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Landgericht Frankfurt am Main Urteil vom 17.05.2010 - 2-14 O 370/09 - Regressaddition bei Obliegenheitsverletzung vor und nach dem Eintritt des Versicherungsfalles

LG Frankfurt am Main v. 17.05.2010: Zur Regressaddition bei Obliegenheitsverletzung vor und nach dem Eintritt des Versicherungsfalles


Das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 17.05.2010 - 2-14 O 370/09) hat entschieden:
Hat der Versicherungsnehmer zwei Obliegenheitsverletzungen begangen nämlich eine vor Eintritt des Versicherungsfalles in Form einer Trunkenheitsfahrt und eine weitere nach Eintritt des Versicherungsfalles durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, kann der Versicherer die jeweiligen Beträge, in deren Höhe er wegen der Obliegenheitsverletzungen leistungsfrei geworden ist, zusammenrechnen.


Siehe auch Regressbegrenzung in der Kfz-Versicherung und Addition der Regressbeträge bei Obliegenheitsverletzungen


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Regress im Zusammenhang mit einem Unfallereignis.

Die Klägerin war Kraftfahrzeugversicherer des Beklagten. Für sein Fahrzeug Pkw Mazda 626 (rot), amtliches Kennzeichen ... bestand bei der Klägerin eine Kfz-​Haftpflichtversicherung. Die AKB der Klägerin (Stand ...) wurden als Bestandteil des Versicherungsvertrages vereinbart. Unter D. sind dort die Pflichten des Versicherungsnehmers bei Gebrauch des Fahrzeuges und die Folgen einer Verletzung dieser Pflichten und unter sind E. sind die Pflichten des Versicherungsnehmers im Schadensfall und die Folgen einer Verletzung dieser Pflichten geregelt. Bezüglich des näheren Inhalts der AKB der Klägerin wird auf die Anlage, Bl. ... ff der Akte, Bezug genommen.

Am Abend des ... bzw. in der Nacht auf den ... hatte der Beklagte Alkohol in nicht unerheblicher Menge konsumiert. Eine später durchgeführte Blutuntersuchung, ca. eine Stunde nach dem Unfall, ergab eine BAK von 1,55 Promille zum Entnahmezeitpunkt.

Der Beklagte fuhr mit dem oben benannten bei der Klägerin versicherten Fahrzeug in der streitgegenständlichen Nacht. Als er die L.- Straße aus Richtung K.- Weg kommend in Richtung B.- Landstraße in Frankfurt am Main befuhr, verlor er in Höhe der Hausnummer 32 die Kontrolle über sein Fahrzeug, kam nach links von der Fahrbahn ab und kollidierte ungebremst mit dem ordnungsgemäß am linken Fahrbahnrand geparkten PKW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen ... des Geschädigten .... Der Anstoß war so heftig, dass der PKW Golf auf den vor ihm parkenden BMW mit dem amtlichen Kennzeichen ... des Geschädigten ... aufgeschoben wurde, der wiederum gegen den Renault Twingo mit dem amtlichen Kennzeichen ... des Geschädigten ... gedrückt wurde. An sämtlichen Fahrzeugen entstand dabei erheblicher Sachschaden.

Der Beklagte verließ ohne Weiteres den Unfallort. Aufgrund einer durchgeführten Fahndung konnte der Beklagte an der Kreuzung E.- Landstraße / A.- Allee in Frankfurt gefasst werden.

Die Fremdgeschädigten machten ihre bisher entstandenen Aufwendungen gegenüber der Klägerin geltend.

Die Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom ... zur Zahlung eines Regressbetrages von ... Euro bis zum ... auf. Der Beklagte leistete hierauf keine Zahlung.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte im Innenverhältnis in Höhe eines Betrages von ... Euro ausgleichspflichtig sei, da die Klägerin aufgrund von Obliegenheitsverletzungen des Beklagten (begrenzt) leistungsfrei geworden sei.

Der Beklagten seien im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall zwei Obliegenheitsverletzungen anzulasten, und zwar zum einen die Trunkenheitsfahrt (D.2.1. der AKB 2008 der Klägerin) und zum anderen das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (E 1.3.AKB 2008 der Klägerin).

Der Beklagte habe zum Unfallzeitpunkt eine BAK von 1,66 - 1,98 Promille gehabt und sei damit zum Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig gewesen.

Zudem habe er unerlaubt den Unfallort verlassen und damit seine Aufklärungspflicht nach E 1. Abs. 3 und 4 vorsätzlich und in besonders schwerwiegender Weise verletzt. Sein diesbezügliches Verhalten sei besonders verwerflich. So heiße es in der eigenen Sachverhaltsschilderung des Beklagten, Bl. ... der Akte, u.a.: " Ich hatte nun Bedenken wegen meines Führerscheins und bin aus diesem Grund vom Unfallort weggefahren"

Nach alledem sei wegen der Trunkenheitsfahrt eine Regressforderung in Höhe von ... Euro und wegen des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine weitere Regressforderung in Höhe von ... Euro, somit insgesamt ein Betrag von ... Euro gerechtfertigt.

Die Beklagte habe die bislang geltend gemachten Aufwendungen der Fremdgeschädigten in Höhe von ... Euro, die im Schriftsatz vom ..., Seite ...-​..., Bl. ...-​... der Akte, im Einzelnen aufgeführt seien, beglichen.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ... Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem ... aus ... Euro und Zinsen in gleicher Höhe aus ... Euro seit dem Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch finde keine Rechtsgrundlage in den allgemeinen Versicherungsbedingungen. Bei der Kfz-​Haftpflichtversicherung bestehe kein Haftungsausschluss für das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten. Es werde bestritten, dass der Kläger eine BAK von 1,66 bis 1.98 Promille zum Unfallzeitpunkt gehabt habe. Es werde bestritten, dass der Kläger vorsätzlich und in schwerwiegender Weise seine Aufklärungspflicht verletzt habe.

Im Übrigen bestreite der Beklagte die klägerseits behaupteten Zahlungen zur Regulierung der Unfallschäden.

Die Klägerin hat mit der Klageschrift vom ... zunächst nur Klage in Höhe von ... Euro erhoben, Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom ... hat sie die Klage um ... Euro erhöht.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Sie ist auch begründet.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Regressanspruch in Höhe von ... Euro aus 116 Abs. 1 Satz 2 VVG i.V.m. D. 2. 1, D. 4, E. 1.3, E. 6 der AKB 2008 der Klägerin.

Die Voraussetzungen für die Leistungsfreiheit in dieser Höhe sind gegeben wegen zwei Obliegenheitsverletzungen, zum einen wegen einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls in Form einer Trunkenheitsfahrt (D.2 der AKB 2008) und zum anderen wegen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls (E. 1. der AKB 2008) durch Entfernen vom Unfallort. Die AKB 2008 der Klägerin waren unstreitig Bestandteil des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages.

Der Beklagte hat die ihn als Versicherungsnehmer treffende Obliegenheit gemäß D. 2 der AKB 2008 verletzt.

So hat der Beklagte unstreitig in der Nacht vom ... auf den ... im alkoholisierten Zustand einen Unfall verursacht, bei dem er drei Fremdfahrzeuge beschädigte. Der Beklagte befand sich zum Unfallzeitpunkt auch im unwiderlegbaren Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit. So betrug seine BAK unstreitig zum Entnahmezeitpunkt ca. eine Stunde nach dem Unfall noch 1,55 Promille. Da absolute Fahruntüchtigkeit bereits ab 1,3 Promille angenommen wird, war der Beklagte somit selbst noch zum Entnahmezeitpunkt absolut fahruntüchtig. Von daher ist es unerheblich, welche Promille der Kläger genau zum Unfallzeitpunkt hatte, obgleich die von der Klägerseite vorgetragene Berechnung, der zufolge die BAK zum Unfallzeitpunkt 1,66-​1,98 Promille betrug zutreffend erscheint.

Der Beklagte hat die Obliegenheit gemäß D.2 der AKB 2008 zumindest bedingt vorsätzlich verletzt. Von daher führt diese Obliegenheitsverletzung gemäß D. 4. 1 der AKB 2008 zur Leistungsfreiheit der Klägerin. Diese ist jedoch gemäß D. 4.3 auf ... Euro begrenzt.

Vorliegend hat die Klägerin schlüssig dargelegt, dass sie Aufwendungen der drei Fremdgeschädigten in Höhe von beglichen hat. Die Klägerin hat hierzu im Rahmen des Schriftsatzes vom ..., B. ...- ... der Akte die Aufwendungen der Geschädigten ..., ... und ... im Einzelnen aufgeführt und zudem durch Vorlage der Anlagen, Bl. ... ff der Akte, schlüssig dargelegt, dass sie diese Aufwendungen gegenüber den Geschädigten ausgeglichen hat.

Das einfache diesbezügliche Bestreiten des Beklagten ist nicht geeignet, den diesbezüglichen schlüssigen Vortrag der Klägerseite zu entkräften.

Die bisher gegenüber der Klägerin geltend gemachten und von ihr beglichenen Aufwendungen der Fremdgeschädigten belaufen sich danach auf insgesamt ... Euro. Dieser Betrag überschreitet somit den Betrag von ... Euro in weitem Maße, so dass die Beklagte in Höhe von ... Euro hierfür Regress nehmen kann.

Dem Beklagten ist zudem eine weitere Obliegenheitsverletzung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis vorzuwerfen in Form der Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß E. 1. 3. AKB 2008.

So hat der Beklagte unstreitig nach dem Unfallereignis, bei dem er an drei fremden Fahrzeugen nicht unerheblichen Schaden verursacht hat, den Unfallort ohne Weiteres verlassen. Dies tat er unstreitig auch vorsätzlich, was durch seine eigene von der Klägerseite vorgelegte Schadensschilderung vom ..., Bl. ... der Akte, die von der Beklagtenseite selbst nicht bestritten wird, bestätigt wird. So erklärt der Beklagte dort, dass er Bedenken wegen seines Führerscheins gehabt habe und aus diesem Grunde vom Unfallort weggefahren sei.

Als Folge einer solchen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung gemäß E. 3.1 AKB 2008 sieht E. 6.1 AKB 2008 ebenfalls Leistungsfreiheit vor. Diese ist gemäß E.6.3 AKB 2008 grundsätzlich auf... Euro begrenzt.

Von daher ist vorliegend eine Leistungsfreiheit der Klägerin aufgrund der Obliegenheitsverletzung gemäß E.6.1 AKB 2008 in Höhe von ... Euro begründet.

Doch gemäß E. 6.4. erweitert sich die Leistungsfreiheit, wenn der Versicherungsnehmer die Aufklärungspflicht vorsätzlich und in besonders schwerwiegendem Maße verletzt, insbesondere bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, auf einen Betrag von höchstens ... Euro.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte, wie bereits oben dargelegt, sich vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt, so dass die Voraussetzungen des E.6.4 AKB 2008 gegeben sind. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort wird in E.6.4 beispielhaft für ein besonders schwerwiegendes Verletzen der Aufklärungspflicht aufgeführt. Von daher kann der Beklagte hier nicht mit Erfolg entgegensetzen, es liege kein besonders schwerwiegender Verstoß vor. Auch unabhängig von der beispielhaften Aufzählung in den AKB erachtet die Kammer ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort als einen besonders schwerwiegenden Verstoß der Aufklärungspflicht. Der Beklagte hat nicht dargelegt, warum in seinem Fall kein schwerwiegender Verstoß vorliegen sollte.

Insbesondere im Fall des Beklagten wiegt der Verstoß deshalb besonders schwer, da er drei Fahrzeuge nicht unerheblich geschädigt hat und im Bewusstsein seines Fehlverhaltens den Unfallort verlassen hat.

Die bisher von der Klägerin beglichenen Aufwendungen der Fremdgeschädigten betragen nahezu ... Euro, sie liegen somit deutlich über ... Euro, und auch deutlich über ... Euro.

Nach dem Verständnis der Kammer von der Regelung E.6.4. AKB 2008 rechtfertigt in einem solchen Fall, wie dem vorliegenden, ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort den Ansatz des Höchstbetrages für die Leistungsfreiheit von ... Euro.

Die Klägerin war vorliegend berechtigt, die Beträge der Leistungsfreiheit für die beiden durch den Beklagten begangenen Obliegenheitsverletzungen aufzuaddieren. Dies entspricht der gängigen Rechtssprechung, BGH VersR 2005, 1720.

So betreffen die beiden Obliegenheitsverletzungen zwei unterschiedliche Pflichtbereiche des Versicherungsnehmers, die in den AKB 2008 der Klägerin auch getrennt geregelt sind. Die eine Obliegenheitsverletzung wurde vor Eintritt des Versicherungsfalls und die andere erst im Anschluss daran begangen.

Soweit die Beklagtenseite der Ansicht ist, dass es in den allgemeinen Versicherungsbedingungen keine Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch gebe, da für das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten in der Kfz- Haftpflichtversicherung gemäß der AKB 2008 kein Haftungsausschluss bestünde, so geht diese Ansicht, was sich schon aus den obigen Ausführungen ergibt, fehl.

Vorliegend beruft sich die Klägerin nicht auf einen Haftungsausschluss, sondern auf Leistungsfreiheit aufgrund von Obliegenheitsverletzungen.

Nach alledem war der Klage in vollem Umfang von ... Euro stattzugeben.

Der der Klägerin zugesprochene Betrag in Höhe von ... Euro ist antragsgemäß gemäß §§ 280, 286, 288 ZPO mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus einem Betrag von ... Euro ab dem ... und aus einem Betrag von ... Euro seit dem ... (Rechtshängigkeit der Klageerweiterung) zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §709 ZPO.