Das Verkehrslexikon
Amtsgericht München Beschluss vom 13.08.2014 - 345 C 5551/14 - Aufzeichnungen mit einer Dash-Cam unterliegen einem Beweisverwertungsverbot
AG München v. 13.08.2014: Private Aufzeichnungen mit einer Dash-Cam unterliegen einem Beweisverwertungsverbot
Das Amtsgericht München (Beschluss vom 13.08.2014 - 345 C 5551/14) hat entschieden:
Zwar ist der Zweck der Autokamera, die Sicherung von Beweismitteln im Falle möglicher Verkehrsunfälle, hinreichend konkret, es überwiegen allerdings die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an der Wahrung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Deshalb unterliegen private Videoaufnahmen mit einer Dashcam bzw Carcam einem Verwertungsverbot im Zivilprozess.
Siehe auch Ungenehmigte Video-und Foto-Personenaufnahmen und deren Verwertung und Stichwörter zum Thema Beweisprobleme
Gründe:
Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Verwertbarkeit solcher Aufnahmen von den jeweils schutzwürdigen Interessen der Parteien ab, die gegeneinander abzuwägen sind (vgl. AG München, Urteil vom 06. 06. 2013, Az. 343 C 4445/13, Ziffer 13; BVerfG NJW 2002, 3619; vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 371, Vorbemerkung, Rn 6). Indizwirkung hat dabei auch der Verstoß gegen einfachgesetzliche Normen. Verbotswidrig erlangte Beweismittel sind nur ausnahmsweise verwertbar, nämlich wenn der geschützten Eigensphäre überwiegende berechtigte Interessen gegenüberstehen.
Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine in einem PKW installierte Autokamera („Car-Cam“ bzw. „Dash-Cam“) verstößt gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG sowie gegen § 22 S. 1 KunstUrhG und verletzt den Beklagten in seinem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Es liegen auch keine überwiegenden Interessen des Beweisführers vor, die die Verwertung dieser rechtswidrig erlangten Beweismittel erlauben würden.
1. Verstoß gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG
Die anlasslose Verwendung der Autokamera verstößt gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG.
Das Bundesdatenschutzgesetz bezweckt gem. § 1 Abs. 1 BDSG den Schutz des Einzelnen vor Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsrechts. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG gilt das BDSG dabei auch für nicht-öffentliche Stellen, insbesondere für natürliche Personen, vgl. § 2 Abs. 4 S. 1 BDSG.
Gem. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Franzen, BDSG, § 6b,Rn 4 ff.).
Zwar ist der Zweck der Autokamera, die Sicherung von Beweismitteln im Falle möglicher Verkehrsunfälle, hinreichend konkret, es überwiegen allerdings die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an der Wahrung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (dazu Nr. 3). Die Zulassung solcher Videos als Beweismittel durch die Zivilgerichte würde zweifellos zu einer weiten Verbreitung oder sogar standardmäßigen Ausstattung mit Carcams führen. Was mit den so gefertigten Aufzeichnungen geschieht und wem diese zum Beispiel über eine Cloud zugänglich gemacht werden, wäre jeglicher Kontrolle insbesondere durch die aufgezeichneten Personen entzogen. Ebenso wäre eine Auswertung durch eine entsprechende Gesichtserkennungssoftware jeder Kontrolle entzogen. Damit wäre eine privat organisierte dauerhafte und flächendeckende Überwachung sämtlicher Personen, welche am öffentlichen Verkehr teilnehmen, denkbar. Im Gegensatz zur dauerhaften Offenbarung privater Daten in Diensten wie Facebook, wo dies von den Teilnehmern freiwillig geschieht, wäre dieser Datensammlung jedermann ausgesetzt, der sich in die Öffentlichkeit begibt.
2. Verstoß gegen § 22 S. 1 KunstUrhG
Die anlasslose Verwendung der Autokamera verstößt ferner gegen § 22 S. 1 KunstUrhG.
Danach dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Eine Ausnahme besteht nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG für Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen.
Der permanente Einsatz der Autokamera führt auch zur Erstellung von Fotografien derjenigen Personen, die außerhalb des KFZ des Verwenders am Straßenverkehr beteiligt sind, sei es als Insassen eines anderen KFZ, sei es etwa als Fußgänger. Sinn und Zweck der Erstellung dieser Bildnisse ist die Beweisführung in einer möglichen Gerichtsverhandlung, die gem. § 169 S. 1 GVG öffentlich ist.
Ein Ausnahmetatbestand liegt nicht vor, insbesondere sind die abgebildeten Personen nicht bloßes „Beiwerk“, sondern ihre Aufzeichnung ist im Gegenteil gerade das Ziel des Verwenders (vgl. OLG Frankfurt a. M. MMR 2004, 683 f.; Beck´scher Online-Kommentar Urheberrecht/Engels, KunstUrhG, § 23, Rn 13 „Hauptmotiv“). Zwar haftet gem. § 7 StVG der Halter eines KFZ ohne Rücksicht auf seine Person, so dass sich das Interesse insoweit auf ein Fotografieren des KFZ-Kennzeichens reduzieren dürfte. Allerdings hat der Verwender regelmäßig auch ein Interesse daran, die Person des Fahrzeugführers ausfindig zu machen, etwa um Ansprüche gem. § 18 StVG oder § 823 BGB geltend zu machen. Insbesondere bei Radfahrern und Fußgängern ist § 823 BGB alleinige Anspruchsgrundlage.
Jedenfalls aber erstreckt sich die Befugnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird, Abs. 2. Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs und der an ihm beteiligten oder sogar unbeteiligten Personen verletzt die Betroffenen jedoch in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (dazu sogleich Nr. 3).
3. Verletzung des Betroffenen in seinem Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG
a. Schutzbereich
Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) umfasst das Recht am eigenen Bild (BVerfGE 87, 334 ff.; 97, 228 ff.; 120, 180 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn 45).
Grundrechtsträger sind Inländer wie Ausländer (Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn 6 ff.).
b. Eingriff
Durch die unbefugte Erstellung von Fotoaufnahmen wird in dieses Grundrecht eingegriffen. Zwar binden die Grundrechte primär die staatliche Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG), allerdings strahlen die Grundrechte über die Figur der „mittelbaren Drittwirkung“ in das Privatrecht ein und sind hier insbesondere für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe heranzuziehen (BVerfGE 7, 198 ff. „Lüth-Urteil“ BVerfGE 39, 67 ff.; BVerfGE 89, 214 ff. (st. Rspr.); Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn 52 ff.). Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung ist daher insbesondere im Rahmen der Prüfung von § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG und § 22 S. 1, 23 Abs. 2 KunstUrhG in die Abwägung mit einzustellen.
c. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Der Eingriff kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Die Interessen des Verwenders der Autokamera überwiegen nicht diejenigen des Betroffenen.
Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung kann insbesondere durch konkurrierende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden (Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn 58 ff.; 60 ff.). Als ein solches Grundrecht kommt hier das Interesse des Verwenders an einer fairen Handhabung des Beweisrechts in Betracht (Art. 20 Abs. 3 GG vgl. BVerfG NJW 2011, 2783 ff., 2785: „Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln (…).“ vgl. Bachmeier, DAR 2014, 21; vgl. auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK).
Dieses Interesse ist in seinem Grundsatz auch legitim, da sich gerade im Verkehrsrecht mitunter erhebliche Beweisprobleme und -Schwierigkeiten ergeben können, wenn etwa Mitfahrer als Zeugen zu vernehmen sind etc.
Gleichwohl vermag es nicht generell das Informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu überwiegen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3279:
„Allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege reicht aber nicht, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Vielmehr müssen weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist.“).
Das Beweiserhebungsinteresse überwiegt jedenfalls dann nicht die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine gerichtliche Beweisführung wegen einer erheblichen Beeinträchtigung in naher Zukunft unmittelbar erforderlich wird.
So hat der BGH entschieden, dass die permanente, verdachtslose Überwachung des Zugangs zu einem Wohnhaus das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen selbst dann verletzt, wenn die Aufzeichnungen nicht verbreitet werden sollen (BGH NJW 1995, 1955 ff., 1957:
„Gegenüber (…) gänzlich unbeteiligten Dritten könnte ein derartiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber höchstens dann zulässig sein, wenn schwerwiegenden Beeinträchtigungen (…), etwa Angriffen auf ihre Person oder ihre unmittelbare Wohnsphäre, nicht in anderer Weise zumutbar begegnet werden könnte.“;
vgl. auch Bachmeier, DAR 2014, 18). Eine Videoüberwachung in der Tiefgarage einer WEG kann nicht mehrheitlich beschlossen werden, da diese gegen das Persönlichkeitsrecht der Wohnungseigentümer verstößt (LG Müchen I, Urteil vom 11. 11. 2011, Az. 1 S 12752/11).
Entsprechend verfährt die Rechtsprechung zur Problematik der Videoüberwachung am Arbeitsplatz (vgl. nur BAG, Urteil vom 21. 06. 2012, Az. 2 AZR 153/11 Ziffer 30:
„Danach ist die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (…).“; vgl. ferner LAG Hamm, Urteil vom 30. 10. 2012, Az. 9 Sa 158/12; LAG Mainz, Urteil vom 23. 05. 2013, Az. 2 Sa 540/12).
Die bloße Möglichkeit des Notwendigwerdens einer Beweisführung aufgrund der generellen Gefährlichkeit des Straßenverkehrs genügt diesen Anforderungen nicht.
4. Ergebnis
Auch wenn die Verwendung von Autokameras immer beliebter wird, können die durch sie erlangten Fotografien nicht als zivilprozessuales Beweismittel verwertet werden, da diese Aufnahmen in aller Regel unter Verletzung des Grundrechts der Betroffenen auf Informationelle Selbstbestimmung gewonnen wurden, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Selbst wenn man davon ausgeht, manche Bürger seien in Zeiten sozialer Netzwerke ohnehin mit der Preisgabe persönlicher Informationsgehalte einverstanden bzw. sie hätten sich in Ermangelung einer Alternative hiermit abgefunden, vermag dieser „(…) Verzicht auf Persönlichkeitsrechte jene Bürger, die sie weiterhin schützen wollen, nicht zu binden.“ (Bachmeier, DAR 2014, 21).
Die Alternative zu dieser Ansicht der Gerichts würde konsequenterweise bedeuten, dass jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem PKW, sondern etwa auch an seiner Kleidung befestigen könnte, jedermann permanent gefilmt und überwacht würde und so das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung praktisch aufgegeben würde.