Das Verkehrslexikon

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OVG Bautzen Beschluss vom 03.02.2014 - 2 A 280/12 - Zu den Sorgfaltspflichten eines ein Dienstfahrzeug fahrenden Beamten bei der Einfahrt in eine Kreuzung

OVG Bautzen v. 03.02.2014: Zu den Sorgfaltspflichten eines ein Dienstfahrzeug fahrenden Beamten bei der Einfahrt in eine Kreuzung


Das OVG Bautzen (Beschluss vom 03.02.2014 - 2 A 280/12) hat entschieden:
Durch die Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Fahrer eines Dienstfahrzeuges sich selbst dann vorsichtig in den Kreuzungsbereich hineintasten muss, wenn er Martinshorn und Blinklicht angeschaltet hat. Dies muss erst Recht gelten, wenn er sich auf einer Dienstfahrt ohne den Einsatz von Sondersignalen im Straßenverkehr bewegt. Er ist stets gehalten, die in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelten Vorfahrtsvorschriften zu beachten und andere Verkehrsteilnehmer so wenig wie nach Lage des Einzelfalles möglich zu gefährden. Eine Vorfahrtverletzung ist als grobe Fahrlässigkeit zu werten und verpflichtet den Beamten zum Ersatz des Schadens am Dienstfahrzeug.


Siehe auch Arbeitsrecht und Verkehrsrecht und Die grobe Fahrlässigkeit im Verkehrsrecht


Gründe:

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg; der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an dem angegriffenen Urteil liegt nicht vor.

Der Kläger steht als Polizeibeamter im Dienst der Beklagten. Am 2. April 2008 fuhr er mit dem Dienstfahrzeug Ford Ka amtliches Kennzeichen BP... in G... bei starkem Regen vom K... Platz kommend auf die gleichrangige N... Straße ein, wo er den in östliche Richtung fahrenden vorfahrtberechtigten nicht beladenen VW Autotransporter mit dem polnischem Kennzeichen ... streifte. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2009 nahm die Beklagte ihn wegen des am Dienstwagen entstandenen Schadens in Höhe von 1.615,40 € in Anspruch.

Das Verwaltungsgericht hat seine hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 24. Februar 2012 - 11 K 1146/10 - abgewiesen. Es sei von einer groben Fahrlässigkeit des Klägers auszugehen, weil er sich in Anbetracht der Witterungssituation nicht unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich vergewissert habe, ob ein vorfahrtberechtigtes Fahrzeug komme.

Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Es liege keine grobe Fahrlässigkeit vor, weil er sich, was ausreichend sei, 10 bis 15 Meter vor der Einfahrt in den Kreuzungsbereich vergewissert habe, ob ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug komme. Da er es nicht gesehen habe, müsse der Unfallgegner mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sein. Er habe sich zum Unfallzeitpunkt bereits im Kreuzungsbereich befunden und sofort reagiert und eine Vollbremsung eingeleitet. Hierbei sei er vom Bremspedal abgerutscht, was letztlich die wirkliche Unfallursache darstelle.

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel dient der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit. Er soll eine berufungsgerichtliche Nachprüfung des Urteils des Verwaltungsgerichts ermöglichen, wenn sich aus der Begründung des Zulassungsantrags ergibt, dass hierzu wegen des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses Veranlassung besteht. Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 VwGO ist der Zulassungsgrund in der gebotenen Weise darzulegen. Ernstliche Zweifel in dem genannten Sinne sind anzunehmen, wenn der Antragsteller des Zulassungsverfahrens tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so infrage stellt, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens zumindest als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23. Juni 2000, NVwZ 2000, 1164; Kammerbeschl. v. 26. März 2007 - 1 BvR 228/02 -, juris).

Bei Anlegung dieses Maßstabs bestehen keine ernstlichen Zweifel. Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG der Beklagten zum Ersatz des durch ihn verursachten Schadens an dem Dienstfahrzeug verpflichtet ist, weil er ihn grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung ein zutreffendes Verständnis des Begriffs der groben Fahrlässigkeit zugrunde gelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verhält sich ein Beamter grob fahrlässig, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. September 1964, BVerwGE 19, 243, 248; Beschl. v. 6. August 2009 - 2 B 9.09 -, juris m. w. N.). Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat angeschlossen (Urt. v. 14. Oktober 2010 - 2 A 445/09 -, juris; Beschl. v. 28. November 2011 - 2 A 518/10 -, juris).

Insbesondere ist durch die Rechtsprechung anerkannt, dass der Fahrer eines Dienstfahrzeuges sich selbst dann vorsichtig in den Kreuzungsbereich hineintasten muss, wenn er Martinshorn und Blinklicht angeschaltet hat (vgl. VGH BW., Beschl. v. 16. Juli 2003 - 4 S 1514/02 -, juris Rn. 12). Dies muss erst Recht gelten, wenn er sich auf einer Dienstfahrt ohne den Einsatz von Sondersignalen im Straßenverkehr bewegt. Er ist stets gehalten, die in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelten Vorfahrtsvorschriften zu beachten und andere Verkehrsteilnehmer so wenig wie nach Lage des Einzelfalles möglich zu gefährden.

Gemessen daran hat der Kläger das in § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO normierte Vorfahrtgebot dadurch verletzt, dass er dem aus der N... Straße kommenden vorfahrtberechtigten Fahrzeug in die linke Fahrzeugseite fuhr. Der Kläger wäre als derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hatte, vielmehr gemäß § 8 Abs. 2 StVO gehalten gewesen, durch mäßige Geschwindigkeit erkennen zu geben, dass er gegebenenfalls warten wird. Er darf nur dann weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert. Kann er den Kreuzungsbereich, etwa wie zum Unfallzeitpunkt aus witterungsbedingten Gründen, nicht vollständig übersehen, so ist er gehalten, sich vorsichtig in den Kreuzungsbereich hinein zu tasten, bis er ihn übersieht. Dies hat der Kläger auch nach seinem eigenen Vortrag unterlassen, weil er es für ausreichend erachtete, letztmalig etwa 10 bis 15 Meter - in seiner anfänglichen Unfallschilderung hatte er noch 20 bis 25 Meter angegeben (vgl. BAS 7) - vor dem Kreuzungsbereich nach vorfahrtberechtigten Fahrzeug Ausschau zu halten, bevor er in den Kreuzungsbereich einfuhr. Bereits deshalb hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und den Schaden an dem von ihm geführtem Dienstfahrzeug der Beklagten grob fahrlässig verursacht. Es kann daher dahin gestellt bleiben, ob er den Unfall dann hätte vermeiden können, wenn er nicht, wie von ihm vorgetragen, während der von ihm eingeleiteten Vollbremsung vom Bremspedal abgerutscht wäre.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand, dass andere am Unfall beteiligte Fahrzeug sei mit „relativ hoher Geschwindigkeit“ gefahren und habe hierdurch „die Vorfahrt erzwungen“. Der Kläger belässt es bei seiner bloßen Behauptung und es fehlt es an jeden objektivierbaren oder nachprüfbaren Anhaltspunkten, die es gegebenenfalls dem Gericht ermöglichen könnten, Alternativursachen für das Unfallereignis zu ermitteln. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass eine - unterstellte - erhöhte Geschwindigkeit des anderen Fahrzeuges sich ausgewirkt hätte, wenn der Kläger seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).