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Verwaltungsgericht Regensburg Urteil vom 03.05.2010 - RN 8 K 09.2517 - Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer 16 Jahre zurückliegenden Entziehung

VG Regensburg v. 03.05.2010: Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer 16 Jahre zurückliegenden Entziehung


Das Verwaltungsgericht Regensburg (Urteil vom 03.05.2010 - RN 8 K 09.2517) hat entschieden:
Auch nach Wegfall der Zwei-Jahres-Frist in § 20 Abs. 2 FeV (F.: 2009-01-19) bleibt die Dauer der fehlenden Fahrpraxis maßgeblicher Umstand bei der Prüfung der Frage, ob der Antragsteller über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt.


Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Die prüfungsfreie Neuerteilung einer Fahrerlaubnis


Tatbestand:

Die am …1963 geborene Klägerin wendet sich gegen die Entscheidung des Landratsamtes P., die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis für die Klägerin von einer erfolgreich abgelegten Prüfung in Theorie und Praxis abhängig zu machen.

Der Klägerin wurde erstmalig am 5.6.1981 eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt. Nach einem in alkoholisiertem Zustand (BAK 2,26 Promille) begangenen Verkehrsdelikt wurde der Klägerin mit Urteil des Amtsgerichts P. vom 5. Juli 1993 u.a. die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 10 Monaten verhängt.

Zwei in den Jahren 1994 und 1998 gestellte Anträge auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hat die Klägerin zurückgenommen.

Anfang 2009 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 31.3.2009 teilte das Landratsamt P. der Klägerin mit, dass diesem Antrag für die Klassen A1, B, BE nur entsprochen werden könne, wenn sie die erforderliche Prüfung in Theorie und Praxis erfolgreich abgelegt habe. Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 14.5.2009, in dem darauf hingewiesen wurde, dass der frühere § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV, der eine Überprüfung der Befähigung vorgesehen habe, wenn der Ablauf der Berechtigung am Tag der Antragstellung länger als zwei Jahre zurückgelegen sei, aufgehoben worden sei. Mit Wegfall dieser Regelvermutung sei auch nach Ablauf von zwei Jahren die Fahrerlaubnis wieder zu erteilen, wenn keine Tatsachen vorlägen, welche die Annahme rechtfertigten, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitze. Derartiges sei hier nicht der Fall.

Das Landratsamt P. lehnte mit Bescheid vom 19.5.2009 den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A1, B und BE ab. Hinsichtlich der Begründung des Bescheides wird auf die Behördenakte verwiesen.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 27.11.2009).

Mit einem am 24.12.2009 bei Gericht eingegangenen Schreiben ihrer Bevollmächtigten ließ die Klägerin Klage gegen die vorgenannten Bescheide erheben. Es sei willkürlich, wenn das Landratsamt P. die Anordnung einer erfolgreichen praktischen und theoretischen Fahrprüfung damit rechtfertige, dass nach seiner Meinung bei der annähernd 16jährigen Abstinenz der Klägerin von der Fahrpraxis die Verkehrssicherheit gefährdet wäre. Durch den Wegfall des § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV sei der Automatismus beseitigt, dass nach zweijähriger Straßenverkehrsabstinenz sozusagen automatisch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wegfalle. Erforderlich seien nun Tatsachen, welche die Annahme rechtfertigten, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitze. Allein die Dauer zwischen Entzug und Wiedererteilung dürfe nun nicht mehr entscheidender Maßstab sein. Andernfalls hätte sich der Gesetzgeber für andere Ersatzfristen entschieden. Tatsachen der vorgenannten Art lägen aber nicht vor. Die Anordnung des Landratsamtes verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. In vergleichbaren Fällen fordere der Gesetzgeber gerade keinen Nachweis der praktischen und theoretischen Kenntnisse, ebenso wenig den der tatsächlichen Teilnahme am Straßenverkehr mit der entsprechenden Fahrpraxis und der Kenntnis der aktuellen Straßenverkehrsvorschriften. So sei beispielsweise gemäß § 23 FeV die Fahrerlaubnis der Klassen C und D auf fünf Jahre beschränkt. Nach Ablauf dieser fünf Jahre hätten die Inhaber dieser Fahrerlaubnis die Verlängerung zu beantragen, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen des § 24 FeV erfülle. Zu diesen gehöre jedoch kein Nachweis zur Fahrpraxis und/oder Kenntnis der aktuellen Verkehrsvorschriften. Dabei sei bekannt, dass viele Wehrpflichtige während der Ableistung ihres Wehrdienstes ihren Führerschein der Klassen C bis C1E erwerben, ohne diese Fahrzeuge nach Ableistung des Wehrdienstes jemals wieder im Straßenverkehr zu bewegen. Gleichwohl würde die Verlängerungen der Geltungsdauer beantragt, um die Fahrerlaubnis nicht zu verlieren. Dabei handele es sich um Fahrzeuge, die eine ganz besondere Zuverlässigkeit des Fahrzeugführers erforderten.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes P. vom 19.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Niederbayern vom 27.11.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klagepartei gehe in der Annahme fehl, der Gesetzgeber habe mit der Streichung der sog. „Zwei-Jahres-Frist“ eine Überprüfung der Befähigung durch längeren Nichtbesitz der Fahrerlaubnis ausgeschlossen. Vielmehr sei richtig, dass durch die Aufgabe einer starren Fristsetzung der Automatismus einer Wiederholung der Befähigungsprüfung nach zwei Jahren Nichtbesitz aufgegeben wurde. Es obliege nun einer Einzelfallprüfung, ob durch eine entsprechend lange Frist des Nichtbesitzes einer Fahrerlaubnis eine neuerliche Überprüfung der Befähigung durchzuführen sei. Eine derartige Überprüfung habe die Behörde vorgenommen, weshalb kein willkürliches Handeln vorliege. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liege nicht vor, denn bei den Fällen des § 23 FeV handele es sich um Inhaber einer zeitlich befristeten Fahrerlaubnis und nicht um Bewerber einer Fahrerlaubnis. Der Gesetzgeber unterscheide hier sehr wohl, ob jemand durch Nichtbesitz gar nicht in der Lage sei, am Straßenverkehr mit fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen teilzunehmen oder er lediglich seine Berechtigung möglicherweise nicht oder nicht in vollem Umfange nutzt, was in der Praxis kaum nachprüfbar wäre. Dennoch bestehe auch hier in den Fällen des § 24 Abs. 2 FeV für die Behörde die Möglichkeit, bei längerem Fristablauf eine Überprüfung der Befähigung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV anzuordnen.

Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift, im Übrigen auf den Inhalt der vorliegenden Akten verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Das Vorgehen des Beklagten, die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von der Ablegung einer Befähigungsprüfung abhängig zu machen und wegen der Weigerung der Klägerin, sich dieser zu unterziehen, eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen, ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, ohne Ablegung der theoretischen und praktischen Prüfung eine Fahrerlaubnis erteilt zu bekommen (§ 20 Abs. 1 FeV).

161. Durch die seit dem 19.1.2009 geänderte Vorschrift des § 20 Abs. 2 FeV ist die Fahrerlaubnisbehörde nur dann zur Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung befugt, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Die frühere Regelung, wonach Fahrerlaubnisprüfungen grundsätzlich nach zwei Jahren wieder durchzuführen waren, hat der Verordnungsgeber mit der 4. Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18.07.2008 (BGBl. I S. 1338 bis 1376) wegfallen lassen. Auch wenn die sog. „Zwei-Jahres-Frist“ nicht mehr gilt, besteht jedoch weiterhin die Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis sich von der Befähigung des Antragstellers, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher führen zu können, zu überzeugen und gegebenenfalls eine Entscheidung über eine mögliche Prüfungspflicht vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu treffen. Weigert sich der Antragsteller, eine Fahrerlaubnisprüfung abzulegen, hat die Behörde vom Nichtvorliegen der nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auszugehen und die Neuerteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen.

2. Entgegen der Annahme der Klagepartei bedeutet der Wegfall der „Zwei-Jahres-Frist“ nicht, dass der Verordnungsgeber generell die Dauer der fehlenden Fahrpraxis als einen bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu vernachlässigenden Umstand ansehen will. Vielmehr dürfte die Zeitspanne, innerhalb derer ein Antragsteller nicht über die Fahrerlaubnis verfügte, weiterhin das wesentliche Prüfungskriterium sein, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Frage prüft, ob der Antragsteller noch über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Der Behörde ist allerdings durch den Wegfall der „Zwei-Jahres-Frist“ ein erheblich größerer Beurteilungsspielraum eröffnet, als es unter der bis zum 29.8.2008 geltenden Rechtslage der Fall war.

3. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte zu Recht die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung bejaht.

Die Klägerin besaß über 16 Jahre hinweg keine Fahrerlaubnis. Die aus dieser zwangsläufigen Fahrpause resultierende fehlende Fahrpraxis rechtfertigt im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Annahme, dass sie nicht mehr über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Die allgemeine Verkehrssicherheit erfordert jedoch zwingend den Nachweis, dass die Klägerin noch die theoretischen und praktischen Kenntnisse für das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr besitzt. In dem Zeitraum, in dem die Klägerin nicht über einen Führerschein verfügte, haben sich erhebliche Änderungen sowohl hinsichtlich der Verkehrsvorschriften als auch hinsichtlich der generell festzustellenden Verkehrszunahme ergeben. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wirkt sich mangelnde Fahrpraxis – jedenfalls in einer derart langen Zeitspanne – dahingehend aus, dass die für eine sichere Führung eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr notwendigen Fertigkeiten nachlassen und die Routine, die zur Bewältigung von problematischen Situationen im Straßenverkehr erforderlich ist, verloren geht. Diese Feststellung wird nicht dadurch entkräftet, dass die Klägerin in den vergangenen 16 Jahren, wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt, mitunter mit Fahrzeugen am Straßenverkehr teilgenommen hat, zu deren Führung sie keine Fahrerlaubnis benötigte. Die Verwendung eines Fahrrades oder der in § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV genannten Fahrzeuge im Straßenverkehr reicht nicht aus, die Kenntnisse und Fähigkeiten zu erhalten bzw. neu zu erwerben, die für das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr erforderlich ist. Auch bestehen weiterhin Zweifel, ob die Klägerin noch ausreichende Kenntnisse der für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften und von ihrer Umsetzung in eine adäquate Fahrweise hat. Gleiches gilt für die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeuges im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse. Zu Recht hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 27.11.2009 darauf hingewiesen, dass Zweifel bestehen, ob die Klägerin nach 16 Jahren zur Führung eines Kraftfahrzeuges befähigt ist, da sich die Fahrzeuge in dieser Zeit technisch stark verändert haben (mehr Getriebegänge, umfangreichere Bedienelemente).

4. Vor diesem Hintergrund geht die Auffassung der Klagepartei, die Verweigerung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis sei willkürlich, ins Leere. Es ist Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, in jedem Einzelfall eine Entscheidung über eine mögliche Prüfungspflicht vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu treffen. Dies ist hier in rechtsfehlerfreier Weise geschehen. Die Behörde hat den Spielraum, den ihr der Verordnungsgeber durch den Wegfall des § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV eröffnet hat, in nicht zu beanstandender Weise genutzt. Auch die von der Klägerin gerügte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt nicht vor. Die insoweit genannten Fälle aus dem Geltungsbereich des § 23 FeV betreffen befristete Fahrerlaubnisse und nicht deren Neuerteilung. Hierauf hat der Beklagte in seiner Klageerwiderung zu Recht hingewiesen; das Gericht schließt sich der dort geäußerten Würdigung vollinhaltlich an.

5. Letztlich ist die angefochtene Entscheidung des Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden. Im Ausgangsbescheid der Fahrerlaubnisbehörde ist ausdrücklich klargestellt, dass lediglich eine Prüfungspflicht, nicht aber eine Ausbildungspflicht von der Klägerin erwartet wird. Fahrstunden und Theorieunterricht sind somit, anders als bei einer Ersterteilung, nur insoweit angezeigt, als es die Klägerin selbst für erforderlich hält. Die mit dem geforderten Nachweis der Kenntnisse und Befähigung verbundene finanzielle Belastung liegt somit erheblich geringer als im Falle einer Ersterteilung.

Nach alledem ist die Entscheidung des Landratsamtes P., die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu versagen, nicht zu beanstanden und die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Regelung der Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO.


Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.