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OLG München Urteil vom 25.04.2014 - 10 U 3357/13 - Kausalitätsgegenbeweis der fehlenden Relevanz der Obliegenheitsverletzung

OLG München v. 25.04.2014: Kein Kausalitätsgegenbeweis der fehlenden Relevanz der Obliegenheitsverletzung bei Arglist


Das OLG München (Urteil vom 25.04.2014 - 10 U 3357/13) hat entschieden:
Der Kausalitätsgegenbeweis der fehlenden Relevanz der Obliegenheitsverletzung für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht oder des Versicherungsfalles ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant arglistig gehandelt hat. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Ansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann.


Siehe auch Arglist und Obliegenheitsverletzung im Versicherungsregress und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Gründe:

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).


B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung des ersatzfähigen Schadens in Höhe von 5.666,39 € (Schaden 5.966,39 € abzüglich Selbstbeteiligung in Höhe von 300 €) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verneint.

1. Das Landgericht hat sich vorliegend mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, davon überzeugt, dass sich der Zeuge W. als Repräsentant der Klägerin in Kenntnis des Umstandes, dass ein erheblicher Fremdschaden am Metallzaun entstanden war, von der Unfallstelle entfernt hat. Bei einer Gesamtschau ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, die ja auch besagt, dass es dem Zeugen nicht glaubt, den Fremdschaden nicht bemerkt zu haben, nicht zu beanstanden. Zum Unfallzeitpunkt war es hell. Die Durchfahrtsbreite zwischen dem Ende des Erdwalls, gegen den der Pkw mit der rechten Front stieß und dem Zaun beträgt 6 m. Der PKW wurde durch den Erstanstoß so abgelenkt, dass er fahrerseitig auf das Ende des Zaunes mit dem Zaunpfosten zufuhr und an seiner linken Seite zunehmend gegen diesen gedrückt wurde, wodurch der Pfosten umknickte. Der Zaun befand sich vor der Kollision, wie sich der Anlage 1 zum Gutachten entnehmen lässt, im direkten Blickfeld des Fahrers. Es mag nun schon sein, dass man wegen überlagernder Kollisions- und Fahrgeräusche davon ausgeht, dass der Zeuge den Anstoß gegen den Zaun als solchen nicht visuell oder taktil wahrnahm. Er ging aber nach eigenen Angaben nach dem Unfall um das Fahrzeug herum, als er sich die Schäden anschaute. Der massive Schaden an der gesamten linken Fahrzeugseite (Fotoanlage B 13, Bilder 4, 5, 8), insbesondere die tiefe Eindellung der Tür war nicht zu übersehen und schon deshalb ist eine Überzeugungsbildung möglich, dass der Zeuge erkannte, dass er mit der linken Seite gegen einen höheren Gegenstand gestoßen war. An der Unfallstelle (Wiese im April) kommt, so auch das Gutachten, hierfür allein der Zaunpfosten samt Zaun in Betracht. Die Beschädigung war auch bei einem nur flüchtigen Blick erkennbar, befand sich das Heck des Pkw auch bei Ansetzen der sich nach den Angaben des Zeugen ergebenden Toleranzen nur 2,5 m bis 12,5 m vom umgeknickten Pfosten nebst umherhängendem Zaun (Fotos 7, 8 Anlage B 1) entfernt und zudem lagen in unmittelbarer Nähe des Zaunes abgerissene Plastikteile vom Pkw (Foto 8 Anlage B 1). Zutreffend ging das Landgericht auch davon aus, dass sich der Zeuge, um rückwärts auszufahren, entweder über die Außenspiegel oder bei Blick nur in den rechten Außenspiegel bereits vor der Rückwärtsfahrt über den Fahrweg vergewisserte, lag doch eine längere unebene, stark abfallende Wegstrecke vor ihm (Ergänzungsgutachten S. 4, 5 = Bl. 118 d.A.). Hierbei fuhr er unmittelbar an dem der Fahrerseite zugewandten beschädigten Zaun vorbei, seinen Angaben nach geradeaus rückwärts, was aber, wie sich aus Anlage 1 zum Gutachten ergibt, ohne entsprechende Lenkvorgänge zu einer erneuten Kollision mit dem Zaun geführt hätte. Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht sich davon überzeugte, dass der Zeuge den offensichtlichen Fremdschaden wahrgenommen hat.

2. Die unterbliebene Mitteilung gegenüber der Beklagten, dass beim Unfall auch ein Pfosten des Wildschutzzaunes umgeknickt und der Zaun beschädigte wurde und die weiter unzutreffende Angabe, dass es keine Verletzten gegeben habe, führt vorliegend im Ergebnis auch zur Leistungsfreiheit der Beklagten.

a) Das Landgericht ging auf Grund der bereits in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass sich der Sohn der Klägerin mangels feststellungsbereiter Personen nach Ablauf der Wartefrist berechtigt vom Unfallort entfernen durfte. Einwendungen gegen dieses Beweisergebnis wurden nicht erhoben.

b) Zutreffend ist weiter, dass der Sohn der Klägerin die erforderlichen Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich gem. § 142 II Nr. 1 StGB ermöglich hat. Indessen führt nicht jeder Verstoß gegen § 142 II StGB zur Leistungsfreiheit.

(1) Eine nachträgliche Mitteilung ist dann noch unverzüglich im Sinne von § 142 II StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit notwendigen Feststellungen treffen zu können. Weiteres Zögern ist also vorwerfbar, wenn es geeignet ist, den Beweiswert dieser notwendigen Feststellungen zu beeinträchtigen. Das ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Insoweit können Fahrtauglichkeit und Alkoholisierung von Bedeutung sein, müssen es aber nicht stets. Unfallzeitpunkt, Schadenhöhe und Erreichbarkeit des Berechtigten sind weitere Kriterien. Bei nächtlichen Unfällen mit eindeutiger Haftungslage kann die Unverzüglichkeit je nach Sachverhalt noch zu bejahen sein, wenn der Unfallbeteiligte die Feststellungen bis zum frühen Vormittag des darauf folgenden Tages ermöglicht hat (OLG Köln VRS 64, 116, 118 f.; OLG Hamm VRS 61, 263, 265; BayObLG VRS 58, 406). Das Aufklärungsinteresse des Versicherers wird durch einen Verstoß gegen § 142 II StGB nicht in jedem Falle beeinträchtigt, weil ein Handeln des Versicherungsnehmers unter Umständen noch zu einem Zeitpunkt genügt, zu dem Erkenntnisse bezüglich des Unfalls nicht mehr in gleicher Weise zu gewinnen sind. Dann sind die Interessen des Versicherers durch die unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten (OLG Karlsruhe VersR 2002, 1021). Der Versicherungsnehmer, der seinen Versicherer zu einem Zeitpunkt informiert, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit nach § 142 II StGB noch hätte abwehren können, verletzt deshalb allein durch die unterlassene Erfüllung der Pflicht nach §142 II StGB keine Aufklärungsobliegenheit (BGH VersR 2013, 175).

(2) Vorliegend erfolgte eine Unterrichtung der Beklagten zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem auch durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit gem. § 142 II StGB noch hätte abgewehrt werden können.

c) Die Unterrichtung der Beklagten war aber mit einer Obliegenheitsverletzung verbunden, die vorliegend auch zu deren Leistungsfreiheit führt.

(1) Der als Zeuge vernommene Sohn der Klägerin bestätigte im Termin vom 04.04.2014, dass er den Zeugen N., der seinerzeit eine Versicherungsagentur betrieb, am Morgen des 18.04.2011 gegen 08.00 Uhr oder 09.00 Uhr davon unterrichtete, dass er einen Unfall hatte, sich darauf ins Büro des Zeugen N. begab, der die Sachbearbeiterin der Beklagten unterrichtete, welche die Fahrzeugbesichtigung durch den Sachverständigen P. veranlasste. Der Sohn der Klägerin gab hierbei zwar an, dass er an der Unfallstelle, weil er die Kurve übersehen habe, mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h von der Fahrbahn in die angrenzende Wiese abgekommen sei und der Pkw an einem Erdwall erheblich beschädigt worden sei. Einen Fremdschaden verneinte der Sohn der Klägerin trotz Nachfrage und gab den von ihm bemerkten Schaden am Wildschutzzaun nicht an. Der Sohn der Klägerin als deren Repräsentant hat damit wie auch bei Beantwortung des ihm später nebst Belehrung gemäß § 28 IV VVG zugesandten Fragebogens gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, die Fragen nach den Umständen des Schadensfalles wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Weiter hat er im Fragebogen angegeben, dass es keine Verletzten gegeben habe, obwohl er sich noch am 18.04.2011 wegen der beim Unfall erlittenen Verletzungen in ärztliche Behandlung begab. Wegen des Unfallherganges bestand ein Aufklärungsinteresse der Beklagten auch hinsichtlich seiner Fahrtüchtigkeit. Die Geschwindigkeit an der Unfallstelle ist durch einen Geschwindigkeitstrichter auf zuletzt 40 km/h beschränkt, die Straßen- und Sichtverhältnisse waren gut und die Kollisionsgeschwindigkeit mit dem Erdwall betrug nach dem Ergebnis des Gutachtens 56 km/h bis 60 km/h trotz Bremsung. Auch der Zeuge N. gab an, dass das Abkommen von der Fahrbahn an der Unfallstelle angesichts der Beschilderung nicht verständlich ist.

(2) Der Kausalitätsgegenbeweis der fehlenden Relevanz der Obliegenheitsverletzung für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht oder des Versicherungsfalles ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant arglistig gehandelt hat, vgl. E 6.2. Satz 2 AKB (inhaltsgleich § 28 III 2 VVG), wovon der Senat vorliegend auf Grund der Häufung der unzutreffenden Angaben ausgeht. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Ansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH VersR 2009, 968). Für die Beurteilung des Handelns des Versicherungsnehmers kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem dieser die Obliegenheit verletzt, hier also die Zeit, zu der der Zeuge W. seiner Pflicht aus § 142 II StGB am Vormittag des 18.04.2011 noch hätte nachkommen können und die Beantwortung des Fragebogens.

Der Zeuge hat trotz ausdrücklicher Frage einen Fremdschaden am 18.04.2011 bei Beantwortung des Fragebogens in Abrede gestellt und zudem gab er wahrheitswidrig an, nicht verletzt worden zu sein. Die zeitnahe Kenntnis der Versicherung, dass ein Fremdschaden entstand und der Zeuge verletzt wurde und sich noch am 18.04.2011 in ärztliche Behandlung begab, hätte der Beklagten auch weitere Aufklärungsmöglichkeiten verschafft und Anlass für konkrete Nachfragen und Ermittlungen zur Art und Schwere der Verletzung, deren Vereinbarkeit mit dem behaupteten Unfallhergang und dem Zustand des Zeugen hinsichtlich seiner Fahrtauglichkeit gegeben, was durch das Verhalten des Zeugen vereitelt wurde.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.