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OLG Hamm Urteil vom 15.11.2013 - I-25 U 2/13 - Gesetzlicher Übergang der Ansprüche auf Rentenversicherungsbeiträge
OLG Hamm v. 15.11.2013: Zum gesetzlichen Übergang der Ansprüche auf Rentenversicherungsbeiträge bei Behinderten
Das OLG Hamm (Urteil vom 15.11.2013 - I-25 U 2/13) hat entschieden:
Der gesetzliche Anspruchsübergang nach § 179 Abs. 1a SGB VI - Erstattung der Aufwendungen für Behinderte - auf den Bund erfolgt erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung.
Siehe auch Forderungsübergang auf die Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger und Forderungsübergang im Schadensfall
Gründe:
I.
Das klagende Land hat in Prozessstandschaft den Beklagten auf Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen aus angeblich nach § 179 Abs. 1 a SGB VI übergegangenem Schadensersatzansprüchen des C in Anspruch genommen.
C hatte am 07.02.1999 bei einem Verkehrsunfall, an dem der Versicherungsnehmer des Beklagten beteiligt war, schwere Schädel-Hirn-Traumata verbunden mit beinbetonter linksseitiger spastischer Hemiparese, einem hirnorganischen Psychosyndrom und neuropsychologischen Defiziten erlitten. Unstreitig hat die Beklagte 30 % des unfallbedingten Schadens des C zu ersetzen.
Am 01.01.1999 unterzeichneten der damals 17-jährige C sowie seine Eltern als seine gesetzlichen Vertreter eine "Vergleichs- und Abfindungserklärung", durch er sie sich nach Zahlung von noch 80.000 DM durch den Beklagten mit allen Ansprüchen für jetzt und die Zukunft vorbehaltlos abgefunden erklärte.
Wegen der Einzelheiten der Erklärung wird auf Bl.14 d.A. Bezug genommen.
Für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2010 hat das klagende Land für C, der seit dem 01.11.2005 in den X für Behinderte arbeitet, an den Träger dieser Werkstatt nach § 179 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit § 1 Aufwendungsersatzerstattungs-Verordnung vom 11.07.1975 Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 14.298,44 € erstattet.
Auf der Basis einer 30 %-igen Haftungsquote hat das klagende Land von der Beklagten nach § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI die Erstattung eines Betrages von 4.289,53 € im Wege der Zahlungsklage geltend gemacht und darüber hinaus die Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem klagenden Land die gemäß § 179 Abs. 1 SGB VI erstatteten und noch zu erstattenden Rentenversicherungsbeiträge für Herrn C für die Zeit ab dem 01.01.2011 zu ersetzen.
Das klagende Land hat die Ansicht vertreten, für die Auslegung des § 179 Abs. 1a Satz 1 SGB VI sei die Rechtsprechung des BGH zu § 116 SGB X heranzuziehen. Danach sei für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs darauf abzustellen, ob im Unfallzeitpunkt eine so schwere Verletzung des Geschädigten vorliege, die Sozialleistungen zu einem späteren Zeitpunkt für möglich erscheinen lassen. Der Forderungsverzicht des C vom 01.01.2001 umfasse daher nicht die streitgegenständlichen Ansprüche.
Die beklagte Versicherung hat in Hinblick auf den Abfindungsvergleich vom 01.01.2001 jegliche Erstattungspflicht verneint und Klageabweisung beantragt.
Das Landgericht hat der Klage unter Abweisung des Feststellungsantrags, soweit er sich auf bereits erstattete Rentenversicherungsbeiträge bezog, und unter teilweise Abweisung des Zinsanspruchs stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils einschließlich seiner Verweisungen Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagte unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er erhebt unter Hinweis auf § 12 Abs. 2 VVG a. F. die Einrede der Verjährung und beantragt, die Revision zuzulassen zur Klärung der Frage, ab wann der Anspruchsübergang nach § 179 Ab s. 1 a SGB VI stattfindet.
Das klagende Land verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft seines bisherigen Sachvortrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und ihren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg.
Die Klage ist sowohl hinsichtlich des Zahlungsanspruchs als auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens unbegründet.
Dem klagenden Land steht gegen den Beklagten aus dem Schadensereignis vom 07.02.1999 aus übergegangenen Recht kein Anspruch auf Erstattung der an den Träger der X für den geschädigten C geleisteten und noch zu leistenden Rentenversicherungsbeiträge zu.
1. Die Schadensersatzansprüche des C gegen die Beklagte aus §§ 7, 18 StVG, 823 BGB i.V.m. § 3 PflVG a .F. sind, auch hinsichtlich des Anspruchs auf Ersatz der Rentenversicherungsbeiträge, nicht auf das klagende Land als Träger der örtlichen Sozialhilfe gemäß § 179 Abs. 1 a, Satz 4 SGB VI übergegangen. Im Zeitpunkt des möglichen Forderungsübergangs waren die Schadensersatzansprüche des C auf Grund der Vergleichs- und Abfindungsvereinbarung vom 01.01.2001 erloschen.
Als frühestmöglicher Zeitpunkt eines Anspruchsüberganges kommt hier August 2007 in Betracht, dem Zeitpunkt der ersten Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge durch den Bund. Das folgt aus dem Wortlaut des § 179 Abs. 1 a SGB VI. Danach gehen Schadensersatzansprüche, die wie hier auf anderen gesetzlichen Vorschriften als dem Sozialgesetzbuch oder den als dessen besonderer Teil geltenden Gesetzen beruhen (vgl. Wißing in jurisPK-SGB VI, § 179 SGB VI, Rn. 25), auf den Bund über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Erstattungsleistungen nach Abs. 1 Satz 1 und 3 des § 179 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB VI erbracht hat.
2. Im August 2007 bestanden keine übergangsfähigen Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegenüber der beklagten Versicherung. Sie waren durch die Zahlung weiterer 80.000 DM in 2001 durch die Beklagte an den Geschädigten C aufgrund der Vergleichs- und Abfindungserklärung vom 01.01. 2001 Vertreter abgegolten. Der in dieser Erklärung enthaltene Verzicht des Geschädigten auf alle derzeitigen und zukünftigen Ansprüche aus dem Schadensfall vom 07.02.1999, der von der beklagten Versicherung spätestens mit der Zahlung der 80.000 DM in 2001 angenommen wurde, ist inhaltlich gemäß §§ 133, 157 BGB als umfassende und abschließende Regelung zu verstehen. Er betraf damit auch einen eventuellen Anspruch des C auf Ersatz von zukünftigen Rentenversicherungsbeiträgen, die zur Begründung und Aufrechterhaltung seines Versicherungsschutzes notwendig waren und die er ohne das Schadensereignis vom 07.02.1999 selbst hätte erbringen können.
3. Da konkrete Anhaltspunkte für den Wegfall der Geschäftsgrundlage dieses Vergleichs oder für einen Verstoß der Vereinbarung gegen § 242 BGB nicht ersichtlich sind und von keiner der Parteien vorgetragen werden, muss sich das klagende Land diese vor August 2007 geschlossene Vereinbarung entgegen halten lassen. Ein anspruchsfähiger Ersatzanspruch war damit bei der ersten tatsächlichen Erstattungsleistung des Bundes im August 2007 nicht gegeben.
4. Eine Vorverlegung des Anspruchsübergangs analog § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X (so Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26.Aufl., Kap. 30 Rn. 152) auf den Zeitpunkt, in dem mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft zu rechnen war, der hier frühestens auf den 01.01.2001, dem Inkrafttreten des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI, angenommen werden könnte, ist abzulehnen (vgl. auch Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 11. Aufl. Rn. 758, S. 250; Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 3. Aufl., Rn. 1116, S. 337; Langenick/Vatter, Der Beitragsregress des Bundes gemäß § 179 I a SGB VI - eine notwendige Gesetzesvorschrift? in NZV 2005, S. 614; Lang, Anm. zu OLG Hamm, Urteil vom 30.05.20112 - 13 U 79/11, zitiert nach juris).
Dagegen spricht bereits der Wortlaut des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI, der zwar der Regelung des § 116 Abs. 1 SGB X nachgebildet ist, aber abweichend von § 116 Abs. 1 SGB X die Ersatzansprüche übergehen lässt, "soweit der Bund Erstattungsleistungen …. erbracht hat. Damit ist der Übergangszeitpunkt definiert auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung. Diese sprachlich klare Regelung ist für die Auslegung des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI maßgeblich und verbindlich (BGH 46, 76; OLG Hamm OLGZ 82, 481).
5. Für eine von dem eindeutigen Wortsinn der Gesetzesformulierung abweichende Interpretation des Übergangszeitpunktes in § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI entsprechend der Regelung des § 116 Abs. 1 SGB X ergeben sich auch aus der ansonsten inhaltlichen Übereinstimmung beider Vorschriften keinerlei Ansatzpunkte.
Dass § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI im Gegensatz zu § 116 Abs. 1 SGB X keinen Hinweis auf die notwendige zeitliche und sachliche Kongruenz zwischen Leistung und übergehende Schadensersatzanspruch enthält, obwohl auch diese Einschränkung des Anspruchsübergangs für § 179 Abs. 1 a Satz 1 SBG VI gilt, mag auf eine "Unsauberkeit bei der Gesetzesfassung" zurückzuführen sein (so Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 3. Aufl., Rn. 1130). Allein diese "Ungenauigkeit" rechtfertigt entgegen der Ansicht des Landgerichts aber keine Vorverlegung der Übergangsbestimmung gegen die semantisch eindeutige und konkrete Formulierung in § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI auf den in § 116 Abs. 1 SGB X auch sprachlich abweichend fixierten Übergangszeitpunkt.
Die Begrenzung der übergehenden Schadensersatzansprüche auf die Beträge "soweit" die Leistungen erbracht sind, ist für den vom Gesetzgeber gewollten Übergangszeitpunkt ohne Bedeutung. Sie beinhaltet eine bloße Regelung zur Höhe der übergehenden Erstattungsansprüche ohne Auswirkung auf den Zeitpunkt, in dem der Erstattungsanspruch dem Grunde nach übergeht. Dass Erstattungsansprüche nur übergehen, soweit eine Erstattung tatsächlich geleistet wurde, entspricht allgemeinen Rechtsgrundsätzen.
6. Eine vom klaren Wortlaut des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI abweichende Bestimmung des Übergangszeitpunktes ist auch nicht mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Gesetzeszweck zu begründen (vgl. BGH 87, 381/83; Palandt-Sprau, BGB, 72. Aufl., vor 1 Einl. 45, 46 m.w.N.).
Mit der Schaffung des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI wollte der Gesetzgeber sicher stellen, dass in den Fällen einer Drittschädigung Beiträge zur Rentenversicherung, die der Bund nach § 179 Abs. 1 Satz 1 SGB VI der Behinderteneinrichtung erstattet, diese gegen den Schädiger im Wege des Rückgriffs geltend gemacht werden können (BT-Drs. 14/4375 S. 54 zu Nr. 9 - § 179 SGB VI -).
Diese Regressmöglichkeit ergibt sich nicht bereits aus § 116 Abs. 1 SGB X, weil der Bund mit seinen Erstattungen nach § 179 Abs. 1 SGB VI keine Sozialleistungen im Sinne des § 11 SGB erbringt als Voraussetzung eines Anspruchsübergangs nach § 116 Abs. 1 SGB X.
Erst durch Einfügung des Absatzes 1 a in § 179 SGB VI wurde der Bund in die Lage versetzt, seine Erstattungsleistungen vom eigentlichen Schuldner ersetzt zu verlangen. Darin liegt eine Systemänderung insofern, als durch diese Legalzession eine "neue Schnittstelle" zwischen dem Sozialversicherungsrecht und dem zivilrechtlichen Schadensersatzrecht erstellt wurde (so Langenick in NZV 2007, 105)
Dahinter steht das Interesse der öffentlichen Kassen an effektiven Rückgriffsmöglichkeiten gegenüber Drittschädigern, dem der Gesetzgeber auf Anraten des Bundesrechnungshofs mit der Einführung des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI Rechnung getragen hat (vgl. BT-Drs. 14/4375 zu Nummer 9 (§ 179 SGB VI, S. 54). Allein dieses Interesse rechtfertigt es aber nicht, die Anwendung der Vorschrift des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI im Rahmen einer teleologischen Auslegung entgegen ihrem klaren Wortlaut maßgeblich nach dem Schutzinteresse der öffentlichen Kassen bzw. der Sozialversicherungsträger auszurichten, selbst wenn dieses Schutzinteresse höher zu bewerten wäre als der Schutz des Schuldners. Hierauf hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10, Rn. 21, zitiert nach juris) ausdrücklich hingewiesen.
Allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber von den beiden Möglichkeiten, den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs zu bestimmen, die für die öffentlichen Kassen ungünstigere gewählt hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Beide Möglichkeiten sind zulässig. Die Regelung des Übergangszeitpunktes in § 179 Abs.1 a Satz 1 SGB VI ist auch nicht zuletzt im Interesse des Geschädigten sachgerecht. Bei einer Vorverlegung des Anspruchübergangs entsprechend § 116 Abs. 1 SGB X würde der Geschädigte in seiner Entscheidung über die Organisation seine Heimunterbringung mit oder ohne Einschaltung von Sozialversicherern sehr frühzeitig eingeschränkt. Das könnte letztlich bei den meist schwerverletzten Geschädigten zu unbilligen Ergebnissen führen (vgl. Lang, a.a.O.).
Dafür, dass der Wortlaut der Regelung des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI dem Willen des Gesetzgebers entspricht, belegt schließlich auch der Umstand, dass die Formulierung des § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI seit seiner Einführung zum 01.01.2001 trotz mehrfacher Änderungen des § 179 SGB VI - zuletzt durch die Fassung vom 19.12.2007 - unverändert Bestand hat.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die vom Senat und dem Landgericht jeweils unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage, wann der Erstattungsanspruch nach § 179 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI übergeht, über den Einzelfall hinaus in einer Vielzahl von Fällen rechtliche Wirkung entfaltet. Da diese Frage bislang nicht höchstrichterlich geklärt wurde, erfordert die Rechtssicherheit die Entscheidung des Revisionsgerichts.