Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Beschluss vom 12.06.2013 - 3 Ws (B) 202/13 - 122 Ss 62/13 - Umfang der Verteidigervollmacht
KG Berlin v. 12.06.2013: Zum Umfang der Verteidigervollmacht und zur fehlerhaften Anordnung des persönlichen Erscheinens des Betroffenen
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.06.2013 - 3 Ws (B) 202/13 - 122 Ss 62/13) hat entschieden:
- Dass der Betroffene die vom Rechtsanwalt vorgelegte Vollmacht nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich. Insoweit ist zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem Nachweis durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde zu unterscheiden. Die Erteilung der umfassenden Vertretungsvollmacht bedarf keiner besonderen Form und kann auch mündlich erteilt werden. In ihr kann zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen.
- Wenn die Voraussetzungen zur Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung vorliegen, ist die Zurückweisung des Freistellungsantrages des Betroffenen und die anschließende Verwerfung seines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerhaft. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt in der unterbliebenen, bei rechtsfehlerfreier Entscheidung gebotenen materiell-rechtlichen Prüfung.
Siehe auch Die Vollmacht des Rechtsanwalts und Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen
Gründe:
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit durch Bußgeldbescheid vom 19. September 2012 eine Geldbuße von 65.- Euro festgesetzt. Seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten durch Urteil vom 11. Februar 2013 verworfen, weil der ordnungsgemäß geladene Betroffene entgegen seiner Anwesenheitspflicht der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben war. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung seines Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen und die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, deren Berechtigung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde gebietet, ist zulässig angebracht und begründet. Der Betroffene hat vorgetragen, wessen er beschuldigt wird, dass er seinen Verteidiger zu seiner Vertretung ermächtigt und dieser in seinem Namen die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt habe, zur Sache keine weiteren Angaben machen zu wollen. Darüber hinausgehende Ausführungen zur Beweislage waren nicht erforderlich. Vielmehr stand fest, dass von der Anwesenheit des Betroffenen keinerlei weitere Aufklärung zu erwarten gewesen wäre [vgl. vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 2(6) SsRs 279/12 -, StRR 2012, 283 (nur Leitsatz) und bei juris]. Da somit die Voraussetzungen zur Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung vorlagen, waren die Zurückweisung des Freistellungsantrages des Betroffenen und die anschließende Verwerfung seines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerhaft [vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.]. . Die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt in der unterbliebenen, bei rechtsfehlerfreier Entscheidung gebotenen materiell-rechtlichen Prüfung [vgl. OLG Hamm VRR 2011, 394].
Dem steht nicht entgegen, dass der Verteidiger den Entbindungsantrag erst zu Beginn der Hauptverhandlung angebracht hat. Denn dies ist nach überwiegender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung zulässig [vgl. OLG Celle VRS 116, 451 m.w.N.; OLG Zweibrücken ZfSch 2011, 708 m.w.N.].
Der Verteidiger war auch entsprechend § 73 Abs. 3 OWiG legitimiert und hat seine Vertretungsbefugnis durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen. Dass der Betroffene diese Vollmacht nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich. Insoweit ist zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem Nachweis durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde zu unterscheiden. Die Erteilung der umfassenden Vertretungsvollmacht bedarf keiner besonderen Form und kann auch mündlich erteilt werden. In ihr kann zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen [vgl. BayObLG NStZ 2002, 277; OLG Dresden StRR 2013, 26]. So liegt der Fall hier. Der Betroffene hatte, so die Begründung der Rechtsbeschwerde, seinen Verteidiger umfassend bevollmächtigt. Diese Erklärung schließt die Ermächtigung des Verteidigers ein, die Vollmachtsurkunde im Namen des Betroffenen zu unterschreiben. Dass der Verteidiger dies gleichwohl in seinem eigenen Namen tat, steht dem nicht entgegen, denn der Wortlaut der Vollmachtsurkunde, wie ihn die in der Rechtsbeschwerde zitierten Urteilsgründe wiedergeben, ist insoweit eindeutig. Damit war der Verteidiger des Betroffenen berechtigt, für den Betroffenen Erklärungen zu Sache abzugeben und einen Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu stellen.
Der Senat lässt daher die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zu, hebt das angefochtene Urteil wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurück.