Das Kurvenschneiden ist ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot.
Es kommt hauptsächlich beim Linksabbiegen vor und ist genauso gefährlich wie das zu weiträumige Rechtsabbiegen. Denn der Verkehr stellt sich vielfach auf die Einhaltung des Rechtsfahrgebots ein.
Aus der Verletzung der Pflicht, jederzeit so weit wie möglich rechts zu fahren, kann bei einem Verkehrsunfall eine Mithaftung abgeleitet werden.
OLG Koblenz v. 20.11.2000:
Das Rechtsfahrgebot gilt nicht starr, sondern richtet sich nach den Gesamtumständen, wobei dem Kraftfahrer ein gewisser Beurteilungsfreiraum verbleibt, solange er sich soweit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr "vernünftig" ist. Dieser Beurteilungsfreiraum entfällt indessen dann, wenn, wie etwa in Kurven die Strecke unübersichtlich ist. Kritische Kurven sind ausnahmslos scharf rechts zu befahren. Kommt es bei leichtem Kurvenschneiden zu einer Kollision mit einem Kfz des Gegenverkehrs, das seinerseits die Mittellinie der Straße um 1 Meter überfährt, so ist eine Mithaftung des die Kurve Schneidenden von 1/4 gerechtfertigt.
OLG Koblenz v. 04.10.2005:
Die Prüfung der Unabwendbarkeit darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein "Idealfahrer" reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Eine übermäßige Bremsreaktion gegenüber einem entgegen kommenden Fahrzeug, das in einigem Abstand vor der späteren Unfallstelle eine Kurve geschnitten hatte, bis zur Kollision aber wieder auf seine Fahrspur zurückgekehrt war, steht der Annahme der Unabwendbarkeit des Unfalls entgegen.
AG Wolfenbüttel v. 02.03.2007:
Wer beim Linksabbiegen trotz Vorfahrt eine Kurve schneidet, verstößt gegen das Rechtsfahrgebot nach § 3 Abs. 2 StVO. Der Führer eines Vorfahrt gewährenden Fahrzeugs an einer "Rechts-vor-Links-Einmündung" darf darauf vertrauen, dass ein linksabbiegender Vorfahrtsberechtigter nicht die Fahrbahn schneidet.
AG Fürth v. 20.11.2007:
Verstößt ein Kfz-Führer in einer Kurve gegen das Rechtsfahrgebot und fährt er dabei mit unangepasster Geschwindigkeit und bremst zudem zu spät, so haftet er bei einer Kollision mit dem Gegenverkehr zu 70 %, wenn auch der Unfallgegner seinerseits nicht weit rechts genug gefahren ist.
Vorfahrtrecht und Einbiegen in untergeordnete Straße:
OLG Frankfurt am Main v. 27.04.1990:
Der Wartepflichtige muss sich darauf einstellen, dass Bevorrechtigte beim Abbiegen möglicherweise die Kurve schneiden. Den Vorfahrtberechtigten trifft jedoch eine erhebliche Mithaftung (hier: 60%).
OLG Hamm v. 27.02.1992:
Für den Pkw-Fahrer, der die bevorrechtigte Straße befährt und nach links in die untergeordnete Straße abbiegt, erstreckt sich der Vorfahrtsbereich nur auf die rechte Fahrbahn, die er dann dort befährt. Der aus der untergeordneten Straße kommende Pkw-Fahrer, der so schnell fährt, dass er nur mit Vollbremsung an der Sichtlinie halten kann, haftet zu 1/3 mit, auch wenn der Bevorrechtigte die Linkskurve schneidet.
OLG Celle v. 02.12.2004:
Haftungsverteilung (50 : 50) bei Kollision eines den Kreuzungsbereich beim Abbiegen nach links leicht schneidenden Pkw´s mit einem zu weit vorfahrenden wartepflichtigen Pkw.
KG Berlin v. 06.10.2005:
Bei einer Kollision auf einer Kreuzung zwischen zwei Pkw, von denen der Wartepflichtige die Vorfahrt des anderen durch zu weites Vorrücken verletzt, der Vorfahrtberechtigte jedoch beim Abbiegen in die untergeordnete Straße gegen das Rechtsfahrverbot verstoßen und die Kurve geschnitten hat, kommt eine Schadensteilung 50:50 in Betracht.
OLG München v. 09.04.2010:
Der Wartepflichtige darf gem. § 8 II 4 StVO den Vorfahrtberechtigten, wenn dieser aus der bevorrechtigten Straße in eine untergeordnete Straße abbiegt, „nicht wesentlich behindern“. Dieses Vorrecht des Vorfahrtberechtigten besteht solange, bis er mit der ganzen Länge seines Fahrzeugs die Vorfahrtstraße verlassen hat. Hat der Wartepflichtige sich durch das Schneiden des Kurvenbereichs seiner Sichtmöglichkeiten in die bevorrechtigte Straße beraubt, geht das zu seinen Lasten und nicht zu Lasten des Vorfahrtberechtigten. Allerdings hat der Vorfahrtberechtigte die Grundregel des § 1 StVO besonders zu beachten und ggf. auf sein Vorrecht zu verzichten. Bei einem Zusammentreffen einer Vorfahrtsverletzung und einem unterlassenen Vorrangverzicht ist von einem überwiegenden Haften des Wartepflichtigen auszugehen.
OLG Celle v. 12.05.2011:
Schneidet ein vorfahrtberechtigter Kfz-Führer beim Linksabbiegen in eine Tankstelle die Kurve und kollidiert mit einem von einem Tankstellengelände ausfahrenden Kfz, so ist hälftige Schadensteilung angemessen.
OLG Nürnberg v. 14.07.2005:
§ 828 BGB privilegiert lediglich Kinder im Alter bis zu 10 Jahren. Eine weitergehende Privilegierung älterer Kinder ist durch die Novelle nicht erfolgt. Stehen auf der einen Seite ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers, auf der anderen Seite die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) gegenüber, tritt regelmäßig die Haftung aufgrund der reinen, nicht erhöhten Betriebsgefahr zurück. Auch nach der Neufassung des § 7 StVG ist eine andere Bewertung nicht berechtigt. Zwar ist ein Mitverschulden eines Kindes oder Jugendlichen bei der Abwägung nach § 254 BGB i.V.m. § 9 StVG in der Regel geringer zu bewerten ist als das entsprechende Mitverschulden eines Erwachsenen. Dies steht aber einem völligen Zurücktreten der Betriebsgefahr im Rahmen der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung nicht entgegen, wenn der kindliche Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit die Kurve extrem geschnitten hat.
AG Wismar v. 09.11.2005:
Kommt es auf einer Kreuzung zwischen einem vorfahrtberechtigten kfz und einem 12jährigen Radfahrer, der ein Stoppschild missachtet und die Kurve schneidet, zu einem Unfall, so haftet der kindliche Radfahrer voll für die Unfallfolgen.
OLG Celle v. 12.05.2011:
Schneidet ein vorfahrtberechtigter Kfz-Führer beim Linksabbiegen in eine Tankstelle die Kurve und kollidiert mit einem von einem Tankstellengelände ausfahrenden Kfz, so ist hälftige Schadensteilung angemessen.