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OLG Stuttgart Urteil vom 25.09.2013 - 2 Ss 519/13 - Vorlage einer gefälschten Therapiebescheinigung bei einer MPU-Stelle des TÜV

OLG Stuttgart v. 25.09.2013: Zur Vorlage einer gefälschten Therapiebescheinigung bei einer MPU-Stelle des TÜV


Das OLG Stuttgart (Urteil vom 25.09.2013 - 2 Ss 519/13) hat entschieden:
  1. Die Bescheinigung einer approbierten Medizinalperson ist ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §§ 277 ff. StGB, wenn sie Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten trifft, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis erfasst sind. Die Angabe einer konkreten Diagnose ist nicht erforderlich.

    2. Ein Gesundheitszeugnis ist falsch i.S.v. § 279 StGB, wenn es objektiv unzutreffende Angaben über tatsächliche Umstände macht, die wesentliche Grundlage einer medizinischen Bewertung sind, so etwa über tatsächlich nicht erfolgte ärztliche oder therapeutische Behandlungen. Auf die Richtigkeit einer daraus resultierenden Diagnose kommt es in diesen Fällen nicht mehr an.

    3. Die Vorlage einer gefälschten Therapiebescheinigung bei einer privatrechtlich organisierten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung erfüllt den Tatbestand des § 279 StGB nicht, da diese Norm das "Gebrauch machen" gegenüber einer Behörde voraussetzt.

Siehe auch MPU - medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten und Urkundenfälschung und sonstige Verfälschungsdelikte


Gründe:

I.

Dem Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zum Zwecke der Wiedererlangung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis im verwaltungsbehördlichen Verfahren ein unrichtiges Gesundheitszeugnis gebraucht zu haben, um so die Behörde über seinen Gesundheitszustand zu täuschen.

Dem am 18. April 2013 erlassenen Strafbefehl liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Zeitraum Anfang 2008 bis 23.05.2012 boten die getrennt verfolgten E. und S. K. einer Vielzahl von Kunden kostenpflichtige MPU-​Vorbereitungskurse zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis an, wobei sie eine hundertprozentige Bestehensgarantie gewährleisteten. Dabei gingen sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken wie folgt vor:

Sie gaben sich wahrheitswidrig als „Diplompsychotherapeuten“ aus und bescheinigten den jeweiligen Probanden tatsächlich nicht stattgefundene psychotherapeutische Einzel- und/oder Gruppensitzungen, in denen die Probanden die bestehenden Defizite, die zu ihrem Fehlverhalten im Straßenverkehr und zu dem Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch führten, aufgearbeitet hätten.

In den Fällen, in denen Blut- und Urinscreenings für das Bestehen der medizinisch-​psychologischen Untersuchung erforderlich waren, wurden diese zusätzlich durch die getrennt verfolgten K. beschafft. Dabei nahmen sie Originalbefunde, die überwiegend von Dr. F. (BML-​Labor S.) oder Mitarbeitern aus dem Labor „T.“, . L., erstellt waren, scannten diese zuhause in S. ein und trugen nachträglich weitere Screenings ein, die nicht stattgefunden haben, oder veränderten die Daten der tatsächlich abgelegten Screenings zugunsten der Probanden. Anschließend wurden die Kunden an die MPU-​Stellen P. GmbH in S. und TÜV-​S. GmbH in B., O. und F. vermittelt. Dort wurden die falschen Befundberichte als Originale vorgelegt und die Gutachter getäuscht, weil sie glaubten, dass die MPU-​Kunden tatsächlich - wie im Screening bescheinigt - abstinent lebten.

Der Angeklagte war ebenfalls ein Kunde der Eheleute K. und legte am 12.03.2012 bei der MPU-​Stelle TÜV in B. folgende Bescheinigung in Kenntnis deren Unrichtigkeit vor:
Therapiebescheinigung vom 01.09.2011, ausgestellt von S. K. unter der Bezeichnung Dipl. Psychotherapeut, über eine psychotherapeutische Behandlung im Zeitraum vom 16.12.2010 bis 25.07.2011.
Diese Bescheinigung wurde von dem den Angeklagten untersuchenden Psychologen nicht als Fälschung erkannt und in das MPU-​Gutachten aufgenommen. Das MPU-​Gutachten wurde im April 2012 beim Landratsamt T. eingereicht, was dazu führte, dass dem Angeklagten am 10.04.2012 wieder eine Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Nachdem der Angeklagte gegen diesen Strafbefehl rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, sprach das Amtsgericht Tuttlingen den Angeklagten durch Urteil vom 5. Juni 2013 aus rechtlichen Gründen frei, da es sich bei der fraglichen Bescheinigung nicht um ein Gesundheitszeugnis i. S. d. § 279 StGB handle.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Rottweil am 6. Juni 2013 und mithin rechtzeitig zu Ungunsten des Angeklagten „Rechtsmittel“ eingelegt, dieses form- und fristgerecht als Revision bezeichnet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft beigetreten. Sie beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tuttlingen zurückzuverweisen.

Die Verteidigung beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.


II.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft Stuttgart führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung.

1. Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit der Begründung freigesprochen, dass es sich bei der der Begutachtungsstelle vorgelegten „Therapiebescheinigung“ nicht um ein Gesundheitszeugnis handle. Die Staatsanwaltschaft rügt diese Auffassung zu Recht als unzutreffend.

Gesundheitszeugnisse i. S. d. § 279 StGB sind Bescheinigungen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis erfasst sind (Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage, § 277 Rn. 2; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, 28. Auflage, § 277 Rn. 2 jeweils m. w . N.). Nicht erforderlich ist nach ganz herrschender Meinung, der sich auch der Senat anschließt, dass die Bescheinigung eine Diagnose enthält (so schon BGH, Urteil vom 29. Januar 1957 - 1 StR 333/56, BGHSt 10, 157, 158; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 1 Ss 24/05 –, juris, Rn. 22ff; zum Streitstand vgl. Leifeld, NZV 2013, 422, 423). Für die von der Norm geschützten Entscheidungsträger ist nicht nur die konkrete Diagnose, sondern jede für ihre Entscheidung gesundheitsrelevante Tatsache von Bedeutung, zumal die zu treffende (behördliche) Entscheidung regelmäßig gerade nicht allein auf der bloßen medizinischen Diagnose, sondern auf einer Auseinandersetzung mit den Ursachen, Symptomen, Ausprägungen und Folgen der zugrunde liegenden Feststellungen zum Gesundheitszustand beruht. Eine vom Wortlaut nicht geforderte Einengung des Anwendungsbereichs der §§ 277ff StGB auf rein diagnostische Aussagen liefe dem Normzweck des umfassenden Schutzes des Rechtsverkehrs im Umgang mit Medizinalbescheinigungen zuwider.

Die fragliche „Therapiebescheinigung“ enthält unter anderem die Bestätigung der Durchführung von 16 psychotherapeutischen Einzelsitzungen im Zeitraum vom 16. Dezember 2010 bis zum 25. Juli 2011 und bescheinigt mithin eine therapeutische Behandlung und die darin enthaltene Auseinandersetzung des Probanden mit seiner Alkoholproblematik sowie deren Ergebnis, eine (glaubwürdige und motivierte) Alkoholabstinenz nach früherem Alkoholmissbrauch. Sie trifft damit eine Aussage über den aktuellen Zustand des Probanden als Ergebnis therapeutischer Behandlung und ist mithin ein Gesundheitszeugnis i. S. d. § 279 StGB.

Dieses ist auch zumindest insoweit objektiv unrichtig (vgl. zu diesem Erfordernis Fischer, StGB, 60. Auflage, § 279 Rn. 2; Zieschang a.a.O., § 279 Rn. 2), als es nach dem vom Amtsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt tatsächlich nicht erfolgte therapeutische Behandlungen bescheinigt und mithin in seinen tatsächlichen Grundlagen Fehler aufweist, die für die Beurteilung des Gesundheitszustands von Bedeutung sind (BGH a.a.O.). Auf die Richtigkeit des daraufhin attestierten Gesundheitszustands kommt es in einem derartigen Fall nicht mehr an (so schon OLG München, Urteil vom 15. Juni 1950 - 2 Ss 37/50, NJW 1950, 796; BGH a.a.O.).

2. Danach bedarf es weiterer Feststellungen, von denen das Amtsgericht mit Blick auf seine Rechtsauffassung abgesehen hat. Hierzu ist zu bemerken:

a. Der von der Staatsanwaltschaft erhobene Vorwurf der Vorlage der Therapiebescheinigung an die Begutachtungsstelle trägt eine Verurteilung nicht, da die beim TÜV Süd angesiedelte Begutachtungsstelle für Fahreignung keine Behörde i. S. d. § 279 StGB ist.

Auch wenn diese Stelle bei der Ausübung ihrer Tätigkeit an öffentlich-​rechtliche Vorschriften gebunden ist und sich der Staat - hier die Fahrerlaubnisbehörde - zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben ihrer Mitarbeit bedient, ist sie kein Teil der öffentlichen Verwaltung (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2000 - 3 C 10/99, NZV 2000, 437, 438). Dies zeigt sich auch in der vertraglichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit im Verhältnis zum Probanden. Dieser ist Auftraggeber und entscheidet (nach Durchführung der Begutachtung) selbst, ob er das Gutachten der Fahrerlaubnisbehörde für deren anstehende Entscheidung zur Verfügung stellt bzw. ob es von der Begutachtungsstelle weitergeleitet werden soll. Dass auch der Gesetzgeber die Begutachtungsstellen als juristische Personen des Privatrechts angesehen hat, findet seinen Niederschlag letztlich auch in dem von den §§ 72, 66 FEV konstituierten Akkreditierungs- bzw. Zulassungsverfahren, durch welches eine vorgeschaltete Form der staatlichen Überprüfung der generellen Eignung und Zuverlässigkeit dieser Institutionen auch deshalb eingeführt wurde, weil die Begutachtungsstellen durch ihre fehlende Einbindung in die öffentliche Verwaltung in ihrer konkreten Tätigkeit gerade nicht weisungsunterworfen sind.

Eine Strafbarkeit nach § 279 StGB bezogen auf die Therapiebescheinigung käme daher nur dann in Betracht, wenn diese, was das Amtsgericht zu prüfen haben wird, nicht nur an die Begutachtungsstelle, sondern, etwa als Anlage des erstellten MPU-​Gutachtens, letzten Endes auch mit Wissen und Wollen des Angeklagten an die Fahrerlaubnisbehörde selbst gelangt wäre, was auch mittelbar über (gutgläubige) dritte Personen, so auch durch Mitarbeiter der Begutachtungsstelle, geschehen kann, da ein „Gebrauch machen“ i. S. v. § 279 StGB keine eigenhändige Vorlage erfordert (Zieschang a. a .O., § 277 Rn. 14). Die bloße Erwähnung der Bescheinigung im Gutachten bzw. der Umstand, dass sie nach dem dem Angeklagten vorgeworfenen Sachverhalt zur Grundlage des Gutachtens gemacht worden sein soll, genügt den Anforderungen an ein „Gebrauch machen“ i. S. d. § 279 StGB, das ein Verbringen in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit jederzeitiger sinnlicher Wahrnehmung bzw. Kenntnisnahme voraussetzt, nicht (Zieschang a.a.O., § 279 Rn. 3 mit Verweis auf § 267 Rn. 220).

b. Desweiteren wird das Amtsgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 279 StGB im Hinblick auf die Vorlage des Fahreignungsgutachtens des TÜV-​Süd bei der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts T. zu prüfen haben.

Auch wenn das Urteil sich hierzu nicht verhält, liegt nahe, dass das Gutachten des TÜV Süd von Ärzten oder Psychologen erstellt wurde und somit selbst ein Gesundheitszeugnis darstellen kann. Dies ergibt sich aus den Anforderungen der Anlage 14 Abs. 1 Nr. 2 (zu § 66 Abs. 2) der FeV über die erforderliche personelle Ausstattung der Begutachtungsstellen mit Ärzten und Psychologen.

Das von der Begutachtungsstelle stammende MPU-​Gutachten kann durch die im Urteil des Amtsgerichts ohne nähere Konkretisierung festgestellte Einbeziehung der falschen Bescheinigung seinerseits - weil auf falschen Grundlagen beruhend - objektiv unrichtig und mithin tauglicher Tatgegenstand des § 279 StGB sein. Trotz der Bezugnahme der Norm auf die §§ 277, 278 StGB kommt es hierbei nicht darauf an, ob das ärztliche Zeugnis bereits wider besseren Wissens ausgestellt wurde (RGSt 32, 295; BGH, Urteil vom 10. November 1953 - 5 StR 445/53, BGHSt 5, 75, 84; Fischer, a. a. O., § 279 Rn. 2). Vielmehr ist die Bezugnahme auf die §§ 277, 278 StGB so zu verstehen, dass das zugrunde liegende Gesundheitszeugnis falsch, das heißt objektiv unrichtig (§ 278 StGB) oder von einer dazu nicht berechtigten Person (§ 277 StGB) ausgestellt sein muss. Wollte man darüber hinaus verlangen, dass bereits der Aussteller, der dem Grunde nach zur Ausstellung berechtigt ist, im Sinne des § 278 StGB wider besseren Wissens handelt, so entstünden gerade in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine approbierte Medizinalperson vom zu Untersuchenden getäuscht wird, Strafbarkeitslücken, die mit der vom Gesetzgeber durch die Regelungen der §§ 277 - 279 StGB bezweckten umfassenden Sicherung des Rechtsverkehrs beim Umgang mit Gesundheitszeugnissen nicht vereinbar wären.

Auch insoweit wäre eine unmittelbare Vorlage des Gutachtens durch den Angeklagten nicht erforderlich, sofern eine solche nur mit seinem Wissen und Wollen in entsprechender Täuschungsabsicht geschieht.

3. Da das Urteil in der Sache keinen Bestand haben konnte, war es aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tuttlingen zurückzuverweisen.