Das Verkehrslexikon
Landgericht Nürnberg-Fürth Urteil vom 08.01.2009 - 2 S 8130/08 - Kollision beim rechtsseitigen "Vorbeidrängeln" an einem kurzzeitig angehaltenen Kraftfahrzeug
LG Nürnberg-Fürth v. 08.01.2009: Kollision beim rechtsseitigen "Vorbeidrängeln" an einem kurzzeitig angehaltenen Kraftfahrzeug
Das Landgericht Nürnberg-Fürth (Urteil vom 08.01.2009 - 2 S 8130/08) hat entschieden:
Bleibt ein Fahrzeugführer kurzzeitig auf der Fahrbahn stehen, um sich hinsichtlich der weiteren Fahrrichtung zu orientieren, nimmt er gleichwohl weiterhin am fließenden Verkehr teil. Wenn ein nachfolgendes Fahrzeug das stehende Fahrzeug rechts passiert, so ist ein bloßes Vorbeifahren nach § 6 StVO nicht gegeben. Bei der vorliegenden unklaren Verkehrslage hat der nachfolgende Fahrzeugführer zunächst warten müssen oder aber, wenn er denn rechts vorbeifahren will, dies zumindest durch Hupzeichen ankündigen müssen. Kommt es zur Kollision des vorbeifahrenden Nachfolgers mit den anfahrenden Vordermann ist ein Verstoß des Nachfolgers gegen § 5 Abs. 1, 3 Nr. 1 StVO anzunehmen und es ist eine hälftige Schadenteilung angemessen.
Siehe auch Vorbeifahren (an haltenden Fahrzeugen) und Stichwörter zum Thema Überholen
Gründe:
Die Gründe ergeben sich nach § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO aus dem Protokoll.
Die Nichtzulassung der Revision erfolgte, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nach § 543 ZPO nicht vorliegen.
Das Protokoll hat folgenden Wortlaut:
Aus Sicht der Kammer ist zur Beurteilung des Verkehrsunfalls nur von untergeordneter Bedeutung, ob der Kläger mit seinem Fahrzeug sich an dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) vorbeizwängen musste oder gar das Bankett benötigte oder eben mit ausreichendem Seitenabstand an dem Fahrzeug der Beklagter zu 1) vorbeifahren konnte. Dieser Seitenabstand ist für die Frage der Haftungsverteilung untergeordnet.
Ohne Verstoß gegen Denkgesetze erkannte das Amtsgericht Schwabach, dass im vorliegenden Fall nicht bewiesen werden kann, ob das Klägerfahrzeug in das Beklagtenfahrzeug oder umgekehrt das Beklagtenfahrzeug in das Klägerfahrzeug fuhr. Für die Kammer ist es aus der schematischen Darstellung des Sachverständigen Dr. ... eindeutig, dass sich die Kollision in einem Zeitpunkt abspielte, in dem beide Fahrzeuge in Bewegung waren. Die Kammer unterstellt daher für ihre Entscheidung, dass das Beklagten-Fahrzeug durch sein Anfahren und Nachrechtslenken in das klägerische Fahrzeug hinein fuhr.
Weitere Erkenntnisse, die der Sachverständige ... zur Endstellung der beiden Fahrzeuge unmittelbar nach deren Kollision aufwiesen, können nicht gegeben werden. Kläger- wie Beklagtenseite haben auf Nachfrage des Amtsgerichts Schwabach schriftsätzlich zu verstehen gegeben, daß niemand zur Frage der Endstellung der beiden Fahrzeuge sachdienliche Aussagen machen kann. Der Unfallhergang ist über das Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen ... am 31.1.2008 hinausgehend nicht zu erwarten. Es sind keinerlei Anhaltspunkte über die vom Amtsgericht Schwabach herangezogenen hinaus ersichtlich. Der Sachverständige ... der der Kammer ebenfalls als erfahrender Gutachter bekannt ist, hat nachvollziehbar in seinem Gutachten festgestellt, dass die beiden Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision beide zumindest rollten. Der Umstand, dass keines der beiden verunfallten Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision stand, ergibt sich anschaulich aus der Anlage 4 unmittelbar vor den Lichtbildern der Unfallstelle, aus denen ersichtlich ist, dass sowohl das Fahrzeug 1 als auch das Fahrzeug 2 sich vorwärts bewegten.
7Ohne Rechtsfehler sah das Amtsgericht Schwabach einen Verstoß des Klägers nach § 5 Abs.. 1, 3 Nr. 1 StVO. Die Kammer verkennt nicht, dass das Beklagtenfahrzeug zunächst an der Kreuzung stand, um sich hinsichtlich des Weiterfahrens und der zu wählenden Fahrtrichtung zu orientieren. Die seitens des Klägers geäußerte Rechtsaufassung, infolgedessen liege kein Überholen vor, da sich ein überholender Verkehrsteilnehmer in derselben Richtung als der Überholende bewegen müsse oder verkehrsbedingt stehen müsse, sieht die Definition des Überholens nach § 5 StVO nach Auffassung der Kammer zu eng. Ein Fahrzeug, das kurzfristig auf der Fahrbahn stehen bleibt, um sich hinsichtlich der weiteren Fahrtrichtung zu orientieren, nimmt weiterhin am fließenden Verkehr teil, ein bloßes Vorbeifahren nach § 6 StVO an einem haltenden Fahrzeug ist bei einer solchen Verkehrslage nicht gegeben. Im Übrigen wäre bei einem Vorbeifahren der Kläger verpflichtet gewesen, nach § 6 StVO auf der Fahrbahn links vorbei zu fahren. Die Kammer erwartet natürlich in der vorgegebenen Verkehrssituation vom Kläger nicht, dass er hier links an dem Beklagten-Fahrzeug vorbeifährt, um sodann unmittelbar in der Hauptstraße nach rechts abzubiegen. Dem Kläger ist jedoch insoweit eine Unfallverursachung anzulasten, als er überhaupt an dem Beklagten-Fahrzeug rechts vorbei fuhr. Es wäre ihm durchaus möglich gewesen, bei der vorliegenden unklaren Verkehrslage hinter dem stehenden Fahrzeug der Beklagten zu warten. Wenn er denn rechts "vorbeifahren" will, so hätte er dies vorher mit einem Hupzeichen ankündigen können. Nach Auffassung der Kammer waren beide Alternativen geeignet gewesen, den Unfall tatsächlich zu vermeiden.
8Die Verkehrssituation bewertet die Kammer ähnlich dem Überholen eines sehr langsam fahrenden Vorausfahrenden, wobei in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass "Schleichen" meist auf suchende Verkehrsteilnehmer schließen lässt und je nach Örtlichkeit ein möglicherweise unvermitteltes Ausscheren des zu überholenden Fahrzeugs immer durch den Überholenden ins Auge gefasst werden muss. Diese Situation ist eine typische unklare Verkehrslage, auf die der-Kläger stieß, als er vor der Überlegung stand, sein Fahrzeug rechts an dem Beklagtenfahrzeug vorbei zu lenken.
Ein Überholfehler nach § 5 Abs. 1 u. 3 Nr. 1 StVO ergibt sich zwanglos daraus, dass im Moment der Kollision das Beklagtenfahrzeug - wieder - in Bewegung war und somit gerade in dem Moment der Kollision nicht mehr von einem Vorbeifahren, sondern von einem Überholen schon nach der Definition des Fahrens zweier Fahrzeuge in derselben Richtung gesprochen werden muss.