Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 22.04.2004 - 12 U 330/02 - Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung eines ein- bzw. aussteigenden Fahrzeugführers

KG Berlin v. 22.04.2004: Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung eines ein- bzw. aussteigenden Fahrzeugführers


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 22.04.2004 - 12 U 330/02) hat entschieden:
Kommt es in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigen (§ 14 Abs. 1 StVO) zu einem Verkehrsunfall, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Ein- oder Aussteigende seine gesetzlichen Sorgfaltspflichten verletzt hat. - Die gesteigerten Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO beziehen sich ausschließlich auf den fließenden Verkehr, nicht aber auf einen Verkehrsteilnehmer, der sein Fahrzeug sowie dessen Motor abgestellt hat und in der Tür seines Fahrzeugs steht.


Siehe auch Türöffner-Unfälle und Anscheinsbeweis - Beweis des ersten Anscheins


Gründe:

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils. Im Hinblick auf das Vorbringen der Berufung weist es ergänzend auf Folgendes hin:

a) Entgegen der Ansicht der Kläger kann ein Verstoß des Landgerichts gegen die Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO nicht festgestellt werden. Insbesondere war das Landgericht nicht verpflichtet, den Klägern ohne einen entsprechenden Antrag auf den in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis auf die Beurteilung der Beweislast durch das Landgericht einzuräumen. Ein rechtlicher Hinweis seitens des Landgerichts auf die Benennung von Beweismitteln durch die Kläger wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn das Unterlassen der Benennung weiterer Beweismittel durch die Kläger für das Landgericht erkennbar auf einem Versehen oder Rechtsirrtum beruht hätte (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl., § 139 Rdnr. 16). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände das Landgericht hätte erkennen können und müssen, dass die Kläger aufgrund eines Rechtsirrtums von einer ihnen günstigen Verteilung der Beweislast ausgingen und es deshalb unterließen, ihnen zur Verfügung stehende Beweismittel zum Unfallhergang zu benennen. Dass der Beweis des ersten Anscheins aus § 14 StVO gegen denjenigen spricht, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ein- bzw. Aussteigen ereignet hat, entspricht der ganz herrschenden Meinung (KG VM 86, 20; OLG Hamm, DAR 00, 64). Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Rechtslage anders beurteilten, ergaben sich aus den Schriftsätzen der Kläger für das Landgericht nicht. Im Gegenteil konnte das Landgericht daraus, dass die Kläger schon in der Klageschrift, noch bevor ihre Unfalldarstellung von der Beklagtenseite bestritten worden war, Beweis angetreten hatten, davon ausgehen, dass den Klägern die Erforderlichkeit eines Beweisantrittes bewusst war. Das Landgericht brauchte auch nicht anzunehmen, die Kläger würden im Hinblick auf die Verfügung vom 21. Januar 2002, mit der den Beklagten die Einzahlung eines Zeugenvorschusses für die von ihnen benannte Zeugin C aufgegeben worden war, die Benennung weiterer ihnen bekannter Beweismittel zum Unfallhergang für nicht mehr erforderlich halten. Dagegen spricht bereits, dass die Kläger nach Erhalt der gerichtlichen Verfügung mit Schriftsatz vom 25. März 2002 weitere Beweise für die Richtigkeit ihrer Unfalldarstellung angetreten haben. Da die Kläger auch, nachdem das Landgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf seine Einschätzung zur Frage der Beweislastverteilung hingewiesen hatte, keinen Schriftsatznachlass beantragt hatten, bestand für das Landgericht kein Anlass, einen derartigen Schriftsatznachlass von Amts wegen zu gewähren.

b) Ohne Erfolg beanstanden die Kläger, das Landgericht habe in dem angefochtenen Urteil die Gründe für seine Annahme nicht dargelegt, der Kläger zu 2. habe gegen dies sich aus § 14 Abs. 1 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten verstoßen. Die von den Klägern vermissten Ausführungen befinden sich auf S. 7 2. Absatz des angefochtenen Urteils.

c) Die von den Klägern vermisste Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile befindet sich auf S. 6 letzter Absatz des angefochtenen Urteils.

d) Zutreffend hat das Landgericht einen gegen die Beklagten sprechenden Anscheinsbeweis aus § 10 StVO verneint. Denn die gesteigerte Sorgfaltspflicht desjenigen, der aus einem Grundstück etc. in die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, bezieht sich auf den fließenden Verkehr (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. § 10 StVO Rdnr. 15). Der Kläger zu 2. hatte demgegenüber zum Unfallzeitpunkt den Motor seines Fahrzeugs bereits abgestellt und stand in der Tür seines Fahrzeugs. Er gehörte also nicht mehr zum fließenden Verkehr.

e) Dass sich eine vom Sonderfahrzeug der Beklagten ausgehende Gesteigerter Betriebsgefahr bei dem streitgegenständlichen Unfall konkret unfallursächlich ausgewirkt hätte, haben die Kläger nicht dargetan.

f) Eine Vernehmung der von den Klägern erstmals im Berufungsverfahren benannten Zeugen H zum Unfallhergang scheidet aus, da die Voraussetzungen, unter denen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise zugelassen werden können, nicht ersichtlich sind. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang eine Verletzung der rechtlichen Hinweispflicht durch das Landgericht rügen, wird auf die Ausführungen zu 1. a) verwiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.







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