Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Beschluss vom 19.02.2012 - 2 (6) SsBs 457/11 - AK 169/11 - Voraussetzungen der Verfallsanordnung

OLG Karlsruhe v. 19.02.2012: Zu den Voraussetzungen einer Verfallsanordnung bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 19.02.2012 - 2 (6) SsBs 457/11 - AK 169/11) hat entschieden:
  1. Die Entscheidungsgründe des Verfallsurteils müssen hinreichend erkennen lassen, wen der Tatrichter als Täter der der Verfallsanordnung zu Grunde liegenden mit Geldbuße bedrohten Handlung angesehen hat.

  2. Die Höhe des Verfallsbetrages bestimmt sich gemäß § 29a Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 4 OWiG nach dem Wert des Erlangten und ist nach dem Bruttoprinzip zu ermitteln (Anschluss BayObLG München, 27. April 2000, 3 ObOWi 16/2000, NStZ 2000, 537).

  3. Sogenannte "rechtmäßige hypothetische Kausalverläufe" sind bei der Ermittlung und Bestimmung des Wertes der durch die mit Geldbuße bedrohten Handlung oder des aus ihr Erlangten nicht zu berücksichtigen (Anschluss OLG Celle, 30. August 2011, 322 SsBs 175/11, DAR 2011, 642).

  4. Die Entscheidungsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Tatrichter darüber bewusst war, dass er im Rahmen des § 29a OWiG eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat.

Siehe auch Die Verfallsanordnung im Bußgeldverfahren und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Heidelberg wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit im selbständigen Verfallsverfahren gegen den Verfallsbeteiligten den Verfall von 867 € angeordnet.

Hiergegen richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Verfallsbeteiligten, mit der Verfahrensrügen erhoben und sachlich-rechtliche Einwendungen vorgebracht werden.

Die Überprüfung des Urteils auf die damit erhobene Sachrüge offenbart Rechtsfehler, die zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache führen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Ein durchgreifender Mangel besteht bereits darin, dass das Urteil nicht hinreichend erkennen lässt, wen der Tatrichter als Täter der mit Geldbuße bedrohten Handlung angesehen hat, die Grundlage der Verfallsanordnung ist (§ 29a Abs. 1 und 2 OWiG). Als die mit Geldbuße bedrohte Handlung ist in dem Urteil das Befahren einer Autobahn unter Verstoß gegen die zulässige Gesamthöhe (§ 18 Abs. 1 StVO) bezeichnet, ohne dass aber festgestellt wird, wer diese Handlung begangen hat. Ohne diese Feststellung ist dem Senat aber nicht die Möglichkeit zur Prüfung eröffnet, ob die Voraussetzungen für die Durchführung des selbständigen Verfallsverfahrens gemäß § 29a Abs. 4 OWiG im vorliegenden Fall gegeben sind (vgl. dazu OLG Zweibrücken NStZ-RR 2010, 256). Dazu reicht die im angefochtenen Urteil getroffene Feststellung, dass gegen den Verfallsbeteiligten (im Urteil als Betroffener bezeichnet) kein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, nicht aus.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Höhe des Verfallsbetrags ist gemäß § 29a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 OWiG am Wert des Erlangten ("etwas") auszurichten und nach dem Bruttoprinzip zu ermitteln (BayObLG NStZ 2000, 537; NStZ-RR 1997, 339; OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Celle DAR 2011, 642, 643 m.w.N.). Erfasst wird damit jeder wirtschaftliche Vorteil, der für eine mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr erlangt wird. Die Ermittlung des Wertes des Erlangten unter Berücksichtigung des Bruttoprinzips bedeutet, dass nicht nur der Gewinn, sondern grundsätzlich alles, was der Drittbegünstigte für die Tat oder aus ihr erlangt hat, bei der Ermittlung des Verfallsbetrages in Ansatz zu bringen ist, und dass mit der Tat verbundene Aufwendungen nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen sind (OLG Celle, a.a.O.; BayObLG NStZ-RR 1997, 339, 340; Thole, NZV 2009, 64, 65; vgl. auch BGHSt 47, 260, 265 sowie BGHSt 47, 369, 371; BVerfGE 110, 1 ff. = NJW 2004, 2073, 2075 f. zu den mit der Einführung des Bruttoprinzips verfolgten Zielen des Gesetzgebers). Entscheidend ist danach der Wert des dem Drittbegünstigten gerade durch die Ordnungswidrigkeit zugeflossenen Vermögenszuwachses oder der Wert der durch die Tat ersparten Aufwendungen. Erforderlich ist dabei eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen der Tat und dem Vorteil (OLG Stuttgart, Die Justiz 2009, 107, 108; Gürtner, in Göhler, OWiG, § 29a Rn. 10 m.w.N.). Aus dem Erfordernis der unmittelbaren Kausalbeziehung folgt, dass der durch die Anordnung des Verfalls abgeschöpfte Wert spiegelbildlich dem erzielten Vermögensvorteil entsprechen muss (vgl. zum Ganzen OLG Karlsruhe B. v. 01.12.2011 - 3 (4) SsBs 594/11; B. v. 23.01.2012 - 1 (9) SsBs 661/11 und B. v. 05.09.2012 - 1 (9) SsBs 396/12).

Soweit dem Drittbegünstigten für die rechtswidrige Tat ein Entgelt tatsächlich zugeflossen ist, ist zunächst dieses (gegebenenfalls ohne darin enthaltene Umsatzsteuer) als das durch die Tat Erlangte zugrundezulegen (OLG Celle a.a.O.; OLG Zweibrücken a.a.O.), jedenfalls dann, wenn der Transport nicht erlaubnisfähig war (OLG Koblenz a.a.O.). Ansonsten ist auf durch die rechtswidrige Tat unmittelbar ersparten Aufwendungen abzustellen, hier für die Durchführung eines zweiten Transports (OLG Koblenz a.a.O.; vgl. zur Berechnung im Einzelnen Retemeyer wistra 2012, 56, 58 f.; Thole a.a.O.)

Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung sind bei der Ermittlung und Bestimmung des Wertes des durch die mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr Erlangten so genannte "rechtmäßige hypothetische" Kausalverläufe nicht zu berücksichtigen (OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; ablehnend auch Thole, NZV 2009, 64, 65; a.A. Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 195 f. und - nicht tragend - OLG Koblenz B. v. 28.09.2006 - 1 Ss 247/06 -, juris). Eine solche einengende Auslegung widerspräche dem vom Gesetzgeber mit dem Institut des Verfalls und der Einführung des Bruttoprinzips verfolgten Ziel, den Anreiz für gewinnorientierte Ordnungswidrigkeiten zu reduzieren und dem von der Maßnahme Betroffenen das Risiko der Korrektur irregulärer Vermögenszuordnungen zu überbürden (BVerfG a.a.O). Eine Aufspaltung der Fahrt in einen "legalen Sockel" und eine "rechtswidrige Spitze" zur Ermittlung des Verfallsbetrags scheidet daher aus (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.).

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung erkennen lassen muss, dass der Tatrichter sich des Umstands bewusst war, dass er im Rahmen des § 29a OWiG eigenes Ermessen auszuüben hat. Diese Ermessensentscheidung muss in einer Weise begründet werden, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung auf Ermessensfehler ermöglicht (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht vollständig gerecht, in dem zwar eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfallbeteiligten vorgenommen wird, ohne jedoch tatsächliche Feststellungen zu diesen Verhältnissen zu treffen.