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VGH München Beschluss vom 23.10.2014 - 11 ZB 14.1725 - Erneute Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse C, CE ohne vorherige Ablegung einer Fahrprüfung
VGH München v. 23.10.2014: Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis und der vorangegangenen Fahrerlaubnisinhaberschaft bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse C, CE
Der VGH München (Beschluss vom 23.10.2014 - 11 ZB 14.1725) hat entschieden:
Wenn § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV auf „Tatsachen“ abstellt, ist damit das Gesamtbild der relevanten Tatsachen gemeint. Vorzunehmen ist danach eine umfassende Würdigung des jeweiligen Einzelfalls, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzungen sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis (BVerwG, U.v. 27.10.2011, a.a.O., Rn. 11). In der fehlenden Fahrpraxis während einer sehr langen Zeitspanne von mehr als 10 Jahren und wegen der Kürze der Inhaberschaft der Fahrerlaubnisklassen C und CE von nur knapp fünf Jahren relevante Tatsachen im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV zu sehen ist nicht ernstlich zweifelhaft.
Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Die prüfungsfreie Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
Gründe:
I.
Der 1971 geborene Kläger ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, B, BE, C1, C1E, CE 79, L und T. Vom 22. März 1999 bis 6. Januar 2004 war er zudem Inhaber einer (befristeten) Fahrerlaubnis der Klassen C und CE. Er begehrt die erneute Erteilung einer Fahrerlaubnis dieser Klassen ohne vorhergehende Ablegung einer theoretischen und praktischen Fahrprüfung. Seine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 25. Juni 2014 ab.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Von den in § 2 Abs. 2 Satz 1 StVG aufgeführten Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ist hier nur diejenige des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG streitig, wonach der Fahrerlaubnisbewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachgewiesen haben muss. Für Bewerber um die Neuerteilung einer bei Antragstellung abgelaufenen Fahrerlaubnis der Klassen C, CE, D, D1, DE und D1E trifft § 24 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. April 2014 (BGBl S. 348), eine Sonderregelung, nach der bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der entsprechenden Klasse § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 3 und § 23 Abs. 1 Satz 3 FeV anzuwenden sind. Damit wird der Bewerber um die Neuerteilung einer bereits abgelaufenen Fahrerlaubnis dieser Klassen dem ihre Verlängerung beantragenden Fahrerlaubnisinhaber gleichgestellt.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 FeV wird die Geltungsdauer der Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E auf Antrag des Inhabers jeweils um die in § 23 Abs. 1 Satz 2 FeV angegebenen Zeiträume verlängert, wenn 1. der Inhaber seine Eignung nach Maßgabe der Anlage 5 und die Erfüllung der Anforderungen an das Sehvermögen nach Anlage 6 nachweist, und 2. keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine der sonstigen aus den §§ 7 bis 19 FeV ersichtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis fehlt.
Der Verwaltungsgerichtshof versteht diese Vorschrift in Bezug auf die erforderliche Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG) so, dass es nicht darauf ankommt, ob nach den vorliegenden Tatsachen feststeht, dass dem Bewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt. Denn bei Zugrundelegung dieser Auslegung würde die Erfüllung des Tatbestands des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV die Ablegung einer theoretischen und praktischen Prüfung, durch die ja gerade die Befähigung nachgewiesen werden soll, überflüssig machen. Vielmehr legt der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmung dahingehend aus, dass es für ihre Erfüllung ausreicht, wenn aufgrund der vorliegenden Tatsachen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.2010 – 11 BV 10.712 – DAR 2010, 716 – juris Rn. 33).
Nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 19.07.2010, a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 27.10.2011 – 3 C 31/10 – DAR 2012, 346 – juris) kommt bei der Gesamtschau, ob im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, auch nach der Änderung von § 24 Abs. 2 FeV durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl I, S. 1338) dem Zeitfaktor (Zeiten vorhandener oder fehlender Fahrpraxis) eine wesentliche Bedeutung zu.
Ob Tatsachen im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV vorliegen, die den Schluss erlauben ("rechtfertigen"), dass die nach §§ 16 und 17 FeV erforderlichen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten nicht (mehr) vorhanden sind, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Wenn § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV auf „Tatsachen“ abstellt, ist damit das Gesamtbild der relevanten Tatsachen gemeint. Vorzunehmen ist danach eine umfassende Würdigung des jeweiligen Einzelfalls, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzungen sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis (BVerwG, U.v. 27.10.2011, a.a.O., Rn. 11). Denn es liegt auf der Hand, dass eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis – zumal vor dem Hintergrund technischer Neuerungen bei Omnibussen und Lastkraftwagen und der an das Führen solcher Kraftfahrzeuge gegenüber dem Führen von Personenkraftwagen zu stellenden gesteigerten Anforderungen – im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen dieser Fahrzeuge entstehen lassen kann. Hinzu kommt, dass die Dauer fehlender Fahrpraxis regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für Zweifel an der Fahrbefähigung sein wird, nachdem der Betroffene im Straßenverkehr wegen Fehlens der einschlägigen Fahrerlaubnis weder negativ beim Führen von Omnibussen und Lastkraftwagen auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis stellen konnte. Aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs ist es sachlich geradezu geboten, danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung für Omnibusse oder Lastkraftwagen schon zurück liegt, wie lange – und ob regelmäßig oder nur sporadisch – der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat und wie lange eine danach möglicherweise liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2011, a.a.O., Rn. 13, 14).
Hier hat das Erstgericht in der fehlenden Fahrpraxis des Klägers während einer sehr langen Zeitspanne von mehr als 10 Jahren und wegen der Kürze der Inhaberschaft der Fahrerlaubnisklassen C und CE von nur knapp fünf Jahren relevante Tatsachen im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV gesehen. Das ist nicht ernstlich zweifelhaft.
Es kann offen bleiben, ob bereits 10 Jahre fehlende Fahrpraxis für Kraftfahrzeuge der Klassen C und CE Tatsachen im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV sind, die den Schluss erlauben ("rechtfertigen"), dass die nach §§ 16 und 17 FeV erforderlichen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten nicht (mehr) vorhanden sind. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht auch darauf abgestellt, dass der Kläger nur knapp fünf Jahre im Besitz der Fahrerlaubnisklassen C und CE war. Zwar legt das Innehaben einer Fahrerlaubnis die Vermutung nahe, dass hiervon auch Gebrauch gemacht wurde und damit eine entsprechende Fahrpraxis vorhanden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2011, a.a.O., Rn. 15). Allerdings hat der Kläger sich nicht dazu geäußert, ob er von der Fahrerlaubnis regelmäßig oder nur sporadisch Gebrauch gemacht hat. Der Zeitraum ist jedenfalls nicht derartig lang, dass davon ausgegangen werden kann, er habe die Fähigkeiten und Kenntnisse sowie die routinemäßigen Abläufe im Zusammenhang mit dem Führen von Lastkraftwagen derart „verinnerlicht“, dass er daran nach 10 Jahren nahtlos anknüpfen könnte.
Insoweit trägt der Kläger nur vor, dass er im Zeitraum der letzten fünf bis acht Jahre seine Fahrpraxis mit schwerem Gerät in der Landwirtschaft (auf nichtöffentlichem Verkehrsraum) und mit einem Tridem-Abschiebewagen nebst Zugfahrzeug (Traktor) mit bis zu 40 t Ladekapazität aufrechterhalten habe. Abgesehen davon, dass der Kläger den Umfang der Fahrpraxis nicht geschildert und auch keine Nachweise dafür vorgelegt hat, ersetzt die Fahrpraxis hinsichtlich dieser auf der Basis der Fahrerlaubnisklassen L und T geführten Fahrzeuge jedoch weder in theoretischer noch in praktischer Hinsicht die Fahrpraxis für Fahrzeuge der Fahrerlaubnisklassen C und CE im öffentlichen Verkehrsraum, wie das Verwaltungsgericht (UA S. 3) richtig und im Hinblick auf den Vortrag in der Klagebegründung ergänzend zum Verweis auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids ausgeführt hat. Die theoretischen und praktischen Anforderungen an die Befähigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen C und CE sind gegenüber der Klassen L und T gesteigert, wie sich aus der Anlage 7 zur FeV (Nr. 2.1.4.5 und 2.1.4.6, vgl. auch 2.4) ergibt.
Andere Gesichtspunkte, die in der Gesamtschau zu berücksichtigen wären, sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich, so dass dem Zeitmoment (knapp fünf Jahre Fahrerlaubnisinhaberschaft, dann 10 Jahre fehlende Fahrpraxis) die entscheidende Bedeutung zukommt.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die von der Zulassungsbegründung behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war und auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre (Happ in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 124, Rn. 36 m.w.N.). Als klärungsbedürftig wird die Frage bezeichnet, inwieweit aktuell noch eine Zweijahresfrist angewendet werden darf.
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz; die Folgen der Streichung der Zweijahresfrist sind, wie in Nr. 1 dieses Beschlusses dargelegt, höchstrichterlich geklärt.
3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anhang zu § 164 Rn. 14).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).