Das Verkehrslexikon

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OLG Oldenburg Beschluss vom 14.01.1999 - Ss 506/98 - Durchfahrtgewährung beim Verlassen der abknickenden Vorfahrtstraße

OLG Oldenburg v. 14.01.1999: Durchfahrtgewährung beim Verlassen der abknickenden Vorfahrtstraße


Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 14.01.1999 - Ss 506/98) hat entschieden:
  1. Will ein Verkehrsteilnehmer die nach links abknickende Vorfahrtstraße geradeausfahrend verlassen, ändert sich zwar nicht seine Fahrtrichtung, er biegt aber im Rechtssinne ab und muss deshalb gemäß StVO § 9 Abs 3 S 1 Radfahrer durchfahren lassen, wenn diese der abknickenden Vorfahrtstraße folgen wollen.

  2. Der Radfahrer, welcher der abknickenden Vorfahrtstraße folgen will, muss dies gemäß StVO § 42 Abs 2 rechtzeitig und deutlich ankündigen. Nach dem im Straßenverkehrsrecht geltenden Vertrauensgrundsatz darf der Autofahrer auf das verkehrsrichtige Verhalten des Radfahrers vertrauen, soweit nicht erfahrungsgemäß mit häufigen typischen Verstößen zu rechnen ist. Da seit der Neuregelung der Anzeigepflicht beim Abbiegen über 25 Jahre vergangen sind, besteht kein Anlass für eine solche Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes.

Siehe auch Abknickende Vorfahrt und Radfahrer-Unfälle


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 65,- DM verurteilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Angeklagte am 13. Mai 1997 mit seinem PKW die vorfahrtberechtigte ... Straße in Osnabrück. Vor ihm fuhr am rechten Straßenrand der Zeuge K. mit seinem Fahrrad in die gleiche Richtung. An der Unfallstelle münden, aus der Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen, von links die ... Straße und von rechts die Straße Am Gut Sandfort in die sich geradeaus fortsetzende ... Straße ein. Die Vorfahrtstraße wird dort in einem Linksbogen als abknickende Vorfahrtsstraße in die ... Straße weitergeführt. Der Angeklagte befuhr geradeaus weiter die ... Straße. In der Kurve kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Radfahrer K., der der abknickenden Vorfahrt nach links folgte. Der Angeklagte verlor dabei die Gewalt über sein Fahrzeug und erfasste die am Straßenrand stehende Rentnerin H., die kurze Zeit später an den Unfallfolgen verstarb. Das Amtsgericht hat die Einlassung des Angeklagten, der Radfahrer K. habe - entgegen seiner Aussage - die beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung nicht angezeigt, zwar zugunsten des Angeklagten als wahr unterstellt. Es hat jedoch die Auffassung vertreten, der Angeklagte habe gleichwohl nicht darauf vertrauen dürfen, dass auch der Radfahrer K. geradeaus weiterfahren werde, sondern habe mit dessen verkehrswidrigem Verhalten rechnen und sich darauf einstellen müssen.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist begründet.

Wer eine nach links "abknickende" Vorfahrtstraße geradeausfahrend verlässt, ändert zwar nicht seine Fahrtrichtung, biegt aber im Rechtssinne ab und muss deshalb gemäß § 9 Abs. 3 S. 1 StVO Radfahrer durchfahren lassen, wenn diese der abknickenden Vorfahrt folgen. Der Angeklagte war daher grundsätzlich wartepflichtig. Andererseits war der Radfahrer K. nach § 42 Abs. 2 StVO verpflichtet, rechtzeitig und deutlich anzuzeigen, dass er der abknickenden Vorfahrtstraße folgen wollte. Wenn er dies nicht getan hat, durfte der Angeklagte mangels erkennbarer Gegenanzeichen davon ausgehen, auch der Radfahrer werde geradeaus fahren.

Nach dem im Straßenverkehrsrecht geltenden allgemeinen Vertrauensgrundsatz darf jeder, der sich selbst verkehrsgerecht verhält, auf fremdes verkehrsrichtiges Verhalten vertrauen, soweit nicht erfahrungsgemäß mit häufigen typischen Verstößen zu rechnen ist. Letzteres mag in den ersten Jahren nach der 1971 erfolgten gesetzlichen Regelung der Anzeigepflicht wegen verbreiteter Unkenntnis dieser Vorschrift der Fall gewesen sein, so dass es seinerzeit gerechtfertigt war, dem Wartepflichtigen den Vertrauensschutz schlechthin zu versagen (OLG Zweibrücken DAR 1974, 166; OLG Düsseldorf 1977, 1245; BayObLG DAR 1974, 302 und zuletzt noch 1986, 126). Angesichts dessen, dass mittlerweile mehr als 25 Jahre vergangen sind, erscheint dem Senat eine solche generalisierende Handhabung jedoch nicht mehr vertretbar (so auch OLG Zweibrücken DAR 1991, 68; Jagusch/ Hentschel StVO, 34. Auflage, § 8 Rn. 54; Mühlhaus/Janiszewski StVO, 15. Auflage, § 9 Rn. 40a). Die Beobachtung des allgemeinen Verkehrsverhaltens zeigt, dass die Richtungsanzeigeregeln in Fällen, in denen - wie hier - die Vorfahrt vom natürlichen Straßenverlauf abweicht, heute weitgehend beachtet werden. Für eine Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes besteht daher kein Anlass.

Das Urteil war somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kam nicht in Betracht, da nicht auszuschließen ist, dass in der erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen, insbesondere zur Frage, ob der Radfahrer K. seine beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung durch Handzeichen angekündigt hat, getroffen werden können.







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