Die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein schwerst unfallgeschädigtes Motorrad ist gerechtfertigt, wenn der Verkäufer zumindest billigend in Kauf nahm, dass ein Schadensumfang vorlag, der bei erfolgter Aufklärung einen verständigen Interessenten vom Erwerb des Motorrads, jedenfalls zu dem konkreten Preis, abgehalten hätte.
Siehe auch Gewährleistung und Garantie beim Gebrauchtwagenkauf und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht seines Bruders die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Motorrad BMW R 1200 RT.
Dieses im Januar 2011 erstzugelassene Motorrad stand zunächst im Eigentum eines L aus C, der damit am 22.06.2011 einen Unfall erlitt. Das beschädigte Motorrad wurde von dem Zeugen N aus S... angekauft, der es am 15.08.2011 an den Beklagten veräußerte.
In welchem Umfang der Beklagte an dem Motorrad Instandsetzungsarbeiten durchführte ist streitig. Er bot das Motorrad im Dezember 2011 bei ebay zum Verkauf an. In der Annonce hieß es:Das Motorrad ist in einer Linkskurve weggerutscht der Schaden ist rep. worden Rahmen ist vermessen worden ohne negativen Befund.Der Bruder des Klägers erhielt am 18.12.2011 für 10.850,00 EUR den Zuschlag.
Hier noch das Kleingedruckte:
...Ich verkaufe die hier angebotene Ware als Privatperson und schließe diese Sachmangelhaftung grundsätzlich aus. ... Jegliche Sachmängelhaftung seitens des Verkäufers wird ausgeschlossen.
In den Zahlungshinweisen nahm der Beklagte nunmehr den Hinweis auf:das Motorrad wird als Unfallfahrzeug verkauft!!Er verbrachte das Motorrad zum Bruder des Klägers. Bei Übernahme des Motorrads wurde ein schriftlicher Formularvertrag aufgesetzt, in den der Beklagte den Zusatz aufnahm:Das Motorrad wird als Unfallmotorrad verkauft! Bastlerfahrzeug!Am 17.03.2012 will der Bruder des Klägers nach eigenen Angaben erstmals mit dem Motorrad gefahren sein und beim Schalten zwischen dem 5. und 6. Gang ein Ruppeln festgestellt haben. Er verbrachte das Motorrad darauf zur BMW-Werkstatt I, wo ein nicht fachgerecht instandgesetzter Unfallschaden festgestellt wurde. Der Reparaturaufwand sollte sich laut Kostenvoranschlag auf 5.142,66 EUR belaufen (u.a. Austausch Kupplung, Nehmerzylinder, Kupplungsscheibe, Getriebegehäusedeckel, Schalldämpfer, Abgaskrümmer, Motorspoiler).
Der Bruder des Klägers erklärte durch eigenes Schreiben vom 06.03.2012 die Anfechtung des Kaufvertrages und trat nachfolgend sämtliche in Zusammenhang mit dem Kaufvertrag stehenden Ansprüche gegen den Beklagten an den Kläger ab.
Die Parteien haben erstinstanzlich darüber gestritten, mit welchem Inhalt der stattgefundene Unfall und die durchgeführten Reparaturarbeiten zwischen dem Beklagten und dem Bruder des Klägers besprochen wurden. Der Beklagte hat zudem auf den umfassenden Gewährleistungsausschluss und den Umstand verwiesen, dass die Eigenschaft als Unfallfahrzeug schon durch den niedrigen Kaufpreis erkennbar gewesen sei.
Das Landgericht hat den Bruder des Klägers zeugenschaftlich vernommen und den Beklagten persönlich angehört. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Etwaige Gewährleistungsansprüche seien wirksam ausgeschlossen worden. Eine arglistige Täuschung habe der Kläger nicht bewiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers: Das Landgericht habe mangels eigener Sachkunde ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Dabei hätte sich herausgestellt, dass keine ordnungsgemäße Reparatur, sondern eine Pfuscharbeit vorgenommen worden sei. Vorhandene Risse und ein Ausbruch am Motorblock seien überdeckt gewesen durch die Verkleidung. Auch das Rutschen der Kupplung hätte dem Beklagten beim Fahren nicht verborgen bleiben können. Im Übrigen sei auch eine Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend getroffen worden, dass ein vorheriger Unfallschaden wegen Wegrutschens in der Kurve sach- und fachgerecht behoben worden sei.
Der [Beklagte - ist wohl gemeint] bekräftigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat den Kfz-Sachverständigen Dipl.-Ing. V mit der Erstattung eines mündlichen Gutachtens beauftragt. Ergänzend wurden der Beklagte angehört und er Bruder des Klägers sowie der Zeuge N vernommen.
Von einer weitergehenden Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 S. 1 und § 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die Berufung des Klägers hat fast vollständig Erfolg und führt im tenorierten Umfang zur Abänderung des angefochtenen Urteils.
1. Der Kläger kann aus abgetretenem Recht seines Bruders gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 398 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Motorrads verlangen.
Der Kaufvertrag ist rückabzuwickeln, weil die Käufererklärung wirksam angefochten wurde (§ 142 Abs. 1 BGB). Das Anfechtungsrecht ergibt sich daraus, dass der Beklagte den Bruder des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig getäuscht hat (§ 123 Abs. 1 BGB).
Eine arglistige Täuschung liegt nicht nur dann vor, wenn der Verkäufer bewusst falsche Angaben über die Kaufsache macht, sondern auch dann, wenn er - ungefragt oder auf Fragen des Käufers - "ins Blaue hinein" unrichtige Angaben über den Zustand der Kaufsache macht (Reinking/Eggert Der Autokauf, 11. Aufl. 2012, Rnr. 4356).
Eine solche Angabe "ins Blaue hinein" ist darin zu sehen, dass der Beklagte in der ebay-Annonce zum Zustand des Motorrads angabDas Motorrad ist in einer Linkskurve weggerutscht der Schaden ist rep. worden Rahmen ist vermessen worden ohne negativen Befund.Der Beklagte hat bei seiner Anhörung vor dem Senat selbst eingeräumt, dass ihm der Hergang des damaligen Unfalls nicht bekannt gewesen sei. Er habe an dem verunfallten Motorrad einen Streifschaden gesehen und daraus geschlussfolgert, es sei in einer Linkskurve weggerutscht.
Die ohne sichere Beurteilungsgrundlage abgegebene Erklärung des Beklagten zur vermeintlichen Unfallursache erweckte bei einem Kaufinteressenten den Eindruck, das Motorrad habe lediglich einen äußerlichen Karosserieschaden erlitten.
Dieser Eindruck ist aber objektiv unzutreffend. Aus den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V ergab sich, dass das Motorrad bei dem Unfall sehr massive Schäden erlitten haben muss: Es habe ein Schaden am linken Kolben vorgelegen. Der Auspuffkrümmer sei vom Motorblock abgerissen gewesen. Der Zylinderkopf mit Steckbolzen sei abgerissen gewesen. Der Zylinder und die Zylinderbrücken hätten Risse aufgewiesen. Der Hinterrahmen habe eine große Eindrückung aufgewiesen. Der Motor habe Schäden an der Seite gehabt. Am Getriebeanflanschbereich seien Ausrisse und Verformungen vorhanden gewesen. Der Auspuffkrümmer sei zerfetzt gewesen.
Das Ausmaß dieser Schäden mag für den Beklagten bei Ankauf des Motorrads nicht oder nicht im vollen Umfang erkennbar gewesen sein, weil das Motorrad eine Kunststoffverkleidung hatte.
Gleichwohl wusste der Beklagte bereits aus dem Ankaufvertrag mit dem Zeugen N, dass ein "schwerer Unfallschaden" vorgelegen hat und das Motorrad als "Teileträger" anzusehen war.
Erst recht als der Beklagte sich in der Folgezeit nach eigenem Bekunden der Instandsetzung der Verkleidung widmete, muss ihm das Gesamtausmaß des Unfallschadens bekannt geworden sein. Denn der Sachverständige führte dazu aus, dass ein Laie beim Anblick des verunfallten Motorrads angesichts des Schadensbildes "die Flucht ergriffen" hätte. Eine Laie - so der Sachverständige - hätte sich nicht zugetraut, die massiven Schäden an dem Motorrad jemals so hinzukriegen, dass das Motorrad wieder fährt.
Vor diesem Hintergrund geht der Senat auch in subjektiver Hinsicht davon aus, dass der Beklagte zumindest billigend in Kauf nahm, dass ein Schadensumfang vorlag, der bei erfolgter Aufklärung einen verständigen Interessenten vom Erwerb des Motorrads - jedenfalls zu dem konkreten Preis - abgehalten hätte.
Der Senat vermochte umgekehrt nicht festzustellen, dass der Beklagte dem Bruder des Klägers abweichend von den Informationen in der ebay-Annonce durch spätere Angaben doch noch einen zutreffenden Eindruck vom Zustand des Motorrads ermöglicht hat.
Zwar war in dem übersandten Zahlungshinweis von einem Unfallfahrzeug die Rede, und auch der schriftliche Kaufvertrag enthielt den Zusatz "Unfallmotorrad! Bastlerfahrzeug!".
Allerdings mochten diese ohnehin erst nach Kaufvertragsabschluss getätigten Angaben aus Sicht des Käufers so zu erklären sein, dass der Beklagte den von ihm gewünschten Gewährleistungsausschluss untermauern wollte.
Dass dem Beklagten darüber hinaus daran gelegen war, den hervorgerufenen unzutreffenden Eindruck vom Zustand des Motorrads zu korrigieren und dem Käufer eine zutreffende Einschätzung zu ermöglichen, ob für das Motorrad der Preis von 10.850,00 EUR gerechtfertigt war, lässt sich schon den eigenen Bekundungen des Beklagten nicht entnehmen.
Er räumte ein, zu den Unfallschäden von sich aus nichts gesagt zu haben. Er habe sich nur gewundert, dass der Bruder des Klägers nicht aus eigenem Antrieb nachgefragt habe. Auch die Umschreibung als "Bastlerfahrzeug" sei nicht näher besprochen worden.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte womöglich sogar bewusst unwahre Angaben über das Unfallausmaß gemacht hat. Der Bruder des Klägers sagte dazu nämlich vor dem Senat als Zeuge aus, der Beklagte habe auf Nachfrage von einem "leichten Unfall" gesprochen, den ein Bekannter erlitten habe und bei dem (nur) ein Zylinder zerkratzt worden sei.
In der Rechtsfolge schuldet der Beklagte dem Kläger gem. § 818 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 10.850,00 EUR.
2. Die dem Beklagten anzulastende Täuschung stellt zugleich die Verletzung von vorvertraglichen Pflichten dar, die ihn gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 249 BGB zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet, die der Bruder des Klägers im Vertrauen auf einen ordnungsgemäßen Zustand der Kaufsache bzw. zur Feststellung von Schäden veranlasst hat.
Dabei handelt es sich um folgende von Klägerseite vorgetragene und unbestritten gebliebene Positionen:
Kosten der Untersuchung bei BMW I 393,41 EUR Abtransportkosten 50,00 EUR Zulassungskosten 40,00 EUR Kennzeichenkosten 18,50 EUR Wunschkennzeichen 10,50 EUR Abmeldekosten 9,90 EUR 522,31 EUR
3. Der Kläger kann mit Ablauf der vorprozessual gesetzten Zahlungsfrist Verzugszinsen verlangen (§§ 286, 288 BGB).
4. Der Kläger hat wegen §§ 765, 756 ZPO ferner Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs.
5. Er kann auch die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für diejenigen Schäden verlangen, die dem Kläger - aus abgetretenem Recht - durch die bislang unterbliebene Rücknahme des Motorrads entstanden sind und noch entstehen werden. Die Ersatzpflicht folgt aus den §§ 280 Abs. 1, 286 BGB.
6. Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 837,52 EUR ist hingegen nicht gegeben. Zwar erstreckt sich die Abtretung auch auf die dem Bruder des Klägers in Rechnung gestellte Honorarforderung. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Bruder des Klägers im Zeitpunkt der Abtretung noch mit einer entsprechenden Forderung belastet war oder dass der Kläger die Anwaltskosten bezahlt hat, obwohl eine Rechtsschutzversicherung besteht. Angesichts der Einstandspflicht der Rechtsschutzversicherung ist ein gesetzlicher Forderungsübergang anzunehmen.
7. Der Kläger kann auch nicht die Feststellung verlangen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf von Klägerseite verauslagte Gerichtskosten Zinsen zu zahlen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Gerichtskosten bestand mangels entsprechender Kostengrundentscheidung bislang nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).