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OLG Düsseldorf Urteil vom 24.05.2011 - I-22 U 36/11 - Abweichung zwischen der in einem Internetinserat angegebenen und der tatsächliche Laufleistung
OLG Düsseldorf v. 24.05.2011: Zur Gewährleistung bei Abweichung zwischen der in einem Internetinserat angegebenen und der tatsächliche Laufleistung
Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 24.05.2011 - I-22 U 36/11) hat entschieden:
Die Abweichung zwischen der in einem Internetinserat angegebenen Laufleistung eines Fahrzeugs von 36.000 Meilen von der tatsächlichen Laufleistung von mindestens 93.610 Meilen stellt einen erheblichen und unbehebbaren Sachmangel dar. Der Kaufwillige kann und darf davon ausgehen, dass eine ohne Einschränkung oder deutlichen gegenteiligen Hinweis gemachte Kilometerangabe sich auf die für ihn entscheidende Laufleistung des Fahrzeugs und nicht auf den Tachometerstand bezieht.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Gebrauchtwagenkauf
Gründe:
I.
Die zulässige Berufung hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin war nach § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB berechtigt, vom Kaufvertrag zurückzutreten, weil das Fahrzeug mangelhaft ist, mit der Folge, dass sie gemäß § 346 Abs.1 BGB nicht nur die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs unter Abzug ihrer Nutzungen, sondern auch Ersatz ihrer Aufwendungen gemäß § 347 Abs. 2 BGB verlangen kann. Die Abweichung zwischen der im April 2010 ausweislich der im 1nternetinserat angegebenen Laufleistung von 56.900 km bzw. 36.000 Meilen und der tatsächlichen Laufleistung von mindestens 93.610 Meilen (Stand: März 2009) stellt, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, einen - Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1, 3 BGB dar, der nicht unerheblich ist (§ 323 Abs. 5 BGB).
1. Entgegen der Ansicht der Berufung ist es nicht zweifelhaft, dass ein Sachmangel vorliegt. Selbst wenn eine Laufleistung von 36.000 Meilen nicht bereits unmittelbar zwischen den Parteien gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB vereinbart worden sein sollte, kann die übliche und die zu erwartende Beschaffenheit auch durch öffentliche Äußerungen des Verkäufers geprägt werden. Denn gemäß § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB gehören zu der vereinbarten Beschaffenheit im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch solche Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann. Danach ist davon auszugehen, dass die Parteien eine Laufleistung des Fahrzeugs und nicht etwa einen Stand des Tachometers von 56.900 km (entspricht ca. 36.000 Meilen) vereinbart haben. Die Beklagte hat in der Beschreibung des Fahrzeugs in der Internetplattform xxx unstreitig einen „Kilometerstand: 56.900 km" angegeben. Eine entsprechende Angabe von 36.000 Meilen findet sich zudem auf der Garantiekarte und der Rechnung. Eine solche Kilometerangabe ist aus der maßgeblichen Sicht eines Kaufinteressenten nicht als Wiedergabe des Tachometerstands, sondern als Angabe der Laufleistung zu verstehen. Dem Kaufwilligen kommt es, wie allgemein bekannt ist, nicht auf den Tachometerstand, sondern auf die Laufleistung an. Er kann und darf daher davon ausgehen, dass eine ohne Einschränkung oder deutlichen gegenteiligen Hinweis gemachte Kilometerangabe sich auf die für ihn entscheidende Laufleistung des Fahrzeugs bezieht (zu vgl. BGH, NJW 2007, 1346, 1347 m.w.N.; H. P. Westermann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2008, § 434 Rn. 58a).
An diese als öffentliche werbende Äußerung im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BGB anzusehende (zu vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 7 U 219/05, Rn. 3, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. April 2007, 1-12 U 113/06, BeckRS 2007, 13301) Angabe wäre die Beklagte — wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat — nur dann nicht gebunden, wenn sie die entsprechende Erklärung vor Vertragsschluss gegenüber dem Käufer ausdrücklich und in gleichwertiger Weise berichtigt hätte (§ 434 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2). Die Beweislast für eine solche Berichtigung trifft entgegen der Ansicht der Berufung — wie sich auch aus der Gesetzesformulierung „es sei denn" und den Gesetzgebungsmaterialien (zu vgl. BT-Drucksache 14/6040, S. 214) ohne weiteres ableiten lässt - insoweit nach allgemeiner Ansicht den Verkäufer (zu vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1329, 1331; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 434 Rn. 38; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl. 2009, Rn. 1343; Matusche-Beckmann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 434 Rn. 88; H. P. Westermann, a.a.O., § 434 Rn. 27).
Dies geht hier zu Lasten der Beklagten. Soweit das Landgericht auf der Grundlage seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO festgestellt hat, dass die Beklagte nicht bewiesen habe, dass sie die Klägerin und deren Ehemann über die tatsächlich höhere Laufleistung vor Vertragsschluss informiert habe, gehen die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung fehl. Sie stellen sich vielmehr als unzulässiger Versuch dar, die eigene Beweiswürdigung an diejenige des Landgerichts zu setzen. Denn gemäß § 286 ZPO ist der Richter lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden, ansonsten darf er die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten (zu vgl. Greger, in: Zoller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 286 Rn. 13 m.w.N.). Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Derartige konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (zu vgl. BGH, NJW 2004, 1876). Ein Verfahrensfehler liegt insbesondere vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind, d.h., wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (zu vgl. BGH, NJW 2004, 1876). Solche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, werden von der Berufung nicht aufgezeigt und liegen nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Berufung sind die Aussagen der von der Klägerseite benannten Zeugen — wie bereits das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - nicht ohne weiteres glaubhaft, nachvollziehbar und ohne Widersprüche; hinzukommt, dass der von der Beklagten vorgetragene und von den Zeugen geschilderte Ablauf der Vertragsverhandlungen nicht plausibel ist. Schließlich steht jedenfalls die Aussage des Zeugen Q denjenigen der von der Klägerin benannten Zeugen entgegen:
Der Aussage des Bruders des Geschäftsführers der Beklagten, des Zeugen Q kann nicht gefolgt werden, weil sie in einem entscheidenden Detail in deutlichen Widerspruch zum Vortrag der Beklagten steht. Nach dem Vortrag der Beklagte soll der Tacho — wodurch es zu den unterschiedlichen Angaben zum Kilometerstand gekommen sein soll — ausgetauscht worden sein, weil es von den Kunden lieber gesehen werde, wenn ein Tachometer in deutscher Sprache vorhanden sei, während der Zeuge dies damit erklärt hat, dass der Tacho defekt gewesen sei. Dass hierüber gesprochen worden sei, hat er mehrmals betont, so dass es sich entgegen der Ansicht der Berufung nicht lediglich um eine Erinnerungslücke handelte. Im Übrigen wäre auch die Aufklärung, die der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber der Klägerin über den wahren Tachostand nach Angaben des Zeugen vorgenommen haben soll, ebenfalls unzureichend gewesen; denn es ist angesichts des zeitlichen Ablaufs davon auszugehen, dass die von dem Zeugen als richtigen Tachostand angegebenen 90.000 bis 96.000 Meilen nicht (mehr) dem wahren Tachostand beim Verkauf entsprachen, da das Fahrzeug, seitdem dieser Tachostand erreicht war, über ein Jahr weiter gefahren worden war und die Klägerin nicht darüber aufgeklärt wurde, wann der Tacho ausgetauscht wurde.
Zwar haben auch die Zeugen N und W erklärt, dem Zeugen Q sei eine Kopie des Carfaxes ausgehändigt worden. Da das Carfax aber allenfalls einen Kilometerstand von 93.610 Meilen ausgewiesen haben kann, ist nicht erklärlich, warum der Zeuge Q damals nach Angaben des Zeugen N die Aussage getätigt haben soll, für 96.000 Meilen sehe das Auto aber noch gut aus. Diesen Aussagen steht jedenfalls die diese Angaben verneinende Aussage des Zeugen Q gegenüber, die nicht weniger glaubhaft ist. Im Gegenteil haben die Beklagte und die von ihr benannten Zeugen keine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben, warum die Beklagte in drei Dokumenten — im Inserat, in der Rechnung und im Garantievertrag — falsche Angaben zur Laufleistung gemacht hat, obwohl dies von ihr aufgrund der ihr vorliegenden Dokumente (Carfax und Certificate of Title) ohne Weiteres von Anfang an hätte richtig gestellt werden können. Erst recht fehlt eine plausible Begründung dafür, dass sie trotz angeblich vorgenommener Aufklärung über ihre Falschangaben vor Vertragsschluss sowohl in der Rechnung als auch in der Garantieerklärung immer noch bei den falschen Angaben geblieben ist und diese nicht entsprechend ihrer Aufklärung angepasst hat, zumal nichts näher gelegen hätte, sich eine entsprechende Kenntnis der Käuferin bzw. ihres Vertreters zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten schriftlich bestätigen zu lassen.
2. Einer Fristsetzung zur Nacherfüllung bedurfte es nicht. Eine Nachbesserung war unmöglich, weil es sich bei der Abweichung zwischen der vereinbarten und der tatsächlichen Laufleistung um einen unbehebbaren Mangel handelt. Die Nachlieferung eines anderen, gleichwertigen Fahrzeugs scheidet zwar nicht schon deshalb aus, weil es sich um einen Stückkauf handelt. Jedoch ist beim Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs die Lieferung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs nur ausnahmsweise möglich (zu vgl. BGH, NJW 2007, 1346, 1347 f.; BGH, NJW 2006, 2839, 2840). Ob eine Ersatzlieferung in Betracht kommt, ist nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien zu beurteilen. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens ist in der Regel erst der bei einer persönlichen Besichtigung gewonnene Gesamteindruck von den technischen Eigenschaften, der Funktionsfähigkeit und dem äußeren Erscheinungsbild des individuellen Fahrzeugs ausschlaggebend für den Entschluss des Käufers, das konkrete Fahrzeug zu kaufen, das in der Gesamtheit seiner Eigenschaften dann nicht gegen ein anderes austauschbar sein soll. Angesichts der vielfältigen Unterschiede im Abnutzungsgrad gebrauchter Sachen — auch gleichen Typs — ist Zurückhaltung bei der Annahme geboten, dass beim Kauf einer gebrauchten Sachen auch die Lieferung einer anderen Sache dem Parteiwillen entspreche (zu vgl. BGH, NJW 2006, 2839, 2841). Umstände, welche die Annahme eines solchen Ausnahmefalls (zu vgl. BT-Drucksache 14/6040, S. 232) nahelegen könnten, sind nicht ersichtlich und insbesondere von der Beklagten nicht vorgetragen. Zudem ist von einer ernsthaften und endgültigen Verweigerung einer Nacherfüllung auch im Wege der Ersatzlieferung seitens der Beklagten auszugehen. Im Übrigen ist das Verhalten der Beklagten auch als arglistige Täuschung zu werten, die eine Nachfristsetzung entbehrlich macht.
II.
Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Die Beklagte erhält Gelegenheit, innerhalb von 2 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses zu den vorstehenden Hinweisen Stellung zu nehmen und gegebenenfalls die Berufung zurückzunehmen.