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OLG Bamberg Beschluss vom 29.08.2012 - 3 Ss OWi 1092/12 - Befreiung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung

OLG Bamberg v. 29.08.2012: Zur Befreiung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 29.08.2012 - 3 Ss OWi 1092/12) hat entschieden:
Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.


Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hatte gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 27.09.2011 wegen verbotswidrigen Benutzens eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs eine Geldbuße in Höhe von 55,00 € festgesetzt. Den dagegen eingelegten Einspruch verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 17.02.2012 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG, weil der Betroffene trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens unentschuldigt ausgeblieben ist.

Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, macht der Betroffene die Verletzung formellen Rechts geltend und rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, da das Amtsgericht den gestellten Anträgen, den Betroffenen von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu entbinden, entgegen § 73 Abs. 2 OWiG nicht entsprochen habe.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es aus den nachfolgenden Gründen geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

1. Nach dem durch die Verfahrensakten bewiesenen Rechtsmittelvorbringen liegt der prozessordnungsgemäß geltend gemachten Gehörsrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Mit Schriftsatz vom 18.01.2012 beantragte der Betroffene durch seinen mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Hauptverhandlungstermin am 17.02.2012 zu entbinden und führte zur Begründung aus, dass er die Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt einräume und er auch bei persönlicher Anwesenheit im Hauptverhandlungstermin "absolut schweigen" werde.

Mit Beschluss vom 24.01.2012 lehnte das Amtsgericht diesen Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG seien nicht erfüllt und führte hierzu aus:
"Da der Betroffene die Tat bestreitet, ist ein Tatnachweis ggf. durch eine Gegenüberstellung des Betroffenen mit dem Zeugen zu führen. Dies wurde übrigens auch seitens der Verteidigung beantragt (Bl. 29).

Dafür ist allerdings die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung erforderlich.

Der Antrag war daher zurückzuweisen."
Mit Schriftsatz vom 13.02.2012 wies der Betroffene erneut darauf hin, dass er die Fahrereigenschaft einräume, so dass "ein Tatnachweis durch eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen" nicht zu führen sei und er lediglich die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons und das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes bestreite. Für diese Wahrnehmung käme es aber allein auf die Aussage des Zeugen POM A. an, nicht aber auf seine persönliche Anwesenheit. Aus diesem Grunde beantrage er nochmals ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden.

Das Amtsgericht teilte daraufhin dem Verteidiger mit, dass der Beschluss vom 24.01.2012 aufrechterhalten bliebe. Des Weiteren führt es aus, dass ohne Gegenüberstellung des Betroffenen mit dem Zeugen ein Tatnachweis nicht zu führen sei und er dies selbst beantragt habe.

Mit weiterem Schreiben vom 16.02.2012 beantragte der Betroffene wiederum ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden und führte hierzu aus, dass er eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen nicht beantragt habe. Vielmehr habe er lediglich die Stellung eines Beweisantrages angekündigt. Diese Beweisanregung - die die Anwesenheit des Betroffenen erfordert - soll aber nach dem Inhalt der Ladung in der Hauptverhandlung vom 17.02.2012 nicht "zur Ausführung kommen"; sollte des Weiteren das Gericht immer noch der Auffassung sein, es sei eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen beantragt, so werde dieser Antrag insoweit zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 17.02.2012 wies das Amtsgericht den erneuten Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen "aus den Gründen des Beschlusses vom 24.02.2012 mit der Verfügung vom 16.02.2012" zurück und führte ergänzend aus, "dass von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung sehr wohl ein Erkenntnisgewinn zu ersehen ist. Das Gericht beabsichtigt zunächst die Zeugen mit dem Betroffenen gegenüberzustellen. Für den Fall, dass dann das Vorbringen der Verteidigung als wahrscheinlich erscheint wird, das Gericht von Amts wegen (Amtsermittlungsgrundsatz) über das weitere Vorgehen (Augenschein Lkw bzw. Sachverständigengutachten) entscheiden. Der Betroffene ist insoweit an der Mitwirkung des Verfahrens durch seine Anwesenheit verpflichtet. Im Übrigen erwartet das Gericht selbstverständlich keine weiteren Angaben durch den Betroffenen."

Mit Fax vom 17.02.2012 beantragte der Betroffene erneut ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden.

In der Hauptverhandlung am 17.02.2012 lehnte das Amtsgericht den erneuten Antrag unter Bezugnahme auf die Begründung der Beschlüsse vom 24.01.2012 und 17.02.2012 ab und verwarf sodann dessen Einspruch. In den Urteilsgründen führte es hierzu aus:
"Der Betroffene hat gegen den in der Urteilsformel bezeichneten Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch erhoben.

Die Ladung zum heutigen Hauptverhandlungstermin, welche eine Belehrung nach § 74 Abs. 3 OWiG und über die Folgen eines nicht bzw. nicht genügend entschuldigten Ausbleibens enthielt, wurde ordnungsgemäß zugestellt am 13.01.2012.

Der Betroffene ist ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden.

Der Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden worden.

Der Einspruch ist daher nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 2 OWiG.

Der Zeuge A. wurde um 11.47 Uhr entlassen."
2. Diese Vorgehensweise des Amtsgerichts ist rechtsfehlerhaft.

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.

Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist das Gericht nunmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (BayObLG DAR 2001, 371/372; OLG Dresden DAR 2005, 460; OLG Karlsruhe ZfS 2005, 154; OLG Hamm VRS 107, 120/123 und ZfS 2006, 710 ff.; OLG Bamberg ZfS 2006, 708/709, VRS 113, 284 ff. sowie Beschluss vom 17.08.2009 - 3 Ss OWi 780/2009; OLG Düsseldorf NZV 2007, 251 ff.; OLG Celle NZV 2008, 582/583; ferner KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 73 Rn. 15, 23 ff.).

a) Der Betroffene hat jeweils in der Begründung zu den Entbindungsanträgen eindeutig und unmissverständlich erklären lassen, dass er seine Fahrereigenschaft im Sinne des zugrundeliegenden Bußgeldbescheids einräumt und im Übrigen in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen wird.

b) Für weitere Feststellungen zur Tat in der Hauptverhandlung am 17.02.2012 war die Anwesenheit des Betroffenen nicht vonnöten, insbesondere bedurfte - nachdem der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte - es keiner Gegenüberstellung mit dem Zeugen POM A.. Auch für die Entscheidung des Amtsgerichts "über das weitere Vorgehen" war die Anwesenheit des Betroffenen nicht erforderlich. Denn das weitere Vorgehen des Gerichts konnte nach dem Beschluss vom 17.02.2012 nur in der Beauftragung eines Sachverständigen bestehen oder in der Bestimmung eines neuen Termins zur Einvernahme eines Augenscheins, da am Sitzungstag weder der vom Betroffenen gefahrene Lkw noch ein vergleichbarer Lkw zur Einvernahme eines Augenscheins vor Ort zur Verfügung standen.

3. Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 17.02.2012 durch das Amtsgericht war demnach rechtsfehlerhaft und sperrte deshalb die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG mit der Folge, dass das dennoch ergangene Verwerfungsurteil schon wegen dieses aufgezeigten Verfahrensganges keinen Bestand haben kann (KK aaO § 74 Rn. 36 m.w.N.).

4. Durch diese vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise blieb Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs unberücksichtigt. Dieses substantiierte Vorbringen des Betroffenen war auch nicht von vornherein völlig unerheblich, so dass der Tatrichter gehalten war, sich hiermit auseinanderzusetzen.

Die rechtsfehlerhafte Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG stellt deshalb nicht nur einen Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht dar, sondern wegen der dadurch unterbliebenen Auseinandersetzung mit dem substantiellen Vorbringen des Betroffenen zu den Grundlagen des im Bußgeldbescheid erhobenen Schuldvorwurfs auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; BayObLG ZfS 2001, 186/187).

5. Auf den Antrag des Betroffenen ist deshalb die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 17.02.2012 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 337, 353 Abs. 1 StPO). Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hersbruck zurückverwiesen.