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OLG Schleswig Beschluss vom 13.03.2013 - 2 Ss 3/13 (5/13) - Anordnung einer Blutprobe durch Staatsanwaltschaft nach Ablehnung einer richterlichen Entscheidung

OLG Schleswig v. 13.03.2013: Zur Anordnung einer Blutprobe durch Staatsanwaltschaft nach Ablehnung einer richterlichen Entscheidung


Das OLG Schleswig (Beschluss vom 13.03.2013 - 2 Ss 3/13 (5/13)) hat entschieden:
  1. Ob die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe durch den zuständigen Ermittlungsrichter nach mündlichem Sachvortrag - mithin "ohne Akte" - erfolgt, lieg im pflichtgemäßen Ermessen. Das Strafverfahrensrecht steht einer mündlichen Verfahrensweise in einfach gelagerten Fällen nicht entgegen.

  2. Lehnt der Ermittlungsrichter eine nähere Sachprüfung "ohne Akte" schon aus generellen Erwägungen ab, ist bei Gefahr des Beweismittelverlusts die Eilfallkompetenz der Ermittlungsbehörden gemäß § 81a Abs. 2 StPO eröffnet. Ebenso liegt es, wenn wegen unterlassener Dokumentation nicht aufklärbar ist, aus welchen Gründen des Einzelfalls der Ermittlungsrichter eine Entscheidung "ohne Akte" abgelehnt hat.

Siehe auch Blutentnahme / Blutprobe und Blutprobe ohne Richterbeschluss


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat mit seinem Urteil den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 € wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt.

Nach den getroffenen Feststellungen führte der Angeklagte am 25. Oktober 2011 gegen 09.10 Uhr als Kapitän das Fährschiff „A.“ über den Nord-​Ostsee-​Kanal an der Fährstelle B. Nachdem bereits gegen 09.00 Uhr der Angeklagte mit der Fähre zweimal im Abstand von 15 Minuten etwas härter als gewöhnlich angelegt hatte, rief ein namentlich nicht ermittelter Zeuge die Polizei an und äußerte den Verdacht, dass der Kapitän betrunken sei. Der um 09.20 Uhr an der Fähre erschienene PHM C. stellte fest, dass eine der beiden Fähren in Schlangenlinien fuhr und hart anlegte. Im Fahrstand dieser Fähre, zu dem der Zeuge C. und der weitere Zeuge PK D .sich begeben hatten, trafen diese Zeugen auf den Angeklagten. Im Fahrstand roch es nach Alkohol. Eine Geruchsprobe an einem Trinkbecher des Angeklagten führte den Zeugen C. zu der Annahme, dass sich in dem Becher Rotwein befand. Eine mit Einverständnis des Angeklagten durchgeführte Atemalkoholprobe ergab Werte von 4.02 um 09.36 Uhr und von 3,28 um 09.41 Uhr. Eine später um 10.35 Uhr entnommene Blutprobe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 3,28 Prom.

Diese Blutprobe war den weiteren Feststellungen des Amtsgerichts zufolge allerdings nicht durch einen Richter, sondern durch den OStA E., Staatsanwaltschaft G., angeordnet worden. Ausweislich der glaubhaften Angaben des Zeugen C. sei zwar der Angeklagte mit der Entnahme einer Blutprobe einverstanden gewesen. Man habe aber dieses Einverständnis aufgrund der erheblichen Alkoholisierung nicht für wirksam erachtet und sich um eine richterliche Anordnung bemüht. Über die Leitstelle habe man versucht, den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts G. zu erreichen. Dieser habe ausrichten lassen, dass eine Entscheidung über den Antrag ohne Vorlage einer Akte nicht möglich sei. Eine Akte sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht angelegt gewesen. Das Anlegen einer solchen Akte hätte einen nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordert. Man habe sich dann an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht G. gewandt. Der dortige Staatsanwalt habe für den Fall, dass das Amtsgericht G. nur mit Akte entscheiden wolle, die Blutprobenentnahme selbst angeordnet. Ein Ende März 2012 erstellter und in der Hauptverhandlung verlesener Aktenvermerk des Oberstaatsanwalts E. bestätigt diesen Ablauf.

Vor diesem Hintergrund hat das Amtsgericht keine willkürliche Verletzung des in § 81 a Abs. 2 StPO enthaltenen Richtervorbehalts ersehen können. Hiergegen wendet sich der Angeklagte im Wege der Sprungrevision sowohl mit der allgemein erhobenen Sachrüge als auch der ausgeführten Verfahrensrüge.


II.

Die gegen das amtsgerichtliche Urteil gerichtete und als solche sowohl statthafte sowie zulässig angebrachte Sprungrevision ist weder mit der erhobenen allgemeinen Sachrüge noch mit der zulässig angebrachten Verfahrensrüge erfolgreich, sondern war auf Antrag der Staatsanwaltschaft als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

1. Sachlich-​rechtliche Fehler lässt das Urteil nicht erkennen. Hierbei mag offen bleiben, ob nicht schon aufgrund der festgestellten Atemalkoholwerte, der offensichtlichen Alkoholisierung des Angeklagten und den ersichtlich nicht mit Witterungseinflüssen (schwerer Seegang u. ä.) in Verbindung zu bringenden Auffälligkeiten in der Schiffsführung – „hartes Anlegen“, „Schlangenlinien“ – schon von hinreichend bewiesener relativer Fahruntüchtigkeit im Sinne des § 316 StGB ausgegangen werden kann. Denn jedenfalls in Ansehung des festgestellten hohen Blutalkoholwerts ist das Amtsgericht trotz noch nicht hinreichend in der Rechtsprechung herausgebildeter Grenzwerte für Schiffsführer ebenso zutreffend von absoluter Fahruntüchtigkeit ausgegangen wie angesichts dieses Umstands und der Begleitumstände davon, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hatte.

2. Die Ergebnisse der Blutalkoholentnahme durfte das Amtsgericht auch zweifelsfrei verwerten. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg.

Wiederum kann offen bleiben, ob nicht das bereits nach den Feststellungen des Amtsgerichts vorliegende Einverständnis des Angeklagten mit der Blutprobe trotz dessen Alkoholisierung beachtlich im Sinne des § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO gewesen wäre; denn nach der Schutzrichtung des Erfordernisses einer derartigen Einwilligung muss der Beschuldigte weder geschäftsfähig sein noch die strafrechtlichen Folgen einer Blutalkoholmessung überblicken, sondern nur den mit der Blutentnahme verbundenen körperlichen Eingriff und dessen Risiken (vgl. Beschluss des OLG Jena vom 6. Oktober 2011 – 1 Ss 82/11 -, bei Juris, Rn. 12: Im Falle eines Atemalkoholwerts von 4,02 Wirksamkeit der Einwilligung bejaht). In jedem Falle konnte aber die Entnahme einer Blutprobe vorliegend wirksam durch einen Staatsanwalt in Wahrnehmung seiner Eilfallkompetenz gemäß § 81 a Abs. 2 StPO angeordnet werden.

a) Die Annahme einer „Gefährdung des Untersuchungserfolges“ im Sinne des § 81 a Abs. 2 StPO ist vorliegend deshalb gerechtfertigt, weil – wie die Staatsanwaltschaft beim Schleswig-​Holsteinischen Oberlandesgericht in ihrer Zuschrift näher ausgeführt hat – sich in der Rechtsprechung für den Schiffsverkehr in der Tat bisher keine festen Grenzwerte herausgebildet haben, bei deren Vorliegen von einer absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist. Das vorhandene Meinungsspektrum legt es daher für die Ermittlungsbehörden nahe, bei Verdacht einer Trunkenheitsfahrt im Schiffsverkehr – insoweit unterscheidet sich die Situation von der im Straßenverkehr - die Blutalkoholkonzentration möglichst tatzeitnah und präzise festzustellen. Dass diese Erwägung weder zeitnah noch später in den Akten dokumentiert worden ist, ist im hier zu entscheidenden Fall unschädlich, weil die Situation evident ist. Ohnehin führt der vorliegend ersichtliche Verstoß gegen Dokumentationspflichten als solcher noch nicht zur mangelnden Verwertbarkeit des erlangten Beweismittels im späteren Strafverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2008 – 2 BvR 784/08 -, bei Juris, NJW 2008, 3053, 3054).

b) Dem steht nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Amtsgerichts der Ermittlungsrichter des gemäß § 162 Abs. 1 StPO zuständigen Amtsgerichts G. eine Entscheidung ohne Akten abgelehnt hatte.

Zwar ist es mit der Schutzfunktion des Richtervorbehalts nicht zu vereinbaren, wenn nach eigenverantwortlicher und ablehnender Prüfung durch den Richter „anstelle“ dessen die Ermittlungsbehörden noch eine Blutentnahme anordnen könnten (so bereits BGH, Urteil vom 28. Juni 2001 – 1 StR 198/01 -, NStZ 2001, 604, 606; BGH, Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 200/05 -, NStZ 2006, 114, 115). So liegt der Fall indes nicht. Der Senat versteht vielmehr den vom Amtsgericht festgestellten und im Wege des Freibeweises aus der Akte auch ersichtlichen Verfahrensgang dahin, dass der Ermittlungsrichter eine Prüfung ohne Akten bereits vor jeder näheren Beschäftigung mit dem Sachverhalt abgelehnt hatte, mithin eine Sachprüfung gerade nicht durchgeführt hatte.

Bei einem derartigen Verfahrensgang war eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs in einer Weise zu befürchten, die gemäß § 81 a Abs. 2 StPO der Staatsanwaltschaft selbst die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe erlaubte. Denn dem Strafverfahrensrecht kann das Gebot einer lediglich auf Vorlage schriftlicher Akten und in Form eines schriftlichen Beschlusses ergehenden Anordnung grundrechtsbeeinträchtigender Ermittlungsmaßnahmen gerade nicht entnommen werden (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2005 – 1 StR 531/04 -, NJW 2005, 1060, 1061; BGH, Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 200/05, NStZ 2006, 114 f; Senat, Beschluss vom 23. Dezember 2009 – 2 Ss OWi 153/09 -, bei Juris, StV 2010, 618 ff., bei Juris Rn. 16; jedenfalls für Ausnahmefälle auch für zulässig gehalten in BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 2 BvR 1046/08 -, bei Juris, Rn. 30). Ob und inwieweit der Ermittlungsrichter aufgrund fernmündlichen Vortrags eine fernmündliche Entscheidung erlässt oder nicht, steht – hierauf weist der Senat in aller Deutlichkeit hin - keinesfalls im freien Belieben des Richters, sondern lediglich in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dies schließt es aber aus, auch in einfach gelagerten Lebenssachverhalten – wie sie für den Vorwurf von Trunkenheitsfahrten typisch sind - von vornherein eine Sachprüfung allein mit dem Hinweis auf das Fehlen eines schriftlichen Vorgangs abzulehnen. Unterschreitet in einem derartigen Fall der Ermittlungsrichter damit seine Kompetenz, so ist die Eilfallkompetenz der Ermittlungsbehörden gemäß § 81 a Abs. 2 StPO grundsätzlich eröffnet (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 200/05, NStZ 2006, 114 f). Dass angesichts der Relevanz der Verfahrensgestaltung für die Rechtssphäre des Beschuldigten der Gang und die Ergebnisse des Verfahrens zu dokumentieren sind, ist anerkannt (vgl. nur Senat a.a.O. m.w. Nachw.). Der Senat erweitert dieses Erfordernis nunmehr jedoch auch auf den Fall der Ablehnung der näheren Sachprüfung „ohne Akte“.

Denn aus welchen Gründen welcher Ermittlungsrichter vorliegend tatsächlich eine Sachprüfung abgelehnt hatte, konnte weder nach den Feststellungen des Amtsgerichts noch nach Aktenlage aufgeklärt werden. Dabei wäre die zeitnahe Anfertigung eines Telefonvermerks sowohl für die Ermittlungsbehörden als gegebenenfalls auch für den Ermittlungsrichter zweifelsohne zumutbar gewesen. Unterbleibt eine derartige Dokumentation und verbleiben deshalb Zweifel über den Verfahrensgang, besteht die Folge allerdings nicht in der Unzuständigkeit der ansonsten zuständigen Ermittlungsbehörden. Bei Gefahr des Beweismittelverlusts versteht der Senat das Verhältnis der in § 81 a Abs. 2 StPO aufgeführten Anordnungsbefugnisse zueinander in Fortführung der erwähnten Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) vielmehr dahin, dass die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht nur bei unterbliebener richterlicher Kompetenzausübung ausgelöst wird, sondern auch schon dann, wenn mangels Dokumentation nicht sicher ist, ob die richterliche Kompetenz in der Sache ausgeübt worden ist oder nicht. Dies gebietet das Ziel einer zwar rechtsstaatlich geordneten, aber auch wirksamen Strafrechtspflege. In eine verfassungsrechtlich fundierte Kompetenzzuweisung wird hierbei schon deshalb nicht eingegriffen, weil § 81 a Abs. 1 und Abs. 2 StPO nicht Gebote des Verfassungsrechts konkretisieren, sondern – nur – einfachgesetzliche Qualität haben. Umgekehrt hätten die Ermittlungsbehörden es allerdings hinzunehmen, wenn nach mündlichem Vortrag und sachlicher Prüfung der Erlass der begehrten Anordnung schriftlich oder zunächst mündlich abgelehnt worden ist; hier verbleibt allein das Rechtsmittel der Beschwerde. Ähnlich vermag es nicht zu einer Kompetenzverschiebung zu führen, dass nach mündlichem Vortrag der Ermittlungsrichter noch für eine gewisse Zeit mit der notwendigen Sachprüfung beschäftigt ist. Denn dass bereits durch den gewöhnlichen Ablauf eines Verfahrens in gewissem Sinne Beweismittelverluste drohen, ist die Konsequenz eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

c) Ist damit aber für den hier zu beurteilenden Fall von einer gemäß § 81 a Abs. 2 StPO zulässigen Anordnung der Blutentnahme durch die Staatsanwaltschaft auszugehen, kommt nur hinzu, dass der Senat vorliegend selbst im Falle fehlerhafter Annahme einer Gefahr im Verzuge keine Bedenken hätte, von der Verwertbarkeit der gewonnenen Beweisergebnisse auszugehen. Denn ein Beweisverwertungsverbot kommt dann, aber auch nur dann in Betracht, wenn entweder die Annahme der Gefährdung des Untersuchungserfolges im Sinne des § 81 a Abs. 2 StPO auf Willkür beruhen würde oder der Richtervorbehalt bewusst und zielgerichtet umgangen worden wäre (Senat a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. März 2011 – 3 Ss 14/11 -, bei Juris, Rn. 63; BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10, bei Juris, Rn. 10, jeweils m. w. N.). Davon kann vorliegend keine Rede sein.