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BGH Urteil vom 24.02.2015 - VI ZR 279/14 - Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts

BGH v. 24.02.2015: Zur Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts für Unfallklagen


Der BGH (Urteil vom 24.02.2015 - VI ZR 279/14) hat entschieden:
  1. Ist eine Klage gegen mehrere einfache Streitgenossen erhoben worden und fehlt es bezüglich eines von ihnen an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, kann er durch Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden.

  2. Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Anschluss an BGH, 6. Mai 2008, VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276).

  3. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet trotz Konnexität mit der Klage gegen den Versicherer diesen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers nicht für eine Klage gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer, wenn dieser gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des Kläger hat. Die durch den sogenannten "Ankerbeklagten" vermittelte internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO kann nur auf dessen Wohnsitzgerichtsstand (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) gestützt werden.

Siehe auch Nationaler und internationaler Gerichtsstand für Kfz-Haftpflichtklagen - Unfall im Ausland - Unfall mit ausländischem Fahrzeug und Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Tatbestand:

Der Kläger begehrt Ersatz materiellen Schadens aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 10. Dezember 2011 auf der Autobahn E 40 in Belgien ereignete. Der in Dortmund wohnhafte Kläger ist Halter und Fahrer des unfallbeteiligten PKW VW Transporter Kombi, die Beklagte zu 1 (im Folgenden Beklagte) ist Fahrerin des ebenfalls unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges und wohnt in Belgien. Ihr Kraftfahrzeug ist bei der an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligten Beklagten zu 2 haftpflichtversichert. Dieser Haftpflichtversicherer hat seinen Sitz in Belgien.

Kläger und Beklagte fuhren mit ihren Fahrzeugen auf der Autobahn Richtung Ostende, auf der mittleren Fahrspur fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug der Beklagten auf. Es ist streitig, ob ein zuvor erfolgter Spurwechsel der Beklagten seinen Abstand zu ihr derart verkürzte, dass das Auffahren nach einer Bremsung der Beklagten für den Kläger trotz einer Vollbremsung nicht zu vermeiden war.

Das Amtsgericht hat mit Zwischenurteil vom 15. August 2013 festgestellt, dass die Klage gegen die Beklagte mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unzulässig sei. Das Landgericht hat mit Urteil vom 18. Juni 2014 die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass es sich um ein Teilurteil handele, dessen Tenor laute, dass die Klage gegen die Beklagte abgewiesen werde, und hat die Revision zugelassen.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldnerin mit dem erstinstanzlich beklagten Haftpflichtversicherer in vollem Umfang weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus, dass es sich entgegen der Bezeichnung des amtsgerichtlichen Urteils bei der verkündeten Entscheidung um ein Endurteil in Form eines Teilurteils und nicht um ein Zwischenurteil handele. Stelle sich - wie im Streitfall - im Rahmen einer gemäß § 280 Abs. 1 ZPO abgesonderten Verhandlung über die Zulässigkeit einer Klage heraus, dass sie nicht zulässig sei, so sei sie durch Endurteil als unzulässig abzuweisen. Die fehlerhafte Bezeichnung des Urteils als Zwischenurteil hindere indes seine Bindungswirkung und die Statthaftigkeit der Berufung nicht. Die Klage sei unzulässig, da das angerufene Gericht international nicht zuständig sei. Für die gegen die Beklagte gerichtete Klage sei in Deutschland kein Gerichtsstand begründet. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten liege gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Abl. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1, in der bis zum 9. Januar 2015 geltenden Fassung, im Folgenden EuGVVO) in Belgien, da dort ihr Wohnsitz sei. Besondere Gerichtsstände in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht einschlägig. In Bezug auf die ebenfalls beklagte Haftpflichtversicherung greife zwar gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO ein besonderer Gerichtsstand ein, demzufolge die Versicherung zulässigerweise in Deutschland verklagt werden könne. Die Norm finde jedoch auf die Beklagte als Fahrerin des unfallbeteiligten PKW keine Anwendung. Die inländischen Gerichte seien auch nicht wegen des engen Sachzusammenhangs mit der Klage gegen die Beklagte zu 2 gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO international zuständig. Die Voraussetzungen dieser Zuständigkeitsregelung seien nicht erfüllt. Die Norm setze nach ihrem Wortlaut voraus, dass der Wohnsitz eines der Beklagten an dem zu begründenden Gerichtsstand liegen müsse. Dies sei hier nicht der Fall. Die Beklagte wohne in Belgien, die Beklagte zu 2 habe ihren Sitz ebenfalls in Belgien. Es gebe keinen Anlass, die Norm entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut auf andere Gerichtsstände als den allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes zu erstrecken.

II.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klage habe durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen werden dürfen.

1. Gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Endentscheidung durch Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist. § 301 ZPO dient der Beschleunigung, soll aber auch die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung in ein und demselben Rechtsstreit gewährleisten (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1999 - VI ZR 77/98, VersR 1999, 734 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist; dabei ist auch die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn. 15; BGH, Urteile vom 17. Januar 2012 - X ZR 59/11, BGHZ 193, 60 Rn. 8; vom 7. November 2006 - X ZR 149/04, MDR 2007, 539; Beschluss vom 7. Juli 2010 - XII ZR 158/09, ZIP 2010, 2410 Rn. 13). Eine solche Gefahr besteht in der Regel bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen ihnen eine materiell-​rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn. 16). Eine materiell-​rechtliche Verzahnung kann bei subjektiver Klagehäufung, aber auch bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge auftreten (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2003 - V ZR 123/03, BGHZ 157, 133, 143). Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Über ein Prozessrechtsverhältnis darf deshalb nicht vorab durch Teilurteil entschieden werden, wenn eine gemeinsame Beweisaufnahme in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 2012 - X ZR 59/11, BGHZ 193, 60 Rn. 8; vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, ZIP 2003, 594 f.). Zwar muss gegenüber einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, NJW 2009, 230 Rn. 8).

Eine materiell-​rechtliche Verzahnung, die einem Teilurteil entgegenstehen kann, kommt bei der Klage gegen Versicherungsnehmer und Haftpflichtversicherer, die im Verhältnis untereinander einfache Streitgenossen sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, 52 ff.), regelmäßig dann in Betracht, wenn um den Haftungsgrund gestritten wird. Eine solche Verzahnung hindert nicht stets den Erlass eines Teilurteils, insbesondere dann nicht, wenn die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit nicht gegen alle Streitgenossen zulässig ist. Dann besteht in aller Regel ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis, den Streitgenossen, bezüglich dessen die Klage bereits unzulässig ist, durch Teilurteil aus dem Prozess zu entlassen (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2013 - V ZR 232/10, ZOV 2014, 16 Rn. 2, 8 ff.; Dressler in BeckOK ZPO, § 61 Rn. 11 [Stand 1. Januar 2013]; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. § 301 Rn. 31).

2. So verhält es sich im Streitfall, weil das Berufungsgericht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen die Beklagte zu Recht verneint hat.

a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich hier nach der schon zitierten Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO), nachdem die Klage nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung am 1. März 2002 erhoben (vgl. Art. 76, 66 Abs. 1 EuGVVO) und der sachliche und räumliche Geltungsbereich der Verordnung (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 3 EuGVVO) im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Belgien als Mitgliedstaat eröffnet ist. Die sie ersetzende Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012, Abl. L. 351 vom 20. Dezember 2012, S. 1) gilt gemäß deren Art. 81 Satz 2, Art. 66 Abs. 1 erst für diejenigen Klagen, welche ab dem 10. Januar 2015 erhoben wurden.

b) Die Beklagte, die Unfallgegnerin des hier klagenden Geschädigten, hat ihren Wohnsitz in Belgien. Auch die mitverklagte Beklagte zu 2, ihr Haftpflichtversicherer, hat den Sitz in Belgien.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen die Beklagte zu 2 gegeben sein kann. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-​463/06, Slg. 2007, I-​11321 - FBTO/Odenbreit), der der erkennende Senat gefolgt ist, kann nach Art. 11 Abs. 2 EuGVVO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2008 - VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276 Rn. 3, 5).

Für die Klage gegen die zu 1 beklagte Unfallgegnerin und Versicherungsnehmerin sind dagegen gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich die Gerichte ihres Wohnsitzstaates, also die belgischen Gerichte, international zuständig. Nach Art. 3 Abs. 1 EuGVVO können Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO verklagt werden. Zu den Regelungen, die eine Klage vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zulassen, gehört auch Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.

Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht aber zu Recht davon ausgegangen, dass über diese Regelung des Mehrparteiengerichtsstandes (vgl. dazu Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 6 EuGVO Rn. 4) bzw. des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (vgl. Geimer in derselbe/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 6 Rn. 3) keine Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen die Beklagte begründet wird, selbst wenn die gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erforderliche Konnexität beider Klagen gegeben sein sollte. Nach seinem Wortlaut setzt Art. 6 Nr. 1 EuGVVO voraus, dass mindestens einer der mehreren Beklagten seinen Wohnsitz am Ort des Gerichts hat. Das ist im Streitfall nicht gegeben. Eine allein mit der Konnexität begründete erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dahingehend, dass es für die Annexzuständigkeit genügt, dass ein Mitbeklagter oder Streitgenosse aufgrund einer anderen Gerichtsstandsregelung als der allgemeinen des Art. 2 Abs. 1 EuGVVO, nämlich einer Regelung eines besonderen Gerichtsstandes, seinen Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des Klägers hat, kommt nicht in Betracht (allg. Ansicht, vgl. dazu grundsätzlich Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 6 EuGVO Rn. 12; Geimer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., Art. 6 EuGVO Rn. 2; Pfeiffer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., Art. 6 EUGVO Rn. 3; Wagner in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Art. 6 EuGVVO Rn. 8, 15 f.; speziell für den Fall der Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer am Wohnsitzgericht des Klägers Riedmeyer in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AuslUnf Rn. 112; Riedmeyer, r+s Beil. 2011, 91, 94; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2253; Nugel, jurisPR-​VerkR 13/2013 Anm. 3 zu AG Rosenheim, NZV 2013, 194). Die Zuständigkeit für die Klage gegen den sogenannten "Ankerbeklagten" muss sich auf dessen Wohnsitz stützen (vgl. Wagner, aaO, Rn. 15; Pfeiffer, aaO, Rn. 3).

Dies ergibt sich aus dem - schon angeführten - klaren Wortlaut von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO und steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften. Danach sind die Vorschriften der genannten Verordnung autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-​103/05, Slg. 2006, I-​06827 Rn. 29 - Reisch Montage). Ausgangspunkt dieser Auslegung sind die Erwägungsgründe der EuGVVO, die - soweit für den Streitfall von Bedeutung - wie folgt lauten:
"(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist ...

(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen ..."
Sie gebieten, die besonderen Zuständigkeitsregelungen, zu denen auch Art. 6 EuGVVO gehört (vgl. Art. 3 Abs. 1 EuGVVO), eng auszulegen; eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Fälle hinaus ist unzulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-​103/05, Slg. 2006, I-​06827 Rn. 23 - Reisch Montage; vom 11. Oktober 2007 - C-​98/06, Slg. 2007, I-​08319 Rn. 35 - Freeport; speziell zu Art. 6 Nr. 1 EuGH, Urteil vom 11. April 2013 - C-​645/11, NJW 2013, 1661 Rn. 41 - Sapir u.a.; vom 22. Mai 2008 - C-​462/06, Slg. 2008, I-​03965 Rn. 28 - Glaxosmithkline; vom 1. Dezember 2011 - C-​145/10, Slg. 2011, I-​12533 Rn. 74 - Painer/Standard). Laut dem Erwägungsgrund Nr. 11 der EuGVVO müssen die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz der Beklagten richten (EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - C-​98/06, Slg. 2007, I-​08319 Rn. 36 - Freeport). Die in Art. 2 EuGVVO vorgesehene Zuständigkeit, d.h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, stellt den allgemeinen Grundsatz dar und besondere Zuständigkeitsregelungen in Abweichung von diesem Grundsatz sieht die Verordnung nur für abschließend aufgeführte Fälle vor (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-​103/05, Slg. 2006, I-​06827 Rn. 22 - Reisch Montage). Der Charakter eines allgemeinen Grundsatzes in Art. 2 EuGVVO erklärt sich daraus, dass diese Zuständigkeitsregel dem Beklagten normalerweise die Verteidigung erleichtert. Infolgedessen können die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln nicht zu einer Auslegung führen, die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 1992 - C-​26/91, Slg. 1992, I-​3967 Rn.14 - Handte/TMCS zu der im Wesentlichen gleichlautenden Regelung in Art. 2 EuGVÜ).

Gemessen daran würde die Begründung des Mehrparteiengerichtsstandes des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO über die besondere Zuständigkeit in Versicherungssachen gemäß Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dem Versicherten oder Versicherungsnehmer den Schutz nehmen, den diese Verordnung mit dem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichtes verbunden mit dem abschließenden Katalog der besonderen Zuständigkeiten gewähren will. Für den Versicherten bzw. Versicherungsnehmer wäre nicht zuverlässig vorhersehbar, welche Gerichte für eine gegen ihn gerichtete Klage international zuständig wären. Die Systematik der Verordnung würde beeinträchtigt, ließe man zu, dass eine Zuständigkeit nach Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO, bei der es sich um eine besondere Zuständigkeit handelt, die auf abschließend aufgeführte Fälle beschränkt ist, als Grundlage für eine Zuständigkeit für andere Klagen dienen könnte (vgl. zu Art. 5 und Art. 6 Nr. 1 EuGVVO EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - C-​98/06, Slg. 2007, I-​08319 Rn. 46 - Freeport). Die von der Revision geforderte erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung würde ein Verlassen des abschließenden Kataloges der besonderen Zuständigkeiten bedeuten. Eine Regelungslücke der Verordnung ist insoweit nicht erkennbar. Mit dem deutlichen Hinweis auf den abschließenden Katalog der besonderen Zuständigkeiten hat der Europäische Gerichtshof auch klar gestellt, dass die in dem Erwägungsgrund Nr. 15 formulierte Zielsetzung, Parallelverfahren zur Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen zu vermeiden, hinter dieser der Rechtssicherheit geschuldeten Regelung eines abschließenden Zuständigkeitskatalogs zurücktreten muss. Da die EuGVVO in Art. 27 und Art. 28 über die Möglichkeit der Aussetzung einen Weg zur Vermeidung miteinander unvereinbarer Entscheidungen anbietet, ist dieser Zielsetzung anderweit Rechnung getragen.

Im Übrigen ist die Frage der Möglichkeit einer erweiternden Auslegung der Annexzuständigkeit des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO lediglich wegen der Konnexität geklärt durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Oktober 1998 (- C-​51/97, Slg. 1998, I-​06511 Rn. 44 ff. - Réunion Européenne) zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift in Art. 6 EuGVÜ (vgl. auch EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - C-​98/06, Slg. 2007, I-​08319 Rn. 46 - Freeport zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO).

Dieses Urteil bezog sich auf eine Klage, die vor einem Gericht eines Mitgliedstaats (Frankreich) anhängig gemacht worden war, in dem keiner der drei Beklagten des Ausgangsverfahrens seinen Wohnsitz hatte, und bei der sich die Zuständigkeit des französischen Gerichts für den in Australien ansässigen Beklagten aus Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (entspr. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bzw. Art. 7 Nr. 3 EuGVVO 2012) ableitete. Darin hat der Europäische Gerichtshof zu der Annexzuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ausgeführt, dass das mit dem Übereinkommen angestrebte Ziel der Rechtssicherheit nicht erreicht würde, wenn der Umstand, dass sich das Gericht eines Vertragsstaats in Bezug auf einen der Beklagten, der seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat, für zuständig erklärt hat, es ermöglichen würde, einen anderen Beklagten, der seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, außerhalb der im Übereinkommen vorgesehenen Fälle vor diesem Gericht zu verklagen; denn hierdurch würde diesem der durch die Bestimmung des Übereinkommens gewährte Schutz genommen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1998 - C-​51/97, Slg. 1998, I-​06511 Rn. 46 - Réunion Européenne).

Dass Art. 11 Abs. 3 EuGVVO es bei einer Direktklage gegen den Versicherer diesem über eine Streitverkündung rechtlich möglich macht, den Schädiger am Wohnsitzgericht des Geschädigten auf Regress zu verklagen, steht dem nicht entgegen. Die Regelung zeigt, dass eine generelle Erweiterung des besonderen Gerichtsstandes des Versicherungsnehmers (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO) bei einer Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer nicht geschaffen werden sollte.

c) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-​283/81, Slg. 1982, I-​03415 Rn. 16 - CILFIT/Ministero delle Sanità; vom 11. September 2008 - C-​428/06, Slg. 2008, I-​06747 Rn. 42 - UGT-​Rioja). Die Frage, ob aus der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Klägers für eine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO über Art. 6 Nr. 1 EuGVVO wegen der Konnexität die Zuständigkeit für den mitbeklagten Unfallgegner bzw. Versicherten oder Versicherungsnehmer begründet werden kann, obwohl keiner der Beklagten seinen Wohnsitz im Mitgliedstaat des Klägers hat, hat der Europäische Gerichtshof bereits geklärt. Die für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO richtige Auslegung ist aus den ausgeführten Gründen derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt.

3. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.