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OLG Hamm Beschluss vom 17.02.2006 - 2 Ss OWi 63/06 - Schätzung der Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstands
OLG Hamm v. 17.02.2006: Zur Schätzung der Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstands
Das OLG Hamm (Beschluss vom 17.02.2006 - 2 Ss OWi 63/06) hat entschieden:
Der Abstand hintereinander fahrender Kraftfahrzeuge kann nach allgemeiner Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung durch eine Schätzung darin geübter Personen jedenfalls dann hinreichend verlässlich festgestellt werden, wenn die beteiligten Fahrzeuge aus nicht zu großer Entfernung über eine genügend lange Fahrstrecke ungehindert beobachtet werden können und es sich nicht um einen "Grenzfall", sondern um eine beträchtliche Unterschreitung des notwendigen Sicherheitsabstandes handelt.
Siehe auch Abstandsverstöße - Unterschreitung des Mindesabstandes zum Vorausfahrenden und Stichwörter zum Thema Abstandsverstöße
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die §§ 4, 49 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 100 € sowie wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 21 c Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 40 € verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
II.
Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
"Dem Betroffenen ist durch Verfügung des Oberkreisdirektors in S vom 09.09.98 gemäß § 4 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis der Klasse III entzogen worden. Diese Entscheidung ist seit dem 13.10.1998 rechtskräftig gewesen. Am 09.12.2004 wurde dem Betroffenen die Fahrerlaubnis der Klasse B wieder erteilt.
Der Betroffene ist Marketingleiter. Er befuhr am 09.04.05 gegen 14.05 Uhr mit dem Pkw Daimler Chrysler ... die A ... in S, um anschließend über die A ... nach E zu fahren, wo er einen Termin wahrzunehmen hatte und bemüht war, diesen Termin pünktlich einzuhalten.
Zum genannten Zeitpunkt befuhren die Zeugen M als Fahrer und der Zeuge I als Beifahrer mit dem Streifenwagen ... die A ... in S. Die Polizeibeamten benutzten den rechten Fahrstreifen. Sie bemerkten, dass der Betroffene auf dem linken Fahrstreifen fahrend mit einem Abstand von ca. 6 m einem vorausfahrenden Fahrzeug folgte. Das nahmen die Beamten zum Anlass, ebenfalls vom rechten auf den linken Fahrstreifen überzuwechseln und eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren einzuleiten. Diese Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren erfolgte zwischen den Autobahnkilometern 34,5 und 33,5. Die Beamten hatten nach dem Aufschließen während der erwähnten Strecke einen gleich bleibenden Abstand von 50 m zum Pkw des Betroffenen eingehalten. Leicht versetzt fahrend konnten die Beamten sich davon überzeugen, dass auch auf dieser Messstrecke der von ihnen geschätzte Abstand von etwa 6 m zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem vorausfahrenden Pkw eingehalten wurde. Den gleichbleibenden Abstand stellten die Beamten dabei anhand der Seitenpfosten fest.
Nachdem der vorausfahrende, unbekannt gebliebene Pkw-Fahrer auf den rechten Fahrstreifen übergewechselt war und der Betroffene offensichtlich den Streifenwagen erkannt hatte, wechselte dieser gleichfalls auf den rechten Fahrstreifen über. Die Polizeibeamten überholten nunmehr den Pkw des Betroffenen und bedeuteten diesem durch Anhaltezeichen, dem Wagen zu folgen. Der Betroffene folgte zunächst dem Streifenwagen, hielt aber dann auf dem Seitenstreifen des Autobahnkreuzes I2 in Höhe Kilometer 31,0 an, weil er beabsichtigte, über die A ... nach E zu fahren. Die Beamten veranlassten jedoch dann aus Sicherheitsgründen den Betroffenen, ihnen weiterhin über die A ... bis zur Anschlussstelle I2 bei Kilometer 29,8 zu folgen und hielten ihn dort auf dem Seitenstreifen der Ausfahrt an.
Zum Tatzeitpunkt herrschte auf der A ... mittlerer bis dichter Verkehr. Der Tachometer des Streifenwagen war justiert. Die Fa. W - hatte am 03.02.05 den Tachometer überprüft und bei 120 km Übereinstimmung von bis - und Sollanzeige festgestellt.
Der Betroffene, der nicht angeschnallt war, zeigte sich bei der Überprüfung und der Anhörung durch die Polizeibeamten äußerst aggressiv. Nach Beendigung der Maßnahme soll er versucht haben, über eine doppelte durchgezogene Linie zu wenden und einen anderen Verkehrsteilnehmer zumindest behindert zu haben.
Vorstehende Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, soweit das Gericht dieser folgen kann, dem Auszug aus dem Verkehrszentralregister, den uneidlichen Bekundungen der beiden Polizeibeamten M und I sowie der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Justierbescheinigung BI. 17 d. A..
Der Betroffene hat eingeräumt, den Sicherheitsgurt nicht angelegt zu haben.
Er bestreitet allerdings die Feststellungen bezüglich des eingehaltenen Abstandes. Nach seiner Einlassung hat er einen Abstand von 15 bis 20 m zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten. Dieser Abstand sei wesentlich größer gewesen als der von anderen Verkehrsteilnehmern zu ihren vorausfahrenden Fahrzeugen gewesen. Zudem sei er nicht aggressiv gegenüber den Polizeibeamten aufgetreten. Vielmehr seien diese - insbesondere der Zeuge M - äußerst unfreundlich ihm gegenüber aufgetreten.
Das Gericht hält diese Einlassung des Angeklagten für eine Schutzbehauptung. Es widerspricht bereits jeglicher Lebenserfahrung, dass Polizeibeamte ausrechnet den Verkehrsteilnehmer zur Ordnung rufen wollen, der einen wesentlich größeren Abstand als andere Verkehrsteilnehmer einhält. Außerdem musste das Gericht insoweit berücksichtigen, dass der Betroffene nach eigener Einlassung es eilig hatte, nach E zu fahren. Unter diesen Umständen ist es nicht gerade unwahrscheinlich, dass der Betroffene "gedrängelt" hat.
Die beiden Polizeibeamten haben insoweit übereinstimmend bekundet, dass der Betroffene ihnen wegen eines Abstandes von 6 m aufgefallen sei und dass sie deshalb eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren eingeleitet und durchgeführt hätten. Dabei hätten sie auf der Messstrecke von rund 1000 m vom justierten Tacho ihres Fahrzeuges eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 120 km/h abgelesen, den gleichbleibenden Abstand anhand der Seitenpfosten festgestellt und nach Abzug von 15 % zum Ausgleich von Messtoleranzen sei insoweit eine Geschwindigkeit von 102 km/h zu Gunsten des Betroffenen festgestellt worden. Der Zeuge M hat sogar bekundet, er habe während der Messstrecke den Tempomat auf 120 km/h festgestellt und auch insoweit ein gleichbleibenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug festgestellt.
Die beiden Polizeibeamten konnten sich allerdings nicht an alle Einzelheiten des Vorfalls erinnern (auf die die Verteidigung zu großen Wert legte). Fragen nach Farbe, Art und Größe der Felgen des Fahrzeuges des Betroffenen etc. waren den Zeugen nicht mehr präsent, zumal der Vorfall rund 6 Monate zurückliegt. Auch das Gericht hält diese Erinnerungslücken der Zeugen für unbeachtlich, nachdem diese insoweit zweifelsfrei die Verantwortung für die Richtigkeit der erstatteten Anzeige übernommen haben. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Betroffene am Tattage den erforderlichen Sicherheitsabstand um weniger als 2/10 bei der gefahrenen Geschwindigkeit von 102 km/h (120 km/h abzüglich 15 %) auf einer Messstrecke von rund 1000 m eingehalten hat und dabei den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Es ist insoweit von einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 21 a Abs. 1, 49 StVO und einer tatmehrheitlichen begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 4, 49, 24 StVG auszugehen. Bezüglich des Verstoßes gegen § 21 a StVO geht das Gericht von einer fahrlässigen Begehungsweise aus; bezüglich des Verstoßes gegen den Sicherheitsabstand ist bei der extremen Nichteinhaltung dieses Abstandes nur eine vorsätzliche Begehung denkbar.
..."
III.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt auf die materielle Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem oben beschriebenen Umfang und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht Recklinghausen.
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts, die darauf gestützt ist, das Amtsgericht habe seine Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem es unterlassen habe, weitere Beweismittel einzuholen, ist hiernach ohne Bedeutung, unabhängig davon, dass die Aufklärungsrüge nicht den gesetzlichen Formerfordernissen gem. § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend erhoben worden ist.
Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der festgestellten Ordnungswidrigkeit nach §§ 4, 49 StVO ausschließlich auf die von den Zeugen M und I praktizierte Abstandsmessmethode gestützt. Zwar entsprechen die Feststellungen des angefochtenen Urteils den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen zur Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit Tachometervergleich (zu vgl. Hentschel, StVR, 38. Aufl., Rdnr. 62 zu § 3 StVO m.w.N.). Die Art der Geschwindigkeitsmessung, welche die dem Betroffenen nachfahrenden Zeugen M und I mittels eines justierten Tachometers vorgenommen haben, ist auch geeignet, die von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit zuverlässig zu ermitteln. Die Länge der Messstrecke von 1000 m (zwischen Kilometer 34,5 und Kilometer 33,5) ist ausreichend. Der eingehaltene Abstand von 50 m lässt eine hinreichend genaue Beobachtung des Fahrzeugs zu. Möglichen Fehlerquellen und Ungenauigkeiten hat der Tatrichter zutreffend durch einen Toleranzabzug von 15 % von der gemessenen Geschwindigkeit Rechnung getragen. Die Feststellung der von dem Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit von 102 km/h ist damit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Indessen tragen die getroffenen Feststellungen nicht den Schuldspruch des Betroffenen wegen Unterschreitung des gem. § 4 Abs. 1 S. 1 StVO einzuhaltenden Sicherheitsabstandes, weil das Amtsgericht materiell rechtlich fehlerhaft der von den Polizeibeamten hierbei angewandten Messmethode eine Beweiskraft beigemessen hat, die ihr nicht zukommt.
Zwar ist es - auch im Hinblick auf die Beurteilung des einzuhaltenden Sicherheitsabstandes - grundsätzlich möglich, dass geübte und erfahrene Polizeibeamte durch Beobachtung der beteiligten Fahrzeuge über eine hinreichend lange Strecke den Abstand zwischen ihnen in gerichtsverwertbarer Weise einschätzen können, wenn sie in einer nicht zu großen Entfernung schräg versetzt hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug fahren (zu vgl. OLG Hamm, VRS 94, 303; VRS 58, 276; OLG Düsseldorf, VRS 56, 57), was insbesondere gilt, wenn Schätzungshilfen, wie etwa die Länge der Leitlinienmarkierungen oder dergleichen, vorhanden sind.
Derartige Schätzungen bedürfen allerdings besonders kritischer tatsächlicher Bewertung, die hier der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält. Ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen wechselten die Zeuginnen M und I mit ihrem Fahrzeug vom rechten auf den linken Fahrstreifen, nachdem sie den Betroffenen auf dem linken Fahrstreifen fahrend mit einem geschätzten Abstand von 6 m zum vorausfahrenden Fahrzeug bemerkt hatten. In einem Abstand von 50 m zum Fahrzeug des Betroffenen folgten die Zeugen seitlich versetzt auf dem linken Fahrstreifen. Orientierungshilfen, durch die eine Schätzung von 6 m Abstand während der 1000 m Messstrecke gesichert wird, hat der Tatrichter nicht festgestellt. Allein der Hinweis, dass sich die Zeugen M und I leicht versetzt fahrend anhand der Seitenpfosten davon überzeugen konnten, dass auf der Messstrecke der von ihnen geschätzte Abstand von etwa 6 m zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem vorausfahrenden Pkw eingehalten wurde, lässt nicht auf eine hinreichende Möglichkeit schließen, dass es den beiden Polizeibeamten möglich war, den Abstand zwischen den Fahrzeugen zuverlässig zu beurteilen.
Der Tatrichter hat die Schätzung der Zeugen M und I im Rahmen der Beweissicherung dagegen uneingeschränkt als zuverlässig beurteilt, anstatt sie kritisch auf ihre Vereinbarkeit mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu überprüfen. Ausführungen dazu, dass es sich bei den Zeugen M und I um geübte und erfahrene Polizeibeamte gehandelt hat (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, NZV 1993, 242) und ihnen daher eine genaue Schätzung möglich gewesen sei, enthalten die Urteilsgründe nicht. Nähere Angaben dazu wären aber schon aufgrund des eingeschränkten ungünstigen Winkels erforderlich gewesen. Denn über die Messstreckendistanz fuhr das nachfahrende Fahrzeug nicht - wie sonst in diesen Fällen zur Erlangung einer möglichst guten Sicht für die Beamten üblich - schräg versetzt auf der benachbarten Fahrspur, sondern rückwärtig versetzt auf der von dem Betroffenen benutzten Richtungsfahrbahn. Das ermöglichte den Zeugen nur eine stark eingeschränkte Sicht auf die beiden vorausfahrenden Fahrzeuge in einem sehr spitzen Winkel. Wenn es aber schon unverhältnismäßig schwierig ist, den Abstand zweier vorausfahrender Fahrzeuge aus einem Fahrzeug heraus bei guter Sicht zuverlässig zu ermitteln (zu vgl. OLG Hamm, VRS 58, 276, 278), dann bedarf es gerade bei einem stark eingeschränkten Blickwinkel einer besonders kritischen tatrichterlichen Würdigung.
Angesichts der Schwierigkeit einer zuverlässigen Schätzung unter den gegebenen Umständen konnte der Tatrichter ohne Verstoß gegen einen Erfahrungssatz die Schätzung der Zeugen M und I für nicht so zuverlässig erachten, dass er sie der Verurteilung des Betroffenen zugrunde legen durfte.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch wegen fahrlässiger Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes halten dagegen der rechtlich Nachprüfung stand. Soweit allerdings im Tenor hinsichtlich des Schuldspruchs die Vorschriften "§ 21 c Abs. 1, § 49 StPO" anstatt richtigerweise die Vorschriften §§ 21 a Abs. 1, 49 StVO angeführt worden sind, handelt es sich - wie aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 22.11.2005 (BI. 12 d.A.) ersichtlich - um einen Übertragungsfehler. Offensichtliche Versehen in der Urteilsformel können berichtigt werden (zu vgl. Meyer Goßner, StPO, 48. Aufl., Rdnr. 33 zu § 354).
Im Rechtsfolgenausspruch unterliegt das angefochtene Urteil ebenfalls der Aufhebung. Es leidet insoweit an einem Mangel, als das Amtsgericht die Auffassung vertreten hat, dass der Verstoß gegen §§ 4, 49 StVO und der Verstoß gegen § 21 a StVO im Verhältnis von Tatmehrheit zueinander stehen. Das Nichtbeachten des Sicherheitsabstandes steht aber in Tateinheit mit dem Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 StVO (Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes). Nach dieser Vorschrift müssen nämlich die vorgeschriebenen Sicherheitsgurte "während der Fahrt angelegt sein". Wer ein Kraftfahrzeug führt, ohne die Sicherheitsgurte angelegt zu haben, verstößt dadurch während der gesamten Fahrt solange gegen die Gurtanlegepflicht, bis er ihr - möglicherweise einem Entschluss während der Fahrt folgend - nachkommt. Es handelt sich also um eine Dauerordnungswidrigkeit, die mit einzelnen, auf der Fahrt ohne Gurt begangenen anderen Ordnungswidrigkeiten in einem zeitlich, räumlich und sachlich derart unmittelbaren Zusammenhang steht, dass der Vorgang nur als eine natürliche Handlungseinheit angesehen und rechtlich als Tateinheit gewertet werden kann (zu vgl. OLG Düsseldorf, VRS 79, 387, 388 m.w.N.)."
Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei und macht sie sich zu eigen. Er weist zusätzlich auf Folgendes hin:
1. Der Abstand hintereinander fahrender Kraftfahrzeuge kann nach allgemeiner Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. außer den von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidungen auch noch OLG Düsseldorf DAR 2000, 80 = VRS 98, 155 = VM 2000, Nr 38) durch eine Schätzung darin geübter Personen jedenfalls dann hinreichend verlässlich festgestellt werden, wenn die beteiligten Fahrzeuge aus nicht zu großer Entfernung über eine genügend lange Fahrstrecke ungehindert beobachtet werden können und es sich nicht um einen "Grenzfall", sondern um eine beträchtliche Unterschreitung des notwendigen Sicherheitsabstandes handelt. Bei der Beurteilung dieser Frage hat der Tatrichter dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine hinreichend genaue Abstandsschätzung ungeübten Personen in der Regel nicht möglich ist. Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Erfahrungssatz, dessen Nichtberücksichtigung der Nichtanwendung einer Rechtsnorm gleichkommt und deshalb zu einer Verletzung sachlichen Rechts führt (vgl. zu alledem auch OLG Düsseldorf NZV 1993, 242 = DAR 1993, 360 sowie Krumm in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 99, 112). Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass diesem allgemeinen Erfahrungssatz bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung Rechnung getragen wurde. Das Amtsgericht hat dem Schuldspruch die Abstandsschätzung der Zeugen zugrunde gelegt, ohne, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, mitzuteilen, ob und inwieweit die Zeugen - sei es aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung oder aufgrund anderer Umstände - im Schätzen räumlicher Abstände geübt sind. Nähere Ausführungen hierzu waren im vorliegenden Fall schon aufgrund der schwierigen Schätzungssituation unverzichtbar, denn nach den tatrichterlichen Feststellungen fuhren die Zeugen rückwärtig versetzt auf der von dem Betroffenen benutzten Richtungsfahrbahn, hatten also keinem Zeitpunkt die sonst übliche gute Sicht aus einer schräg versetzten Position auf der benachbarten Fahrspur.
2. Auch die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise ist derzeit nicht ausreichend dargelegt. Das Amtsgericht hat den Vorsatz des Betroffenen allein aus der "extremen Nichteinhaltung dieses Abstandes" geschlossen, ohne sich mit dem dem Vorsatz immanenten Wissens- und Wollenselement auseinander zu setzen. Die Ansicht des Amtsgerichts führt dazu, dass in vergleichbaren Fällen immer Vorsatz anzunehmen wäre. Das Amtsgericht wird daher in der neuen Entscheidung darzulegen haben, dass der Betroffene, wenn er erneut verurteilt wird, die Abstandsunterschreitung gekannt und auch bemerkt hat.
3. Zutreffend ist auch die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft, es bestehe Tateinheit zwischen der Abstandsunterschreitung (Verstoß gegen § 4 StVO) und dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes (Verstoß gegen § 21 a Abs. 1 StVO). Nach § 19 Abs. 1 OWiG wird nur eine Geldbuße festgesetzt, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, verletzt. "Dieselbe Handlung" im Sinne des Gesetzes ist dabei eine einzige Willensbetätigung oder eine natürliche Handlungseinheit. Letztgenannte ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren (räumlichen und zeitlichen) Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten (objektiv) als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. OLG Rostock VRS 107, 461 = VA 2005, 18; Göhler, OWiG, 14. Aufl. vor § 19 Rn. 3, § 19 Rn. 2; jeweils m. w. N.
Zwar bewirkt die bloße Gleichzeitigkeit der Verletzung mehrerer Deliktstatbestände noch nicht die Handlungsidentität im Sinne von § 19 Abs. 1 OWiG. Vielmehr ist erforderlich, dass diejenige Handlung, die einen Tatbestand (ganz oder teilweise) verwirklicht, zugleich, d. h. wenigstens in einzelnen der ihr zugehörigen Willensbetätigungen, einen anderen Tatbestand ganz oder teilweise erfüllt. Zur Abgrenzung gegenüber möglicherweise "nur gleichzeitigen", "nur gelegentlich" einer Dauertat begangenen Verstößen, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Rostock, a.a.O.) gefordert, dass Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegen muss, dass das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem jeweiligen anderen Verstoß bildet (vgl. BGH VRS 52, 129 = BGHSt 27, 66 = NJW 1977, 442; BGH NStZ 1981, 401 m. w. N.).
Das ist für die Fälle des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes und für weitere während der Fahrt dann begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu bejahen (s. auch OLG Rostock; siehe aber auch OLG Hamm VRS 60, 50 für eine andere Fallgestaltung; a.A. AG Sonderhausen DAR 2005, 350). Die maßgebliche Handlung des Betroffenen, die der rechtlichen Beurteilung unterliegt, ist zunächst das Nichtanlegen des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt mit dem Pkw. Dieselbe Handlung, das ununterbrochene Führen des Kraftfahrzeugs ohne Anlegen des Sicherheitsgurtes als Dauerordnungswidrigkeit, stellt aber notwendigerweise zugleich die Ausführungshandlung des weiteren Verkehrsverstoßes dar, nämlich das Führen des Kraftfahrzeugs mit zu geringem Sicherheitsabstand. Eine isolierte Betrachtung des Geschwindigkeitsverstoßes ist nicht möglich, ohne damit aus der einheitlichen Dauertat des Fahrens mit dem Pkw ohne Anlegen des Sicherheitsgurtes ein notwendiges Teilstück herauszulösen. Es liegt damit Teilidentität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen vor, die nach ganz allgemeiner Meinung zur Annahme von Tateinheit führt (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.; OLG Rostock, a.a.O., für eine Geschwindigkeitsüberschreitung). Wer ein Kraftfahrzeug führt, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben, verstößt dadurch während der gesamten Fahrt gegen die Gurtanlegepflicht. Es handelt sich um eine Dauerordnungswidrigkeit, die mit einzelnen, auf der Fahrt ohne Gurt begangenen anderen Ordnungswidrigkeiten in einem zeitlich, räumlich und sachlich derart unmittelbaren Zusammenhang steht, dass der Vorgang nur als eine natürliche Handlungseinheit angesehen und rechtlich als Tateinheit im Sinne von § 19 OWiG gewertet werden kann (so auch OLG Düsseldorf VRS 73, 387 m. w. N.; OLG Rostock, a.a.O.; Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 21 a StVO Rn. 10). Die erforderliche Verknüpfung der Tatbestände wird allein durch die Überlagerung der objektiven Ausführungshandlung begründet (vgl. BGH, a.a.O.).
Der Senat weist für die Bemessung der ggf. neu festzusetzenden Geldbuße darauf hin, dass die BußgeldkatalogVO für einen Verstoß gegen § 21 a Abs. 1 StVO in der lfd. Nr. 100 nur eine Geldbuße von 30 € vorsieht.
Nach allem war das angefochtene Urteil somit aufzuheben. Wegen der tateinheitlichen Verknüpfung des Verstoßes gegen § 4 StVO und des Verstoßes gegen § 21 a Abs. 1 StVO hat der Senat das Urteil insgesamt aufgehoben und nicht nur, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, hinsichtlich des Verstoßes gegen § 4 StVO. Der Senat hat derzeit noch keinen Anlass gesehen, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Es ist nicht ersichtlich, dass der bisher entscheidende Tatrichter dem Betroffenen gegenüber voreingenommen ist.