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Landgericht Aachen Urteil vom 05.03.2002 - 1 O 507/00 - Kollision eines nach rechts ausscherenden LKW's mit einem verbotswidrig die Busspur befahrenden PKW

LG Aachen v. 05.03.2002: Kollision eines nach rechts ausscherenden LKW's mit einem verbotswidrig die Busspur befahrenden PKW


Das Landgericht Aachen (Urteil vom 05.03.2002 - 1 O 507/00) hat entschieden:
Wenn ein LKW (vor einer Kreuzung mit Geradeaus- und Rechtsabbiegerspur), ohne dass dessen Fahrer den Blinker setzt, nach rechts zieht und dabei mit einem Pkw kollidiert, der verbotswidrig die Busspur befährt, trifft den Pkw-Fahrer das ganz überwiegende Verschulden an dem Unfall, das mit 3/4 zu bemessen ist.


Siehe auch Sonderfahrstreifen - Busspur - Taxispur


Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom 09.06.2000 in Anspruch und zwar den Beklagten zu 1) als Fahrer, die Beklagte zu 2) als Halterin sowie die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2).

Am 09.06.2000 gegen 10.00 Uhr befuhr die Zeugin T2 mit dem PKW des Klägers, Opel Astra, amtl. Kennz. - ###, die große S-Straße in K. Auf der großen S-Straße befindet sich eine Busspur, die in eine Rechtsabbiegespur in Richtung Aachener Tor übergeht. Die Zeugin T2 wollte am Aachener Tor rechts abbiegen. Auf der Geradeausspur befand sich der LKW der Beklagten zu 2), der vom Beklagten zu 1) gefahren wurde. Es kam zu einem Zusammenstoß zwischen dem LKW und dem PKW des Klägers. Durch den Zusammenstoß sind am PKW des Klägers laut einem Kostenvoranschlag der Firma T in Höhe von insgesamt 8.935,57 DM entstanden. Mit Schreiben vom 07.08.2000 setzte der Kläger der Beklagten zu 3) eine Zahlungsfrist bis zum 17.08.2000.

Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) sei plötzlich mit dem von diesem gefahrenen LKW auf die Rechtsabbiegespur gezogen. Der Beklagte zu 1) habe ein Ausweichmanöver vorgenommen, um einen sich auf seiner Spur befindlichen Baufahrzeug auszuweichen.

Der Kläger hat zunächst mit der am 2.11.2000 zugestellten Klage beantragt,
die Beklagten zu verurteilen an ihn 10.910,08 DM zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 24.10.2001 zugestellt am 12.11.2001 beantragt der Kläger nunmehr,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 8.985,87 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2000 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, die Zeugin T2 habe unter Benutzung der Busspur das Fahrzeug der Beklagten rechts überholen wollen. Als die Spur zu enden drohte, habe sie das Fahrzeug des Klägers nach links auf die Hauptfahrbahn gezogen. Dabei habe sie den dort befindlichen LKW der Beklagten zu 2) hinten links gerammt.

Das Gericht hat Beweis erhoben, durch die Vernehmung der Zeugen T2, Q F, PK Hermanns und PM S sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.02.2001 (Bl. 63-71 d.A.), auf das Sitzungsprotokoll vom 15.03.2001 (Bl. 74-77 d.A.) sowie auf das gemäß Beweisbeschluss vom 5.4.2001 eingeholte schriftliche Sachverständigen Gutachten (Bl. 95-134 d.A.) verwiesen.

Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nur zum Teil begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Zahlungsanspruch in Höhe von 2.246,47 DM. Die grundsätzliche Haftung des Beklagten zu 1) als Fahrer, der Beklagten zu 2) als Halterin ihres unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges sowie der Beklagten zu 3) als Versicherer dieses Fahrzeuges ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 und 2 PflVersG. Denn die Schäden des Klägers sind bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges der Beklagten zu 2) entstanden. Die Beklagten haben weder den Unabwendbarkeitsnachweis gem. § 7 Abs. 2 StVG führen noch nachweisen können, dass der Unfall nicht auf ein Verschulden des Beklagten zu 1) zurückzuführen ist, § 18 Abs. 1 S. 2 StVG.

Bei dem Unabwendbarkeitsnachweis nach § 7 Abs. 2 StVG kommt es darauf an, ob für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der Unfall unvermeidbar gewesen wäre. Vorliegend ist nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer anstelle des Beklagten zu 1) den Unfall vermieden hätte. Denn der Beklagte zu 1) hat ein Ausweichmanöver vorgenommen, ohne einen Blinker zu setzen.

Aber auch der Kläger haftet als Halter des Unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Denn auch er hat nicht nachweisen können, dass der Unfall für die Fahrerin seines PKW´s unabwendbar war. Auch hier ist nicht auszuschließen, dass ein anderer, besonders vorsichtiger Fahrer den Unfall vermieden hätte. Denn die Zeugin T2 hat entgegen der verkehrsrechtlichen Bestimmungen die Busspur benutzt.

Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gem. §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für dieses Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Im Rahmen dieser Abwägung werden aber zu Lasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt, die als unfallursächlich feststehen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu einer Schadensverteilung im Verhältnis von 3/4 zu Lasten des Klägers und 1/4 zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagten belastet die Betriebsgefahr des auf ihrer Seite am Unfall beteiligten Fahrzeuges. Hier war insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei dem unfallbeteiligten Fahrzeug auf Seiten der Beklagten um einen LKW handelte. Einen LKW trifft naturgemäß eine höhere Betriebsgefahr als einen PKW, da ein LKW im öffentlichen Verkehrsraum in einem besonderen Maße eine Gefahrenquelle eröffnet. Denn bei Beteiligung eines LKW´s an einem Unfall, kommt es in der Regel zu einem größeren Sach- und Personenschaden. Dem Führer eines LKW´s obliegen daher in einem besonderem Maße Sorgfaltspflichten.

Neben dieser Betriebsgefahr belastet die Beklagten aber auch ein Verschulden des fahrzeugführenden Beklagten zu 1). Ihm ist vorzuwerfen, dass er mit seinem LKW nach rechts zog, ohne einen Blinker zu setzen. Diese Verhaltensweise hat er bei seiner informatorischen Befragung selbst eingeräumt. Nach § 6 StVO muss jedoch jedes Fahrzeug, das ausschert den nachfolgenden Verkehr achten und insbesondere das Ausscheren sowie Wiedereinordnen ankündigen.

Den Kläger belastet hingegen neben der Betriebsgefahr seines PKW´s in einem erheblichen Maße das unfallursächliche Verschulden der Fahrzeugführerin, der Zeugin T2. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin T2 unter Benutzung der bis zur Haltelinie reichenden Busspur in den Kreuzungsbereich eingefahren ist. Sie hat nicht den vorgesehenen mit entsprechenden Richtungspfeilen markierten Geradeaus- und Rechtsabbiegestreifen benutzt sondern verkehrswidrig die Busspur. Erst dadurch war es überhaupt möglich, dass sie in den sogenannten toten Sichtwinkel des vom Beklagten zu 1) geführten LKW´s vorfahren konnte. Denn ohne die ordnungswidrige Benutzung der Busspur hätte sie hinter dem LKW warten müssen. In diesem Fall wäre es naturgemäß nicht zu dem Unfall gekommen. Ihr Verschulden wiegt daher besonders schwer.

Dieser Sachverhalt steht für das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest. Die Zeugin T2 hat bei ihrer Vernehmung selbst eingeräumt, dass sie evtl. ein Stückchen auf der Busspur gefahren sei. Aus den vom Sachverständigen zu seinem Gutachten gereichten Skizzen des Unfallortes ergibt sich zudem, dass die Zeugin T2 nur unter Befahrung der Busspur in die vom Sachverständigen festgestellte Position der Unfallfahrzeuge vorfahren konnte. Bestätigt wird dieser Sachverhalt zudem durch die Aussagen der Zeugen I2 und S, die als zuständige Polizeibeamte den Unfall aufgenommen haben. Sie gaben bei ihrer Vernehmung an, dass nach den Aussagen der Unfallbeteiligten unmittelbar nach dem Unfall, sie davon ausgingen, daß die Zeugin T2 die Busspur befahren hat. Zwar handelt es sich hierbei nur um eine subjektive Einschätzung, allerdings wird diese dadurch bestätigt, daß sich die Zeugin T2 nach Aussagen der Zeugen I2 und S unmittelbar nach dem Unfall dahingehend geäußert hat, sie habe die Busspur benutzen dürfen. Eine derartige Aussage ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Zeugin T2 tatsächlich die Busspur befahren hat. Da es sich um eine grobe Verkennung der verkehrsrechtlichen Situation handelt, ist es für das Gericht auch nachvollziehbar, dass sich die aufnehmenden Polizeibeamten an diese Äußerung erinnert haben.

Das Fehlverhalten der Zeugin T2 wiegt besonders schwer. Denn die Abgrenzung der Busspur war - wie sich aus den vom Sachverständigen vom Unfallort gefertigten Fotos ergibt - durch eine durchgezogene weiße Linie eindeutig erkennbar. Gerade eine durchgezogene weiße Linie auf der Fahrbahn signaliesiert aber für jeden Verkehrsteilnehmer, dass das Wechseln der Spur nicht erlaubt ist. Damit hat die Zeugin T2 grob verkehrswidrig gehandelt. Angesichts dessen belastet den Kläger neben der Betriebsgefahr im erheblichen Maße das unfallursächliche Verschulden der Fahrzeugführerin. Dieses Verschulden läßt die den Beklagten zuzurechnende Betriebsgefahr und das Verschulden des Beklagten zu 1) überwiegend in den Hintergrund treten. Denn ohne das grob verkehrswidrige Fehlverhalten der Zeugin T2, wäre das Fehlverhalten des Beklagten zu 1) nicht unfallursächlich gewesen. Unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Grundsätze war daher eine Schadensverteilung im Verhältnis von 3/4 zu Lasten des Klägers 1/4 zu Lasten der Beklagten angemessen.

Der Zinsanspruch ergibt such aus §§ 286, 284 BGB. Die Beklagten befanden durch die mit Schreiben vom 7.8.2002 gesetzte Zahlungsfrist bis zum 17.08.2000 seit dem 18.8.2000 in Verzug.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92, 100 Abs. 4, 269 III ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1, 711 ZPO.

Streitwert: Bis 02.11.2000: EUR 5.578,24, ab dann: EUR 4.595,62.