen will, muss zunächst nach hinten beobachten; reicht der Rückblick nicht weit genug, darf er die Tür nur langsam spaltweise öffnen (bis 10 cm) und weiter erst dann, wenn mit Gewissheit niemand kommt (Schadensteilung, wenn der Vorbeifahrende nur einen Abstand von 30 cm oder weniger einhält).
AG Flensburg v. 21.12.2009:
Kommt es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem am Fahrbahnrand mit geöffneter Tür abgestellten Pkw mit einem Fahrzeug, dessen Fahrer trotz Bemerken der geöffneten Tür mit zu geringem Seitenabstand an diesem Pkw vorbeifährt, so wiegt der Verkehrsverstoß des mit zu geringem Seitenabstand fahrenden Fahrzeugführers doppelt so schwer wie der Sorgfaltspflichtverstoß des Aussteigenden. Eine Gefährdung im Sinne von § 14 Abs. 1 StVO ist nur dann anzunehmen, wenn das Öffnen der Tür unvermittelt geschieht und einen anderen Verkehrsteilnehmer zu plötzlichem Reagieren zwingt.
OLG Rostock v. 27.05.2011:
Wer mit seinem Kraftfahrzeug entgegen § 12 Abs. 4 Satz 2, 2. Alt. StVO in Gegenrichtung anhält, haftet einem entgegenkommenden, sein Fahrzeug streifenden Fahrzeugeigentümer unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr mit einer Quote von 20 % (Vorbeifahren mit zu geringem Seitenabstand).
BGH v. 24.02.1981:
Zur Sorgfaltspflicht eines überholenden Fahrers bei der Vorbeifahrt an einem in seiner Gegenrichtung am linken Fahrbahnrand geparkten Pkw, der von seinen Insassen nicht mit Sicherheit schon verlassen ist
OLG Karlsruhe v. 08.06.2001:
In der Regel reicht ein Meter Seitenabstand beim Überholen aus. Der Seitenabstand wäre mit knapp einem Meter nur dann zu gering gewesen, wenn die Fahrbahn in einem schlechten Zustand oder das Wetter ungünstig gewesen wäre, der Überholer mit hoher Geschwindigkeit überholt oder der Eingeholte zuvor eine unsichere Fahrweise an den Tag gelegt hätte.
KG Berlin v. 12.09.2002:
Wenn ein Kraftfahrer auf einen neben seinem Fahrzeug befindlichen Radfahrer zu achten hat, weil er diesen überholen will, hat er stets dessen Ausschwenken zu berücksichtigen. Deshalb und wegen der eigenen Geschwindigkeit hat der Kraftfahrer einen Seitenabstand von regelmäßig mindestens 1,5 m bis 2 m – jedenfalls 1 m – einzuhalten. Zu diesem Seitenabstand ist noch ein weiterer Abstand auf der anderen Seite des Radfahrers von jedenfalls 35 cm zu berücksichtigen. Hiernach hat ein Busfahrer beim Überholen eines Radfahrers mit seinem Bus einen Abstand von jedenfalls 1,50 m zum Bürgersteig einzuhalten; hierbei ist zugunsten des Busfahrers der Abstand des Radfahrers zum Bürgersteig eingerechnet.
OLG Hamm v. 18.12.2003:
Löst ein Radfahrer beim Überholen mit zu geringem Seitenabstand eine Schreckreaktion des überholten Radfahrers aus, wodurch letzterer aus dem Gleichgewicht gerät und stürzt, hat der Überholende für den Schaden voll aufzukommen, auch wenn es zu einer direkten Berührung nicht gekommen ist.
OLG Karlsruhe v. 30.05.2016:
Ein Radfahrer muss grundsätzlich mit Schwankungen in der Fahrlinie eines vorausfahrenden Radfahrers rechnen. Ein Seitenabstand von ca. 32 cm beim Überholen (gemessen zwischen den Körpern der beiden Radfahrer) ist daher - jedenfalls auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg - in der Regel zu gering. - Ist auf einem 2 Meter breiten Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich, muss der schnellere Radfahrer gegebenenfalls vom Überholen absehen.
OLG Hamburg v. 05.12.1972:
Es besteht kein Gebot für Kfz-Führer, einen gewissen Seitenabstand von der Bordkante einzuhalten, um auf dem Gehweg parkende Fahrzeuge im Fall des unvorsichtigen Öffnens von Türen vor Schaden zu bewahren. Vielmehr darf der fließende Verkehr darauf vertrauen, dass die Türen stehender Fahrzeuge nicht unachtsam geöffnet werden (Haftungsverteilung 70 : 30 zu Lasten des Türöffners).
OLG Hamm v. 14.07.2003:
Ein Sicherheitsabstand von 0,60 m zum Bordstein kann für einen Pkw mit Anhänger im Bereich eines Fußgängerüberweges je nach dessen konkreter Ausgestaltung, der Fahrbahnbreite und der Verkehrslage ausreichen.
OLG Karlsruhe v. 08.09.2006:
Im allgemeinen muss zum rechten Fahrbahnrand ein Abstand von 50 cm eingehalten werden. Hält jedoch bei Dunkelheit und Berufsverkehr der Führer eines Lkw bei etwa mittiger Benutzung seiner Fahrbahn nur einen Seitenabstand zum Fahrbahnrand von ca. 38 cm ein, dann ist dies nicht vorwerfbar. Kommt es zur Kollision durch das unvorsichtige Öffnen der Tür eines neben der Fahrbahn geparkten Pkw, dann ist eine Haftungsverteilung von 70 : 30 zu Lasten des Pkw-Führers angemessen.
LG Saarbrücken v. 30.09.2016:
Kollidiert ein Vorbeifahrender mit einem nach § 10 Satz 1 StVO in den Verkehr einfahrenden Fahrzeug, kann dem Vorbeifahrenden allein aus dem Umstand, dass er nur 35 cm von der Seitenbegrenzungslinie gefahren ist, kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.
OLG Köln v. 11.10.2002:
Ein Abstand von 50 cm zur Mittellinie ist grundsätzlich als ausreichend zu erachten, weil dann zum Passieren zweier sich begegnender Fahrzeuge immer noch ein genügender Sicherheitsabstand von 1 Meter verbleibt.
OLG Hamm v. 19.03.2001:
Ein Kradfahrer ist nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 4 StVO Schrittgeschwindigkeit einzuhalten, wenn an einem haltenden Linienbus weder das Warnblinklicht eingeschaltet noch war der Omnibus als Schulbus gekennzeichnet ist. Wenn es sich um einen normalen Omnibus des Linienverkehrs handelt, der an einer Haltestelle (Zeichen 224) hält, ist der Kfz-Führer lediglich verpflichtet, vorsichtig vorbeizufahren. Zu vorsichtigem Vorbeifahren an einem haltenden Omnibus gehört, dass der vorbeifahrende Fahrzeugführer in besonderem Maße auf Fußgänger achtet, die Verkehrssituation sorgfältig beobachtet und sich auf ein Betreten der Fahrbahn durch Fußgänger einstellt. Der Kraftfahrer muss grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass vor einem in seiner Fahrtrichtung haltenden Bus Fußgänger, welche die Fahrbahn überqueren und sich deshalb einen Überblick über die Verkehrssituation verschaffen wollen, unvorsichtig einige Schritte weit auf die Fahrbahn treten. Dieser Möglichkeit hat der Fahrzeugführer grundsätzlich durch Einhaltung eines Seitenabstandes von 2 m Rechnung zu tragen. Damit, dass Fußgänger die Fahrbahn vor oder hinter einem Bus unachtsam überqueren, muss der Fahrzeugführer indessen bei Fehlen besondere Anhaltspunkte nicht rechnen.
OLG Köln v. 09.04.2002:
Ein Kraftfahrer, der sich einem in Gegenrichtung haltenden öffentlichen Verkehrsmittel nähert, muss damit rechnen, dass Fußgänger nicht mit der gebotenen Achtsamkeit einige Schritte in seine Fahrbahn treten, um sich einen Überblick über den Verkehr zu verschaffen. Er darf daher an dem gefährlichen Ende des Busses nicht so nah vorbeifahren, dass er solche Fußgänger erfassen könnte. Er muss deshalb mindestens einen Abstand von zwei Metern zu dem haltenden Bus einhalten oder, wenn seine Fahrbahn derart verengt ist, dass der genannte Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann, seine Geschwindigkeit derart herabsetzen, dass er vor einem in die Fahrbahn tretenden Fußgänger auf jeden Fall anhalten kann.
Seitenabstand von Radfahrern zu Fahrzeugen und Gehweg:
BGH v. 24.02.1981:
Zum nötigen Seitenabstand und zur Radwegbenutzung durch Radfahrer
KG Berlin v. 12.09.2002:
Wenn ein Kraftfahrer auf einen neben seinem Fahrzeug befindlichen Radfahrer zu achten hat, weil er diesen überholen will, hat er stets dessen Ausschwenken zu berücksichtigen. Deshalb und wegen der eigenen Geschwindigkeit hat der Kraftfahrer einen Seitenabstand von regelmäßig mindestens 1,5 m bis 2 m – jedenfalls 1 m – einzuhalten. Zu diesem Seitenabstand ist noch ein weiterer Abstand auf der anderen Seite des Radfahrers von jedenfalls 35 cm zu berücksichtigen. Hiernach hat ein Busfahrer beim Überholen eines Radfahrers mit seinem Bus einen Abstand von jedenfalls 1,50 m zum Bürgersteig einzuhalten; hierbei ist zugunsten des Busfahrers der Abstand des Radfahrers zum Bürgersteig eingerechnet.
OLG Hamm v. 18.12.2003:
Löst ein Radfahrer beim Überholen mit zu geringem Seitenabstand eine Schreckreaktion des überholten Radfahrers aus, wodurch letzterer aus dem Gleichgewicht gerät und stürzt, hat der Überholende für den Schaden voll aufzukommen, auch wenn es zu einer direkten Berührung nicht gekommen ist.
OLG Düsseldorf v. 11.05.2005:
Zu geparkten Fahrzeugen ist auch von Radfahrern ein situationsabhängiger Abstand einzuhalten, der in der Regel etwa 1 m beträgt. Nur bei beengten Verhältnissen kann der Abstand auch geringer ausfallen. Der Mindestabstand, den der fließende Verkehr einhalten muss, richtet sich nach den Umständen des Falles. Mit einem leichten Öffnen der Tür eines haltenden Fahrzeuges ist zu rechnen (OLG Hamm OLGR 1992, 181). Dabei ist ein Abstand von 0,5 m zu knapp bemessen ( OLG Hamm a.a.O. mit Hinweis auf KG VR 1986, 1123 , 1124).
OLG Düsseldorf v. 11.05.2005:
Hält ein Radfahrer von einem unmittelbar neben der Fahrbahn verlaufenden Gehweg einen Abstand von 75 cm bis 80 cm ein, so hat er in aller Regel gegenüber den Benutzern des Gehweges seine Pflichten aus § 1 StVO erfüllt (BGH, Urteil vom 26. April 1957, Aktenzeichen: VI ZR 66,56).
KG Berlin v. 20.09.2010:
Will ein Radfahrer durch eine ca. 1,5 m breite Lücke zwischen einem auf der Fahrbahn stehenden Pkw und schräg zur Fahrbahn rechts parkenden Fahrzeugen fahren und kommt er infolge des Öffnens der Beifahrertür des stehenden Pkw zu Fall, so kommt ein Mitverschulden des Radfahrers nach einer Quote von ¼ in Betracht. Der Radfahrer, dessen Fahrzeugbreite mit ca. 0,6 m anzusetzen ist, hält nämlich in einem solchen Fall keinen ausreichenden Sicherheitsabstand nach links und rechts ein, da dieser jeweils nur ca. 0,45 m beträgt.
OLG Brandenburg v. 07.04.2011:
Die Größe des einzuhaltenden Seitenabstandes richtet sich nach der eigenen Fahrzeugart des Überholers, der Fahrgeschwindigkeit, den Fahrbahnverhältnissen, dem Wetter und nach den Eigenarten des Eingeholten, wobei die Seitenabstände zum Überholten und zum Gegenverkehr so groß sein müssen, dass sie Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. So ist beim Überholen von Radfahrern eine besondere Vorsicht geboten und - abhängig von der Fahrweise des Radfahrers und der eigenen Fahrgeschwindigkeit des Überholenden - ein Seitenabstand von mindestens 1,5 - 2 m einzuhalten.
VG Aachen v. 07.05.2013:
Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums für Radfahrer von 1 m (bei beengten Verhältnissen 0,80 m) und eines i.d.R. zum Radfahrer einzuhaltenden Seitenabstandes von 1,50 m, bietet eine Fahrbahnbreite von 5,50 m ausreichend Raum für einen Überholvorgang. Diese Breite lässt noch Spielraum für einen größeren Seitenabstand zum Radfahrer.
OLG Düsseldorf v. 11.10.2011:
Bei Passieren eines rückwärtsfahrenden oder rückwärts einparkenden Fahrzeugs handelt es sich nicht um einen Überholvorgang, sondern eine Vorbeifahrt. Die Pflichten des Vorbeifahrenden gegenüber dem rückwärtsfahrenden oder einparkenden Pkw ergeben aus der allgemeinen Verhaltensregel des § 1 Abs. 2 StVO. Im Rahmen einer solchen Vorbeifahrt besteht dabei eine aus § 1 Abs. 2 StVO abzuleitende Verpflichtung des Vorbeifahrenden, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem so zu passierenden Verkehrsteilnehmer einzuhalten. Bei dem zu wählenden Sicherheitsabstand muss der Vorbeifahrende ferner gegebenenfalls dem Umstand Rechnung tragen, dass das andere Fahrzeug bei seinem rückwärtigen Einparkvorgang ausschwenkend in die von ihm gewählte Spur geraten kann.
OLG Celle v. 07.06.2017:
Bei einem fast die gesamte Fahrbahn einnehmenden Anhängergespann erhöht sich dessen Betriebsgefahr, da der Seitenabstand zu parkenden Fahrzeugen nicht ohne in den Gegenverkehr zu geraten eingehalten werden kann. - Bei Kollision eines fast die gesamte Fahrbahn einnehmenden Anhängergespanns mit einer unter Verstoß gegen § 14 StVO geöffneten Fahrertür eines Pkw tritt die dann erhöhte Betriebsgefahr des Anhängergespanns hinter dem Alleinverschulden des Halters des geparkten Pkw nicht vollständig zurück.
AG Bremen v. 18.10.2002:
Wird ein Schaden durch ein Kraftfahrzeug und durch ein Tier verursacht, so hängt im Verhältnis des Fahrzeughalters und des Tierhalters zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Seitenabstände zum Überholten und zum Gegenverkehr müssen so ausreichend groß sein, dass sie Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Der Seitenabstand darf insbesondere nicht bedrängend gering sein. Bei der Haftungsabwägung führt das Nichteinhalten eines ausreichenden Seitenabstandes unter Berücksichtigung der hohen Tiergefahr zu einer Schadensteilung.
OLG Brandenburg v. 07.04.2011:
Die Größe des einzuhaltenden Seitenabstandes richtet sich nach der eigenen Fahrzeugart des Überholers, der Fahrgeschwindigkeit, den Fahrbahnverhältnissen, dem Wetter und nach den Eigenarten des Eingeholten, wobei die Seitenabstände zum Überholten und zum Gegenverkehr so groß sein müssen, dass sie Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Im Regelfall reicht ein Seitenabstand von einem Meter beim Überholen aus, besondere Vorsicht ist jedoch etwa beim Überholen von Reitern geboten, da immer mit einer plötzlichen Reaktion des Tieres zu rechnen ist.
LG Frankenthal v. 05.06.2020:
Radfahrer müssen beim Überholen von Pferden einen Sicherheitsabstand von mindestens eineinhalb bis zwei Metern einhalten. Das gilt auch dann, wenn Reiter und Pferde verbotswidrig auf dem Radweg reiten.