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OLG Köln Beschluss vom 27.10.2011 - III-1 RBs 253/11 - Pflichtverteidigung bei Frage der Verwertbarkeit eines Blutalkoholgutachtens
OLG Köln v. 27.10.2011: Pflichtverteidigung im Bußgeldverfahren bei Frage der Verwertbarkeit eines Blutalkoholgutachtens
Das OLG Köln (Beschluss vom 27.10.2011 - III-1 RBs 253/11) hat entschieden:
Es ist von einem Fall notwendiger Verteidigung im Bußgeldverfahren auszugehen, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (Anschluss OLG Brandenburg, 26. Januar 2009, 1 Ws 7/09, NJW 2009, 1287).
Siehe auch Blutprobe ohne Richterbeschluss - Blutentnahme ohne richterliche Anordnung - Verwertungsverbot? und Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt und ihm - verbunden mit der Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG - für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.
Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
II.
Das gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsmittel begegnet hinsichtlich seiner Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Es hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg, indem es gemäß §§ 353 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
1. Der Betroffene beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, und somit der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vorliegt, so dass vom Beruhen der Entscheidung auf einem Verfahrensmangel auszugehen ist (vgl. dazu Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Aufl., § 79 Rdnr. 109 m. w. Nachw.).
Die Hauptverhandlung, auf der das angefochtene Urteil beruht, ist in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt worden, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß §§ 140 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG vorlag.
a) Die entsprechende Rüge ist - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - in einer den Anforderungen der §§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG genügenden Weise ausgeführt. Dem Vorbringen des Betroffenen ist nämlich mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass er während der gesamten Dauer der Verhandlung ohne Beistand eines Verteidigers gewesen ist. Es wird ausdrücklich vorgetragen, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des (notwendigen) Verteidigers stattgefunden hat, nachdem über einen Beiordnungsantrag nicht entschieden worden war, und dass der Betroffene sich bedingt dadurch mit schwierigen Sach- und Rechtsfragen in der Hauptverhandlung habe allein auseinandersetzen müssen. Weiterer Ausführungen zu „entsprechenden Protokollstellen“, die - wie das Protokoll insgesamt - nur dem Beweis für das Rügevorbringen dienen können, bedurfte es nicht.
Darüber hinaus ist dem Zusammenhang der Ausführungen, namentlich mit Blick auf den Beiordnungsantrag, zu entnehmen, dass die Hauptverhandlung gegen den Willen des Betroffenen und des Verteidigers in dessen Abwesenheit durchgeführt worden ist (vgl. dazu Senge a. a. O. m. w. Nachw.).
b) Die Mitwirkung eines Verteidigers an der Hauptverhandlung war im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Ergebnisse aus der Untersuchung der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe wegen der damit verbundenen Schwierigkeit der Rechtslage geboten.
Der Senat folgt insoweit der Auffassung des OLG Bremen (NStZ-RR 2009, 353 = StV 2011, 83 = DAR 2009, 710) und des OLG Brandenburg (NJW 2009, 1287), wonach von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen ist, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. a. OLG Hamm BeckRS 2010, 05625 = NStZ-RR 2009, 353 Ls = DAR 2009, 710). Dazu mag in der obergerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile zu den Grundzügen eine weitgehende Klärung herbeigeführt worden sein (vgl. aber etwa Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 81a Rdnr. 25b: „uneinheitliche Rspr kaum noch überschaubar“; Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Aufl. 2011, Rdnr. 635: „Die zu der gesamten Problematik nach nunmehr mehr als drei Jahren vorliegende Rechtsprechung ist inzwischen unüberschaubar geworden.“). Dennoch sind in einem solchen Fall umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen (OLG Hamm a. a. O.), zu denen die Verteidigungsfähigkeit eines 23jährigen Betroffenen im Regelfall nicht ausreichen wird. Dass es sich hier ausnahmsweise anders verhalten haben sollte, ist durch nichts belegt.
2. Einer Erörterung der weiter erhobenen Rügen bedarf es danach nicht.
Der Senat weist aber für die neue Hauptverhandlung auf folgende Gesichtspunkte hin:
a) Das Amtsgericht ist in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass der Zeuge L. „zu Recht seine Eilkompetenz in Anspruch nahm“, also eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung angenommen hat.
Diese Auffassung erscheint nicht unbedenklich im Hinblick darauf, dass die Kontrolle des Betroffenen um 19.15 Uhr stattfand und der richterliche Eildienst nach der AV des Justizministers vom 15.05.2007 (JMBl. NRW S. 165, dort Ziff. 1.1.) erst um 21:00 Uhr endet. Selbst wenn zur Einholung einer richterlichen Entscheidung aufgrund der Praxis der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Köln ein schriftlicher Vorgang hätte erstellt und übermittelt werden müssen, erschließt sich nicht ohne weiteres, dass dadurch eine erhebliche Verzögerung und damit einhergehend eine konkrete Gefährdung des Untersuchungserfolgs zu besorgen gewesen wäre (vgl. dazu a. OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 = VRS 113, 365; OLG Celle zfs 2009, 530 [531] = VRS 117, 99; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 11201 = DAR 2011, 336). Denn die Wahrnehmungen der Polizeibeamten, die den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG begründeten, ließen sich in wenigen Sätzen niederlegen, wie die Feststellungen des angefochtenen Urteils, die ersichtlich auf den Angaben der Beamten beruhen, erkennen lassen:
„Am 26.08.2010, einem Donnerstag, befuhr der Betroffene um 19:15 Uhr mit einem Fahrzeug T., amtliches Kennzeichen OO - XX 1xx, die I.-Straße in C., Fahrtrichtung Q. Straße. Dabei fiel er den Polizeibeamten L., Polizeikommissar, und H., Polizeioberkommissar, auf, welche ihn daraufhin anhielten und kontrollierten. Die Beamten bemerkten, dass der Betroffene nervös und zittrig war. Seine Bindehäute waren glasig und gerötet. Als der Betroffene die Augen schloss, konnten die Beamten ein deutlich ausgeprägtes Lidflattern beobachten. Seine Pupillen waren erweitert und reagierten verzögert, sein Redefluss wirkte verlangsamt. Die Beamten führten ein Drogenvortest (Nal von Minden) durch, welcher positiv im Hinblick auf Cannabis verlief.“
Zur Dauer der Nachweisbarkeit von Cannabiskonsum hat der Senat in einer Entscheidung vom 11.03.2011 - III-1 RBs 52/11 - ausgeführt:
„Was die Dringlichkeitsprognose anbelangt, sei darauf hingewiesen, dass es in einem Artikel über den Verkehrsgerichtstag 2011 in der „ADAC Motorwelt“ (2011, Heft 3, Seite 58) heißt:
„Rechtsmediziner wiesen darauf hin, dass die Wirkung von Drogen nicht nur wenige Stunden, sondern auch noch mehrere Tage nach dem Konsum im Blut nachweisbar sei und damit auch die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen kann.“
- vgl. auch König NStZ 2009, 425, 427:
„Denn in den berufenen Fachkreisen werden, und das nicht erst seit heute, im Ausnahmefall relevante Nachweisdauern (und damit Wirkungsdauern) von bis zu 24 Stunden nach Drogenaufnahme, in extremen Ausnahmekonstellationen sogar bis zu 46 bzw. 48 Stunden referiert. Dabei entfallen die Konstellationen der Nachweisdauer von über 24 Stunden bei THC-Werten von zumindest 1 ng/ml wohl in erster Linie auf chronische Konsumenten.“
vgl. zu kürzeren Zeiträumen aber auch Weber, BtMG, 3. Auflage, § 1 Rn. 88,89 mit Nachweisen; Mußhoff, Madea, NZV 2008, 485) -
b) Ein Beweisverwertungsverbot wegen willkürlicher Umgehung des Richtervorbehalts aus § 81a Abs. 2 StPO kann nach der Rechtsprechung gegeben sein, wenn der anordnende Polizeibeamte keine nachvollziehbaren Erwägungen über die Fragen von Gefahr im Verzug und richterlicher Anordnungskompetenz angestellt hat und keine entsprechende Prüfung vorgenommen hat, sondern allein aufgrund „langjähriger Praxis“ (vgl. OLG Hamm DAR 2009, 336 [338] = zfs 2009, 409 m. zust. Anm. Bode; OLG Dresden NJW 2009, 2149 [2150]) oder aufgrund einer von seinem Dienstvorgesetzten erteilten generellen Anweisung, auf die Einschaltung eines Richters zu verzichten (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3591= DAR 2009, 713 = zfs 2009, 712; OLG Brandenburg zfs 2010, 587; OLG Bamberg DAR 2011, 268 = zfs 2011, 350), eine eigene Anordnung getroffen hat. Davon ausgehend hat der Senat in einer Entscheidung vom 26.08.2011 - III-1 RBs 201/11 - ein Beweisverwertungsverbot in einem Fall bejaht, in dem der anordnende Polizeibeamte „bekundete, dass ihm ein dienstlicher Erlass bekannt sei, wonach bei Alkohol- und Drogendelikten immer Gefahr in Verzug sei“.
c) Sollte sich als klärungsbedürftig erweisen, ob der Betroffene mit der Blutentnahme einverstanden war, wird zu beachten sein, dass die bloße Duldung des Eingriffs zur Annahme einer - die Anordnung ersetzenden - Einwilligung nicht ausreicht. Dass der Betroffene sich widerstandslos einer polizeilichen Anordnung gebeugt hat, ist nur das, was von jedem Bürger erwartet wird, und hat darüber hinaus keine Aussagekraft. Nur die ausdrücklich oder sich eindeutig aus den Umständen ergebende Einwilligung des Betroffenen schließt die Notwendigkeit einer Anordnung der Blutentnahme aus (OLG Bamberg NJW 2009, 2146 = DAR 2009, 278 = zfs 2009, 349 = VM 2009, 82 [Nr. 77]; OLG Hamm VRR 2009, 273; OLG Celle zfs 2009, 530 = VRS 117, 99 = StV 2009, 330).
d) Eine versäumte Belehrung des Beschuldigten bzw. Betroffenen über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung führt noch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot in Bezug auf das bei der Blutentnahme gewonnene Ergebnis (OLG Hamm NJW 1967, 1524; Meyer-Goßner a. a. O. § 81 a Rn. 32 a m. w. Nachw.; SenE v. 11.10.2011 - III-1 RVs 245/11 -). Das gilt erst recht, wenn die Blutentnahme über eine Anordnung im Sinne des § 81 a Abs. 2 StPO unschwer hätte erreicht werden können (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2005, 399).