Das Verkehrslexikon

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OLG Bremen Beschluss vom 02.09.2013 - 2 Ss Bs 60/13 - Nachweis der Fahrlässigkeit bei Cannabiskonsum

OLG Bremen v. 02.09.2013: Kein Nachweis der Fahrlässigkeit bei mehr als 24 Stunden zurückliegendem Cannabiskonsum


Das OLG Bremen (Beschluss vom 02.09.2013 - 2 Ss Bs 60/13) hat entschieden:
Erfolgte der Cannabiskonsum 24 bis 28 Stunden vor dem Fahrtantritt und hatte der Betroffene zuvor noch nie Cannabis konsumiert, kann allein aus der Überschreitung des Grenzwertes noch nicht auf ein fahrlässiges Handeln geschlossen werden.


Siehe auch Cannabis im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und Fahrlässigkeit und drogenbedingte Rauschfahrt


Gründe:

I.

Mit Urteil vom 07.02.2013 verurteilte das Amtsgericht Bremen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße von 500,00 Euro. Weiter wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene, der beruflich als Anlagenfahrer im Schichtdienst tätig ist, am 08.06.2012 (Freitag) um 21.50 Uhr die Fürther Straße in Bremen. Am Vorabend, also am 07.06.2012 (Donnerstag), hat der Betroffene nach den getroffenen Feststellungen vor 22.00 Uhr durch das Rauchen eines Joints Cannabis konsumiert. Im Zeitpunkt der Blutentnahme am 08.06.2013 um 23.00 Uhr betrug der THC-​Gehalt im Blut 1,4 ng/ml.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 14.02.2013, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 18.03.2011 beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.


II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG), form- und fristgerecht eingelegt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 341 StPO) und begründet (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, §§ 344, 345 StPO) worden. Sie ist damit zulässig und erweist sich auch als begründet.

Die Entscheidung hält in sachlich-​rechtlicher Hinsicht der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Wie in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 18.03.2011 zutreffend ausgeführt, gilt für den Inhalt der Urteilsgründe im Bußgeldverfahren grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren. Nach § 267 Abs. 1 StPO, dessen Anwendbarkeit auch im Bußgeldverfahren außer Zweifel steht, müssen die Urteilsgründe, falls der Betroffene verurteilt wird, die erwiesenen Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der angenommenen Ordnungswidrigkeit gefunden werden. Zwar unterliegen die Gründe des Urteils keinen hohen Anforderungen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (Hans. OLG Bremen, NZV 2010, 42, 43).

Die getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG nicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 05.08.2013 folgendes ausgeführt:
"Hinsichtlich des Tatbestands des § 24a Abs. 2 und 3 StVG muss dem Betroffenen … nachgewiesen werden, dass er die Möglichkeit fortlaufender Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Der Vorwurf des schuldhaften Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels bezieht sich nämlich nicht primär auf den Konsumvorgang, sondern vielmehr auf die Wirkung des Rauschmittels zur Tatzeit (KG NZV 2009, 572; VRS 118, 205 ff.; OLG Celle NZV 2009, 89, 90; OLG Frankfurt NStZ-​RR 2007, 249 NZV 2010, 530 f.; OLG Hamm NJW 2005, 3298 f.). Danach handelt fahrlässig, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und dennoch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt, ohne sich bewusst zu machen, dass das Rauschmittel noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1 ng/ml (BVerfG NJW 2002, 2378, 2379; StV 2005, 383, 385) abgebaut ist. Es ist hierzu nicht erforderlich, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder auch nur messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden genauen physiologischen oder biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal da ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschmitteln stets in Rechnung zu stellen hat (KG, OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Hamm a.a.O.; Hans. OLG Bremen NZV 2006, 277; Hentschel/König/Dauer, 42. Auflage, § 24a StVG Rn. 25b).

An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels kann es jedoch dann ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergangen ist (KG, OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Hamm a.a.O.; Hans. OLG Bremen NZV 2006, 276; OLG Stuttgart DAR 2011, 218 ff.). Denn mit zunehmendem Zeitablauf schwindet das Bewusstsein dafür, dass der zurückliegende Rauschmittelkonsum noch Auswirkungen bis in die Gegenwart haben könnte. Das Tatgericht hat daher in denjenigen Fällen, in denen ein zeitnaher Rauschmittelkonsum vor der Tatzeit nicht festgestellt werden kann, zu prüfen, ob weitere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Betroffenen die Möglichkeit einer im Tatzeitpunkt noch andauernden Beeinflussung durch das Rauschmittel bewusst gewesen ist bzw. hätte bewusst sein müssen.

Diesen Anforderungen genügen die getroffenen Feststellungen nicht.

Das Tatgericht geht davon aus, dass der Betroffene, der nach seinen eigenen Angaben zuvor noch nie Cannabis konsumiert hatte, 24 bis 28 Stunden vor der Tatzeit am 08.06.2012 um 21.50 Uhr, also am späten Nachmittag bzw. Abend des 07.06.2012, Cannabis konsumiert hat und schließt allein aus der Überschreitung des Grenzwerts, dass der Betroffene nicht in einer nur ganz geringfügigen Menge Cannabis zu sich genommen hat, sei es durch wiederholten Konsum am Vorabend oder aufgrund eines besonders hohen Wirkstoffgehalts. Diese Feststellungen reichen nicht aus, um ein fahrlässiges Handeln zu tragen."
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an.

Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bremen zurückzuverweisen, wobei kein Anlass besteht, eine Zurückverweisung an einen anderen Richter des Amtsgerichts Bremen auszusprechen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

In einer neuen Hauptverhandlung werden die kontrollierenden Polizeibeamten M und K, evtl. auch die Polizeibeamtin K als Zeugen zu vernehmen sein, um Erkenntnisse darüber zu erlangen, welche konkreten Beobachtungen sie insbesondere zu Ausfallerscheinungen gemacht haben. Ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur weiteren Sachaufklärung geboten ist, wird das Tatgericht danach zu entscheiden haben.