Das Verkehrslexikon

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Landgericht Mönchengladbach Urteil vom 26.03.2012 - 11 O 328/10 - Verkehrssicherungspflicht und Sturz eines Radfahrers in eine Baugrube

LG Mönchengladbach v. 26.03.2012: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer Baustelle beim Sturz eines Radfahrers in eine gesicherte Baugrube


Das Landgericht Mönchengladbach (Urteil vom 26.03.2012 - 11 O 328/10) hat entschieden:
Den Betreiber einer Straßenbaustelle trifft keine Haftung wegen Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht, wenn ein Radfahrer sich über ein Einfahrtverbot hinwegsetzt und in eine quer über die Fahrbahn ausgehobene Baugrube stürzt, die zusätzlich durch eine große Absperrbarelle gesichert ist.


Siehe auch Sicherungs- und Absperrmaßnahmen und Verkehrssicherungspflicht


Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht des Herrn K wegen einer angeblichen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht geltend, die zu einem Verkehrsunfall geführt haben soll.

Die Klägerin ist die Betriebskrankenkasse des Herrn K. Die Beklagte zu 1. betreibt ein Bauunternehmen. Im Frühsommer 2006 führte sie im Auftrag des Rheinkreises Neuss Arbeiten an einer 350 m langen Wasserleitung und den dazugehörigen Hausanschlüssen in der W.Straße in Rommerskirchen-​Ansteln durch. Zuständiger Bauleiter war der Beklagte zu 2. Laut Bescheid des Landrats des Rheinkreises Neuss vom 11. April 2006 war er auf der Baustelle für die Verkehrssicherung und -regelung während und nach der Arbeitszeit verantwortlich.

Am Dienstag, den 13. Juni 2006 befuhr der bei der Klägerin unfallversicherte Herr K mit seinem Fahrrad gemeinsam mit seiner Ehefrau vormittags gegen 11.00 Uhr die W.Straße aus Richtung Evinghoven kommend in Richtung der Bundesstraße 477. Am Anfang der W.Straße stand zu diesem Zeitpunkt auf der rechten Fahrbahn ein Absperrgitter, auf dem das Verbotsschild Nr. 250 (Durchfahrt verboten) mit dem Zusatz „Anlieger frei bis Baustelle“ befestigt war. Die Eheleute Klein gingen davon aus, dass aufgrund der Beschilderung der Verkehr auf der W.Straße nur im Bereich der Baustelle eingeschränkt sein würde und dieser Bereich von Kraftfahrzeugen nicht passiert werden könne. Sie meinten, Fußgänger und Radfahrer könnten ungehindert die Straße benutzen. Sie passierten zunächst einen Bauwagen und dann einen Bagger, der auf der Straße abgestellt war. Innerhalb der Baustelle stürzte Herr k sodann mit seinem Fahrrad, als er mit dem Vorderrad in einen quer über die Straße ausgehobenen etwa 60 cm breiten Graben geriet. Bei dem Sturz blieb er mit seinem rechten Fuß in der Klickpedale seines Rennrades hängen.

Der Unfall wurde polizeilich aufgenommen. Ein gegen den Beklagten zu 2. eingeleitetes Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach (Aktenzeichen: 103 Js 1406/06) wurde gemäß § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.

Herr k ist infolge des Unfalles querschnittsgelähmt. Die Klägerin erbrachte vom Unfallzeitpunkt an als Krankenkasse und Pflegekasse Leistungen in streitiger Höhe. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten lehnte eine Beteiligung an der Regulierung des Schadensfalles ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten seien wenigstens zur Hälfte für den Schaden, den Herr K erlitten habe, mitverantwortlich. Sie behauptet, mit Ausnahme des Verkehrsschildes Nr. 250 (Durchfahrt verboten) seien weitere Schilder oder Absperrungen nicht vorhanden gewesen. Hinter der Absperrung mit dem Schild am Anfang der Straße sei diese in ihrer gesamten Breite befahrbar gewesen. Der quer über die Straße ausgehobene Graben habe ungesichert dagelegen und sei erst im letzten Moment als Gefahrenquelle zu erkennen gewesen. Für herannahende Fahrradfahrer habe er so ausgesehen wie ein Schatten der neben der Straße befindlichen Bebauung. Bauarbeiter hätten sich zum Unfallzeitpunkt nicht im Baustellenbereich aufgehalten Die W.Straße sei am Unfalltag von mehreren Radfahrern benutzt worden.

Weiter behauptet die Klägerin, sie habe seit dem Unfall bis Ende 2009 als Krankenkasse Sozialleistungen in Höhe von 930.342,69 € und als Pflegekasse weitere Leistungen in Höhe von 79.483,45 € erbracht. Die Hälfte dieser Leistungen, meint sie, seien von den Beklagten zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Beklagten zu 1. und 2. gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche Sozialleistungen zur Hälfte zu erstatten, die sie im Zusammenhang mit dem Unfall des Herrn K. vom 13. Juni 2006 auf der W.Straße in Rommerskirchen-​Ansteln erbracht habe und noch erbringen werde, die gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangen sind und noch übergehen werden.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten zunächst ihre Passivlegitimation. Insoweit sind sie der Auffassung, die Verkehrssicherungspflicht obliege dem Bauherrn, also dem Rheinkreis Neuss. Sie - die Beklagte zu 1. - habe nur die baustellenbedingte Verkehrsregelung und -leitung übernommen.

Im Übrigen halten sie Herrn k für alleinverantwortlich für den Unfall. Insoweit behaupten sie, die Baustelle sei hinreichend gesichert gewesen. Nicht nur am Anfang der W.Straße, sondern auch unmittelbar vor dem Graben hätten sich Absperrungen befunden. Der Graben sei durch ein Gitter abgedeckt gewesen. Vor dem Graben hätten sich nicht nur ein Bauwagen und ein Löffelbagger, sondern noch zahlreiche andere Baufahrzeuge und Maschinen befunden, die die Eheleute passiert hätten, bevor sie an den Graben kamen. Der Versicherte habe sich zwischen den Absperrgittern und sonstigen Sicherungsmaßnahmen regelrecht hindurchzwängen müssen, um bis zu dem Graben zu kommen. Zudem seien auf der Baustelle 10 bis 12 Arbeiter tätig gewesen. An bzw. in dem Graben sei bis unmittelbar vor dem Unfall gearbeitet worden.

Überdies behaupten die Beklagten, ein Mitarbeiter der Kreiswerke Grevenbroich, der Zeuge M, habe Herrn K zugerufen, er solle von seinem Fahrrad absteigen, damit könne er nicht durch die Baustelle fahren.

Hinsichtlich der Leistungen der Klägerin behaupten die Beklagten, diese seien nicht erforderlich gewesen, da stattdessen auch eine Heimunterbringung des Verunfallten möglich gewesen wäre. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen k, Dieter M, Rudi V, Mario B und Michael Kr.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 13. Februar 2012 (Bl. 91 bis 105 der GA) Bezug genommen.

Die Akte der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, Aktenzeichen: 103 Js 1406/06, lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

Eine Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfalles vom 13. Juni 2006 unterstellt, bestünde für die vorliegende Klage das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Grundsätzlich besteht ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Haftung, insbesondere dann, wenn sich der anspruchsbegründende Sachverhalt noch in der Entwicklung befindet, und zwar auch dann, wenn bereits eine teilweise Bezifferung des entstandenen Schadens möglich wäre (vgl. BGH NJW 1984, 1552, 1554). Vorliegend steht der Umfang des infolge des Unfalls vom 13. Juni 2006 entstandenen Schadens noch nicht abschließend fest. Der verunglückte Herr K hat infolge des Unfalles eine Querschnittslähmung erlitten, der zufolge er sein restliches Leben lang gelähmt bleiben wird. Der Umfang der von der Klägerin als Sozialversicherungsträgerin an ihn zu erbringenden Leistungen steht deshalb noch nicht fest, so dass die Klägerin die ihr aufgrund des Unfalles entstandenen und noch entstehenden Schäden nicht im Wege einer einheitlichen Leistungsklage geltend machen kann.

II.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagten, der seine rechtliche Grundlage nur in §§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 S. 1 BGB haben könnte, nicht zu. Die Beklagten sind für den Unfall, bei dem der Versicherungsnehmer der Klägerin schwer verletzt worden ist, nicht verantwortlich. Eine Verantwortung der Beklagten für den Sturz des Fahrradfahrers käme allenfalls aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer den Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht in Betracht. Die Beklagten haben jedoch ihre Verkehrssicherungspflicht, die der Rheinkreis Neuss als Bauherr auf die Beklagte zu 1. und diese wiederum auf den Beklagten zu 2. als Bauleiter übertragen hatte, nicht verletzt. Vielmehr hat der Verunglückte seinen schweren Sturz allein verschuldet.

Im Einzelnen:

1. Die Beklagten haben den Verkehr mit der gebotenen Sorgfalt gegen von der von ihnen betriebenen Baustelle ausgehende Gefahren gesichert. Vorliegend bestand die Gefahrenquelle in einem quer über die Fahrbahn ausgehobenen etwa 60 cm breiten und 80 cm tiefen Graben. Vor der davon ausgehenden Gefahr für etwaige Verkehrsteilnehmer hatten die Beklagten zunächst dadurch Sicherungsmaßnahmen ergriffen, dass sie bereits am Eingang der W.Straße das Verbotsschild Nr. 250 (Durchfahrt verboten) mit dem Zusatz „Anlieger frei bis Baustelle“ angebracht hatten. Da sich der Graben innerhalb des Baustellenbereiches befand, war das Befahren der Straße für Fahrzeuge aller Art - und somit auch für Fahrradfahrer - damit untersagt. Grundsätzlich wird durch die Aufstellung eines solchen Verbotsschildes die Verkehrssicherungspflicht gegenüber Erwachsenen erfüllt (vgl. OLG Hamm NJW-​RR 2011, 1602, 1603; OLG Hamm VersR 1993, 491; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 Rdnr. E 215).

Die Beklagten haften für die von dem Graben ausgehenden Gefahren auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gegenüber unbefugten Benutzern. Zwar besteht grundsätzlich auch gegenüber unbefugten Straßenbenutzern eine Verkehrssicherungspflicht, wenn der Verantwortliche wusste oder zumindest damit rechnen musste, dass auch unbefugte Verkehrsteilnehmer im Gefahrenbereich verkehren (vgl. BGH NJW 1997, 582, 583; OLG Köln VersR 1992, 1241; LG Aachen VersR 1974, 682). Vorliegend mussten die Beklagten als Verkehrssicherungspflichtige jedoch nicht damit rechnen, dass Autos oder Fahrradfahrer bis an den Graben gelangen würden. Für aus Fahrtrichtung des verunfallten Herrn K kommende Autofahrer war es gänzlich unmöglich, bis zu dem Graben zu fahren, da die Fahrbahn kurz davor in voller Breite durch einen auf der linken Fahrbahn stehenden Bagger und ein auf der rechten Fahrbahn ausgehobenes großes Loch, an dem der Bagger im Zeitpunkt des Unfalls arbeitete, versperrt war. Auch Fahrradfahrer konnten diesen Bereich nur passieren, um bis zu dem Graben vorzudringen, in- dem sie links hinter dem arbeitenden Bagger vorbei über den Bürgersteig fuhren. Damit, dass Radfahrer wie Herr K und seine Frau nicht nur das Verbotsschild am Eingang der Straße missachten, sondern sich auch noch im Bereich der Baustelle über den Bürgersteig zwischen dem arbeitenden Bagger und der Hauswand hindurchzwängen und so bis an den Graben gelangen würden, mussten die Beklagten als Verkehrssicherungspflichtige nicht rechnen.

Darüber hinaus hatten sie den Graben auch in der Weise zusätzlich gesichert, dass sie einige Meter davor quer über der Fahrbahn eine große Absperrbarelle aufgestellt hatten, die den größten Teil der Fahrbahn versperrte und für jedermann unübersehbar deutlich machte, dass die Fahrbahn dahinter keinesfalls zu benutzen war.

2. Dass die Baustelle nicht nur durch das zu Beginn der W.Straße aufgestellte Verkehrsschild Nr. 250 (Durchfahrt verboten) mit dem Zusatzschild „Anlieger frei bis Baustelle“ gesichert war, sondern die Beklagten auch mit einer Benutzung durch Unbefugte im Bereich des Grabens nicht zu rechnen brauchten, da die Fahrbahn davor auf voller Breite durch den Bagger und das daneben ausgehobene große Loch sowie zusätzlich unmittelbar vor dem Graben durch eine große Absperrbarelle versperrt war, steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme fest. Die Kammer hat die Akte der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, Aktenzeichen: 103 Js 1406/06, zu Beweiszwecken beigezogen. Darin sind eine Reihe von Lichtbildern enthalten, die die Polizei im Rahmen der Unfallaufnahme unmittelbar nach dem Unfall am Unfallort gefertigt hat. Zwar entspricht der darin dokumentierte Aufbau der Baustelle nicht mehr in jeder Hinsicht dem Zustand im Zeitpunkt des Unfalles, da die Bauarbeiter noch vor Eintreffen der Polizei die Straße für den herbeigerufenen Rettungswagen hatten frei räumen müssen. Jedoch zeigen nach den weitgehend übereinstimmenden Aussagen der Zeugen zumindest die Bilder auf Blatt 11 der Beiakte mit den Nummern IMG 0333J und IMG 0336J, Blatt 15 links unten und Blatt 16 rechts unten, den Aufbau der Baustelle im Zeitpunkt des Unfalls im Wesentlichen unverändert. Das Bild auf Blatt 11 mit der Nummer IMG 0336J/Blatt 16 rechts unten zeigt einen großen Bagger, der die Fahrbahn auf der kompletten linken Fahrbahnhälfte für die Fahrradfahrer versperrte. Rechts daneben ist ein tiefes ausgehobenes Loch zu sehen, in dem der Bagger nach Aussagen der Zeugen V, B und Kr im Zeitpunkt des Unfalles gearbeitet hat. Dabei befand sich nach den Bekundungen des Zeugen V vor dem Bagger noch ein großer Lkw, auf den der Bagger den Aushub aus dem Loch schaufelte. Die Aussagen der drei Zeugen zu diesem Punkt sind glaubhaft. Alle drei haben in weitestgehender Übereinstimmung beschrieben, dass der Bagger an der auf dem Lichtbild dokumentierten Stelle gestanden habe, allerdings in leichter Schrägstellung bedingt durch seine Arbeit an dem rechts gelegenen ausgeschachteten Loch. Die Aussagen der Zeugen werden insoweit auch durch die Aussage der Ehefrau des Verunfallten, die Zeugin Heide K, bestätigt, die ebenfalls bekundet hat, dass sie den Bagger nicht auf der Straße, sondern über den Bürgersteig passiert hätten. Schließlich hat auch der Zeuge M bestätigt, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, die Straße bis zu dem quer über die Fahrbahn verlaufenden Graben zu befahren. Nach insoweit übereinstimmender Aussage aller vernommenen Zeugen ist deshalb davon auszugehen, dass ein Befahren der Fahrbahn im Zeitpunkt des Unfalles durch den arbeitenden Bagger und das daneben ausgehobene große Loch, wie auf dem Bild in der Beiakte Nr. IMG 0336J zu erkennen, selbst für Fahrradfahrer nicht möglich war.

Die Kammer ist nach Würdigung der erhobenen Beweise überdies davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt des Unfalls kurz vor dem Graben auch eine große Absperrbarelle quer über die Fahrbahn aufgebaut war, wie dies auf dem Bild in der Beiakte Blatt 11 Nr. IMG 033J, Blatt 15 links unten zu erkennen ist. Dabei mag die Absperrbarelle möglicherweise wenige Meter weiter vorne oder weiter hinten positioniert gewesen sein, als auf dem Bild der Polizei zu sehen ist. Dass wenige Meter vor dem Graben eine Absperrbarelle aufgestellt war, hat nicht nur der Beklagte zu 2. in seiner persönlichen Anhörung geschildert, sondern haben auch die Zeugen V. und B. bestätigt. Beide haben in weitestgehender Übereinstimmung glaubhaft bekundet, zum Zeitpunkt des Unglücks habe kurz vor dem Graben die große Absperrbarelle gestanden, die man dann für den Notarztwagen mit Hilfe eines Baggers habe entfernen müssen. Der Zeuge V war sich insoweit sicher, dass der Zeuge B mit dem von ihm geführten Bagger das Absperrgitter für den herannahenden Notarztwagen zur Seite gesetzt habe. Der Zeuge B war sich zwar nicht mehr sicher, ob er selbst oder sein Kollege, der Zeuge V, derjenige gewesen war, der die Barelle mit dem Bagger aus dem Weg geräumt hatte; auch er war sich jedoch sicher, dass die Barelle zunächst dort gestanden hatte und eigens für den Rettungswagen mit Hilfe eines Baggers hatte weggesetzt werden müssen. Die Kammer hält die Aussagen der beiden Zeugen für glaubhaft. Beide Zeugen haben den Aufbau der Baustelle detailliert geschildert, ohne über Erinnerungslücken hinwegzutäuschen. Dabei zeigte keiner von beiden eine Tendenz, durch seine Aussage die Beklagten entlasten zu wollen. Vielmehr waren beide erkennbar um eine möglichst präzise Schilderung des Aufbaus der Baustelle unter Anstrengung ihres Erinnerungsvermögens bemüht.

Die auf den Aussagen der Zeugen B und V beruhende Überzeugung der Kammer wird durch die insoweit dazu im Widerspruch stehende Aussage der Zeugin Heidi K nicht erschüttert. Zwar hat diese bekundet, eine Absperrbarelle habe sich im Zeitpunkt des Unfalls nicht vor dem Graben befunden. Ihre Aussage dürfte insoweit jedoch nicht zutreffend gewesen sein. Fest steht, dass die Barelle im Rahmen des Versuchs einer Rekonstruktion der Unfallsituation vor Aufnahme der Lichtbilder durch die Polizei vor dem Graben aufgestellt worden ist. Sie muss deshalb im Zeitpunkt des Unfalls bereits auf der Baustelle vorhanden gewesen sein. Die Zeugin K. will demgegenüber eine derartige Barelle im Bereich der Baustelle überhaupt nicht gesehen haben; von den im Wesentlichen unveränderten Absperrungen der Kopflöcher abgesehen soll es nach ihrer Aussage im Bereich der Baustelle überhaupt keine Absperrgitter gegeben haben. Da die Barelle zumindest kurz nach dem Unfall zum Zwecke einer Unfallrekonstruktion aufgestellt worden ist, muss sie aber vorhanden und die Aussage der Zeugin K mithin insoweit unzutreffend gewesen sein. Die Kammer geht insoweit davon aus, dass die Zeugin keine Erinnerung an die Absperrbarelle hat, da sie und ihr Mann den auf der Baustelle vorhandenen Absperrmaßnahmen - dem Verbotsschild am Eingang der Straße wie auch den vorhandenen Baumaschinen - keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat und auch nach dem Unfall ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem schwer verunglückten Mann gegolten haben dürfte. Insoweit ist es nachvollziehbar, dass sie sich an eine einige Meter vor dem Graben auf der Fahrbahn aufgestellte Absperrbarelle nicht mehr erinnern konnte.

3. Mithin ist der Unfall des Herrn K nicht auf eine ungenügende Sicherung des im Bereich der Baustelle quer über die Fahrbahn verlaufenden Grabens durch die Beklagten zurückzuführen. Vielmehr hat er den Unfall allein zu verantworten. Er hat seine Pflichten als Verkehrsteilnehmer zum einen dadurch verletzt, dass er unter Missachtung des Verbotsschildes gemäß § 41 Nr. 250 StVO in die W.Straße bis in den Bereich der dort gelegenen Baustelle hineingefahren ist. Darüber hinaus hat er auch die ihm im Verkehr obliegende Sorgfalt missachtet, da er bei Einhaltung der gerade im Bereich einer Baustelle gebotenen erhöhten Aufmerksamkeit den quer über die Straße verlaufenden, immerhin 60 cm breiten Graben ohne weiteres hätte erkennen und mit einem derartigen Hindernis im Bereich einer Baustelle auch hätte rechnen müssen. Wäre er gar nicht erst in die W.Straße hineingefahren oder hätte er zumindest seiner im Hinblick auf die Baustelle unausweichlich gebotenen erhöhten Aufmerksamkeit genügt, hätte er den Graben rechtzeitig erkannt und wäre nicht mit seinem Fahrrad hineingefahren.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ergeht gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Klägerin muss die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen, da sie mit ihrer Klage in vollem Umfang unterlegen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert:
(Bisher durch die Klägerin erbrachte unfallbedingte Sozialleistungen: ca. 1.000.000,00 €,
zukünftig noch zu erbringende unfallbedingte Sozialleistungen pauschal 200.000,00 €
Zwischensumme: 1.200.000,00 €
davon von der Klägerin gegenüber den Beklagten geltend gemacht 50 % = 600.000,00 €
davon Abzug, da nur Feststellungsantrag 100.000,00 €
Gesamtstreitwert: 500.000,00 €