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Kammergericht Berlin Beschluss vom 25.08.2014 - (3) 121 Ss 71/14 (84/14) - Fahren ohne Fahrerlaubnis mit tschechischer EU-Fahrerlaubnis

KG Berlin v. 25.08.2014: Fahren ohne Fahrerlaubnis mit tschechischer EU-Fahrerlaubnis während einer Sperrfrist


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 25.08.2014 - (3) 121 Ss 71/14 (84/14)) hat entschieden:
  1. Wer während einer im Inland festgesetzten Sperrfrist ein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug führt, macht sich auch dann nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar, wenn er zuvor eine tschechische Fahrerlaubnis erworben hat.

  2. Aus dem Urteil muss sich aber ergeben, dass die Sperrfrist im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt ist. Die Mitteilung der Eintragung im Bundeszentralregister genügt nicht.

Siehe auch EU-Führerschein - Fahren ohne Fahrerlaubnis und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, die ihm erteilte Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von 24 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperrfrist auf ein Jahr und drei Monate festgesetzt wurde.

Der Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte ist seit 1997 mehrfach wegen Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Tiergarten am 3. November 2010 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe und mit seit 9. Februar 2012 rechtskräftigem Urteil vom 1. Februar 2012 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und in beiden Fällen isolierte Sperrfristen von je einem Jahr festgesetzt. Am 11. April 2012 befuhr der Angeklagte am Steuer eines Kraftfahrzeugs öffentliches Straßenland in Berlin.

Die Einlassung des Angeklagten, er habe am 28. Juni 2010 in Tschechien, wo er zuvor „häufig“ gewesen sei, eine Fahrprüfung absolviert und eine Fahrerlaubnis erworben, hat das Landgericht nach der Vernehmung einer Bekannten des Angeklagten geglaubt, obwohl der Angeklagte - mit unterschiedlichen Begründungen - weder am Tattag noch in der Hauptverhandlung einen Führerschein vorlegen konnte. Das Landgericht ist aber davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV wegen einer nach der Fahrerlaubniserteilung angeordneten Sperrfrist zur Tatzeit kein Kraftfahrzeug führen durfte.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, dass die - angeblich - am 28. Juni 2010 erworbene Fahrerlaubnis der Republik Tschechien den Angeklagten nicht dazu berechtigte, am Tattag, dem 11. April 2012, ein Kraftfahrzeug auf öffentlichem deutschen Straßenland zu führen. Das ergibt sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV. Nach dieser Vorschrift gilt die Berechtigung, aufgrund eines EU-​Führerscheins auch im Inland ein Kraftfahrzeug zu führen nicht, wenn dem Inhaber aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Nach den ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist gegen den Angeklagten durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Februar 2012, rechtskräftig seit 9. Februar 2012, eine isolierte Sperrfrist nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden, so dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV am Tattag unzweifelhaft bestanden.

2. Die Einwendungen der Revision gegen die vom Landgericht vorgenommene Subsumtion verfangen nicht. Weder die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV noch seine Anwendung im konkreten Fall widersprechen dem Recht der Europäischen Union. Insbesondere verstoßen sie nicht gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG (sog. 3. EG-​Führerscheinrichtlinie). Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend anmerkt, schreibt diese Vorschrift zwar die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vor. Nach dem am 19. Januar 2009 in Kraft getretenen Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der 3. EG-​Führerscheinrichtlinie, der dem Führerscheintourismus entgegenwirken soll und auf Fahrerlaubnisse anwendbar ist, die nach dem 19. Januar 2009 ausgestellt worden sind, lehnt ein Mitgliedstaat jedoch die Anerkennung der Gültigkeit eines solchen Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt worden ist, deren Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Das ist hier der Fall, denn der Angeklagte führte ein Kraftfahrzeug, als ihm aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Februar 2012 keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte. Denn gegen ihn war eine isolierte Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) festgesetzt worden (vgl. OLG Köln NJW 2010, 2817 [nahezu identischer Sachverhalt bei Anwendung der noch unionsfreundlicheren 2. EG-​Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG]). Die Rechtswirkung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV, dass der Angeklagte nämlich nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verfügte, trat auch ipse iure ein, eines gesonderten verwaltungsrechtlichen Aberkennungsaktes bedurfte es nicht (vgl. VGH München DAR 2008, 662; Mosbacher/Gräfe NJW 2009, 801). Schließlich ergibt sich auch keine Friktion mit Unionsrecht, weil die ausländische Fahrerlaubnis als solche wirksam war (vgl. EuGH NJW 2007, 1863) und nicht an zusätzliche innerstaatliche Voraussetzungen geknüpft wird (vgl. OLG Köln aaO), sie berechtigte den Angeklagten lediglich nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet.

3. Die Generalstaatsanwaltschaft weist indes zutreffend darauf hin, dass die Wirkung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV voraussetzt, dass die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, der zufolge keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf, im Verkehrszentralregister - jetzt Fahreignungsregister - eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt ist (§ 28 Abs. 4 Satz 3 FeV) (vgl. OLG Oldenburg NZV 2011, 207; OLG Bamberg DAR 2013, 277). Das ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen.

Der Senat hat geprüft, ob dieser Darstellungsmangel, der sich als bloßer Formalverstoß erweisen kann, dadurch geheilt sein könnte, dass die Kammer über die isolierte Sperrfrist durch Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs vom 13. November 2012 Beweis erhoben und die Maßregel im Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Zwar ist trotz der grundsätzlich unterschiedlichen Regelungszwecke des Fahreignungs- und des Bundeszentralregisters sowie der unterschiedlichen Tilgungs- und Verwertungsvorschriften des BZRG und des StVG nicht erkennbar, unter welchen rechtlich zulässigen Voraussetzungen die hier vom Amtsgericht Tiergarten am 1. Februar 2012 verhängte isolierte Sperrfrist im Bundeszentral-​, nicht aber im Verkehrszentralregister eingetragen sein könnte. Diese Überlegung führt aber nur zu der Schlussfolgerung, dass die Maßregel auch im Verkehrszentralregister eingetragen sein müsste. Die weitergehende Schlussfolgerung, dass die Sperrfrist im Verkehrszentralregister auch tatsächlich eingetragen ist, will der Senat nicht ziehen. An einer die tatsächliche Registerlage ausblendenden rein normativen Bewertung, der zufolge es ausreicht, dass die Verhängung der Sperrfrist festgestellt und bewiesen ist, sieht sich der Senat aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV und des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) gehindert, das jede Rechtsanwendung verbietet, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (vgl. BVerfG NJW-​Spezial 2014, 506).

4. Ersichtlich im Hinblick auf die weiter erhobene Verfahrensrüge weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu einem Tatgeschehen den neu entscheidenden Tatrichter nicht binden. Er kann sich allerdings von der Richtigkeit der Schlüsse des früheren Tatrichters aufgrund der in dessen Urteil mitgeteilten Gründe überzeugen. Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen, muss der neue Tatrichter prüfen, ob diese Beanstandungen geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern (vgl. KG NStZ 2008, 357). Dem schließt sich der Senat mit der Maßgabe an, dass in diese Prüfung einbezogen werden kann, dass das in einem rechtsstaatlichen Verfahren gewonnene Erkenntnis ohne oder mit Ausschöpfung der gegebenen Rechtsmittel rechtskräftig geworden ist. Werden nach alldem die Feststellungen nicht erschüttert, so kann das Gericht einen Beweisantrag, der gestellt wird, um die Unrichtigkeit der früheren Feststellungen zu beweisen, als bedeutungslos ablehnen (vgl. BGH VRS 94, 211).

5. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.