Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 13.12.2011 - 9 K 5357/10 - Keine prüfungsfreie Neuerteilung nach regelmäßiger Teilnahme mit einem Mofa am Straßenverkehr

VG Gelsenkirchen v. 13.12.2011: Kein Befähigungsnachweis durch regelmäßige Teilnahme mit einem Mofa am Straßenverkehr nach der Entziehung der Fahrerlaubnis


Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 13.12.2011 - 9 K 5357/10) hat entschieden:
Zum Nachweis der geforderten theoretischen und praktischen Befähigung im Sinne des § 2 Abs. 5 StVG zum Führen eines Kraftfahrzeuges - hier Klasse B - findet der im Rahmen des Ersterteilungsverfahrens für die Klasse 1 vorgelegte Befähigungsnachweis im vorliegenden Fall keine Berücksichtigung.


Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Die prüfungsfreie Neuerteilung einer Fahrerlaubnis


Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nicht die nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung - ZPO - erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 3. November 2011 dürfte rechtmäßig sein und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die vom Kläger beantragte Fahrerlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Bewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachgewiesen hat (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Straßenverkehrsgesetz - StVG -). Befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 2 Abs. 5 StVG, wer ausreichende Kenntnisse der für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften hat (Nr. 1), mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist (Nr. 2), die zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges, gegebenenfalls mit Anhänger, erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist (Nr. 3) und über ausreichende Kenntnisse in einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist (Nr. 4).

Der Kläger hat seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen - trotz Aufforderung der Beklagten - nicht in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachgewiesen (vgl. §§ 15 ff. Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr - FeV -). Zum Nachweis der geforderten theoretischen und praktischen Befähigung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die im Rahmen des Ersterteilungsverfahrens abgelegte theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung berufen. Der seinerzeit vorgelegte Befähigungsnachweis kann im Rahmen des streitgegenständlichen Neuerteilungsverfahrens nicht mehr als Nachweis der Befähigung im Sinne des § 2 Abs. 5 StVG Berücksichtigung finden. Zutreffend hat die Beklagte mit Schreiben vom 6. Oktober 2010 daher auf Grundlage von § 20 Abs. 2 FeV die Ablegung einer theoretischen und praktischen Fahrerlaubnisprüfung für die nunmehr beantragte Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Nach § 20 Abs. 2 FeV in der derzeit geltenden Fassung vom 13. Dezember 2010 (zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 7. Januar 2011, BGBl. I S. 3) ordnet die Fahrerlaubnisbehörde eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Ob Tatsachen im Sinne des § 20 Abs. 2 FeV vorliegen, die den Schluss erlauben ("rechtfertigen"), dass die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht (mehr) vorhanden sind, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Wenn § 20 Abs. 2 FeV auf "Tatsachen" abstellt, ist damit das Gesamtbild der relevanten Tatsachen gemeint. Vorzunehmen ist danach eine umfassende Würdigung des jeweiligen Einzelfalles, bei der sowohl die für als auch gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis.
Siehe zur vergleichbaren Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2011 - 3 C 31.10 -, zitiert nach juris m.w.N.
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 FeV erfüllt sind, hat die Fahrerlaubnisbehörde keinen Beurteilungsspielraum; ihre Bewertung unterliegt in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zu Recht die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung bejaht. Die fehlende Fahrpraxis des Klägers rechtfertigt die Annahme, dass er nicht mehr über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des § 20 Abs. 2 FeV verfügt. Nach Aktenlage ist dem Kläger erstmalig am 28. November 1990 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt worden. Diese Fahrerlaubnis wurde ihm aber bereits mit Urteil des Amtsgerichts F. -C. vom 22. Juni 1993 (Az.: 19 Js 817/92) entzogen. Der Kläger verfügt mithin seit über 18 Jahren nicht über eine Fahrerlaubnis. Es liegt auf der Hand, dass ein derart langer Zeitraum der fehlenden Schulung dieser erlangten Befähigung schon für sich gesehen Zweifel am Fortbestand der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigt. Hinzu kommt, dass nicht unterstellt werden kann, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügende Straßenverkehrsteilnehmer werde sich in gleichem Maße wie ein Fahrerlaubnisinhaber mit Änderungen und Neuerungen der für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften vertraut machen. Der Inhaber einer Fahrerlaubnis kann darüber hinaus den Fortbestand der Befähigung durch die Teilnahme am fahrerlaubnispflichtigen Straßenverkehr pflegen. Dies ist demjenigen, der seit Jahren nicht mehr über eine Fahrerlaubnis verfügt, nicht möglich. Er kann mangels Fahrpraxis auch nicht etwaig entstandene Lücken beim prüfungsrelevanten Stoff durch eine im Laufe der Zeit entwickelte Routine beim Fahren kompensieren. Auch eine erlangte Routine bedarf der Bewahrung.

Es kommt vorliegend erschwerend hinzu, dass der Kläger vor der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht einmal drei Jahre im Besitz derselben gewesen ist und daher bereits grundlegende Zweifel bestehen, ob er in diesem (kurzen) Zeitraum die durch die Fahrerlaubnisprüfung erlangte Befähigung durch hinreichende Fahrpraxis in einer Weise festigen konnte, die ihn trotz des langjährigen Verlustes der Fahrerlaubnis heute noch befähigt, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die notwendigen Fertigkeiten für eine sichere Führung eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr und die Routine, die zur Bewältigung von problematischen Situationen im Straßenverkehr erforderlich ist, verfestigen sich erst nach Jahren der stetigen Fahrpraxis. Hiervon ging auch der Gesetzgeber bei Einführung des Führerscheins auf Probe gemäß § 2a StVG aus. Danach müssen sich Fahranfänger beim erstmaligen Erwerb der Fahrerlaubnis innerhalb einer Probezeit von zwei Jahren bewähren. Schon bei zwei weniger schwerwiegenden oder einer schwerwiegenden Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr verlängert sich die Probezeit auf vier Jahre (vgl. § 2a Abs. 2a StVG). Erst danach entlässt der Gesetzgeber den Ersterwerber einer Fahrerlaubnis aus diesem speziellen, eine Kompensation von fehlender Fahrpraxis und Routine bewirkenden Überwachungssystem.

Der Umstand, dass der Kläger nach der Entziehung seiner Fahrerlaubnis regelmäßig mit einem Mofa am Straßenverkehr teilgenommen haben will, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem in § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV genannten Fahrzeug reicht nicht aus, die Kenntnisse und Fähigkeiten zu erhalten bzw. neu zu erwerben, die für das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr erforderlich sind. Dass sich die Anforderungen an einen Verkehrsteilnehmer bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa oder mit einem erlaubnispflichtigen Fahrzeug grundlegend voneinander unterscheiden, zeigt sich bereits darin, dass der Verordnungsgeber die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa von der Erlaubnispflicht ausgenommen hat (§ 4 Abs. 1 FeV). Während bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeug der Nachweis der Befähigung gemäß §§ 15 ff. FeV erforderlich ist, kann ein Mofa auf öffentlichen Straßen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FeV bereits dann geführt werden, wenn der Bewerber in einer Prüfung nachgewiesen hat, dass er ausreichende Kenntnisse der für das Führen eines Kraftfahrzeuges maßgebenden gesetzlichen Vorschriften hat und mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa einerseits und mit einem Kraftfahrzeug der Klasse B andererseits mit Blick auf die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit des Mofas von nicht mehr als 25 km/h auf ebener Bahn und die im Unterschied zu erlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen abweichenden Vorschriften über die (zulässige) Teilnahme am Straßenverkehr (vgl. u.a. §§ 2 Abs. 4 Satz 6, 5 Abs. 8, 18 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung) schlechthin nicht vergleichbar sind.