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OVG Münster Beschluss vom 05.03.2014 - 16 B 1469/13 - Wohnsitzerfordernis und Nichtanerkennung einer polnischen Fahrerlaubnis im Inland

OVG Münster v. 05.03.2014: Zum Wohnsitzerfordernis und Nichtanerkennung einer polnischen Fahrerlaubnis im Inland


Das OVG Münster (Beschluss vom 05.03.2014 - 16 B 1469/13) hat entschieden:
Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der unionsrechtlichen Ausstellungsvoraussetzungen in eigener Kompetenz nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag seiner Ausstellung die dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllte. Dem Aufnahmemitgliedstaat ist es nur dann nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung sein Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte.


Siehe auch Das Wohnsitzprinzip bei der Erteilung eines EU-Führerscheins und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Gründe:

Das Begehren der Antragstellerin ist als Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zulässig und begründet.

Nach der genannten Bestimmung können im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Entscheidungen wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände geändert oder aufgehoben werden. Veränderte Umstände in diesem Sinne können sich unter anderem daraus ergeben, dass nach dem Ergehen der Eilentscheidung eine bis dahin umstrittene entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in einem anderen Sinne geklärt wird, als dies bei Prüfung der Erfolgsaussichten im vorangegangenen Verfahren zugrunde gelegt wurde.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. August 2004 - 1 BvR 1446/04 -, NVwZ 2005, 438 = juris, Rn. 19; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt-Kommentar, Stand: April 2013, § 80 Rn. 585.
Das ist hier der Fall. Der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts beruht tragend auf der Annahme, dass es nach der im Vergleich zur vorherigen zweiten EU-Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) geänderten Bestimmung des Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der (dritten) Richtlinie 2006/126/EG nicht mehr darauf ankomme, ob dem Inhaber einer EU-/EWR-Fahrerlaubnis ein Verstoß gegen das Erfordernis eines Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat nachgewiesen werden kann. Dieser früher auch vom Senat in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vertretenen Auffassung hat der Europäische Gerichtshof zwischenzeitlich eine Absage erteilt, indem er festgestellt hat, dass die von ihm zur Richtlinie 91/439/EWG entwickelten Grundsätze auf die Richtlinie 2006/126/EG zu übertragen sind.
Vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - C-419/10 (Hofmann) -, Tz. 44, 47 und 52 ff., NJW 2012, 1935 = DAR 2012, 319 = Blutalkohol 49 (2012), 256 = juris.
Die damit erfolgte Klärung der Rechtslage führt auch zu einer Änderung des ergangenen Eilbeschlusses. Die Feststellung, dass die von der Antragstellerin am 27. Januar 2010 erworbene polnische Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Gültigkeit besitzt, verstößt nach gegenwärtigem Erkenntnisstand gegen zwingende unionsrechtliche Vorgaben, so dass die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt.

Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EGwerden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine (Fahrerlaubnisse) gegenseitig anerkannt. Dabei regelt das Unionsrecht selbst die Mindestvoraussetzungen, die für die Ausstellung eines Führerscheins bzw. die Erteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. Insoweit muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG die Fahreignung durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden; darüber hinaus hängt die Ausstellung des Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder dem Nachweis eines mindestens sechsmonatigen Studienaufenthalts im Ausstellermitgliedstaat ab (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e). Als ordentlicher Wohnsitz im Sinne der Richtlinie gilt nach Art. 12 der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Maßnahmen des sog. Aufnahmemitgliedstaats, die an ein Verhalten anknüpfen, das zeitlich vor der Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis lag, sind nach der zunächst für die Richtlinie 91/439/EWG entwickelten und nunmehr auf die Richtlinie 2006/126/EG übertragenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur sehr eingeschränkt zulässig. In der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs sehen sowohl Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG als auch Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine (Fahrerlaubnisse) ohne jede Formalität vor. Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, namentlich diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind. Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der unionsrechtlichen Ausstellungsvoraussetzungen in eigener Kompetenz nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag seiner Ausstellung die dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllte. Dem Aufnahmemitgliedstaat ist es durch Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG bzw. Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG nur dann nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung sein Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte.
Std. Rspr., vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2012- C-419/10 (Hofmann) -, a. a. O. (Tz. 43 bis 51, 65 und 85, mit weiteren Nachweisen betreffend die 2. EU-Führerscheinrichtlinie.
Die danach gegebenenfalls erforderliche Prüfung, ob bestimmte Informationen als aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührend eingestuft werden können, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Sache der nationalen Gerichte. Diese müssen die ihnen vorliegenden Informationen bei Bedarf auch dahin bewerten und beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handelt, die beweisen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er ihn erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung können die nationalen Gerichte alle Umstände des bei ihnen anhängigen Verfahrens berücksichtigen. Sie können dabei insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass die erlangten Informationen darauf hinweisen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellermitgliedstaats nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen.
Vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10 (Akyüz) -, Tz. 73 ff., NJW 2012, 1341 = DAR 2012, 192 = Blutalkohol 49 (2012), 154.
Davon ausgehend durfte die Antragsgegnerin der außerhalb einer Sperrfrist erworbenen polnischen Fahrerlaubnis der Antragstellerin nach derzeitigem Kenntnisstand nicht die Anerkennung versagen. Es fehlt bislang an vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen, die beweisen, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis am 27. Januar 2010 ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen hatte. Verwertbare, d. h. aus dem Ausstellerstaat stammende Kenntnisse über die Wohn- und Meldeverhältnisse der Antragstellerin im zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrerlaubniserwerb liegen noch nicht vor. Allerdings bietet der Umstand, dass sich die Antragstellerin ausweislich eines Melderegisterauszugs der Stadt I. am 16. Dezember 2009 nach Polen abgemeldet und bereits nach eineinhalb Monaten - also deutlich weniger als den erforderlichen 185 Tagen - wieder unter ihrer vormaligen Anschrift G....straße 48 in I. angemeldet hat, hinreichenden Anlass für eine weitere Aufklärung in Polen. Derartige Ermittlungen des Gerichts würden sich folglich nicht als mit Blick auf den gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz unzulässige Ermittlungen "ins Blaue" darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Februar 2010 - 3 C 15.09 -, BVerwGE 136, 149 = NJW 2010, 1828 = DAR 2010, 340 = NZV 2010, 321 = juris, Rn. 23, und 3 C 16.09, NWVBl. 2010, 267 = VRS 119 (2010), 58 = juris, Rn. 24.
Darüber hinaus fällt - weitere Zweifel begründend - ins Auge, dass die von der Antragstellerin gegenüber der Meldebehörde der Antragsgegnerin angegebene Wohnanschrift in T. (ul. X. Q. 141) von derjenigen in ihrem polnischen Führerschein (L. 3 N. 67 m.2) unterscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).