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VGH München Beschluss vom 24.07.2006 - 11 CS 05.3350 - Aussagekraft von Drogenschnelltests und Blutproben
VGH München v. 24.07.2006: Zur Aussagekraft von Drogenschnelltests und Blutproben
Der VGH München (Beschluss vom 24.07.2006 - 11 CS 05.3350) hat entschieden:
In der Regel bedarf es zusätzlicher Umstände, um von einem feststehenden Sachverhalt ausgehen zu können. Liegen solche zusätzlich belastenden Momente nicht vor, verbleibt es jedoch dabei, dass ein positiver Schnelltest ein (sehr) gewichtiges, da auf objektiv-naturwissenschaftlichem Wege gewonnenes Indiz dafür darstellt, dass der Proband die Substanz, auf die der Test angesprochen hat, eingenommen hat. Dieser Verdacht kann nur ausgeräumt werden, wenn der Betroffene konkret nachweist, dass die eingetretene chemische Reaktion falsch ist.
Siehe auch Drogenschnelltest - Drogenvortest - Urin Control und Drogen im Fahrerlaubnisrecht
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde am 8. März 2005 um 15.45 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens einer polizeilichen Verkehrskontrolle unterzogen, nachdem er wegen seines Fahrverhaltens (Abbiegen innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit quietschenden Reifen) aufgefallen war. Da er sich bei der Kontrolle nach polizeilicher Darstellung sehr aufgeregt, unruhig und unkooperativ zeigte und er ein sprunghaftes Verhalten an den Tag gelegt habe, wurde er aufgefordert, sich einem Multi-Drug-Screen-Test zu unterziehen, der positiv auf Amphetamin reagierte. Nachdem die Polizei im Hinblick hierauf eine Blutentnahme angeordnet hatte, gab der Antragsteller an, am 4. März 2005 Amphetamin konsumiert zu haben. Im Anschluss an am 8. März 2005 vorgenommene Durchsuchungen seiner Wohnung und seines Autos, die negativ verliefen, bestritt der Antragsteller nach Aktenlage gegenüber der Polizei, am 4. März 2005 Drogen konsumiert zu haben.
Die Analyse der ihm am 8. März 2005 um 16.59 Uhr entnommenen Blutprobe ergab keine Anhaltspunkte für die Aufnahme von Betäubungsmitteln in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Blutentnahme.
Mit Schreiben vom 7. September 2005 forderte das Landratsamt Bayreuth die Bevollmächtigten des Antragstellers auf, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV bis zum 10. Oktober 2005 "ein fachärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung" über die Eignung des Antragstellers, Kraftfahrzeuge der Klassen B, M, S und L zu führen, beizubringen.
Nachdem dem Landratsamt weder die erbetene Erklärung, dass der Antragsteller mit einer solchen Begutachtung einverstanden sei, noch das Gutachten selbst vorgelegt wurden, entzog ihm die Behörde durch Bescheid vom 3. November 2005 die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S und gab ihm auf, seinen Führerschein umgehend abzuliefern. Diese Anordnungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach der Zustellung des Bescheids (bei Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs innerhalb einer Woche nach dem Eintritt der Bestandskraft) abliefere, wurde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 150,00 € angedroht. Auf die Bescheidsgründe wird Bezug genommen.
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs machte der Antragsteller geltend, das Ergebnis des Multi-Drug-Screen-Tests werde durch den zuverlässigeren Bluttest widerlegt. Weitere Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum durch ihn lägen nicht vor. Aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens könne nicht auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen werden, da von ihm auf der Grundlage des inmitten stehenden Sachverhalts eine derartige Mitwirkungshandlung nicht habe verlangt werden dürfen.
Den Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 3. November 2005 wiederherzustellen,
lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth durch Beschluss vom 28. November 2005, auf dessen Begründung verwiesen wird, ab.
Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller,
den Beschluss vom 28. November 2005 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 3. November 2005 wiederherzustellen.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass er in seinem Beruf als Kraftfahrzeugmechaniker auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. Er müsse während seiner Arbeit ständig innerhalb und außerhalb der Werkstätte Kraftfahrzeuge bewegen. Es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass er seine Arbeitsstelle verliere, was für ihn eine frühe Entwurzelung bedeuten könne. Das Verwaltungsgericht habe keine Interessenabwägung vorgenommen, sondern sei ausschließlich der Sichtweise des Antragsgegners gefolgt. Es sei ferner zu Unrecht davon ausgegangen, dass er von Betäubungsmitteln abhängig sei oder Betäubungsmittel außer Cannabis konsumiert habe. Der insoweit entscheidende Bluttest habe jedoch ergeben, dass kein Drogenkonsum vorliege. Demgemäß habe er bei seiner Befragung zutreffend erklärt, keine Betäubungsmittel eingenommen zu haben. Bei seiner vorangegangenen, anders lautenden Aussage gegenüber der Polizei habe es sich um einen Scherz gehandelt. Diese Äußerung sei zudem deshalb nicht verwertbar, da sie vor der Belehrung als Beschuldigter erfolgt sei. Auch habe die Staatsanwaltschaft Bayreuth, die üblicherweise selbst den geringsten Drogenkonsum verfolge, das Strafverfahren gemäß § 31 a BtMG eingestellt. Der Multi-Drug-Screen-Test weise (z.B. wegen fehlerhafter Durchführung oder wegen Anhaftungen am Testgerät) einen hohen Unsicherheitsfaktor auf. In einem Fall, in dem der Verlust des Berufs drohe, könne dieser Test zumal dann nicht entscheidend sein, wenn durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werde, dass im engen zeitlichen Zusammenhang keine Drogen konsumiert worden seien. Weitere Anhaltspunkte, die einen dahingehenden Verdacht begründen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere sei der Antragsteller niemals zuvor positiv auf Drogen getestet worden, noch hätten die Durchsuchungsmaßnahmen Anhaltspunkte für eine Betäubungsmitteleinnahme zutage gefördert. Erst recht könne ihm nicht nachgewiesen werden, dass er jemals unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt habe.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.
Im gegebenen Fall lägen jedenfalls die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV vor, so dass gemäß § 11 Abs. 8 FeV aus der nicht fristgerechten Vorlage eines Facharztgutachtens auf die Nichteignung des Antragstellers habe geschlossen werden dürfen. Der Verwaltungsgerichtshof sei im Beschluss vom 21. März 2005 (Az. 11 CS 04.2334) sogar davon ausgegangen, dass ein positiver Drogen-Schnelltest dann den Schluss rechtfertige, dass der Betroffene die nachgewiesenen Substanzen konsumiert habe, wenn keine konkreten Tatsachen vorgetragen worden seien, derentwegen das durch eine solche Beprobung gewonnene Ergebnis unrichtig sein solle, und das Ergebnis des Schnelltests durch weitere Umstände erhärtet werde.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006, der den Bevollmächtigten des Antragstellers am 30. Januar 2006 zugestellt wurde und auf dessen Begründung Bezug genommen wird, wies die Regierung von Oberfranken den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück. Über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 3. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids, die der Antragsteller am 28. Februar 2006 zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben hat (Az. B 1 K 06.189), wurde - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Vorgang des Landratsamts verwiesen.
II.
Das mit der Beschwerde verfolgte Rechtsschutzziel ist bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) dahingehend zu verstehen, dass der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses vom 28. November 2005 und die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 28. Februar 2006 erhobenen Klage erstrebt. Denn der Rechtsbehelf des Widerspruchs, auf den der in der Beschwerdebegründungsschrift vom 2. Januar 2006 formulierte Antrag noch abstellt, ist seit dem Erlass des Widerspruchsbescheids verbraucht. Der Umstand, dass die Bevollmächtigten des Antragstellers die im gerichtlichen Schreiben vom 2. März 2006 enthaltene Anregung, den Antrag an die seither bestehende prozessuale Situation anzupassen, nicht aufgegriffen haben, steht dieser Auslegung nicht entgegen; vielmehr ist davon auszugehen, dass versäumt wurde, diesen Hinweis aufzugreifen.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gesichtspunkte beschränkt ist, bleibt ohne Erfolg. Vorbehaltlich etwaiger tatsächlicher und rechtlicher Aspekte, die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in dieser Beschwerdeentscheidung nicht aufgegriffen werden können, muss davon ausgegangen werden, dass die anhängige Klage als unbegründet abzuweisen sein wird. Auch eine unabhängig vom voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorgenommene Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, es bei der sofortigen Vollziehbarkeit des Ausgangsbescheids zu belassen.
Der Antragsgegner war nach § 11 Abs. 8 FeV berechtigt, den Antragsteller als zum Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge ungeeignet anzusehen, da er ein grundsätzlich zu Recht gefordertes Fahreignungsgutachten nicht beigebracht hat. Die Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde, vom Antragsteller die Vorlage eines ärztlichen, auf einer Haaranalyse beruhenden Gutachtens darüber verlangen zu dürfen, ob er Betäubungsmittel konsumiert, ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV. Die nach dieser Bestimmung erforderliche Tatsache, die die Annahme begründet, dass der Antragsteller Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnimmt, liegt im positiven Ergebnis des am 8. März 2005 durchgeführten Drogenschnelltests. Reagiert ein solcher Test in Bezug auf ein oder mehrere Rauschgift(e) positiv, so begründet das den Verdacht, dass der Proband diese(s) Betäubungsmittel konsumiert haben könnte. Hierbei wird nicht verkannt, dass derartige Testverfahren ungenau sein und sie u. U. fehlerhafte Ergebnisse zeitigen können. Dieser Unschärfe trägt der Verwaltungsgerichtshof dadurch Rechnung, dass er das Resultat eines solchen Schnelltests - für sich alleine - nicht ohne weiteres ausreichen lässt, um einen Betäubungsmittelkonsum im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV als erwiesen anzusehen. In der Regel bedarf es vielmehr zusätzlicher Umstände (wie sie z.B. im Besitz der im Schnelltest festgestellten Substanz durch den Probanden liegen können), um von einem feststehenden Sachverhalt ausgehen zu können (vgl. BayVGH vom 21.3.2005, a.a.O.). Liegen - wie hier - solche zusätzlich belastenden Momente nicht vor, verbleibt es jedoch dabei, dass ein positiver Schnelltest ein (sehr) gewichtiges, da auf objektiv-naturwissenschaftlichem Wege gewonnenes Indiz dafür darstellt, dass der Proband die Substanz, auf die der Test angesprochen hat, eingenommen hat.
Dieser Verdacht kann nur ausgeräumt werden, wenn der Betroffene konkret nachweist, dass die eingetretene chemische Reaktion falsch ist. Hierfür hat der Antragsteller nicht einmal Anhaltspunkte vorgetragen. Dem Hinweis, dass sich in das Testverfahren Fehler der von ihm geschilderten Art einschleichen können, wird bereits dadurch Rechnung getragen, dass einem positiven Schnelltest - für sich genommen - im Regelfall keine abschließende Beweis-, sondern nur eine Indizwirkung zukommt. Auch die Tatsache, dass die dem Antragsteller am 8. März 2005 entnommene Blutprobe keine Spuren von Betäubungsmitteln enthielt, widerlegt den sich aus dem Schnelltest ergebenden Verdacht, dass er wohl vor einigen Tagen Amphetamin eingenommen hat, nicht. Denn alle Betäubungsmittel - auch Amphetamine - sind im Blut nur deutlich kürzer als im Urin nachweisbar (vgl. die Abbildungen 22, 23 und 25 in Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2005, § 3, RdNr. 114, 117 und 124; Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl. 2005, Anm. 3.1.b zu Kap. 3.12.1). Aufgrund des negativen Ergebnisses der Analyse der Blutprobe steht zwar fest, dass der Antragsteller Amphetamine nicht in engem zeitlichem Zusammenhang mit der motorisierten Teilnahme am Straßenverkehr konsumiert hat. Da nach der Nummer 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung - vorbehaltlich von Sonderfällen im Sinne der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 - jedoch grundsätzlich jede Einnahme von Betäubungsmitteln (mit Ausnahme von Cannabis) die Fahreignung entfallen lässt, würde ein "Trennen" zwischen dem Amphetaminkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen nicht von vornherein ausreichen, um die Besorgnis entfallen zu lassen, der Antragsteller könnte fahrungeeignet sein.
Dem Umstand, dass sich der Antragsteller nach alledem wohl zu Unrecht geweigert hat, an der Aufklärung des gegen ihn ihm Raum stehenden Verdachts mangelnder Fahreignung mitzuwirken, so dass nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Ungeeignetheit geschlossen werden durfte, kann nicht durchgreifend entgegengehalten werden, er sei aus beruflichen Gründen auf den Fortbesitz der Fahrerlaubnis dringend angewiesen. Denn der gemeinwohlbezogene Belang, dass ungeeigneten Personen (insbesondere den Konsumenten "harter" Betäubungsmittel) das Recht vorenthalten wird, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, wiegt schwerer als das Erwerbsinteresse einer Person, die - wie der Antragsteller - allen erkennbaren Umständen nach triftigen Grund hatte, das Ergebnis einer geforderten Haaranalyse zu fürchten, da alsdann das Ausmaß und die zeitliche Dauer ihres Drogenkonsums beweiskräftig offenbar geworden wäre. Es entspricht der Billigkeit, wenn der Antragsteller, der eine dahingehende Aufklärung des Sachverhalts vereitelt hat, so gestellt wird, wie er voraussichtlich stünde, wenn er der Gutachtensanforderung des Landratsamts Folge geleistet hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff).