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OLG Rostock Beschluss vom 18.08.2014 - 21 Ss OWi 144/14 - Feststellung eines Abstandsverstoßes
OLG Rostock v. 18.08.2014: Voraussetzungen für die Feststellung eines Abstandsverstoßes
Das OLG Rostock (Beschluss vom 18.08.2014 - 21 Ss OWi 144/14) hat entschieden:
- Für die Ahndung eines Abstandsverstoßes ist es erforderlich, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend ist.
- Bei der Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist, wird die zeitliche Komponente eine tragende Rolle spielen.
- Bei einer Messstrecke von 100 m, einem Abstand zum Vorderfahrzeug von 20 m, bei Unklarheiten bezüglich vor und hinter dem Fahrzeug das Fahrverhalten beeinflussender Fahrzeuge und unklarer Geschwindigkeit bestehen erhebliche Zweifel am Vorliegen einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung.
Siehe auch Abstandsverstöße - Unterschreitung des Mindesabstandes zum Vorausfahrenden und Stichwörter zum Thema Abstandsverstöße
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Parchim sprach den Betroffenen mit Urteil vom 02.04.2014 schuldig, als Führer eines Kraftfahrzeugs fahrlässig bei einer Geschwindigkeit von 141 km/h einen ungenügenden Sicherheitsabstand eingehalten zu haben, wobei der Abstand weniger als 3/10 des halben Tachowertes betrug. Bei Kilometer 60, 187 auf der BAB 24 in Richtung Hamburg wurde im Rahmen einer polizeilichen Verkehrsüberwachung mit dem System Vidit Typ VKS 3.0 für sein Fahrzeug bei einer (nach Abzug eines nicht näher mitgeteilten Toleranzwertes) Geschwindigkeit von 141 km/h (nach den Feststellungen unter Ziff. IV. des angefochtenen Urteils 146 km/h) ein Abstand von nur 20 m zum vorausfahrenden Fahrzeug ermittelt. Die Messstrecke betrug rund 100 m. Welche Strecke insgesamt im Messbereich übersehen werden konnte, teilt das Amtsgericht nicht mit. Das Amtsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass ein anderes Fahrzeug vor dem Betroffenen innerhalb des Messbereichs verlangsamt wurde und somit die Abstandsunterschreitung beeinflusst hat. Des weiteren hat es festgestellt, dass hinter dem Fahrzeug des Betroffenen weitere Fahrzeuge mit kürzerem Abstand waren, die eine Abstandsvergrößerung erschwert hätten. Es verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße von 240,00 €. Zugleich verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats.
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der allein erhobenen Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg. Die Urteilsgründe sind hinsichtlich der festgestellten Geschwindigkeit und zum (nicht) eingehaltenen Abstand lückenhaft (§ 267 StPO, §§ 267 Abs. 1, § 337 StPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Für die Ahndung eines Abstandsverstoßes ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wie auch der Obergerichte erforderlich, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend ist. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es Situationen geben kann, wie z.B. das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder einen abstandsverkürzenden Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dem Nachfahrenden allein deshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden könnte (OLG Hamm NZV 1994, 120; OLG Koblenz, Beschl. v. 02.05.2002 - 1 Ss 75/02 = BeckRS 2002, 30257446; OLG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2007 - 1 Ss 197/07 = BeckRS 2008, 08770; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 Rdn. 22).
Wann eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung vorliegt, wird in der Rechtsprechung der Obergerichte unterschiedlich beurteilt. Einige Gerichte halten eine Strecke von 250-300m, in der die Abstandsunterschreitung vorliegen muss, für ausreichend (vgl. OLG Celle NJW 1979, 325; OLG Düsseldorf NZV 2002, 519; OLG Karlsruhe NJW 1972, 2235). Andere lassen jedenfalls 150 m ausreichen, wenn die Messung in einem standardisierten Messverfahren durchgeführt wurde, ein kurz zuvor erfolgter Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs ausgeschlossen werden kann und die Dauer der abstandsunterschreitenden Fahrt mehr als 3 Sekunden betrug (OLG Hamm DAR 2013, 656203; vgl. auch OLG Köln VRS 66, 463; König a.a.O. Rdn. 22; vgl. aber auch BayObLG, NZV 1994, 241 für den Fall dreimaligen Auffahrens für jeweils 1 Sekunde bei einer Abstandsunterschreitung von weniger als 10 m).
Im Gesetz selbst ist keine Mindestdauer als Voraussetzung der Ahndung einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung geregelt.
Bei der Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist, wird die zeitliche Komponente eine tragende Rolle spielen, da damit auch nur kurzfristige - und damit aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht ahndungswürdige - Fehler des Fahrzeugführers berücksichtigt werden können. Ob im vorliegenden Fall eine solch ahndungswürdige Abstandsunterschreitung vorliegt, kann schon mangels Mitteilung einer eindeutigen Geschwindigkeit (141 oder 146 km/h), mangels Angabe einer vom Tatrichter zu Grunde gelegten gemessenen Dauer der Unterschreitung und mangels eindeutiger Angaben zu vor oder hinter dem Fahrzeug des Betroffenen fahrender Fahrzeuge nicht beurteilt werden. Hinsichtlich der für eine Beurteilung notwendigen Feststellungen wird insb. auf OLG Hamm, DAR 2013, 656 verwiesen. Auf der Grundlage der bisher mitgeteilten Tatsachen (Messstrecke 100 m, Abstand 20 m, möglicherweise vor unter hinter dem Fahrzeug das Fahrverhalten beeinflussende Fahrzeuge, unklare Geschwindigkeit) bestehen allerdings aus Sicht des Senats erhebliche Zweifel am Vorliegen einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung. Das wird jedoch letztlich der erneut zur Entscheidung berufene Tatrichter zu beurteilen haben.
Die Sache war daher im vollen Umfang zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Parchim zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.