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OLG Schleswig Urteil vom 25.10.2012 - 7 U 156/11 - Beweislast bei Unfall im Kreuzungsbereich nach Abschalten der Ampelanlage
OLG Schleswig v. 25.10.2012: Beweislast bei Unfall im Kreuzungsbereich nach Abschalten der Ampelanlage
Das OLG Schleswig (Urteil vom 25.10.2012 - 7 U 156/11) hat entschieden:
Steht fest, dass der Fahrer des unfallgeschädigten Fahrzeugs erst in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, nachdem die für ihn maßgebliche Verkehrsampel ausgeschaltet war, muss der Unfallgegner beweisen, dass bei seiner Einfahrt in die Kreuzung die Ampelanlage Grün-Licht anzeigte.
Siehe auch Unfallmanipulationen (Unfallbetrug - Berliner Modell)
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 01.07.2010 gegen 20.00 Uhr in H. an der Kreuzung A-Straße/B-Straße. Der Sohn des Klägers, der Zeuge K, befuhr die A-Straße stadtauswärts; im Kreuzungsbereich mit der - aus Sicht des Zeugen K - von links in die A-Straße einmündenden B-Straße (von rechts mündet die X-Straße ein) befindet sich eine Ampelanlage, die nach dem Ampelschaltplan täglich um 20.00 Uhr „heruntergefahren“ wird. Nach der dann maßgeblichen Beschilderung ist der Verkehr auf der A-Straße vorfahrtberechtigt, denjenigen auf den links und rechts einmündenden Straßen untergeordnet.
Aus der B-Straße fuhr der Beklagte zu 1. mit seinem bei dem Beklagten zu 2. gegen Haftpflichtschäden versicherten Pkw in den Kreuzungsbereich ein, dort kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers.
Der Kläger hat behauptet, schon in der Annäherung an den Kreuzungsbereich sei die Ampel für den Fahrer seines Fahrzeuges ausgegangen; entsprechend habe sie nach dem Abschaltprogramm für den Beklagten zu 1. entweder Rotlicht angezeigt oder sei ebenfalls nicht mehr in Betrieb gewesen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagten seien ihm dem Grunde nach zu vollem Ersatz seines Schadens verpflichtet, den er mit 5.653,00 € beziffert hat.
Die Beklagten haben behauptet, für den Beklagten zu 1. habe die Ampel an der B-Straße Grün-Licht angezeigt, als er in den Kreuzungsbereich hereingefahren sei. Für den Fahrer des klägerischen Fahrzeuges habe die Ampel auf der A-Straße in dessen Annäherung Rotlicht angezeigt, sie sei erst ausgegangen, als er sich unmittelbar vor der Kreuzung befunden habe.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens) der Klage dem Grunde nach zu 50 % stattgegeben und unter Korrekturen in der Höhe die Beklagten zur Zahlung von 2.586,00 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es stehe nicht fest, dass der Beklagte zu 1. trotz Rotlichts in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Der Kläger habe weder dies beweisen können noch Tatsachen, aus denen sich der Schluss ziehen lasse, dass die Ampelanlage für den Beklagten zu 1. bei Einfahren in den Kreuzungsbereich Rotlicht gezeigt habe. Dies ergebe sich weder aus den Zeugenaussagen noch lasse sich diese Schlussfolgerung aus dem Gutachten des Sachverständigen H. ziehen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ursprungsforderung (Zahlung von insgesamt 5.653,00 € nebst Zinsen) weiter, wobei er insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts rügt, während die Beklagten unter Verteidigung des angefochtenen Urteils auf Zurückweisung der Berufung antragen.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg; das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerhaft, die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Dem Grunde nach haften die Beklagten dem Kläger auf Ersatz von 80 % seines unfallbedingten Schadens (§§ 7, 17 StVG, 115 VVG).
Denn es steht fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges - der Zeuge K - in den Kreuzungsbereich einfuhr, als die für ihn maßgebliche Ampel auf der - ansonsten ohnehin vorfahrtsberechtigten - A-Straße ausgeschaltet war. Abgesehen einmal davon, dass dies sich schon aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, wonach die Behauptung der Beklagten dahin gegangen ist, dass die Ampel für den Kläger (gemeint: den Fahrer seines Fahrzeuges) zunächst Rotlicht angezeigt und dann ausgegangen sei, „als sich der Kläger unmittelbar vor der Kreuzung befunden habe“, ergibt sich diese jedenfalls auch aus den Aussagen nicht nur des Zeugen K, sondern insbesondere auch aus derjenigen des Zeugen Y. Unerheblich ist, dass diese Zeugen möglicherweise den korrekten Verlauf des Abschaltprogrammes nicht wiedergegeben haben; maßgeblich ist vielmehr der Kern ihrer Aussagen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs erst in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, nachdem die Ampel auf der A-Straße ausgeschaltet gewesen war.
Steht dies aber fest, müssen die Beklagten beweisen, dass für den Beklagten zu 1. bei dessen Einfahrt in den Kreuzungsbereich die Ampelanlage in der B-Straße Grün-Licht zeigte, nicht hingegen unterfällt es (hier) der Beweislast des Klägers, dass der Beklagte zu 1. bei „rot“ in den Kreuzungsbereich eingefahren wäre. Denn allein wenn die Ampel an der B-Straße für den Beklagten zu 1. „grün“ gezeigt hätte, hätte er ohne weiteres in den Kreuzungsbereich einfahren dürfen.
Diesen ihnen obliegenden Beweis haben die Beklagten aber nicht geführt, weder mit der Aussage der Zeugin W, noch mit den Ausführungen des Sachverständigen H. Die von dem Sachverständigen aufgezeigte rein theoretische Möglichkeit eines nicht dokumentierten Fehlers im Abschaltprogramm reicht zur Überzeugungsbildung des Senats von der Richtigkeit der Behauptungen der Beklagten nicht aus, zumal irgendwelche Anhaltspunkte für einen derartigen äußerst ungewöhnlichen Vorgang weder dargetan noch ersichtlich sind.
Gleichwohl muss sich der Kläger die (einfache) Betriebsgefahr seines Fahrzeuges mit 20 % anrechnen lassen, denn er hat den Unabwendbarkeitsbeweis i. S. von § 17 Abs. 3 StVG nicht geführt; allein dazu hätte der Kläger den Beweis führen müssen, dass der Beklagte zu 1. bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren wäre. Diesen Beweis hat er - wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt - nicht geführt.
Den materiellen Gesamtschaden des Klägers hat das Landgericht zutreffend mit 5.172,00 € beziffert, Angriffe der Berufung insoweit finden sich nicht. 80 % davon ergibt den dem Kläger zustehenden Ersatzbetrag.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.