Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 09.07.1965 - 4 StR 282/65 - Zum Linksabbiegen an einer trichterförmig erweiteren Einmündung

BGH v. 09.07.1965: Zum Linksabbiegen an einer trichterförmig erweiteren Einmündung


Der BGH (Beschluss vom 09.07.1965 - 4 StR 282/65) hat entschieden:
Die Vorfahrt des aus einer bevorrechtigten Straße mit trichterförmig erweiterter Einmündung nach links Einbiegenden erstreckt sich nicht nur auf das durch die Fluchtlinien der Fahrbahnen beider Straßen gebildete Einmündungsviereck, sondern umfasst auch die ganze bis zu den Endpunkten des Trichters erweiterte Fahrbahn der bevorrechtigten Straße.


Siehe auch Schneiden von Kurven und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Gründe:

Der Angeklagte fuhr mit einem VW-Bus auf der Poststraße in Siegen, in die, in seiner Fahrtrichtung gesehen, von rechts die gleichgeordnete Straße "Zum Unteren Schloß" in trichterförmiger Erweiterung einmündet. Kurz nach Beginn dieser Einmündung stieß er mit einem in spitzem Winkel aus der Straße kommenden Opel-Personenwagen auf seiner rechten Fahrbahnhälfte zusammen. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Übertretungen der §§ 1, 13 StVO i. Verb. mit § 21 StVG zu einer Geldstrafe.

Das Oberlandesgericht in Hamm, das über die Revision des Angeklagten zu entscheiden hat, will dieser entsprechen. Nach seiner Auffassung erstreckt sich die Vorfahrt des aus einer bevorrechtigten Straße mit trichterförmig erweiterter Einmündung nach links abbiegenden Verkehrsteilnehmers nicht über das durch die gedachten Fluchtlinien der Fahrbahnen beider Straßen gebildete Einmündungsviereck hinaus; sie umfasst also nicht die weitere von den Trichterrändern begrenzte, bis zu den Endpunkten dieser Erweiterung reichende Fläche des Trichters, wo sich der Unfall ereignete. An dieser Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. November 1962 - VI ZR 19/62 - in VersR 1963, 279 gehindert. Danach umfasst der Vorfahrtbereich des aus einer trichterförmig erweiterten Einmündung nach links einbiegenden Vorfahrtberechtigten die gesamte Fläche der Fahrbahn bis zum Endpunkt dieser Erweiterung einschließlich der für den Wartepflichtigen rechten Fahrbahnhälfte. Das Oberlandesgericht in Hamm hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG vorgelegt.

Die Vorlegung ist zulässig. Der Senat hält an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest.

Die Fahrbahnbreite der trichterförmig einmündenden Straße wird durch den Verlauf der Fahrbahnränder des Trichters, also an ihrer Mündung von den Endpunkten des Trichters, der einen Teil dieser Straße bildet (BGHSt 16, 255, 251), bestimmt. Die Vorfahrt erstreckt sich allgemein auf die gesamte Fahrbahn der bevorrechtigten Straße (so schon RGZ 167, 357, 360; BGHZ 9, 6 = VRS 5, 172; BGH VRS 10, 19; VersR 1963, 279). Deshalb wird bei rechtwinklig einmündenden Straßen oder auf Kreuzungen der Vorfahrtbereich von den Fluchtlinien der Fahrbahnen beider Straßen einschließlich etwaiger Radfahrwege gebildet (BGH VersR 1958, 784; VRS 16, 309, 312; VRS 27, 350, 352). Folgerichtig muss dann bei trichterförmigen Straßeneinmündungen das bevorrechtigte Einmündungsstück bis zu den Endpunkten der Erweiterung reichen. Denn nur so wird die ganze Fahrbahnbreite der Einmündung in die Vorfahrt einbezogen.

Diese bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird dem Bedürfnis nach klaren und sicheren Verkehrsregeln gerecht. Sie genügt der im § 13 Abs. 1 StVO enthaltenen Vorfahrtregel "rechts vor links auf der ganzen Fahrbahnbreite" (Floegel/Hartung 15. Aufl. Rdnr. 5 zu § 13 StVO). Der Wartepflichtige wird auch nicht überfordert. Das Ende einer Trichterrundung ist für ihn leicht festzustellen. Dagegen kann die Bestimmung der - gedachten - Fluchtlinien bei trichterförmigen Einmündungen infolge der häufig einseitig oder beiderseitig, gleichmäßig oder ungleichmäßig erweiterten, gerade oder schräg einmündenden Straßenzüge leicht zu unterschiedlichen Beurteilungen des Verkehrsraumes durch die Verkehrsteilnehmer führen. Dies insbesondere dann, wenn im Einzelfall der Verkehrsraum der trichterförmig einmündenden Straße nicht hinreichend eingesehen und deshalb der Verlauf der Fluchtlinien nicht sogleich übersehen werden kann. Dies würde eine gefährliche Unsicherheit im Straßenverkehr zur Folge haben.

Auch die Flüssigkeit des Verkehrs erfordert keine andere Regelung. Im allgemeinen sind trichterförmig angelegte Straßeneinmündungen übersichtlich. Sie dienen gerade dazu, die Einsicht in die einmündende Straße zu erleichtern. Deshalb kann sich der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer regelmäßig bereits vom Beginn der Einmündungsrundung an hinlänglich vergewissern, ob ein vorfahrtberechtigter Verkehrsteilnehmer naht. Allerdings ist der Vorfahrtbereich bei trichterförmigen Einmündungen nach dieser Auffassung größer als das durch die gedachten Fluchtlinien der Fahrbahnen begrenzte rechteckige Fahrbahnstück. Der Wartepflichtige darf auch nur so schnell fahren, dass er beim Auftauchen eines Vorfahrtberechtigten schon am Anfang des Trichters auf seiner Straße sofort anhalten kann (BGHSt 12, 58 = VRS 15, 383, 384). Darin liegt aber keine größere Beeinträchtigung der Verkehrsflüssigkeit, als sie mit der Vorfahrtregelung im allgemeinen verbunden ist.

Der Wartepflichtige muss auch im Interesse der Verkehrssicherheit etwaige größere Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen, zumal das Vorfahrtrecht eine strenge einfache Auslegung verlangt (vgl. RG VAE 1944, 34 Nr. 68; BGH VRS 14, 346, 347; OLG Bremen VRS 11, 303). So muss er berücksichtigen, dass der Vorfahrtberechtigte, wenn auch möglicherweise verkehrswidrig (BGHSt 16, 255 = VRS 21, 455; VRS 27, 255), seine linke Straßenseite benutzt (RGZ 167, 357; BGH VRS 22, 134, 135) und die Kurve schneidet (BGH VRS 4, 458; vgl. auch VRS 4, 542, 543; 5, 172, 175). Dabei gilt jedoch auch zugunsten des Wartepflichtigen an einer trichterförmigen Einmündung der Vertrauensgrundsatz, dass er nicht mit einem grob verkehrswidrigen Verhalten des die Vorfahrt beanspruchenden Verkehrsteilnehmers, solange er ihn nicht sehen kann, zu rechnen braucht. Er darf sich darauf verlassen, dass dieser sich nicht mit einer in Anbetracht der Sichtverhältnisse unvernünftig hohen Geschwindigkeit der Einmündung nähert, so dass er ihn durch sein Auftauchen überrascht und außerstande setzt, rechtzeitig vor dem Vorfahrtberechtigten anzuhalten (BGH VRS 7, 195; 15, 346, 348; 16, 124; 22, 134, 135). Er braucht sich, insbesondere bei einem großförmigen Trichter, nicht darauf einzustellen, dass ein bisher unsichtbarer Verkehrsteilnehmer auf seiner äußersten linken Fahrbahnseite nach links in die nicht bevorrechtigte Straße einbiegen werde (vgl. BGH in VRS 27, 100, 102).

Sollten im Einzelfall die Verkehrsbedürfnisse an einer solchen trichterförmigen Einmündung zu einer anderen Regelung drängen, so ist es den Straßenverkehrsbehörden unbenommen, den Mündungstrichter durch Inseln oder Markierungen in selbständige Straßenzüge aufzuteilen und die Einordnung der einzelnen Verkehrsströme je nach der beabsichtigten Fahrtrichtung zu bestimmen.

Der Generalbundesanwalt hat sich der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts angeschlossen.