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OLG Düsseldorf Beschluss vom 03.05.1991 - 5 Ss (OWi) 75/91 - (OWi) 37/91 I - Antrag auf Vernehmung eines "Gegenzeugen"
OLG Düsseldorf v. 03.05.1991: Antrag auf Vernehmung eines "Gegenzeugen" im Ordnungswidrigkeitenverfahren
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 03.05.1991 - 5 Ss (OWi) 75/91 - (OWi) 37/91 I) hat entschieden:
Die Ablehnung eines Antrags auf Anhörung von "Gegenzeugen" ist nach der Vernehmung nur eines Belastungszeugen bei besonderen Umständen des Einzelfalles nach OWiG § 77 Abs 2 Nr 1 zulässig. Derartige besondere Umstände sind zu bejahen, wenn die Aussage eines dem Gericht als zuverlässig bekannten, den Verkehrsverstoß beobachtenden Polizeibeamten durch die Benennung von zwei in den Vorfall verwickelten Entlastungszeugen entkräftet werden soll, bei denen es sich um Kollegen des Betroffenen handelt.
Siehe auch Zeugen - Zeugenbeweis und Der Beweisantrag im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 18 Abs. 7, 49 StVO in Tateinheit mit einem fahrlässigen Verstoß gegen §§ 4 Abs. 2, 24, 69 a StVZO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 300,00 DM verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat festgestellt:
Am 7. April 1990 hielt sich der Betroffene bei einem Fuhrunternehmen in Köln auf. Dort erfuhr er, dass ein LKW dieses Unternehmens auf der Autobahn A 57 in Neuss auf der Richtungsfahrbahn Köln eine Reifenpanne habe. Der Betroffene fuhr mit einem PKW des Unternehmens zu der betreffenden Stelle und leistete Pannenhilfe. Anschließend fuhr der LKW weiter auf der Autobahn in Richtung Köln; der Betroffene fuhr mit dem PKW voraus.
Der Zeuge R, ein Beamter der Autobahnpolizei, hielt den LKW an und winkte ihn auf den Seitenstreifen, um ihn zu kontrollieren. Der Betroffene, der diesen Vorgang im Rückspiegel beobachtete, hielt ebenfalls auf dem Seitenstreifen an und setzte auf diesem mit dem PKW etwa 200 Meter zurück, um sich nach dem Grund des Anhaltens zu erkundigen. Er führte weder seinen Führerschein noch den Kraftfahrzeugschein des PKW mit.
II.
Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Die Ablehnung der Beweisanträge des Betroffenen, den Fahrer des LKW, A A, und dessen Beifahrer, M U, als Zeugen zu vernehmen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie verstößt weder gegen § 77 OWiG noch verletzt sie den Grundsatz der Aufklärungspflicht.
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG in der ab 1. April 1987 geltenden Fassung kann das Gericht, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag außer in den Fällen des § 244 Abs. 3 StPO auch dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen - unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache (§ 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG) - die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Auf diese Bestimmung hat das Amtsgericht die Ablehnung der Beweisanträge gestützt. Seine Begründung im Urteil - für den Beschluss gemäß § 244 Abs. 6 StPO gilt die Regel des § 77 Abs. 3 OWiG - hält der rechtlichen Nachprüfung Stand.
a) Durch § 77 Abs. 2 OWiG ist die bereits früher - freilich nur in engen Grenzen - eingeschränkte Aufklärungspflicht des Gerichts im Ordnungswidrigkeitenrecht weiter gelockert worden. Diese Vorschrift lässt in weiterem Umfang als bisher eine vorweggenommene Beweiswürdigung zu. Der Ablehnungsgrund hat nach ihr drei Voraussetzungen:
- Es muss eine Beweisaufnahme über eine entscheidungserhebliche Tatsache
stattgefunden haben;
- aufgrund dieser Beweisaufnahme muss der Richter zu der Überzeugung
gelangt sein, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden;
- die beantragte Beweiserhebung muss nach dem pflichtgemäßen Ermessen des
Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sein
(BT Drucks 10/2652, Seite 23; Senge in KK OWiG 1989, Rn. 15 zu § 77; Göhler, OWiG 9. Aufl., Rn. 11 zu § 77 OWiG; Böttcher, NStZ 1986, 394; OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, NZV 1989, 163).
Diese Voraussetzungen hat das Amtsgericht nicht verkannt.
b) Es hat auch bedacht, dass die Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung weiterer Zeugen allerdings an enge Grenzen gebunden ist, wenn die beantragte Beweisaufnahme wie hier das Ziel hat, die Aussage des einzigen Belastungszeugen zu entkräften.
In einem solchen Fall darf der weiteren Beweisaufnahme unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht in der Regel ein Aufklärungswert nicht abgesprochen werden, weil es im allgemeinen naheliegt oder sich aufdrängt, einen benannten "Gegenzeugen" anzuhören, um die Wahrheit herauszufinden (Senge, a.a.O., Rn. 17 zu § 77; Göhler, a.a.O., Rn. 14 zu § 77 OWiG). Dies ist allerdings kein starrer Grundsatz. Vielmehr ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit des bereits erlangten Ergebnisses der Beweisaufnahme im Verhältnis zu der zusätzlich beantragten Beweiserhebung zu entscheiden. Ist fraglich, ob die beantragte Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist, so kommt es auch hier nicht darauf an, ob die Aussichtslosigkeit der Beweiserhebung außer Zweifel steht, sondern ob die Beweisaufnahme sich aufdrängt oder zumindest naheliegt (Senge, a.a.O., Rn. 16; Göhler, a.a.O.; Böttcher, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Bereits unter der vor dem 1. April 1987 geltenden Rechtslage hat die Rechtsprechung auch nach Vernehmung nur eines Belastungszeugen die Ablehnung eines Antrags auf Anhörung von "Gegenzeugen" bei besonderen Umständen des Einzelfalles zugelassen. Derartige besondere Umstände sind u.a. bejaht worden, wenn die Aussage eines dem Gericht als zuverlässig bekannten, den Verkehrsverstoß beobachtenden Polizeibeamten durch die Benennung von zwei in den Vorfall verwickelten Zeugen entkräftet werden soll, bei denen es sich um Kollegen des Betroffenen handelt (KG VRS 65, 212 mit zustimmender Anmerkung Göhler in NStZ 1985, 66). Es bestehen keine Bedenken, diese Grundsätze erst Recht unter der Geltung der neuen Regelung in § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG anzuwenden (Senge, a.a.O., Rn. 17; Göhler, a.a.O., Rn. 15). Diese geht nämlich über die frühere Rechtsprechung hinaus und gewährt dem Tatrichter bei der Entscheidung über die beantragte Beweiserhebung einen größeren Ermessensspielraum, als ihm früher nach dem Gesetz zustand.
Ein solcher Ausnahmefall, der die Ablehnung eines Antrags auf Anhörung von Entlastungszeugen selbst dann rechtfertigt, wenn das gefundene Beweisergebnis auf der Aussage nur eines Belastungszeugen beruht, ist hier gegeben:
aa) Das Amtsgericht hat den Bekundungen des Polizeibeamten R zu dem einfach gelagerten Verkehrsvorgang Glauben geschenkt und sie zur Aufklärung des Sachverhalts als ausreichend erachtet. Es hat dabei nicht, wie der Beschwerdeführer meint, unrichtigerweise einen Erfahrungssatz angenommen, dass dieser Zeuge immer und unter allen Umständen die Wahrheit bekunde. Vielmehr hat es dargelegt, dass ihm der Zeuge aus vielen Vernehmungen als glaubwürdig und zuverlässig bekannt sei und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass er im konkreten Fall den Betroffenen zu Unrecht belaste. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen diese Bewertung der Zeugenaussage durch das Amtsgericht wendet, handelt es sich um im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Angriffe gegen die Beweiswürdigung.
bb) Im Verhältnis zu dem Gewicht der Aussage des Zeugen R hat das Amtsgericht der zusätzlich beantragten Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen A und U keinen Aufklärungswert beigemessen. Dies ist aus den von ihm angegebenen Gründen nach dem Vorhergesagten aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Bei den benannten Zeugen handelt es sich nicht um objektive, in den Vorfall nicht verstrickte und am Ausgang des Verfahrens nicht interessierte Personen. Zwar mag es sich derzeit nicht oder nicht mehr um Arbeitskollegen des Betroffenen handeln. Den Umständen ist aber zu entnehmen, dass sie und der Betroffene demselben Arbeitgeber verbunden sind. Der Betroffene hat ihnen mit einem Fahrzeug ihres Arbeitgebers Pannenhilfe geleistet und wollte sich nach dem Grund ihres Anhaltens durch die Polizei erkundigen. Nach rechtlich zulässiger Einschätzung des Amtsgerichts drängte es sich deshalb weder auf noch war es naheliegend, die beantragte Beweiserhebung durchzuführen.
Darauf, ob das Amtsgericht in den Urteilsgründen zusätzlich den Ablehnungsgrund des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG "nachgeschoben" hat, kommt es nicht an.
Der Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 1989 (VRS 78, 140) steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Jenem Beschluss lag eine andere Verfahrenslage zugrunde.
2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Amtsgericht habe zu Unrecht zwei Fragen des Verteidigers an den Zeugen R zurückgewiesen und dadurch in unzulässiger Weise die Verteidigung beschränkt (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 338 Nr. 8 StPO), ist bereits zweifelhaft, ob diese Rüge ohne den förmlichen Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO zulässig ist (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 39. Aufl., Rn. 18 zu § 238). Dies bedarf indessen keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob das Amtsgericht die Fragen nach § 241 Abs. 2 StPO mit Recht zurückgewiesen hat. Ein etwaiger Mangel wäre jedenfalls geheilt, weil der Zeuge, wie sich aus dem Protokoll ergibt, beide Fragen im Verlauf seiner weiteren Vernehmung beantwortet hat.
3. Ob das gegen den erkennenden Richter gerichtete Ablehnungsgesuch des Betroffenen nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen Verfolgung verfahrensfremder Zwecke als unzulässig verworfen werden durfte, kann ebenfalls unerörtert bleiben. Denn im Ergebnis ist dieses Gesuch nicht mit Unrecht verworfen worden (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 338 Nr. 3 StPO), weil es jedenfalls unbegründet war.
Der Umstand, dass der Amtsrichter den auf die Vernehmung des Zeugen A gerichteten Beweisantrag zurückgewiesen hat, war nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 24 Abs. 2 StPO). Die Ablehnung dieses Beweisantrages stand nach Form und Inhalt mit dem Gesetz im Einklang.
Ebensowenig stellte es aus Sicht eines vernünftigen Betroffenen einen Ablehnungsgrund dar, dass der Amtsrichter die Hauptverhandlung um 10.10 Uhr bis 12.30 Uhr unterbrochen hat, obwohl ihm der Verteidiger mitgeteilt hatte, er müsse um 15.00 Uhr zur Wahrnehmung eines Termins in einer anderen Strafsache in Münster sein. Wie in dem Beschluss über die Verwerfung des Ablehnungsgesuches dargelegt ist, hat der abgelehnte Richter bei Bemessung der Dauer der Unterbrechung auf die bereits überfällige nachfolgende Verhandlungssache Rücksicht genommen und hierauf den Betroffenen hingewiesen. Unter diesen Umständen war die mit Rücksicht auf die Terminslage angeordnete Unterbrechung bis 12.30 Uhr am selben Tage weder schikanös noch gab sie aus anderen Gründen Anlass, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu hegen.
4. Unbegründet ist schließlich auch die Rüge, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag des Betroffenen auf Anhörung eines Sachverständigen nicht beschieden. Einen solchen Beweisantrag hat der Betroffene nicht gestellt. Die vom Beschwerdeführer aus dem Hauptverhandlungsprotokoll zitierten Erklärungen des Betroffenen beinhalten keinen Antrag auf Vernehmung eines Sachverständigen zu einer bestimmten Beweisbehauptung. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um die in das Wortprotokoll aufgenommenen Schlussausführungen des Betroffenen.
III.
Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge ergibt ebenfalls keinen Rechtsfehler. Insbesondere ist der Rechtsfolgenausspruch rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erhöhung des im Bußgeldkatalog für Rückwärtsfahren auf dem Seitenstreifen der Autobahn vorgesehenen Regelsatzes von 200,00 DM um 100,00 DM erscheint allein im Hinblick auf die Länge der rückwärtsgefahrenen Strecke nicht unangemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.