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BGH Urteil vom 10.09.2014 - IV ZR 379/13 - Ermittlung des anzurechnenden Restwertes in Fällen bestehender bzw. nicht bestehender Umsatzsteuerpflicht des Versicherungsnehmers
BGH v. 10.09.2014: Zur Ermittlung des anzurechnenden Restwertes in Fällen bestehender bzw. nicht bestehender Umsatzsteuerpflicht des Versicherungsnehmers
Der BGH (Urteil vom 10.09.2014 - IV ZR 379/13) hat entschieden:
- Der nach A.2.7.1 a Buchst. b AKB 2010 anzurechnende Restwert des versicherten Fahrzeuges ist derjenige Betrag, der dem Versicherungsnehmer bei der Veräußerung des Fahrzeuges am Ende verbleibt. Unterliegt er beim Fahrzeugverkauf der Umsatzsteuerpflicht, stellt lediglich der ihm nach Abführung der Umsatzsteuer an das Finanzamt verbleibende Nettokaufpreis den anzurechnenden Restwert dar. Ist er nicht umsatzsteuerpflichtig, erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettorestwert; anzurechnen ist dann allein der Betrag, den der Versicherungsnehmer als Kaufpreis tatsächlich erlösen kann.
- Zur Auslegung eines Kaufangebots "(incl. MwSt.)" an einen nicht umsatzsteuerpflichtigen Versicherungsnehmer.
Siehe auch Totalschaden und Umsatzsteuerersatz - Differenzbesteuerung
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Restwert eines unfallgeschädigten Kraftfahrzeugs.
Der Kläger hielt für seinen Pkw bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung, Stand 1. Januar 2010 (AKB 2010). Nach einer Unfallschadenmeldung gelangte ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Ergebnis, die voraussichtlichen Reparaturkosten überstiegen den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs.
Für diesen Fall ist unter A.2.7.1 a AKB 2010 unter anderem bestimmt:
"... Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen:
- Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür er
- Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts (siehe A.2.6.6 und A.2.6.7)."
Die in Bezug genommenen Klauseln lauten:
"A.2.6.6 Wiederbeschaffungswert ist der Preis, den Sie für den Kauf eines gleichwertigen gebrauchten Fahrzeugs am Tag des Schadenereignisses bezahlen müssen.
A.2.6.7 Restwert ist der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand."
Weiter heißt es unter
"A.2.9 Mehrwertsteuer
Mehrwertsteuer erstatten wir nur, wenn und soweit diese für Sie bei der von Ihnen gewählten Schadenbeseitigung tatsächlich angefallen ist. Die Mehrwertsteuer erstatten wir nicht, soweit Vorsteuerabzugsberechtigung besteht."
Im Gutachten ist für das Fahrzeug des Klägers ein Wiederbeschaffungswert ohne Mehrwertsteuer (sog. Nettowiederbeschaffungswert) ausgewiesen. Ferner hatte der Gutachter einen Restwert ohne Mehrwertsteuer (sog. Nettorestwert) von 5.882,35 € und mit Mehrwertsteuer (sog. Bruttorestwert) von 7.000 € ermittelt. Dem lag ein von ihm eingeholtes verbindliches Kaufangebot eines Autohändlers (im Folgenden: Kaufinteressentin) zugrunde, das auf "7.000 EUR (incl. MwSt.)" lautete.
Die Beklagte hat dem Kläger den Nettowiederbeschaffungswert abzüglich des Bruttorestwerts von 7.000 € und einer Selbstbeteiligung von 150 € erstattet.
Der Kläger meint, da er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei, dürfe neben der Selbstbeteiligung nur der Nettorestwert von 5.882,35 € in Abzug gebracht werden. Die Differenz von 1.117,65 € macht er mit der Klage geltend, der das Amtsgericht stattgegeben hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Nach dessen Auffassung muss sich der Kläger den Bruttorestwert von 7.000 € auf die Versicherungsleistung anrechnen lassen. Dieser Betrag entspreche dem durch den Sachverständigen eingeholten Kaufangebot. Die Kaufinteressentin sei bereit gewesen, das Fahrzeug des Klägers zu dem genannten Preis zu erwerben. Soweit der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz behauptet habe, das Angebot über 7.000 € habe sich nur an Verkäufer gerichtet, welche die auf den Kaufpreis entfallende Mehrwertsteuer ausweisen könnten, sei dieser Vortrag nach § 531 ZPO nicht mehr zuzulassen. Es handele sich um ein neues Angriffsmittel, welches der Kläger bereits im ersten Rechtszug hätte geltend machen können. Gründe dafür, dass dies nicht aus Nachlässigkeit unterblieben sei, seien nicht ersichtlich.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Übersteigen - wie im Streitfall - die voraussichtlichen Reparaturkosten eines versicherten Fahrzeugs dessen Wiederbeschaffungswert, beschränkt sich das Leistungsversprechen des Versicherers nach A.2.7.1 a Buchst. a AKB 2010 im Falle einer dennoch bedingungsgemäß durchgeführten Reparatur darauf, die Reparatur- und Reparaturnebenkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu tragen. Verzichtet der Versicherungsnehmer auf die Reparatur, bezweckt A.2.7.1 a Buchst. b AKB 2010, ihn wirtschaftlich in die Lage zu versetzen, sich ein gleichwertiges Gebrauchtfahrzeug anzuschaffen. Regulierungsgrundlage ist auch insoweit der Wiederbeschaffungswert. Der Versicherungsnehmer muss sich aber mit dem Restwert denjenigen Betrag anrechnen lassen, den er aus der Veräußerung des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs erlangen und somit für die Wiederbeschaffung einsetzen könnte. Maßgebend dafür ist allein der Betrag, der dem Versicherungsnehmer im Falle einer solchen Veräußerung am Ende verbleibt.
Unterliegt der Versicherungsnehmer beim Fahrzeugverkauf der Umsatzsteuerpflicht, ist er mithin verpflichtet, im Kaufpreis Umsatzsteuer auszuweisen und diese später an das Finanzamt abzuführen, stellt lediglich der ihm danach verbleibende Nettokaufpreis den nach A.2.7.1 a Buchst. b AKB 2010 anzurechnenden Restwert dar.
Ist ein Versicherungsnehmer - wie der Kläger - im Falle eines Verkaufs nicht umsatzsteuerpflichtig, erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoerlös (Krischer, Anm. zu OLG Koblenz VersR 2009, 1613, 1615); der anzurechnende Restwert ist dann allein der Betrag, den der Versicherungsnehmer als Kaufpreis tatsächlich erlösen kann.
2. Wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, bestimmt A.2.9 AKB 2010, dass der Versicherer Mehrwertsteuer nur dann erstattet, wenn sie bei der vom Versicherungsnehmer gewählten Schadenbeseitigung tatsächlich angefallen ist. Die Klausel bezieht sich schon deshalb nicht auf die Veräußerung des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs, weil der Versicherungsnehmer dabei Geld vereinnahmt und mithin keine Umsatzsteuer entrichten muss (vgl. LG Köln, SP 2012, 444, 445). Die Regelung in A.2.9 AKB 2010 führt im Streitfall lediglich dazu, dass der Kläger keine Umsatzsteuer für die Wiederbeschaffung eines Gebrauchtfahrzeugs verlangen kann, weil er bislang auf den Kauf eines anderen Fahrzeugs verzichtet und folglich auch keine Umsatzsteuer gezahlt hat. Es kann aber keine Rede davon sein, dass - wie die Beklagte in den Vorinstanzen geltend gemacht hat - A.2.9 AKB 2010 in einem solchen Fall nicht nur die Versicherungsleistung auf den Nettowiederbeschaffungswert beschränkt, sondern "spiegelbildlich" die Anrechnung eines Bruttoerlöses für die Veräußerung des versicherten Fahrzeuges festlegt. Eine solche wechselseitige rechtliche Abhängigkeit beider Geschäfte besteht nicht. Vielmehr sind die Wiederbeschaffung eines Ersatzfahrzeugs und die Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs umsatzsteuerrechtlich voneinander unabhängige Vorgänge.
3. Im Streitfall hängt die Lösung deshalb allein davon ab, welchen Kaufpreis die Kaufinteressentin dem Kläger für sein Unfallfahrzeug tatsächlich gezahlt hätte. Dafür ist entscheidend, wie ihr Angebot "7.000 EUR (incl. MwSt.)" gemeint war. Wollte sie damit zum Ausdruck bringen, sie sei ungeachtet eines Ausweises von Mehrwertsteuer in der Verkaufsrechnung in jedem Falle bereit, 7.000 € für das Fahrzeug des Klägers zu zahlen, müsste sich der Kläger einen Restwert in dieser Höhe anrechnen lassen. Wäre das Angebot dahin auszulegen, dass 7.000 € nur als Bruttobetrag eines umsatzsteuerpflichtigen Verkaufs, anderenfalls höchstens 5.882,35 € als entsprechender Nettobetrag geboten würden, beschränkte sich die Anrechnung auf die genannte Nettosumme.
Das Berufungsgericht hat diese Frage nicht ausreichend geklärt. Es hat das fragliche Angebot insbesondere nicht auszulegen versucht und stattdessen das im Berufungsrechtszug ergänzte Vorbringen des Klägers zu Unrecht nicht gemäß § 531 ZPO zugelassen. Der Senat kann diese Auslegung nicht selbst vornehmen, weil die Parteien Beweise für das Verständnis solcher Angebotserklärungen in den beteiligten Verkehrskreisen und für den wahren Willen der Erklärenden angeboten haben, die der Tatrichter bisher nicht erhoben hat.
a) Die Höhe des Restwerts, d.h. des vom Versicherungsnehmer erzielbaren Erlöses beim Verkauf des beschädigten oder zerstörten Fahrzeugs, hat der Versicherer als eine ihm günstige Tatsache darzulegen und zu beweisen. Das von der Beklagten vorgerichtlich eingeholte Gutachten hatte auf der Grundlage des vorgenannten Angebots sowohl einen Nettorestwert von 5.882,35 € als auch einen Bruttorestwert von 7.000 € ausgewiesen.
b) Bereits in der Klageschrift hat der Kläger unter Bezugnahme darauf vorgetragen, er sei nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, er könne beim Fahrzeugverkauf keine Mehrwertsteuer ausweisen und verstehe das Angebot der Kaufinteressentin so, als könne er ihr deshalb nur die Nettosumme von 5.882,35 € berechnen. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2013 hat der Kläger ergänzt, da er als Verbraucher beim Fahrzeugverkauf keine Mehrwertsteuer erhalte, sei der für ihn realisierbare Restwert nicht um den Mehrwertsteuerbetrag zu erhöhen.
Die Beklagte hat in erster Instanz lediglich ohne Beweisantritt bestritten, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, den Mehrwertsteuerbetrag zu realisieren, d.h. die Kaufinteressentin ungeachtet der fehlenden Umsatzsteuerpflichtigkeit des Verkaufs zur Zahlung der vollen Angebotssumme von 7.000 € zu bewegen. Das sei indessen eine reine Rechtsfrage.
Das Amtsgericht hat ohne Beweisaufnahme angenommen, ein Verbraucher wie der Kläger könne beim Verkauf seines Fahrzeuges als Erlös stets nur dessen Nettowert erzielen.
Erst in der Berufungsbegründung hat die Beklagte Sachverständigenbeweis dafür angeboten, dass Bieter in so genannten Restwertbörsen in Unkenntnis der Vorsteuerabzugsberechtigung des jeweiligen Verkäufers davon ausgingen, den gebotenen Preis unabhängig davon zahlen zu müssen, ob in der Verkaufsrechnung Mehrwertsteuer ausgewiesen werde oder nicht. Dem ist der Kläger mit der in das Zeugnis eines Mitarbeiters der Kaufinteressentin gestellten Behauptung entgegengetreten, ihr Angebot "7.000 € (incl. MwSt.)" habe nur für einen vorsteuerabzugsberechtigten Verkäufer gegolten.
c) Dieses Vorbringen durfte das Berufungsgericht nicht zurückweisen, es hätte vielmehr nach § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden müssen.
Das ergibt sich schon aus § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, nachdem das Amtsgericht nicht erkannt hatte, dass der Streit der Parteien vorwiegend nicht um eine Rechtsfrage, sondern um die tatsächliche Frage ging, ob die konkrete Kaufinteressentin bereit gewesen wäre, den gebotenen Preis von 7.000 € auch bei einem nicht umsatzsteuerpflichtigen Verkauf zu entrichten.
Eine Pflicht, den in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag des Klägers zuzulassen, folgt aber auch aus § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Nachlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist dem Kläger nicht anzulasten, nachdem die Beklagte ihrer Beweislast in Bezug auf die Höhe des möglichen Erlöses für das versicherte Fahrzeug zunächst nicht nachgekommen war und das Gericht erster Instanz weiteren Aufklärungsbedarf nicht gesehen, sondern das Klagevorbringen für ausreichend erachtet hatte.
Erst als die Beklagte ihren Vortrag in zweiter Instanz unter Beweis gestellt hatte, bestand für den Kläger Anlass, dem mit dem Angebot eines Gegenbeweises entgegenzutreten.