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OVG Bautzen Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
OVG Bautzen v. 26.07.2013: Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
Das OVG Bautzen (Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13) hat entschieden:
- Liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, so hat die Behörde gemäß § 20 Abs. 2 FeV eine Fahrerlaubnisprüfung anzuordnen. Der Behörde steht hierbei kein Ermessensspielraum zu. Die Prüfung ist vielmehr zwingend anzuordnen, wenn solche Tatsachen vorliegen. Weist der Bewerber seine Befähigung nicht nach, oder weigert er sich, eine Fahrerlaubnisprüfung abzulegen, hat die Fahrerlaubnisbehörde davon auszugehen, dass der Bewerber nicht befähigt ist.
- Die Tatsache, dass jemand nach nur 14-monatiger Fahrpraxis eine Phase von mehr als 13 Jahren ohne jegliche Fahrt durchlaufen hat, rechtfertigt die Annahme, dass er nicht (mehr) die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt.
Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Die prüfungsfreie Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
Gründe:
Die am 7. Dezember 2012 fristgerecht erhobene Beschwerde des Klägers gegen den am 23. November 2012 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten abgelehnt wurde, hat keinen Erfolg.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 3 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht dem Erfolg der Beschwerde nicht bereits entgegen, dass der Kläger seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamts für Straßenbau und Verkehr vom 10. September 2012, mit welchem sein Antrag vom 8. September 2011 auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B + BE + M + S + L nach vorangegangener Entziehung abgelehnt wurde, in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2012 vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen hat. Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass in Fällen der Beendigung des Rechtsstreits der Zweck der Prozesskostenhilfe, nämlich Unbemittelten die für die Führung eines aussichtsreichen Rechtsstreits erforderlichen Kosten aufzubringen, nicht mehr erreicht werden kann. Denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt grundsätzlich voraus, dass die fragliche Rechtsverfolgung noch "beabsichtigt" (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO) ist. Nach einer wirksamen Beendigung haben die Beteiligten keine Aufwendungen für einen aussichtsreichen Rechtsstreit mehr aufzubringen. Die nachträgliche Erstattung zuvor aufgewendeter Kosten ist aber nicht Sinn der Prozesskostenhilfe. Eine gleichsam rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt jedoch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Bewilligungsantrag im Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens bereits bewilligungsreif war (BVerfG Beschl. v. 14. April 2010 - 1 BvR 362/10 -; BVerwG, Beschl. vom 3. März 1998 - 1 PKH 3/98 - juris). Dies setzt zumindest voraus, dass der Antragsteller alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche und Zumutbare getan hat. Im Übrigen muss die rückwirkende Bewilligung ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen geboten sein (st. Rspr., vgl. SächsOVG, Beschl. v. 23. Juli 2012 - 3 D 77/12 -, juris m. w. N.).
Zwar ist hier davon auszugehen, dass der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 12. Oktober 2012 im Zeitpunkt der Rücknahme seiner Klage bewilligungsreif war. Denn sein Antrag einschließlich ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen war bereits am 15. Oktober 2012 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Eine gleichsam rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe scheidet jedoch aus, da die vom Kläger ursprünglich beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bot.
Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, indem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn die Sach- und Rechtslage bei summarischer Prüfung zumindest als offen erscheint, wobei die Anforderungen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 38 Satz 1 SächsVerf) nicht überspannt werden dürfen. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Insbesondere darf das Bewilligungsverfahren nicht dazu benutzt werden, die Klärung streitiger Rechts- oder Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. Oktober 2003, NVwZ 2004, 334 m. w. N.). Ein Erfolg des Rechtsbehelfs muss nicht gewiss sein; vielmehr reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus, die bereits gegeben ist, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 166 Rn. 14a) ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen.
Gemessen hieran bleibt die Beschwerde ohne Erfolg, da die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamts für Straßenbau und Verkehr vom 10. September 2012 keine hinreichenden Erfolgsaussichten bot.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt, die Voraussetzungen für die begehrte Neuerteilung der Fahrerlaubnis lägen nicht vor. Der Beklagte sei auf Grundlage des vom Kläger zu Recht angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehle. Unabhängig davon habe der Beklagte zudem auch zu Recht eine (praktische und theoretische) Fahrerlaubnisprüfung angeordnet, weil in der Person des Klägers Tatsachen vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, dass er die nach den §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitze. Der Beklagte habe zutreffend darauf abgehoben, dass dem Zeitfaktor hierbei eine wesentliche Bedeutung zukomme. Der Kläger verfüge lediglich über eine etwa einjährige Fahrpraxis. Dieser kurzen Zeitspanne stünden 13 Jahre vollkommen fehlender Fahrpraxis gegenüber. Soweit der Kläger dagegen einwende, er habe im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme eine Fahrschule durchlaufen und damit nachgewiesen, die Ausbildungsziele nach § 1 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung - FahrschAusbO - bereits erreicht zu haben, übersehe er, dass der Beklagte von ihm lediglich den Nachweis einer Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Ablegung einer theoretischen und praktischen Prüfung fordere. Es sei ihm gerade nicht aufgegeben worden, eine theoretische und praktische Ausbildung entsprechend der Maßgaben der Fahrschüler-Ausbildungsordnung zu absolvieren.
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Kläger im Wesentlichen vor, das medizinisch-psychologische Gutachten der DEKRA vom 28. November 2011 sei fehlerhaft. Der Beklagte habe sich nicht hinreichend mit seinen gegen dieses Gutachten vorgebrachten Argumenten auseinander gesetzt und sei auf Grundlage des Gutachtens unzutreffend davon ausgegangen, er sei nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Sowohl die erfolgte Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung als auch die Frage der Notwendigkeit einer erneuten Prüfungsablegung stehe im Ermessen der Behörde. Der Beklagte habe sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sich seine Klage gegen die „vollständige Ablehnung“ der Neuerteilung richte. Würde sich im Klageverfahren herausstellen, dass er im Falle des Bestehens der theoretischen und praktischen Prüfung einen Anspruch auf Neuerteilung hätte, würde dies für ihn zumindest einen Teilerfolg bedeuten. Die beabsichtige Rechtsverfolgung sei somit nicht vollkommen aussichtslos.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Klägers ist davon auszugehen, dass seine Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn selbst wenn das medizinisch-psychologische Gutachten fehlerhaft und der Beklagte auf dessen Grundlage folglich zu Unrecht zu der Feststellung gelangt sein sollte, dass der Kläger derzeit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, hätte der Kläger mangels Nachweis einer erneuten theoretischen und praktischen Fahrerlaubnisprüfung keinen Anspruch auf die Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis gehabt.
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht die Vorschriften für die Ersterteilung. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 findet § 15 FeV, wonach der Bewerber um eine Fahrerlaubnis regelmäßig seine Befähigung in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachzuweisen hat, vorbehaltlich des § 20 Abs. 2 FeV keine Anwendung. Liegen jedoch Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, so hat die Behörde gemäß § 20 Abs. 2 FeV eine Fahrerlaubnisprüfung anzuordnen. Anders als der Kläger meint, steht der Behörde hierbei kein Ermessensspielraum zu. Die Prüfung ist vielmehr zwingend anzuordnen, wenn solche Tatsachen vorliegen. Weist der Bewerber seine Befähigung nicht nach, oder weigert er sich, eine Fahrerlaubnisprüfung abzulegen, hat die Fahrerlaubnisbehörde davon auszugehen, dass der Bewerber nicht befähigt ist (Dauer, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). So liegt hier der Fall.
Ob Tatsachen vorliegen, die den Schluss erlauben, dass die notwendige Befähigung nicht (mehr) vorhanden ist, ist im Wege einer Gesamtschau der im jeweiligen Einzelfall relevanten Tatsachen zu beurteilen. Der Zeitdauer fehlender oder eingeschränkter Fahrpraxis mit Kraftfahrzeugen der betroffenen Fahrerlaubnisklasse kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu (Dauer a. a. O. § 20 FeV Rn. 2). Feste Zeitgrenzen können nicht genannt werden. Es ist danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Erwerb der Fahrbefähigung zurückliegt, wie lange und ob regelmäßig oder nur sporadisch der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat, und wie lange eine danach liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat.
Danach ist hier davon auszugehen, dass solche Tatsachen in der Person des Klägers vorliegen. Der Kläger erhielt erstmals am 11. Mai 1998 eine Fahrerlaubnis, die ihm mit Bescheid des Landratsamtes Zwickauer Land vom 28. Juni 1999 bereits wieder entzogen wurde. Der Kläger verfügte somit über eine - in zeitlicher Hinsicht - geringe Fahrpraxis von weniger als 14 Monaten. Demgegenüber steht eine lange Phase mangelnder Fahrpraxis, die seit dem Entzug der ersten Fahrerlaubnis ununterbrochen und im Bewilligungszeitpunkt schon mehr als 13 Jahre angedauert hatte. Diese Tatsachen rechtfertigen Annahme, dass der Kläger nicht (mehr) die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt (zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV: BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 2011, NJW 2012, 696).
Soweit er in der Klagebegründung darauf hingewiesen hat, dass er „im Rahmen der von ihm durchgeführten Umschulungsmaßnahme grundsätzlich nochmals eine Fahrschule durchlaufen“ habe, vermag er die die Anordnung einer erneuten Fahrerlaubnisprüfung rechtfertigenden Tatsachen nicht zu entkräften. Insoweit fehlt es schon an einem substantiierten Vortrag des Klägers zu Art und Umfang des Besuchs der „Fahrschule“ und zu einer dabei von ihm erworbenen Fahrpraxis. Jedenfalls ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass sich der Kläger seit der erstmaligen Ablegung der Fahrerlaubnisprüfung im Jahr 1998 - im Rahmen der Umschulungsmaßnahme - einer erneuten Prüfung unterzogen hat. Soweit er damit sinngemäß vortragen will, er habe während der Umschulung - etwa durch Absolvierung einzelner Fahrschulstunden - übungsweise Fahrpraxis erworben, vermag dies am Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 2 FeV angesichts des langen Zeitraums mangelnder Fahrpraxis im Übrigen nichts zu ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht; die Festsetzung der Beschwerdegebühr folgt aus § 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).