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OLG München Urteil vom 07.02.2014 - 10 U 3473/13 - Vorfahrtverletzung und Geschwindigkeitsüberschreitung des bevorrechtigten Fahrzeugs
OLG München v. 07.02.2014: Zur Haftungsverteilung bei Kfz-Unfall: Vorfahrtverletzung und Geschwindigkeitsüberschreitung des bevorrechtigten Fahrzeugs
Das OLG München (Urteil vom 07.02.2014 - 10 U 3473/13) hat entschieden:
Steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass das wartepflichtige Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt stand, der Vorfahrtsberechtigte dagegen mit einer zu hohen Ausgangsgeschwindigkeit fuhr und dieser bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Unfall räumlich und zeitlich hätte vermeiden sowie problemlos auf das langsame Einfahren und Stehenbleiben des Wartepflichtigen hätte reagieren können, so ist eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Vorfahrtsberechtigten angemessen.
Siehe auch Zu hohe Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten und Stichwörter zum Thema Vorfahrt
Gründe:
A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I.
Das Landgericht ist zu Unrecht von einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten ausgegangen. Bei Heranziehung der vom Landgericht ermittelten Tatsachen haftet der Kläger zu 2/3 des der Beklagtenpartei entstandenen berechtigten Schadens einschließlich Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten.
1. Zutreffend haben die Berufungsführer darauf hingewiesen, dass aufgrund der vom Erstgericht durchgeführten Beweisaufnahme (Anhörung, Zeugeneinvernahme, Sachverständigengutachten) feststeht, dass das beklagtische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt stand, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs mit einer zu hohen Ausgangsgeschwindigkeit fuhr und dieser bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Unfall räumlich und zeitlich hätte vermeiden sowie problemlos auf das langsame Einfahren und Stehenbleiben der Beklagten zu 2) hätte reagieren können.
Angesichts dieser Ausgangslage ist die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung zu Lasten der Beklagtenpartei nicht tragfähig (§ 17 Abs. 1 StVG). Der Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs gegen §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO erscheint im Hinblick auf die Unfallvermeidbarkeit und die doch deutlich überhöhte Geschwindigkeit als so schwerwiegend, dass die Klagepartei überwiegend haftet. Die von den Berufungsführern angenommene Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Klagepartei ist bei Beachtung der jeweiligen Verschuldensanteile der unfallbeteiligten Fahrer sachgerecht.
2. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Gründe des im Parallelverfahren ergangenen Endurteils des OLG München vom 05.04.2013 (Az.: 10 U 4938/12) Bezug genommen.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Zwar trägt die Klagepartei richtig vor, dass in den beiden Entscheidungen des KG vom 22.02.1988 und 17.11.2000 in ähnlich gelagerten Fällen eine Haftungsverteilung von 25 % zu Lasten des Vorfahrtsberechtigten und 75 % zu Lasten des Wartepflichtigen vorgenommen wurde. Im konkreten Fall ist jedoch nach Auffassung des Senats angesichts der Umstände (hohes Motorengeräusch des von der Klagepartei gefahrenen großvolumigen 8-Zylinder-Motors) davon auszugehen, dass eine Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von über 70 km/h vorgelegen haben muss. Dies steht im Einklang mit der vom Sachverständigen ermittelten Geschwindigkeit in einer Bandbreite von 64-79 km/h. Zwar ist grundsätzlich unter Beweislastgrundsätzen die untere Grenze einer Bandbreite zugrunde zu legen, anderes gilt aber, wenn es nicht zu einer Beweislastentscheidung kommt, weil aufgrund konkreter Anhaltspunkte - wie hier der Aussage des vom Landgericht als glaubwürdig eingeschätzten Zeugen Josef B. - eine höhere Geschwindigkeit als der Mindestwert nachgewiesen ist. Die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung betrifft im Übrigen geringere Geschwindigkeitsverstöße, während hier eine Geschwindigkeitsüberschreitung von über 40 % gegeben ist. Aus diesem Grund ist auch die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl. 2012, Rz. 15, nicht einschlägig.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.