Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 03.03.2014 - (3) 161 Ss 41/14 (29/14) - Vorsatz und Schuldminderung bei hoher Alkoholkonzentration

KG Berlin v. 03.03.2014: Zu Vorsatz und Schuldminderung bei hoher Alkoholkonzentration


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 03.03.2014 - (3) 161 Ss 41/14 (29/14)) hat entschieden:
  1. Allein aus der Menge des getrunkenen Alkohols und der Höhe der Blutalkoholkonzentration darf nicht ohne Weiteres eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung gefolgert werden. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt.

  2. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Nichterörterung des § 21 StGB einen sachlich-​rechtlichen Fehler darstellt, wenn tatsächliche Umstände erkennbar geworden sind, die die Möglichkeit nahe legen, dass die Schuldfähigkeit des Täters vermindert war. Solche Umstände sind immer dann erkennbar, wenn die maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mindestens 2,0 Promille erreicht.

Siehe auch Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten und Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit und Vollrausch im Verkehrsrecht


Gründe:

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr angewiesen, an einem großen Verkehrserziehungskurs nach Weisung der Jugendgerichtshilfe teilzunehmen, sowie die Fahrerlaubnis entzogen. Die dagegen gerichtete Revision der Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat (vorläufigen) Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
"Der statthaften Sprungrevision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, kann der (vorläufige) Erfolg nicht versagt werden.

Zum einen tagen die Feststellungen des angefochtenen Urteils den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht.

Allein aus der Menge des getrunkenen Alkohols und der Höhe der Blutalkoholkonzentration darf nicht ohne Weiteres eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung gefolgert werden (vgl. KG Beschluss vom 26. November 1997 – (3) 1 Ss 272/97 (93/97) – in JURIS; Brandenburgisches OLG VRS 117, 195). Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt. Zwar liegt bei einer die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigenden Alkoholisierung die Annahme nahe, der Täter habe die Auswirkungen seines Trinkens zumindest billigend in Kauf genommen. Allerdings verringert sich auch bei steigender Alkoholisierung die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit. Deswegen kann die tatrichterliche Überzeugung von einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt nur auf eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gestützt werden, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs, seinen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters während und nach der Fahrt (vgl. OLG Hamm VRS 107, 431, 433, BA 49, 164, 166, BA 44, 317, 318). Insofern lässt das Urteil hinreichende Feststellungen sowie eine Auseinandersetzung mit den insoweit für die Beurteilung der Schuld bedeutsamen Gesichtspunkten vermissen. Allein die Mitteilung des Alkoholgehalts und die pauschale Angabe, die Angeklagte habe gewusst, welche Mengen Alkohols sie zu sich genommen habe, genügen den Anforderungen nicht, wenn – wie hier – Angaben über den Zeitpunkt der Alkoholaufnahme und die Art und Menge der konsumierten alkoholischen Getränke fehlen. Auch aus der Einlassung der Angeklagten, sie sei "verwirrt" gewesen und es sei ihr "nicht gut gegangen", lassen sich keine ausreichend tragfähigen Feststellungen hinsichtlich der subjektiven Tatseite der Trunkenheitsfahrt ableiten. Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass in einer erneuten Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung tragen.

Zum anderen hält auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da sich dieses nicht mit der Frage der verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten auseinandersetzt. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Nichterörterung des § 21 StGB einen sachlich-​rechtlichen Fehler darstellt, wenn tatsächliche Umstände erkennbar geworden sind, die die Möglichkeit nahe legen, dass die Schuldfähigkeit des Täters vermindert war (vgl. KG Beschlüsse vom 7. März 2003 – (3) 1 Ss 39/03 (21/03) – und 3. Februar 1997 – (3) 1 Ss 329/96 (117/96) – in JURIS). Solche Umstände sind immer dann erkennbar, wenn die maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mindestens 2,0 Promille erreicht (vgl. KG aaO). Diese Grenze ist hier deutlich überschritten, da die festgestellte Blutalkoholkonzentration 45 Minuten nach der Fahrt bereits bei 2,24 Promille lag. Es wird sich auch nicht zweifelsfrei ausschließen lassen, dass bei Annahme von verminderter Schuldfähigkeit das Gericht eine andere jugendstrafrechtliche Sanktion verhängt hätte."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an, hebt das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück.



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