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OLG Dresden Beschluss vom 19.09.2013 - 2 Ws 445/12 - Pflichtverteidigergebühren und Einwand mangelnder Einsatzbereitschaft

OLG Dresden v. 19.09.2013: Pflichtverteidigergebühren und Einwand mangelnder Einsatzbereitschaft


Das OLG Dresden (Beschluss vom 19.09.2013 - 2 Ws 445/12) hat entschieden:
  1. Das Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren nach § 66 Abs. 2 GKG in der Fassung vom 30. Juli 2009 gegen den Kostenansatz ist allein wegen einer Verletzung des Kostenrechts statthaft. Die Rüge der ungenügenden Einsatzbereitschaft eines Pflichtverteidigers betrifft stattdessen die Anspruchsberechtigung des Rechtsanwalts dem Grunde nach; damit kann ein Beschwerdeführer in diesem Rechtsbehelfsverfahren nicht gehört werden.

  2. Es darf auch nicht geprüft werden, ob die Anordnung, welche die Auslagen verursacht hat - hier die Aufrechterhaltung der Pflichtverteidigerbestellung durch die Zurückweisung des entsprechenden Entpflichtungsantrags - rechtsfehlerfrei gewesen ist. Hierfür ist ein eigenständiges Anfechtungsverfahren (Beschwerde gemäß § 304 StPO) eröffnet.

  3. Eine Entlastung des Angeklagten von den Kosten einer durch prozessuale Vorsorge veranlassten zusätzlichen Pflichtverteidigung sieht das Gesetz auch dann nicht vor, wenn er sich ausdrücklich gegen eine solche Maßnahme stellt (vergleiche BVerfG, 28. März 1984, 2 BvR 275/83, NStZ 1984, 561).

Siehe auch Stichwörter zum Thema Rechtsanwaltsgebühren - Anwaltshonorar - Rechtsanwaltskosten und Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen


Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin war mit Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. März 2009, rechtskräftig seit dem 25. Februar 2011, wegen progressiver Kundenwerbung kostenpflichtig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte der Vorsitzende der nach Anklageerhebung für die Hauptsache zuständigen Wirtschaftsstrafkammer mit Verfügung vom 03. Januar 2005 der Beschwerdeführerin Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Kurz vor Beginn der Hauptverhandlung im Jahre 2007 erteilte die Beschwerdeführerin zusätzlich ihrem Wahlverteidiger, Rechtsanwalt S., das Mandat. Ihren anschließend zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag, den Pflichtverteidiger B. nunmehr zu entpflichten, wies der Kammervorsitzende jedoch aus Gründen der Verfahrenssicherung zurück. Diese Entscheidung wurde nicht angefochten.

Nach rechtskräftigem Abschluss Verfahrens setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts die Gebühren des Pflichtverteidigers in mehreren (Teil-)Kostenfestsetzungsbeschlüssen und unter Berücksichtigung eines Pauschvergütungsbeschlusses des Senats vom 12. Dezember 2011 (Az.: 2 ARs ...) auf insgesamt 26.197,56 Euro fest. Diese Kosten sind in der Kostenrechnung der Justizkasse an die Verurteilte vom 18. Juni 2012 enthalten.

Gegen die Kostenrechnung legte die Verurteilte mit Schreiben vom 25. Juni 2012 Erinnerung ("Unwiderrufliche Zurückweisung") ein. Zur Begründung berief sie sich allerdings nur auf einen vermeintlichen "Hochverrat gegen die Bürger des reichsverfassungsrechtlichen Deutschen Reiches", der in dem "arglistig willkürlichen" Verstoß gegen verschiedene Militärgesetze des "SHAEF" (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force - Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte in Nordwesteuropa) zu sehen sei. Inhaltlich sachbezogene Ausführungen enthielt das Schreiben nicht.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 06. August 2012 verwarf die 11. Große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Leipzig - in der Besetzung mit einer Richterin - dieses als Erinnerung nach § 66 Abs. 1 GKG n.F. (durch Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 [BGBl. I S. 718] neu erlassen und seit dem 1. Juli 2004 in Kraft) anzusehende Rechtsmittel der Betroffenen als unbegründet.

Gegen diese Entscheidung des Landgerichts wendet sich die Verurteilte mit Schreiben vom 14. August 2012. Darin führt sie nunmehr - soweit maßgeblich - aus, zunächst zwar mit der Bestellung von Rechtsanwalt B. zu ihrem Pflichtverteidiger einverstanden gewesen zu sein; ihren nach Beauftragung eines Wahlverteidigers (Rechtsanwalt S.) gestellten Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers habe der Kammervorsitzende aber zu Unrecht zurückgewiesen. Im Übrigen habe der Pflichtverteidiger während der gesamten Hauptverhandlung im Wesentlichen "keinerlei Handlungen vollzogen, die meiner Verteidigung dienlich waren".

Mit weiterem Schreiben an den Senat vom 28. September 2012 ergänzt die Verurteilte ihren Vortrag, wonach der Pflichtverteidiger im Festsetzungsverfahren zu Unrecht eine Vergütung in Höhe von 827, 47 Euro für eine in Wahrheit nicht gefertigte Revisionsschrift beansprucht und erhalten habe. Auch sei die Bewilligung einer pauschalen Vergütung unangemessen gewesen, weil der Einsatz des Pflichtverteidigers im Verfahren nicht hoch gewesen sei. Sinngemäß meint sie, Rechtsanwalt B. habe auf Grund der Art seiner Verteidigung seinen Anspruch auf Gebühren verwirkt.


II.

Die gemäß § 66 Abs. 2 GKG n.F. statthafte Beschwerde ist unbegründet.

Soweit die Verurteilte sinngemäß vorträgt, Rechtsanwalt B. habe aufgrund seiner ungenügenden Einsatzbereitschaft für die Verteidigung seinen Gebührenanspruch verwirkt, ist dieses Vorbringen im Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren gegen den Kostenansatz nicht zu berücksichtigen. Dieses Rechtsbehelfsverfahren ist allein wegen einer Verletzung des Kostenrechts statthaft. Die Verurteilte rügt mit ihrem Vortrag zur ungenügenden Einsatzbereitschaft des Pflichtverteidigers aber nicht die kostenmäßige Richtigkeit der in Ansatz gebrachten Beträge, sondern wendet sich gegen die Anspruchsberechtigung des Rechtsanwalts dem Grunde nach. Damit kann sie jedoch nicht gehört werden.

Im Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren darf auch nicht geprüft werden, ob die Anordnung, welche die Auslagen verursacht hat - hier die Aufrechterhaltung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt B. durch die Zurückweisung des Entpflichtungsantrags durch den Kammervorsitzenden - rechtsfehlerfrei gewesen ist. Hierfür wäre ein eigenständiges Anfechtungsverfahren (Beschwerde gemäß § 304 StPO) eröffnet gewesen, welches die - durch Rechtsanwalt S. wahlverteidigte -Verurteilte allerdings nicht wahrnahm.

Ergänzend ist anzumerken, dass die Aufrechterhaltung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers zusätzlich zu der bereits bestehenden Wahlverteidigung eines Verurteilten ihren Grund darin hatte, die Hauptverhandlung gegen einen möglichen Ausfall des Wahlverteidigers abzusichern. Auch wenn eine solche Verfahrensweise in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist, so ist sie doch zulässig und sogar geboten, wenn anders der zügige Fortgang des Verfahrens und vor allem der Hauptverhandlung nicht gesichert werden kann. Nur so kann auch dem Beschleunigungsgebot im Strafverfahren, das nicht zuletzt die Interessen eines Angeklagten im Auge hat, Genüge getan werden (vgl. BVerfGE 39, 238 [BVerfG 08.04.1975 - 2 BvR 207/75] (246 f.); 63, 45 (68 f.); BVerfG NStZ 1984, 561 [BVerfG 28.03.1984 - 2 BvR 275/83]; BGHSt 15, 306, 309; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 141 Rdnr. 2; § 143 Rdnr. 2). Erfolgt die Bestellung eines Pflichtverteidigers (oder die Aufrechterhaltung seiner Bestellung) gegen den Willen eines Angeklagten, kann sie zwar zum Wegfall der Einheitlichkeit der Verteidigung führen; dies muss aber im Interesse einer wirkungsvollen staatlichen Strafrechtspflege in Kauf genommen werden. Kommt es zur Verurteilung, so greift auch hier das Verursachungsprinzip der Kostenbelastung nach § 465 Abs. 1 StPO. Eine Entlastung der Angeklagten von den Kosten einer durch prozessuale Vorsorge veranlassten zusätzlichen Pflichtverteidigung sieht das Gesetz auch dann nicht vor, wenn sie sich ausdrücklich gegen eine solche Maßnahme stellt (vgl. BVerfG NStZ 1984, 561, 562 [BVerfG 28.03.1984 - 2 BvR 275/83]).

Eine Ausnahme besteht nach geltendem Recht gemäß § 21 Abs. 1 GKG n. F. allein für die unrichtige Sachbehandlung. Deren Voraussetzungen liegen im hier gegebenen Fall der aufrechterhaltenen Beiordnung des Pflichtverteidigers aber ersichtlich nicht vor. Dies gilt insbesondere auch für die durch den Akteninhalt widerlegte Behauptung der Beschwerdeführerin, der Pflichtverteidiger sei im Revisionsverfahren gänzlich untätig gewesen, weshalb eine Gebührenauslage der Staatskasse zu seinen Gunsten in Höhe von 827, 47 Euro unberechtigt gewesen sei. Rechtsanwalt B. hatte mit Schriftsatz vom 27. März 2009, per Telefax bei Landgericht Leipzig eingegangen am darauffolgenden Tag (per Post nachgesandt am 31. März 2009) Revision eingelegt und zugleich mit der Erhebung einer allgemeinen Sachrüge begründet. Damit war der Gebührenanspruch des Pflichtverteidigers auch für diesen Verfahrensabschnitt entstanden.

Darüber hinaus ist eine Kostenbefreiung aus Billigkeitsgründen für das Strafverfahren weder in der Strafprozessordnung noch im Gerichtskostengesetz vorgesehen. Der Ansatz der von der Staatskasse verauslagten Pflichtverteidigergebühren begegnet demnach keinen rechtlichen Bedenken. Die Beschwerde war deshalb zu verwerfen.


III.

Gemäß § 66 Abs. 8 GKG n. F. ergeht die Entscheidung gebührenfrei.