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OLG Koblenz Urteil vom 12.08.2013 - 12 U 1095/12 - Übergang von Ansprüchen auf Ersatz der Personenschäden in der Fahrerschutzversicherung
OLG Koblenz v. 12.08.2013: Zum Forderungsübergang von Ansprüchen auf Ersatz der Personenschäden in der Fahrerschutzversicherung
Das OLG Koblenz (Urteil vom 12.08.2013 - 12 U 1095/12) hat entschieden:
Die Ansprüche eines verletzten Fahrers auf Ersatz der Personenschäden gehen nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Fahrerschutzversicherer über, soweit er den Schaden ersetzt hat (hier: Verdienstausfallschaden, Haushaltsführungsschaden, Schmerzensgeld). Dabei ist es für den Anspruchsübergang unerheblich, ob der Versicherer wegen einer Subsidiaritätsklausel die Leistung hätte verweigern können, weil der versicherte Schaden ersetzt ist, solange die innerhalb des bestehenden Versicherungsverhältnisses erbrachte Leistung nicht zurückgefordert wird.
Siehe auch Die Fahrerschutzversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
Gründe:
I.
Am 08.07.2009 um 05.35 Uhr lenkte der Kläger seinen Personenkraftwagen Citroen C2 bei …[X] auf die Bundesstraße 8 in Richtung …[Y]. Es regnete, die Fahrbahn war nass. Nach mehreren hundert Metern kam das Fahrzeug nach links von der Straße ab. Infolge des Aufpralls wurde es zerstört. Der Kläger erlitt schwerwiegende Verletzungen. Vor dem Unfall hatte ein bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherter Lastkraftwagen der Beklagten zu 1. die Bundesstraße 8 dort ebenfalls in Richtung …[Y] befahren.
Der Kläger, der von der ...[A] Allgemeine Versicherung AG Leistungen auf Grund einer Fahrerschutzversicherung erhalten hatte, unterzeichnete am 09.06.2011 eine "Abfindungserklärung":
"... Ich, ...[B], erkläre mich wegen aller bisherigen und zukünftigen Ansprüche aus dem Schadensereignis vom 08.07.2009 nach Zahlung von insgesamt 85000,00 € ... für endgültig abgefunden. Ich versichere, dass ich aus Anlass des ... Unfalls Zahlungen von dritter Seite, z. B. von anderen Versicherern oder Trägern der Sozialversicherungen weder erhalten noch zu erwarten habe. ..."
Mit der Klage verlangt der Kläger von den Beklagten einen Teilbetrag eines Schmerzensgeldes, das er in Höhe von 50000,00 € für angemessen hält, und weiteren Schadensersatz. Er behauptet, dass sein Fahrzeug von der Straße abgekommen sei, weil der Lastkraftwagen der Beklagten zu 1. dort Öl verloren habe.
Er hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 11437,44 € und ein Schmerzensgeld von 5000,00 €, jeweils nebst Zinsen, zu zahlen, und festzustellen, dass sie als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm sämtliche auf Grund des Unfalls entstandenen und künftig entstehenden Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergingen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht, das hinsichtlich der Personenschäden die Anspruchsberechtigung des Klägers verneint und im Übrigen eine Mithaftung des Klägers von 25 % angenommen hat, hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 285,00 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2009 zu zahlen, und die weitergehende Klage abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Koblenz abzuändern und
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 11152,44 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2009 zu zahlen,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld von 5000,00 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2009 zu zahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Verkehrsunfall vom 08.07.2009 auf der Bundesstraße 8 im Kreis …[Z] entstanden seien und zukünftig entstünden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche auf Ersatz dieser Schäden nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien oder übergingen.
Die Beklagten beantragen,
- die Berufung zurückzuweisen,
- das Urteil des Landgerichts Koblenz abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien und das angefochtene Urteil verwiesen.
II.
Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, aber jeweils nur in geringem Umfang begründet.
1. Soweit der Kläger von den Beklagten Ersatz des Verdienstausfallschadens (1337,59 €) und des Haushaltsführungsschadens (9460,00 €), 5000,00 € Schmerzensgeld und 30,00 € wegen ihm entstandener Kosten verlangt, ist er nicht anspruchsberechtigt.
Seine Ansprüche auf Ersatz der Personenschäden sind gemäß der für die Schadensversicherung geltenden Vorschrift des § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf die ...[A] Allgemeine Versicherung AG übergegangen, soweit sie den Schaden ersetzt hat, mithin in Höhe von 85000,00 €.
Die Fahrerschutzversicherung ist keine Summenversicherung, sondern eine Schadensversicherung (Halm/Kreuter/Schwab, AKB, 2010, Fahrerschutzversicherung Rn. 8; Himmelreich/Halm/Wilms, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Auflage 2011, Kap. 23 Rn. 10; Heinrichs DAR 2011, 565, 566). Versichert sind nach § 20 Abs. 1 der "Besonderen Bestimmungen zur Fahrerschutz-Versicherung" der ...[A] Allgemeine Versicherung AG Personenschäden des berechtigten Fahrers, die durch einen Unfall beim Lenken des versicherten Fahrzeugs entstanden sind. Gemäß § 20 Abs. 2 dieser Bestimmungen erbringt der Versicherer ohne Prüfung der Haftung Leistungen wie ein Haftpflichtversicherer nach Maßgabe gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen bis zur Höhe der vereinbarten Deckungssumme.
Zwar wird nach § 21 lit. a) der "Besonderen Bestimmungen zur Fahrerschutz-Versicherung" beim Vorliegen kongruenter gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche des Fahrers gegen Dritte, wenn und soweit sie für ihn durchsetzbar sind, kein Versicherungsschutz gewährt (zum Nachrang der Fahrerversicherung vgl. Himmelreich/Halm a.a.O., Rn. 34; Heinrichs a.a.O.; s. a. Halm/Kreuter/Schwab a.a.O., Rn. 11). Jedoch kann der Kläger sich nicht auf die nachrangige Leistungsverpflichtung der ...[A] Allgemeine Versicherung AG berufen, weil er bereits Leistungen auf Grund der Fahrerschutzversicherung erhalten hat. Für den Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG ist es unerheblich, ob der Versicherer wegen einer Subsidiaritätsklausel die Leistung hätte verweigern können, weil der versicherte Schaden ersetzt ist, solange die innerhalb des bestehenden Versicherungsverhältnisses erbrachte Leistung nicht zurückgefordert wird (BGH Urt. v. 23.11. 1988 - IV a ZR 143/87 - m. w. N.).
Personenschäden im Sinne des § 20 Abs. 1 der "Besonderen Bestimmungen zur Fahrerschutz-Versicherung" sind der Verdienstausfallschaden, der Haushaltsführungsschaden und der den Schmerzensgeldanspruch begründende Schaden des Körpers und der Gesundheit des Klägers. Ob auch der Schaden in Höhe von - pauschal - 30,00 € wegen entstandener Kosten ein nach dieser Klausel versicherter Schaden ist, ist ungewiss. Dies geht zu Lasten des Klägers, der auf den entsprechenden Einwand der Beklagten nicht erwidert hat.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten von 50,00 € für die Abmeldung des Citroen C2. Hätte er das von dem Sachverständigen ...[C] übermittelte "Restwertangebot" angenommen, wären diese Kosten nicht ihm, sondern der Erwerberin entstanden.
3. Aus dem Schreiben der ...[A] Allgemeine Versicherung AG an die Beklagte zu 2. vom 01.11.2011 ergibt sich, dass die Abschleppkosten von 259,85 € bei der Regulierung des Vollkaskoschadens des Klägers berücksichtigt wurden.
4. Die Beklagten müssen dem Kläger 300,00 € für seine Selbstbeteiligung an der Regulierung des Vollkaskoschadens, somit weitere 15,00 €, zahlen.
Das Fahrzeug des Klägers ist wegen der Ölspur, die von dem Lastkraftwagen der Beklagten zu 1. herrührte, von der Straße abgekommen.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass im Bereich der Unfallstelle eine Ölspur vorhanden gewesen war. Der Sachverständige ...[D] hat in seinem Gutachten vom 08.09.2011 dargelegt, dass auf dem von der Polizei gefertigten Lichtbild "9" eine Ölspur "im mittleren Drittel der rechten Fahrbahnhälfte" erkennbar sei. Diese Ölspur hatte der Lastkraftwagen der Beklagten zu 1. hinterlassen. Dass die maßgeblichen Feststellungen der Polizei unzutreffend seien, haben die Beklagten nicht behauptet. Ausgehend von diesen Feststellungen hat der Sachverständige ausgeführt, dass das Öl auch schon im Bereich der Kurve vor der Unfallstelle auf der rechten Fahrbahnhälfte verteilt gewesen sei, weil der Ölverlust zu einer kontinuierlichen, ununterbrochenen Spur geführt habe.
Die Ölspur widerlegt den Beweis des ersten Anscheins, dass der Citroen C2 auf Grund eines dem Kläger vorwerfbaren Verhaltens von der Fahrbahn abgekommen sei (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 15.03.2011 - 1 U 126/10 -).
Angesichts der Verursachungsanteile des Klägers und der Beklagten zu 1. haften die Beklagten nicht nur zu 75 %, sondern in voller Höhe für den entstandenen Schaden. Die Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG ist auf Grund aller unstreitigen, zugestandenen oder bewiesenen Umstände des Einzelfalls, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben, vorzunehmen, wobei in erster Linie von Belang ist, in welchem Maß die Beteiligten zur Entstehung des Schadens beigetragen haben, und das beiderseitige Verschulden nur ein Faktor der Abwägung ist (BGH Urt. v. 07.02. 2012 - VI ZR 133/11 - m. w. N.). Gemäß dem Gutachten des Sachverständigen ...[D] ist indes nicht nachweisbar, dass der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten hatte. Ferner steht in Anbetracht der Feststellungen des Sachverständigen nicht fest, dass der Kläger das Öl auf der nassen Fahrbahn rechtzeitig hätte bemerken können. Zwar hat der von den Beklagten benannte Zeuge ...[E] im Ermittlungsverfahren der Polizei angegeben, dass für ihn die Ölspur auf der Fahrbahn zu erkennen gewesen sei. Jedoch kann daraus nicht hinreichend sicher geschlossen werden, dass es auch dem Kläger in seiner konkreten Situation möglich gewesen wäre, rechtzeitig die Ölspur wahrzunehmen. Die "einfache" Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers fällt nicht ins Gewicht, weil die von dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. hinterlassene Ölspur, die eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer bedeutete, die Ursache des Unfalls war (vgl. OLG Bamberg Urt. v. 03.12.1985 - 5 U 125/85 -).
5. Das Feststellungsbegehren des Klägers hat keinen Erfolg.
Allerdings betrifft die "Abfindungserklärung" vom 09.06.2011 nur das Versicherungsverhältnis des Klägers und der ...[A] Allgemeine Versicherung AG als Fahrerschutzversicherer. Soweit der Schaden die gezahlten 85000,00 € übersteigt, kann der Kläger ihn von den Beklagten ersetzt verlangen.
Sein Vorbringen reicht jedoch für die Annahme, dass ihm zukünftig noch Personenschäden entstehen können, die zu Ersatzansprüchen in Höhe von mehr als 85000,00 € führen, nicht aus. Da er sich auch wegen aller zukünftigen Ansprüche aus dem Schadensereignis vom 08.07.2009 für "endgültig abgefunden" erklärt hat, ist nicht ersichtlich, welche Ansprüche auf Ersatz zukünftiger Personenschäden bestehen können, die nicht bereits durch die gezahlten 85000,00 € erledigt sind. In welcher Höhe Ersatzansprüche wegen zukünftiger Schäden durch die Leistungen der ...[A] Allgemeine Versicherung AG abgegolten wurden, hat er nicht mitgeteilt. Die nach seinem Vortrag zukünftig erforderlichen operativen Maßnahmen rechtfertigen selbst dann nicht die Annahme, dass seine Ersatzansprüche einen die bereits geleisteten 85000,00 € übersteigenden Betrag erreichen werden, wenn gemäß seiner Vorstellung ein Schmerzensgeld von 50000,00 € für angemessen erachtet wird. Im Übrigen kann den von ihm vorgelegten Gutachten nicht entnommen werden, dass außer der krankengymnastischen Behandlung weitere - ärztliche - Maßnahmen erforderlich sind, um die Folgen des Unfalls abzumildern. Soweit der Kläger darauf verwiesen hat, dass er sein Hausgrundstück "nur mit einer Unterdeckung von 30000,00 €" habe veräußern können, ist sein Vorbringen unsubstantiiert. Den Kaufpreis des von ihm erworbenen Personenkraftwagens hat er nicht mitgeteilt. Die Fahrtkosten zur Ausführung der Heilbehandlung werden gemäß § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1 SGB VII von der zuständigen Berufsgenossenschaft übernommen.
6. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagten sind seit 04.11.2009 in Verzug, nachdem die Beklagte zu 2. durch ihr Schreiben vom 03.11.2009, das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am selben Tag zugegangen war, die Haftpflichtansprüche des Klägers als unbegründet zurückgewiesen hatte, § 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB, § 187 Abs. 1 BGB analog (vgl. BGH Urt. v. 20.11.2012 - II ZR 98/10 - m. w. N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 u. S. 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Sache zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (BVerfG Beschl. v. 30.05.2012 - 1 BvR 2292/11 -). Die Rechtsfrage, ob § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf die Fahrerschutzversicherung Anwendung findet, ist indes nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ist nicht zweifelhaft, hierzu werden auch keine unterschiedlichen Auffassungen vertreten.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 21437,44 €.