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OVG Münster Beschluss vom 20.03.2014 - 16 E 1074/13 - Behauptung von erstmaligem Cannabiskonsum

OVG Münster v. 20.03.2014: Bewertung der Behauptung von erstmaligem Cannabiskonsum im PKH-Verfahren


Das OVG Münster (Beschluss vom 20.03.2014 - 16 E 1074/13) hat entschieden:
Mit Blick auf die nicht geklärte rechtliche Ausgangslage zur Frage, ob es nach einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss substantiierter und glaubhafter Darlegungen dazu bedarf, dass es sich um einen Erstkonsum und damit nicht um einen zumindest gelegentlichen Konsum gehandelt hat, würde eine Verweigerung von Prozesskostenhilfe dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG zuwiderlaufen.


Siehe auch Erstkonsum - Probierkonsum von Cannabis und Stichwörter zum Thema Cannabis


Gründe:

Die zulässige und insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde ist begründet.

Dem Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, ist für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe unabhängig von der Bewertung der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens jedenfalls deshalb zu gewähren, weil die Frage, ob es nach einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss substantiierter und glaubhafter Darlegungen dazu bedarf, dass es sich um einen Erstkonsum und damit nicht um einen zumindest gelegentlichen Konsum gehandelt hat, in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten und bislang nicht höchstrichterlich entschieden ist. Während der Senat,
vgl. Beschlüsse vom 12. März 2012 - 16 B 1294/11 -, juris, Rdnr. 5 bis 13 (= DAR 2012, 275), und vom 22. Mai 2012 - 16 B 536/12 -, juris, Rdnr. 13 bis 26, jeweils mit weiteren Nachweisen,
und weitere Obergerichte,
vgl. OVG Schl.-H., Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 MB 49/05 -, juris, Rdnr. 3 ff. (= NordÖR 2005, 332), und Urteil vom 17. Februar 2009 - 4 LB 61/08 -, juris, Rdnr. 33; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21. Februar 2007 - 10 S 2302/06 -, juris, Rdnr. 15 (= Blutalkohol 44 [2007], 190); OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2. März 2011 - 10 B 11400/10 -, juris, Rdnr. 9 ff. (= NZV 2011, 573); Bay. VGH, Beschluss vom 26. September 2011 - 11 CS 11.1427 -, juris, Rdnr. 15,
dies bejahen, vertreten andere Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe die Auffassung, dass dem Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers nur insofern Bedeutung zukommt, als von einem gelegentlichen Cannabisgebrauch ausgegangen werden kann, wenn ein solches Verhalten eingeräumt wird. Ist das nicht der Fall, soll eine Fahrerlaubnis ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nur entzogen werden dürfen, wenn die Behörde die Gelegentlichkeit des Konsums zweifelsfrei nachweisen kann.
Vgl. OVG M.-V., Beschluss vom 19. Dezember2006 - 1 M 142/06 -, juris, Rdnr. 21; Hess. VGH, Beschluss vom 24. September 2008 - 2 B 1365/08 -, juris, Rdnr. 4 (= NJW 2009, 1523); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 3. Februar 2010 - OVG 1 S 234.09 -, juris, Rdnr. 5, 7; Nds. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2012 - 12 ME 31/12 -, juris, Rdnr. 8 (= ZfSch 2012, 473); vormals auch Bay. VGH, Beschluss vom 16. August 2006 - 11 CS 05.3394 -, juris, Rdnr. 19; aus erster Instanz siehe mit sehr eingehender Begründung VG Düsseldorf, Urteil vom 24. März 2011 - 6 K 1156/11 -, juris, Rdnr. 38 ff.; zustimmend in der Literatur: Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 2 StVG Rdnr. 57; Geiger, DAR 2012, 121, 124.
Mit Blick auf diese nicht geklärte rechtliche Ausgangslage würde die Verweigerung von Prozesskostenhilfe dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG zuwiderlaufen.
Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Prüfung der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, juris, Rdnr. 10 ff. (= NJW 2013, 1727), mit weiteren Nachweisen.
2. Im Übrigen weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Kläger die Möglichkeiten zur Glaubhaftmachung seines Erstkonsumeinwands noch nicht ausgeschöpft haben dürfte. Der Kläger hat unter anderem geltend gemacht, er habe sich vor dem Vorfall am 12. April 2013 mit Freunden und Bekannten darüber unterhalten, inwieweit nach einem ersten Cannabiskonsum überhaupt irgendeine Rauschwirkung zu erwarten sei. Trifft dies zu, existieren eine Reihe von Personen, die eventuell in der Lage sind, die Darstellung des Klägers, bei dem fraglichen Konsum habe es sich um den ersten Teil eines geplanten Drogenexperiments gehandelt, in einem wesentlichen Punkt zu stützen. Gleichwohl hat der Kläger diese Personen bislang nicht namentlich bezeichnet, um so gegebenenfalls ihre Vernehmung durch das Verwaltungsgericht zu ermöglichen. Gründe, warum dies unterblieben ist, sind nicht dargetan. Es drängt sich nach Aktenlage auch nicht auf, dass die Freunde und Bekannten des Klägers zur Klärung der hier in Rede stehenden Frage ohnehin nichts Erhellendes beisteuern könnten.

Die Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO für die Beiordnung eines Rechtsanwalts sind erfüllt.

Das Beschwerdeverfahren ist nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz gebührenfrei. Die Kostenentscheidung im Übrigen folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).