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OLG Bamberg Beschluss vom 08.05.2014 - 2 Ss OWi 405/13 - Notwendige Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung
OLG Bamberg v. 08.05.2014: Zur notwendigen Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung
Das OLG Bamberg (Beschluss vom 08.05.2014 - 2 Ss OWi 405/13) hat entschieden:
Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kann dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des Betroffenen, etwa zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens des Zeugen, ausnahmsweise geboten und erforderlich ist. Allerdings reicht für die Annahme der Gebotenheit und Erforderlichkeit in diesem Sinne eine allgemeine – nicht auf einzelfallbezogene, konkrete Tatsachen gestützte – Möglichkeit eines besseren Erinnerungsvermögens des Zeugen in Anwesenheit des Betroffenen nicht aus.
Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren
Gründe:
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 07.10.2013 wegen des Vorwurfs, am 28.09.2013 als Führer eines Kraftfahrzeugs verbotswidrig ein Mobil – oder Autotelefon benutzt zu haben eine Geldbuße von 40 Euro verhängt. In der Hauptverhandlung am 10.12.2013 hat das Amtsgericht einen vom anwesenden Verteidiger gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen des nicht anwesenden Betroffenen abgelehnt und den Einspruch des Betroffenen mit Urteil vom 10.12.2013 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, "die Rechtsbeschwerde" als unbegründet zu verwerfen.
Der Schriftsatz der Verteidigung vom 14.04.2014 lag dem Senat vor.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
1. Der fristgerecht eingelegte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist die zugleich mit dem Zulassungsantrag eingelegte Rechtsbeschwerde form – und fristgerecht begründet worden (§§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG, 341 Abs. 2, 345 StPO).
2. Der Zulassungsantrag ist auch begründet, weil das Amtsgericht rechtsfehlerhaft dem Entbindungsantrag nicht entsprochen hat.
a) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft genügt die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (i.V.m. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG). Nach den Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung in Verbindung mit den Urteilsfeststellungen, die wegen der gleichzeitig erhobenen Sachrüge zu berücksichtigen waren, hat der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt und zugestanden, dass er derjenige sei, der von dem Polizeibeamten kontrolliert worden sei, sowie im Übrigen von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Dem Rügevorbringen lässt sich auch noch hinreichend entnehmen, dass der mit einer ausreichenden Vertretungsvollmacht/Untervollmacht ausgestattete und anwesende Verteidiger diese Einlassung in einer Abwesenheitsverhandlung wiederholt hätte.
b) Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs ist auch begründet.
Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Rahmen von Verkehrsordnungswidrigkeiten ist die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Regelfall entbehrlich, wenn dieser seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt hat, er werde in der Hauptverhandlung keine (weiteren) Angaben zur Sache machen. Die Anwesenheit kann in einem solchen Fall allerdings dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des Betroffenen, etwa zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens des Zeugen, ausnahmsweise geboten und erforderlich ist (OLG Bamberg ZfS 2008, 413; OLG Bamberg SVR 2009, 393; OLG Karlsruhe NZV 2011, 95). Allerdings reicht für die Annahme der Gebotenheit und Erforderlichkeit in diesem Sinne eine allgemeine – nicht auf einzelfallbezogene, konkrete Tatsachen gestützte – Möglichkeit eines besseren Erinnerungsvermögens des Zeugen in Anwesenheit des Betroffenen nicht aus (OLG Bamberg a.a.O; OLG Karlsruhe a.a.O.; KG DAR 2011, 146; OLG Bamberg Beschluss vom 14.03.2013 – 3 Ss OWi 344/13 bei juris). Zwar mag bei Vorgängen, in denen es unmittelbar um die Wahrnehmung einer unverwechselbaren persönlichen Handlung des Betroffenen geht, die zur Ahndung führt, durchaus in einem größeren Umfang möglich zu sein, das Erinnerungsvermögen eines Zeugen durch Anwesenheit des Betroffenen aufzufrischen als bei Vorgängen, bei denen das verkehrswidrige Verhalten nur mittelbar aus der Beobachtung des Kraftfahrzeugs folgt (OLG Düsseldorf Beschluss vom 14.12.2011 – 1RBs 144/11 bei juris = VRR 2012, 233). Auch bei solchen Vorgängen genügt jedoch nicht die theoretische Möglichkeit, vielmehr muss sich das Gericht auch in solchen Fällen in den Urteilsgründen damit auseinandersetzen, weshalb tatsächlich von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung eine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze genügen die Erwägungen des Amtsgerichts hier nicht, um eine Erforderlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu begründen. Zwar führt das Amtsgericht aus, dass die Feststellung des Verstoßes davon abhinge, ob sich der Zeuge an den konkreten Einzelfall erinnere. Weshalb hier zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens die Anwesenheit des Betroffenen erforderlich sein sollte und nicht ggf. sonstige Maßnahmen, z.B. Vorhalte aus den Akten, ausgereicht hätten, wird nicht näher ausgeführt. Allein der Umstand, dass die Tat mehr als zwei Monate zurücklag, genügt nicht. Die weiteren Ausführungen erschöpfen sich in einem Zitat aus den Gründen der Entscheidung des OLG Düsseldorf (a.a.O.). Insoweit fehlt der Bezug zum verfahrensgegenständlichen Sachverhalt bereits deshalb, weil sich aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht entnehmen lässt, worauf der Entbindungsantrag dort gestützt worden war (vgl. auch Krenberger jurisPR-VerkR 17/2012 Anm. 5 zu OLG Düsseldorf a.a.O.).
Angesichts dessen, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft sowie die Kontrolle seiner Person durch den Zeugen eingeräumt hat und der Zeuge das ahndungswürdige Verhalten des Betroffenen sowie seine Sichtmöglichkeit im Erfassungsbeleg (Bl. 10 d.A.) detailliert niedergelegt hat, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, weshalb hier im konkreten Fall das Erinnerungsvermögen des Zeugen durch die Anwesenheit des Betroffenen besser aufgefrischt hätte werden können als durch einen Vorhalt seiner Angaben im Erfassungsbeleg.
Damit hätte das Verwerfungsurteil nicht ergehen dürfen, vielmehr hätte das Amtsgericht dem Entbindungsantrag stattgeben müssen. Durch dessen Erlass ist der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt worden, weil das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen bzw. sein teilweises Schweigen nicht im Rahmen der nach Durchführung der Abwesenheitsverhandlung zu treffenden Sachentscheidung berücksichtigt hat.
III.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Rosenheim zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).