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OLG Köln Urteil vom 11.01.2013 - I-19 U 113/12 - Kollision einer Straßenbahn mit dem Auflieger eines Lkw

OLG Köln v. 11.01.2013: Zur Kollision einer Straßenbahn mit dem Auflieger eines teilweise auf den Schienen stehenden Sattelauflieger


Das OLG Köln (Urteil vom 11.01.2013 - I-19 U 113/12) hat entschieden:
Kommt es zur Kollision einer entgegenkommenden Straßenbahn mit dem Auflieger eines vor einer Ampel haltenden Lastkraftwagens, da der Lkw nicht vollständig an einem Hindernis vorbeifahren konnte und der Auflieger im Schienenbereich stehen blieb, ist unter Berücksichtigung der beiderseitig erhöhten Betriebsgefahr von einem hälftigen Verursachungsbeitrag der Beteiligten auszugehen.


Siehe auch Straßenbahn und Sattelzug -Sattelauflieger - Sattelschlepper


Gründe:

I.

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)


II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 16.108,08 EUR zu, gegen die Beklagte zu 1) aus § 7 StVG, gegen den Beklagten zu 2) aus § 18 StVG und gegen die Beklagte zu 3) aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 1 PflVG, § 115 VVG.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung der Haftungsanteile nach § 17 Abs. 1, 4 StVG ergibt sich, dass vorliegend eine Haftungsverteilung von ½ zu ½ angemessen ist.

Auf Seiten der Beklagten sind erhebliche gefahrerhöhende Umstände zu berücksichtigen. Einem LKW kommt grundsätzlich eine erhöhte Betriebsgefahr zu, die sich aus der Breite und den besonderen Anforderungen an die Manövrierfähigkeit erklären. Dies gilt namentlich auch im vorliegenden Fall, in dem der LKW noch einen Auflieger hatte, der sich in eine andere Richtung dreht als die Zugmaschine. Hinzu kommt noch, dass der Auflieger breiter ist als die Zugmaschine, wie auf den zur Akte gereichten Lichtbildern des Unfallereignisses gut zu erkennen ist. Dies ist ein weiterer gefahrerhöhender Umstand, da die seitlichen Abstände deshalb für den Begegnungsverkehr nur schwer abzuschätzen sind. Diese Umstände waren auch unfallursächlich. Gerade die großen Ausmaße des LKW haben es verhindert, dass der Beklagte zu 2) den Vorgang des Vorbeifahrens vollständig abschließen konnte, bevor er verkehrsbedingt halten musste. Hinzu kommt, dass die Zugmaschine bereits so weit auf die eigene Fahrspur zurückgekehrt war, dass die entgegenkommende Straßenbahn vornehmlich im Bereich des überstehenden Aufliegers mit dem LKW kollidiert ist und in diesem Bereich die erheblichen Beschädigungen an der Straßenbahn aufgetreten sind. Angesichts des Umstands, dass sich im Unfallereignis gerade die durch die Breite und Schwerfälligkeit des LKW samt Aufliegers erhöhte spezifische Betriebsgefahr, die sich auch aus den erhöhten Anforderungen an Vorgängen wie dem Vorbeifahren an einem Hindernis herleitet, realisiert hat, kommt es für die Abwägung der Haftungsanteile nicht mehr entscheidend darauf an, ob der Beklagte zu 2) mit dem nicht vollständig abgeschlossenen Vorgang des Vorbeifahrens gleichzeitig einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO oder § 6 Abs. 1 StVO begangen hat.

Auf Seiten der Klägerin ist die erhöhte Betriebsgefahr, die einer Straßenbahn als schienengebundenem Fahrzeug aufgrund ihres fehlenden Ausweichvermögens, ihrer großen Bewegungsenergie und ihres schwerfälligeren Bremsvermögens zukommt, zu berücksichtigen. Vorliegend hat sich jedenfalls das fehlende Ausweichvermögen mit unfallbegründend ausgewirkt.

Auch ist der Straßenbahnführerin, der Zeugin N, ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, der im Rahmen der Abwägung zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen ist. Die Zeugin N hätte erkennen können, dass der LKW schräg steht und mit dem hinteren Teil, insbesondere im Bereich des Aufliegers in ihre Fahrspur ragt. Allerdings ist ihr nur der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit zu machen. Denn sie ist zum einen unbestritten langsam gefahren, zumal vor ihr ein Fahrradfahrer fuhr. Zum anderen war im Bereich der schräg stehenden Zugmaschine, insbesondere im vorderen Bereich, noch genügend Raum zum Passieren und finden sich die erheblichen Beschädigungen in dem für die Zeugin schwer abzuschätzenden oberen Bereich des Aufliegers, wie sich aus den Lichtbildern deutlich ergibt. Nicht haftungserhöhend auf Seiten der Klägerin wirkt sich hingegen § 11 Abs. 3 StVO aus. Die Zeugin N hat nicht gegen die hier normierte Pflicht, ggf. auf ein Vorrecht zu verzichten, verstoßen. Es ist nicht erkennbar, dass die Zeugin N ihr Vorrecht hätte erzwingen wollen.

Soweit die Beklagen behaupten, es sei für den Beklagten zu 2) nicht vorhersehbar gewesen, dass sich vor der Ampel ein Rückstau bildet, kann dies die Beklagten nicht entlasten. Insbesondere folgt aus diesem Vortrag kein unvorhersehbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Denn es fehlt jedenfalls an einer objektiven Unvorhersehbarkeit des Rückstaus. Unstreitig herrschte starker Verkehr und handelt es sich um eine vergleichsweise enge Straße mit verschiedenen Verkehren (Straßenbahn, KFZ, Fahrrad) sowie Ampeln. Bei einer solchen Verkehrssituation hat jedenfalls der Idealfahrer auch mit einem plötzlichen Rückstau zu rechnen. In seiner persönlichen Anhörung hat der Beklagte zu 2) auch selbst nicht geschildert, dass der Rückstau unvorhersehbar gewesen sei. Vielmehr hat er erklärt, der Verkehr vor ihm sei über die Kreuzung hinweg gefahren. Sodann sei die Ampel auf gelb und rot umgesprungen.

Die Beklagten können sich vorliegend auch nicht dadurch entlasten, dass die Straßenbahn noch vor einer roten Ampel wartete und ungeklärt geblieben ist, ob der Beklagte zu 2) diese schon sehen konnte, als er den Vorgang des Vorbeifahrens begann. Denn die unübersichtliche Verkehrssituation und die leichte Biegung im Unfallbereich führen zu erhöhten Sorgfaltspflichten des Beklagten zu 2) als Fahrer eines vergleichsweise großen und entsprechend schwerfälligen Fahrzeugs. Die Beklagten können sich deshalb nicht darauf berufen, der Beklagte zu 2) habe an dem parkenden Fahrzeug vorbeifahren dürfen, weil er die als erstes Fahrzeug an der Ampel in Gegenrichtung stehende Straßenbahn nicht gesehen habe. Die Pflichten als Führer eines LKW gebieten es, dass der Beklagte zu 2) den Vorgang des Vorbeifahrens nur dann durchführt, wenn er sicher sein kann, die in Gegenrichtung verlaufenden Straßenbahnschienen verlassen zu haben, bevor eine Straßenbahn üblicherweise zu erwarten ist. Dabei hat er auch besondere Verkehrsereignisse, wie einen plötzlichen Rückstau vor einer Ampel, in Betracht zu ziehen. Jedenfalls in einer Situation wie der vorliegenden entfällt deshalb die Haftung nicht, unabhängig davon, ob der Beklagte zu 2) die Straßenbahn bereits sehen konnte oder nicht (vgl. auch LG Wuppertal, Urteil vom 20.02.1976 - 10 O 519/74, veröffentlicht bei juris; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Auflage 2012, Rn. 339).

Die gefundene Haftungsverteilung entspricht auch den in der Rechtsprechung in anderen, jedenfalls teilweise vergleichbaren Kollisionsfällen zwischen stehenden KFZ und entgegenkommenden Straßenbahnen ausgeurteilten Haftungsquoten zwischen 3/10 zu 7/10 bis zu ½ zu ½ (vgl. die Übersicht bei: Grüneberg, a.a.O., Rn. 339, insbesondere die Entscheidungen LG Wuppertal, a.a.O.; LG Freiburg, Urteil vom 01.02.1973 - 3 S 164/72; OLG Hamm, Urteil vom 22.02.1974 - 9 U 88/73, veröffentlicht jeweils auch bei juris). Auch wenn die Fallkonstellationen sich dadurch unterscheiden, dass die KFZ sich zum Linksabbiegen eingeordnet hatten, ist die Fallgestaltung vergleichbar, weil in allen Fällen entscheidend war, dass das stehende Fahrzeug in die Fahrspur der Straßenbahn hineinragte.

Der Klägerin steht der eingeklagte Anspruch von 16.108,08 EUR auch der Höhe nach zu. Es handelt sich um die Hälfte des unstreitig entstandenen Schadens in Höhe von 32.216,16 EUR.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache über die Rechtsanwendung im Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Streitwert: 16.108,08 EUR