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OLG Jena Beschluss vom 15.05.2006 - 1 Ss 99/06 - Urteilszustellung an den Verteidiger bei Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht

OLG Jena v. 15.05.2006: Zur Urteilszustellung an den Verteidiger bei Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht


Das OLG Jena (Beschluss vom 15.05.2006 - 1 Ss 99/06) hat entschieden:
  1. Bei Anwendung des § 73 Abs. 3 OWiG gelten die Grundsätze, die zu §§ 234, 411 Abs. 2 StPO entwickelt worden sind. Die schriftliche Vertretungsvollmacht, die aufgrund mündlicher Ermächtigung von einem Dritten oder von dem Bevollmächtigten selbst unterzeichnet werden kann, muss danach dem Gericht bei Beginn der Hauptverhandlung vorliegen. Ansonsten beginnt die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen ein Abwesenheitsurteil mit der Zustellung des Urteils.

  2. Verfügt der Verteidiger nachweisbar über eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht, ist die Zustellung des Urteils wirksam, auch wenn sich bei den Akten noch keine Verteidigervollmacht befindet. § 145a StPO ist dann nicht einschlägig.

Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Die Vollmacht des Rechtsanwalts


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stadtroda sprach mit Urteil vom 23.01.2006 auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes vom 09.06.2005 gegen diesen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße von 80,- € und ein Fahrverbot von 1 Monat aus.

Gegen dieses Urteil legte der Betroffene, der in der Hauptverhandlung nicht anwesend war, durch seinen Verteidiger am 31.01.2006 Rechtsbeschwerde ein, die mit weiterem Schriftsatz vom 28.02.2006 nach Zustellung des Urteils des Amtsgerichts Stadtroda vom 23.01.2006 am 31.01.2006 begründet wurde.

Die Rechtsbeschwerde hat der Amtsrichter durch Beschluss vom 10.03.2006 mit der Begründung als unzulässig verworfen, sie sei verfristet, da die Voraussetzungen des § 79 Abs. 4 2. Hs OWiG nicht vorlägen. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde habe, da ein Fall des § 79 Abs. 3 OWiG gegeben sei, bereits mit Verkündung des Urteils begonnen. Die am 31.01.2006 per Fax beim Amtsgericht Stadtroda eingegangene Rechtsbeschwerde sei deshalb verspätet.


II.

Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist begründet.

Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluss wurde der Betroffene in der Hauptverhandlung vom 23.01.2006 nicht wirksam von einem schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten, so dass die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht mit Verkündung des Urteils nach § 79 Abs. 4 2. Hs. OWiG begonnen hat.

Nach § 73 Abs. 3 OWiG kann sich der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden ist, durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen. Vorliegend wurde der Betroffene auf seinen Antrag mit Verfügung vom 20.01.2006 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden. Eine schriftliche Vertretungsvollmacht lag indes nicht vor.

Bei Anwendung des § 73 Abs. 3 OWiG gelten die Grundsätze, die zu §§ 234, 411 Abs. 2 StPO entwickelt worden sind (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 73 Rn. 27). Die schriftliche Vertretungsvollmacht, die aufgrund mündlicher Ermächtigung von einem Dritten oder von dem Bevollmächtigten selbst unterzeichnet werden kann, muss danach dem Gericht bei Beginn der Hauptverhandlung vorliegen (vgl. Meyer-Goßner, 48. Aufl., § 234 StPO, Rn. 5 m. w. N.). Dies war hier nicht der Fall. Bei den Akten befand sich keine Vollmacht des Betroffenen; eine solche wurde vielmehr erst im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegt. Die mit dem Einspruch vom 23.06.2006 gegen den Bußgeldbescheid vorgelegte Vollmacht auf Blatt 22 d. A. ist nicht vom Betroffenen, J. V. unterzeichnet, sondern betrifft ersichtlich ein anderes Verfahren. Diese auf den 20.06.2005 datierende Vollmacht weist als Aussteller einen „RA R. W.“ aus und bezieht sich nicht auf die Rechtsanwälte Dr. B. und Kollegen, sondern auf die Rechtsanwälte W. und W. und ist in Dresden ausgestellt.

Eine schriftliche Vertretungsvollmacht bezogen auf die Rechtsanwälte Dr. B. und Kollegen bzw. auf den Unterbevollmächtigten Herrn Rechtsanwalt E. lag dem Amtsgericht nicht vor. Damit konnte die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde erst mit wirksamer Zustellung des Urteils beginnen. Die Rechtsbeschwerdeeinlegung vom 31.01.2006 war damit nicht verfristet, so dass deshalb der Beschluss vom 10.03.2006 aufzuheben war.

Nach Vorlage der rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht vom 19.08.2005 steht die Wirksamkeit der Urteilszustellung an den Verteidiger vom 31.01.2006 nicht in Frage (vgl. BGH NStZ 1997, 293). § 145a Abs. 1 StPO ist nicht einschlägig, wenn der Verteidiger über eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht verfügt. Diese Vorschrift gibt dem Verteidiger eine gesetzliche Zustellungsvollmacht, die von einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht unabhängig ist (OLG Stuttgart Justiz 2003, 300). Da der Verteidiger bei Zustellung des Urteils am 31.01.2006 über eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht nachweisbar verfügte, ist die Zustellung ungeachtet des Vorliegens einer Verteidigervollmacht bei den Akten zum damaligen Zeitpunkt wirksam; einer erneuten Zustellung bedarf es deshalb nicht.

Über die Rechtsbeschwerde wird der Senat gesondert entscheiden.



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