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OLG Celle Beschluss vom 15.04.2015 - 2 W 91/15 - Verfahrensgebühr des Berufungsbeklagten
OLG Celle v. 15.04.2015: Keine Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr des Berufungsbeklagten bei Zugang der Berufungsbegründung erst mit der Entscheidung über das Rechtsmittel
Das OLG Celle (Beschluss vom 15.04.2015 - 2 W 91/15) hat entschieden:
Dem obsiegenden Berufungsbeklagten, der die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt hat, steht kein Anspruch auf Erstattung der vollen 1,6 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 RVG-VV zu, wenn ihm die Berufungsbegründung nicht vor, sondern erst zusammen mit der abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts über das Rechtsmittel zugegangen ist.
Siehe auch Geschäftsgebühr (Nr. 2400 RVG-VV) und gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) und Stichwörter zum Thema Rechtsanwaltsgebühren - Anwaltshonorar - Rechtsanwaltskosten
Gründe:
I.
Die Parteien streiten im Verfahren der Kostenfestsetzung darum, ob der Klägerin eine 1,6-fache Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren zu erstatten ist.
Die Beklagten haben gegen das am 24. Oktober 2014 verkündete, ihnen am 4. November 2014 zugestellte Schlussurteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg mit am 4. Dezember 2014 bei dem Oberlandesgericht Celle eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tag Berufung eingelegt. Zugleich haben sie den Antrag angekündigt, das vorgenannte Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen (Bl. 81 f. d. A.). Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014 die Vertretung der „Beklagten“ (richtigerweise: der Klägerin) angezeigt und den Antrag formuliert, die Berufung zurückzuweisen (Bl. 91 d. A.).
Der Vorsitzende des 3. Zivilsenats hat mit Verfügung vom 7. Januar 2015 die Beklagten darauf hingewiesen, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei, weshalb beabsichtigt sei, die Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen (Bl. 93 d. A.). Zu der ihnen am 13. Januar 2015 zugestellten Verfügung wurde den Beklagten eine Frist zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gesetzt. Die Klägerin erhielt hiervon eine formlose Mitteilung. Mit am 13. Januar 2015 vorab per Telefax bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage haben die Beklagten ihre Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt (Bl. 96 - 103 d. A.). Mit Beschluss vom 22. Januar 2015, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 113 - 119 d. A. verwiesen wird, hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zugleich sind den Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldnern auferlegt worden. Der Klägerin wurde die Berufungsbegründung der Beklagten und deren Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstmalig gemeinsam mit dem Beschluss vom 22. Januar 2015 am 27. Januar 2015 zugestellt (Bl. 125 d. A.).
Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Februar 2015, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 138, 138 R d. A. Bezug genommen wird, hat die Rechtspflegerin der 5. Zivilkammer die von den Beklagten an die Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstattenden Kosten auf 487,19 Euro nebst Zinsen festgesetzt. Dabei hat sie entgegen dem Antrag der Klägerin nicht eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG, sondern gemäß Nr. 3201 VV-RVG eine auf das 1,1-fache ermäßigte Verfahrensgebühr berücksichtigt.
Gegen den ihr am 24. Februar 2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Klägerin mit vorab per Telefax am 10. März bei dem Landgericht Lüneburg eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, sie sei unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit berechtigt gewesen, unverzüglich einen Sachantrag und somit einen Gegenantrag zu stellen. Deshalb sei ihr eine 1,6-fache Verfahrensgebühr zu erstatten (Bl. 143 f. d. A.). Mit Nichtabhilfebeschluss vom 2. April 2015 hat die Rechtspflegerin das Verfahren dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 147, 147 R d. A.).
II.
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG in Verbindung mit §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Mit Recht hat die Rechtspflegerin für die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Berufungsverfahren bei einem Gegenstandswert von bis zu 6.000,00 Euro lediglich eine auf das 1,1-fache ermäßigte Verfahrensgebühr nach §§ 2, 13 RVG i. V. m. Nr. 3201 VV-RVG zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG) und 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV-RVG) festgesetzt.
Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG entsteht im Berufungsverfahren nach Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV-RVG für das Betreiben des Geschäfts, zu dem unter anderem das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht gehört. Allerdings ermäßigt sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags auf das 1,1-fache. Eine solche vorzeitige Beendigung liegt vor, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht hat. Danach ist vorliegend für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgrund des von ihm eingereichten Schriftsatzes vom 12. Dezember 2014 unzweifelhaft die 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.
Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob die Klägerin diese Kosten in voller Höhe von den Beklagten erstattet verlangen kann. Die Erstattungsfähigkeit setzt nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO voraus, dass der den Antrag auf Zurückweisung der Berufung enthaltende Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig sind, bestimmt sich grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei eine die kostenauslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte (vgl. BGH JurBüro 2015, 90). Eine Erstattung der aufgewendeten Kosten kann eine Partei deshalb nur insoweit beanspruchen, als sie ihrer aus dem Prozessrechtsverhältnis folgenden Obliegenheit nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl. BGH MDR 2010, 165; BGH NJW 2009, 3102; BGH NJW 2007, 3723).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die durch Einreichung des Schriftsatzes vom 12. Dezember 2014 entstandene 1,6-fache Verfahrensgebühr nicht erstattungsfähig. Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Beklagten bereits mit der Einlegung der Berufung einen Sachantrag gestellt hätten und die Klägerin deshalb unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit hierzu ebenfalls berechtigt gewesen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Das Prinzip der „Waffengleichheit“ besagt gerade nicht, dass es dem Rechtsmittelgegner stets möglich sein muss, Anwaltskosten in gleicher Höhe erstattet zu verlangen, wie sie dem Rechtsmittelführer entstanden sind (vgl. BGH AGS 2003, 221). Ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ist grundsätzlich nicht notwendig, sofern der Rechtsmittelführer noch keinen Antrag und keine Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Denn im Normalfall besteht kein Anlass für den Rechtsmittelgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels anzukündigen. Der Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf die Entscheidung der Vorinstanz sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ausgehen könnte, solange mangels einer Rechtsmittelbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (vgl. BGH NJW-RR 2014, 185; BGH NJW 2009, 2221; BGH NJW 2009, 3103; BGH AGS 2003, 221; BAG NZA 2003, 1293).
Vorliegend ergibt sich auch keine andere Bewertung aus dem Umstand, dass die Beklagten mit Schriftsatz vom 13. Januar 2013 um eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht und zugleich eine Berufungsbegründung bei Gericht eingereicht haben. Denn das Berufungsgericht hatte zuvor unter ausdrücklichem Hinweis auf § 522 Abs. 1 ZPO angekündigt, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen, den Beklagten eine Frist zur Stellungnahme hierzu gesetzt sowie die Klägerin über die beabsichtige Verwerfung des Rechtsmittels unterrichtet. Weist das Berufungsgericht - wie geschehen - unter Bezugnahme auf § 522 Abs. 1 ZPO auf den verspäteten oder gänzlich unterbliebenen Eingang der Berufungsbegründung hin und bringt es diesen Hinweis auch dem Berufungsbeklagten zur Kenntnis, hat der Berufungsbeklagte regelmäßig keine Veranlassung, innerhalb der mit dem Hinweis verbundenen Stellungnahmefrist kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Denn nach der ihm vorteilhaften Ankündigung des Berufungsgerichts, in der zugleich eine weitgehend abgeschlossene Meinungsbildung in der Beurteilung der Zulässigkeitsfrage zum Ausdruck kommt, hat ein Berufungsbeklagter durch ein Untätigbleiben jedenfalls bis zum Ablaufen der gesetzten Frist ersichtlich weder Rechtsnachteile zu befürchten noch Anlass, die Prozesssituation als für sich risikobehaftet einzuschätzen, noch kann er sonst davon ausgehen, durch Abgabe einer Stellungnahme einen Verfahrensabschluss wesentlich zu beschleunigen (vgl. BGH, VIII ZB 60/09, Beschluss vom 10. November 2009, veröffentlicht in: NJW-RR 2010, 1224; BGHZ 166, 117; Musielak/Voit, ZPO, 12. Auflage 2015, § 91 Rn. 15 m. w. N. ).
Bereits mit Beschluss vom 22. Januar 2015 hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle den Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und deren Berufung als unzulässig verworfen. Noch innerhalb der den Beklagten zu der beabsichtigten Verwerfung gesetzten Stellungnahmefrist ist der Klägerin dieser Beschluss am 27. Januar 2015 zugestellt worden. Bis dahin bestand für die Klägerin keine Veranlassung, kostenauslösende Maßnahmen zu veranlassen.
Soweit der Bundesgerichtshof mit seinen Beschlüssen vom 23.10.2013, Az.: V ZB 143/12, veröffentlicht in: NJW-RR 2014, 185, sowie vom 30.9.2014, Az.: XI ZB 21/13, veröffentlicht in: JurBüro 2015, 90, ausgeführt hat, dass nach Einreichung einer Rechtsmittelbegründung dem Rechtsmittelgegner ein berechtigtes Interesse nicht abgesprochen werden könne, mit anwaltlicher Hilfe eine Zurückweisung des Rechtsmittels anzustreben und einen entsprechenden Antrag anzukündigen, weshalb von diesem Zeitpunkt an eine Verteidigung notwendig und selbst bei einem „verfrühten“ Zurückweisungsantrag mit dann erstattungsfähigen Kosten verbunden sei, steht das vorliegend der fehlenden Erstattungsfähigkeit nicht entgegen. Denn erkennbar stellt der Bundesgerichtshof nicht darauf ab, ob überhaupt eine Rechtsmittelbegründungsschrift existent ist oder bei dem Rechtsmittelgericht vorgelegt wird, sondern ob diese dem Rechtsmittelgegner vor einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung über das Rechtsmittel zur Kenntnis gebracht worden ist. Denn nur, wenn dem Rechtsmittelgegner die durch den Rechtsmittelführer vorgebrachte Begründung inhaltlich bekannt wird, kann er sich überhaupt mit Inhalt und Umfang des Angriffs gegen die Entscheidung der vorhergehenden Instanz sachlich auseinandersetzen sowie das Verfahren mit einem entsprechenden Gegenantrag und dessen Begründung fördern. Der Klägerin war die durch die Beklagten bei Gericht eingereichte Berufungsbegründung und auch deren gleichzeitiges Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor der abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts nicht bekannt. Sie hat diese erstmalig mit dem die Instanz beendenden Beschluss vom 22. Januar 2015 am 27. Januar 2015 erhalten. Aus diesem Grunde konnte sie sich inhaltlich mit dem Vorbringen der Beklagten überhaupt nicht befassen, was sie folgerichtig auch nicht getan hat. Die Klägerin befand sich nach alledem in keiner anderen Situation als die Berufungsbeklagten in dem vom 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 10. November 2009 (NJW-RR 2010, 1224) entschiedenen Fall. Ihr war bis zur Übersendung des Verwerfungsbeschlusses lediglich mitgeteilt worden, dass das Berufungsgericht wegen des fruchtlosen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist die Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigte. Die den Berufungsklägern insoweit gesetzte Frist zur Stellungnahme war noch nicht abgelaufen, als der Berufungsbeklagten der Verwerfungsbeschluss zugegangen ist. Der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Beschluss vom 30. September 2014 (JurBüro 2015, 90, II. 2 b cc a. E.) die vorgenannte Rechtsprechung des 8. Zivilsenats bekräftigt, indem er darauf hingewiesen hat, dass der von ihm entschiedene Fall anders gelagert war.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit Nr. 1812 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Höhe der teilweise abgesetzten Verfahrensgebühr einschließlich der hierauf geltend gemachten Mehrwertsteuer.
IV.
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Nach dem Wortlaut seiner zitierten Beschlüsse vom 23.10.2013, Az.: V ZB 143/12, sowie vom 30.9.2014, Az.: XI ZB 21/13, hat der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten bei einem verfrühten Zurückweisungsantrag des Berufungsbeklagten maßgeblich auf den „Eingang“ der Rechtsmittelbegründungsschrift abgestellt. Insoweit erscheint eine Klarstellung anzeigt, ob damit für eine Erstattungsfähigkeit im Sinne der Entscheidung des Senats zumindest ein Zugang dieser Begründung bei dem Rechtsmittelgegner oder im wörtlichen Sinne lediglich eine Einreichung bei Gericht notwendig ist.