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Landgericht Ravensburg Urteil vom 16.08.2013 - 2 O 104/12 - Rückforderungsprozess des Haftpflichtversicherers nach Gewährung eines Vorschusses

LG Ravensburg v. 16.08.2013: Beweislast für unfallbedingte Primärverletzungen und Kausalität eines Auffahrunfalls für die Sekundärverletzungen im Rückforderungsprozess des Haftpflichtversicherers nach Gewährung eines Vorschusses


Das Landgericht Ravensburg (Urteil vom 16.08.2013 - 2 O 104/12) hat entschieden:
  1. Den Geschädigten trifft die Beweislast (Strengbeweis nach § 286 ZPO) dafür, dass er bei einem Verkehrsunfall Verletzungen erlitten hat (so genannte Primärverletzungen). Erst im Rahmen der so genannten Sekundärverletzungen kommt dem Anspruchsteller die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO dergestalt zugute, dass bereits der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Unfallbedingtheit der Sekundärfolgen für die Beweiswürdigung im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung ausreichend sein kann.

  2. Im Rückforderungsprozess des Kfz-Haftpflichtversicherers, wenn dieser dem angeblich Unfallgeschädigten zuvor ohne Anerkenntnis einen Vorschusses auf die Entschädigung gezahlt hatte, obliegt die Beweislast dafür, dass die Vorschussleistung mit rechtlichem Grund erfolgt ist, dem Geschädigten.

Siehe auch Vorschuss / Vorschussverrechnung und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung


Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung eines im Rahmen einer Unfallregulierung geleisteten Vorschusses in Anspruch.

Die Klägerin war am 15.03.2005 der Haftpflichtversicherer eines Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Dieses Fahrzeug verursachte am 15.03.2005 einen Kettenauffahrunfall, bei dem insgesamt drei Fahrzeug beteiligt waren. Die Beklagte war die Beifahrerin des vordersten Fahrzeuges in der Unfallkette. Der Haftungsgrund ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Beklagte stellte sich am 21.03.2005 dem Chirurgen ... vor.

Am 15.03.2006 behauptete die Beklagte gegenüber der Klägerin in einem Anwaltsschreiben, dass sie unfallbedingt verletzt worden sei:
"Hierbei handelt es sich insbesondere um ein HWS- und BWS- Situationstrauma sowie multisegmentale Bandscheibenvorfälle Th 3/4, Th 7/8 und Th 9/10. Darüber hinaus ereignete sich eine Bandscheibenvorfall an Th 7/8 mit stattgehabetem Anriss des hinteren Längsbandes und nach crantal sequestrierendem Prolaps. Infolgedessen leidet unsere Mandantin seit dem Unfall an erheblichen Dauerschmerzen. Sie befindet sich ständig in ärztlicher Behandlung und muss zweimal wöchentlich Krankengymnastik absolvieren. "
Die Beklagte übt ihre vollzeitige Berufstätigkeit als Industriekauffrau vorwiegend im Sitzen aus. Bereits im Jahre 2000 hatte die Klägerin einen "Hexenschuss" im Bereich der Lendenwirbelsäule erlitten.

Die Klägerin leistete hierauf an die Beklagte eine Zahlung von 5.000,- EUR unter gleichzeitiger schriftlicher Erklärung, es handele sich um einen für die Klägerin frei verrechenbaren Vorschuss, wobei mit der Zahlung kein Anerkenntnis verbunden sei.

Nachdem bei der Klägerin Zweifel über die behauptete Unfallbedingtheit der Verletzungen der Beklagten aufkamen, beauftragte sie den Facharzt für Orthopädie Prof. ... (...) mit der Erstellung eines privaten medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Privatgutachter der Klägerin kommt in seinem schriftlichen Gutachten vom 18.01.2007 zu dem Schluss, dass eine Unfallbedingtheit der Verletzungen der Beklagten ausgeschlossen seien (Anlage K1).

Die Klägerin forderte am 03.05.2007 die Beklagte zur Rückzahlung des Vorschusses von 5.000,- EUR abzüglich der Kosten von 244,43 EUR auf, die der Beklagten im Rahmen der Begutachtung durch Prof. ... entstanden sind, letztlich 4.775,57 EUR (Klagforderung).

Die Klägerin behauptet:

Die Geschwindigkeitsänderung im Rahmen des Unfallgeschehens habe unterhalb der sog. Harmlosigkeitsgrenze von 10 km/h gelegen.

Die von der Beklagten behaupteten Verletzungen und deren Unfallbedingtheit würden ebenso bestritten, wie die von der Beklagten behaupteten Beeinträchtigungen und deren Unfallbedingtheit.

In rechtlicher Hinsicht hält die Klägerin die Beklagte unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass sie unfallbedingt verletzt wurde. Maßstab sei die Strengbeweislast des § 286 ZPO.

Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.755,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt:
  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Klägerin / Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte / Widerklägerin ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld zu bezahlen.

  3. Es wird festgestellt, dass die Klägerin / Widerbeklagte verpflichtet ist, der Beklagten / Widerklägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dieser aufgrund des streitgegenständlichen Auffahrunfalles vom 15.03.2005 entstehen werden.
Die Klägerin beantragt
die Abweisung der Widerklage.
Die Beklagte behauptet:

Sie habe durch den Unfall tatsächlich langwierige Verletzungen erlitten, wie sie in dem ursprünglichen anwaltlichen Forderungsschreiben benannt worden seien. Sie leide seit dem Unfall an erheblichen Dauerschmerzen, befinde sich deshalb immer noch in ärztlicher Behandlung, erhalte Krankengymnastik und absolviere eine spezielles Training in einem "ReHa-​Park" zur Verbesserung des Gesundheitszustandes.

Die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens von Prof. ... werde bestritten. Die Beklagte habe vor dem Unfall keinerlei Probleme mit ihrer Halswirbelsäule bzw. ihrer Brustwirbelsäule gehabt. Diese seien erst unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten. Auch der Fahrer des Fahrzeuges, in welchem die Beklagte gesessen habe, sei bei dem Unfalls an der Wirbelsäule erheblich verletzt worden, habe eine HWS-​Syndrom erlitten und sei immer noch in ärztlicher Behandlung.

Die Beklagte halte ein Schmerzensgeld von mindestens 15.000,- EUR für angemessen und mache mit dem Widerklagantrag mindestens weitere 10.000,- EUR geltend. Der Feststellungantrag habe einen wirtschaftlichen Wert von 5.000,- EUR.

In rechtlicher Hinsicht hält die Beklagte die Klägerin in der Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Beklagte bei dem Unfall nicht verletzt wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere aber die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle zu den mündlichen Verhandlungen vom 18.08.2008 (Blatt 38/42) und vom 07.08.2013 verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch
  1. Einholung eines mehrfach ergänzten schriftlichen orthopädisch-​unfallchirurgischen Gutachtens von PD. ... (Leitender Oberarzt und stellvertretender Direktor des Departements Orthopädie und Traumatologie am Universitätsklinikum ..., Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie) vom 19.11.2009 (Blatt 72/82), vom 15.03.2010 (Blatt 99/106), vom 15.06.2010 (Blatt 121/123) und vom 04.10.2011 (Blatt 169/181).

  2. Einholung eines schriftlichen radiologischen Sachverständigengutachtens von ... (Geschäftsführender Oberarzt der Abteilung Röntgendiagnostik an der Radiologischen Universitätsklinik am Universitätsklinikum ... vom 12.12.2012 (Blatt 211/217).


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet (nachfolgend I.), die zulässige Widerklage unbegründet (nachfolgend II.).

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB auf Rückzahlung von 4.775,57 EUR nebst Prozesszinsen gemäß § 288 Abs. 1 S. 1, 291, 187 Abs. 1 BGB ab 08.04.2008:

1. Unstreitig hat die Klägerin an die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen frei verrechenbaren Vorschuss von 5.000,- EUR bezahlt, nachdem die Beklagte bestimmte Verletzungen und deren Unfallbedingtheit bezogen auf den Unfall vom 15.03.2005 behauptet. Es liegt mit der Zahlung eine bewusste Mehrung des Vermögens der Beklagten im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB vor.

2. Die Zahlung der Klägerin an die Beklagte erfolgte ohne rechtlichen Grund, da die Beklagte gegen die Klägerin keinen Anspruch auf materiellen oder immateriellen Schadensersatz aus dem Unfallereignis vom 15.03.2005 aus § 7 Abs. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 BGB hat bzw. hatte:

a) Die Beklagte trifft die Strengbeweislast des § 286 ZPO hinsichtlich angeblich bei dem Unfallereignis erlittener sog. Primärverletzungen. Erst im Rahmen behaupteter sog. Sekundärverletzungen bzw. -folgen kommt der Beklagten die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO dergestalt zugute, dass bereits der Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Unfallbedingtheit der Sekundärfolge auf Basis der Primärverletzung für die Beweisführung im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung ausreichend sein kann.

Nichts anderes gilt auch in einem Rückforderungsprozess des Versicherers gegen den angebliche Geschädigten nach zuvor ohne Anerkenntnis gewährtem Vorschuss (vgl. BGH, Urteil vom 29.02.2000, Az.: VI ZR 47/99 = NJW 2000, 1718-1719; vgl. auch: BGH, Urteil vom 08.07.2004, Az.: III ZR 435/02 = NJW 2004, 2897; Urteil vom 15.03.2007, Az.: III ZR 260/05 = BeckRS 2007, 06172; Urteil vom 04.06.2009, Az.: III ZR 187/08 = NJW-​RR 2009, 1424). Dem angeblich Geschädigten obliegt damit die Beweislast dafür, dass die Vorschussleistung mit rechtlichem Grund erfolgt ist, somit auch in vollem Umfang für die Kausalität und die Schadenhöhe (vgl.: OLG Köln, Urteil vom 30.05.2000 Az.: 22 U 246/99, zitiert nach JURIS).

b) Der Beklagten gelingt nach diesen rechtlichen Maßstäben vorliegend nicht der Nachweis, durch den streitgegenständlichen Unfall vom 15.03.2005 folgende Primärverletzung erlitten zu haben: ein HWS- und BWS-​Situationstrauma und multisegmentale Bandscheibenvorfälle in den Bereichen Th 3/4, Th 7/8 und Th 9/10 sowie einen an Th 7/8 mit stattgehabtem Anriss des hinteren Längsbandes und nach crantal sequestrierenden Vorfall.

Das Gericht macht sich dabei die nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen PD. Dr. med. ... (orthopädisch / unfallchirurgische Begutachtung) und Dr. med. ... (radiologische Begutachtung) zu eigen. Insbesondere verfangen die hiergegen seitens der Beklagten vorgebrachten Angriffe nicht:

(1) Dabei hält das Gericht mit dem Sachverständigen PD. Dr. ... eine aktuelle persönliche Untersuchung der Beklagten für entbehrlich, da hierdurch in der Sache kein Informationsgewinn zu erwarten wäre (vgl. Blatt 100).

(2) Im Ausgangspunkt hat der Sachverständigen PD. Dr. med. ... beschrieben, dass traumatische Schädigungen selten und meistens mit Begleitverletzungen, wie etwa Knochenbrüchen der angrenzenden Wirbel vergesellschaftet sind (Blatt 79). Traumatische Bandscheibenverletzungen werden vor allem auf axiale Krafteinwirkungen, erhebliche Unfalleinwirkungen, Einwirken erheblicher Kräfte auf eine gebeugte Wirbelsäule sowie Verdrehen des Rumpfes unter gleichzeitigem Heben und Bewegen schwerer Lasten bzw. direkte Gewalteinwirkung oder Verletzung (z.B. Stich oder Schuss) zurück geführt (vgl. Blatt 80). In unterschiedlicher Ausprägung verlangen darüber hinaus Fachautoren für die Anerkennung als traumatischen Bandscheibenvorfall weitere Voraussetzungen. Hierzu gehört zunächst das zuvor benannte adäquate Trauma und sofort einsetzende typische Beschwerden, zum Teil explizit benannt als Wurzelreizsyndrome, Ischialgien, Lähmung der abhängigen sensiblen oder motorischen Nerven in unmittelbarem seitlichen Anschluss.

Wenn der seltene Fall eines traumatischen Bandscheibenvorfalls auftritt, ist dieser zumeist in der Hals- und Lendenwirbelsäule verortet. Die Brustwirbelsäule ist durch die Rippen vor traumatischen Veränderungen zusätzlich geschützt und in diesem Bereich Bandscheibenvorfälle noch seltener.

Durch das Auftreten einer ausgeprägten äußeren Krafteinwirkung werden in der Regel auch nur einzelne Bandscheiben geschädigte, wobei gerade im Bereich der hier relevanten thoracalen Wirbelsäule nach einer traumatischen Bandscheibenschädigung auch mit neurologischen zu rechnen wäre. Zudem wäre zu erwarten, dass in einer Kernspintomographie auch Reaktionen des Rückenmarkes (Myelon) zu sehen sind, z. B. im Sinne eines Ödems.

(3) Unter Anlegung dieser orthopädisch-​unfallchirurgischen Wissens- bzw. Erfahrungssätze kann sich das keine Überzeugung dahin bilden, dass die festgestellten Bandscheibenvorfälle der Beklagten eine kausale Unfallfolge sind.

(a) Die Beklagte war angeschnallt und solle gleichwohl Bandscheibenvorfälle im Bereich der thoracalen Wirbelsäule erlitten haben.

(b) Die Bandscheibenveränderungen treten auf mehreren Höhen auf.

(c) Der erste Arztbesuch erfolgte erst sechs Tage nach dem Unfall vom 15.03.2005.

(d) Neurologische Ausfallerscheinungen fehlen und fehlten bei der Beklagten.

(e) Der Sachverständige PD. ... hat festgestellt, dass der dringliche Verdacht auf das Vorliegen degenerativer Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule schon vor dem Unfall besteht, sowohl aufgrund initial gefertigter Röntgenbilder als auch aufgrund bereits im Jahre 2000 aufgetretener Wirbelsäulenbeschwerden (vgl. Blatt 81/82).

So hatte der Erstbehandler ... am 21.03.2005 Verschmälerungen der Zwischenwirbelräume sowie ventrale degenerative Veränderungen als Zeichen eines abgelaufenen Morbus Scheuermann (eine Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule) beschrieben.

Der Sachverständige PD. ... hat überzeugend deutlich gemacht, dass der von der Beklagten vorgelegten Anlage B2 (Stellungnahme der Hausärztin als Fachärztin für Allgemeinmedizin) keine Ausschluss früher Bandscheibenschädigungen entnommen werden kann. So schließt die Hausärztin Bandscheibenvorfälle und schwerwiegende Wirbelsäulenerkrankungen für den Zeitraum von 1992 bis 2005 aus, obwohl bei der Beklagten Schmerzen im Rückenbereich vorlagen und die Beklagte an Verspannungen litt. Bandscheibenvorfälle lassen sich jedoch nur zuverlässig mit einer Kernspintomographie und weniger zuverlässig mit einer Computertomogprahie darstellen (Blatt 172). Auf solche Befunde nahm die Hausärztin jedoch nicht Bezug. Als auch Nichtmedizinern bekanntes Allgemeinwissen ist bekannt, dass für die Diagnose Lumboischialgie gerade Bandscheibenveränderungen hauptursächlich sein können. Somit lässt sich dem Attest lediglich entnehmen, dass die Beklagte schon früher gelegentlich unter Rückenschmerzen und Rückenverspannungen litt.

(f) Ein Ödem im Sinne eines Hinweis auf eine frische Unfallfolge im Bereich der angrenzenden Wirbelkörper und des Rückenmarkes konnte in der kernspintomografischen Untersuchung vom 25.05.2005 nicht nachgewiesen werden (vgl. Blatt 102).

Wenn die Beklagte hiergegen Vorbringen lässt, dass diverse von ihr privat konsultierten Ärzte ein anderes bestätigt hätten, kann dies keinen Erfolg haben. Der radiologische Sachverständigen Dr. med. Burger hat plausibel erklärt, weshalb aufgrund der Kernspintomographie vom 25.05.2005 schon aus naturwissenschaftlichen Gründen überhaupt kein Ödem bzw. Hämatom festgestellt werden konnte (vgl. Blatt 216 f.). So war aufgrund des Zeitverlaufs nach dem behaupteten traumatischen Geschehen am 15.03.2005 bis zur Bildgebung ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten vergangen. Nach einem Zeitraum von über zwei Monaten ist nach radiologischem Wissensstandard sowohl in der Bildgebung T1-​w als auch T2-​w nicht signalreich. Anders wäre dies nur in der hyperakuten Blutungsphase (12 Stunden danach) und dann nochmals in der spät subakuten Phase (8 Tage bis 1 Monat danach). Chronische Blutungen - älter als ein Monat - wären in der T1-​w Gewichtung isointens (Gewebe zeigt gleich viele Signale, wie sein umliegendes Gewebe oder wie normalerweise) oder hypointens (signalarm) in der T2-​Gewichtung ebenfalls hypointens. Solche Signalveränderungen lagen bei der Beklagten aber gerade nicht vor. Nachvollziehbar schließt hieraus der Sachverständige, dass in der Bildgebung keine Blutung sondern vielmehr nur an dieser Stelle physiologischerweise vorkommendes Fettgewebe dargestellt wurde.

(g) Der radiologische Sachverständige hat weiter aufgezeigt, dass in den vorgelegten MRT-​Aufnahmen keine Bandzerreißung erkannt werden kann, ebensowenig ein Hinweis auf eine Verletzung, Einblutung oder Zerrung des Rückenmarkes (Blatt 214/215/217). Das vordere und hintere Längsband lassen sich durchgängig abgrenzen, wobei sich auch im Übrigen ein regelrechtes Signalverhalten zeigt. Soweit in einem Vorbefund der radiologischen Gemeinschaftspraxis ... beschrieben wird, dass in Höhe des BWK 6 bis 9 in der sagittalen T2-​w STIR = TIRM-​Messung das vordere Längsband abgehoben sei und unscharf abgrenzbar ist, weist der Sachverständige Dr. ... auf die weiteren Messungen (saggitale T2-​w und sagittale T1-​w) hin. In diesen lässt sich das vordere Längsband durchgängig abgrenzen. Folglich war die schlechte Darstellbarkeit des Längsbandes in der TIRM-​Sequenz methodisch bedingt.

(4) Das Gericht sieht über von subjektiver Einzelwahrnehmung geprägten Vermutungen der Beklagten hinaus keine Anhaltspunkte dafür, dass die gerichtlich beauftragten Sachverständigen in irgendeiner Form "gegen die Beklagte” oder unter Nichtbeachtung fachlicher Grundsätze agiert hätten. Soweit die Beklagte Angriffe gegen die Gutachten (z. T. in ihrer ergänzten Fassung) geführt hat, haben die Sachverständigen hierzu nachvollziehbar Stellung genommen. Die Sachverständigen haben die von der beweisbelasteten Beklagten benannten bzw. vorgelegten Patientenunterlagen ausgewertet und sich mit den Befunden auseinandergesetzt. Inhaltliche Einwände dahingehend, dass die Sachverständigen von fachlichen Standards abgewichen seien sind nicht dargetan. Einen Antrag auf mündliche Erläuterung der Sachverständigengutachten haben die Parteien nicht gestellt.

Das Gericht sieht keine Veranlassung den Lebensgefährten der Beklagten (als angeblichen Reha-​Experten), den mit verunfallten Fahrer des Fahrzeuges in welchem die Beklagte saß, noch vormals als Behandler befasst Ärzte als Zeugen zu hören. Die genannten Personen können keine eigene Wahrnehmung zu der eigentlichen Unfallbedingtheit von Beschwerden bzw. Verletzungen der Beklagten schildern. Allenfalls können diese Personen etwas dazu sagen, ob zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Beschwerden festgestellt wurden. Dies reicht für den von der Beklagten zu führenden Beweis nicht aus (vgl. KG Berlin, Urteil vom 21.11.2005, Az.: 12 U 285/03 = NZV 2006, 146 f., m. w. N.). Die eigentliche Vermittlung des fachmedizinischen Sonderwissens zur gerichtlichen Beurteilung der Tatsachen ist Aufgabe des Sachverständigen.

II.

1. Die Widerklage ist nach § 33 Abs. 1 ZPO zulässig. Soweit die Beklagte auf Feststellung der Ersatzpflichtigkeit der Klägerin hinsichtlich künftiger materieller und immaterieller Schäden klagt, hat sie das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO (z. B. zur Verhinderung eines etwaigen Verjährungseinwandes).

2. Die Beklagte hat jedoch gegen die Klägerin mangels unfallbedingter Verletzung in der Folge auch keinen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld bzw. Ersatz künftiger weiterer materieller und immaterieller Schäden.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO. Bei der Streitwertbemessung waren Klage (4.775,57 EUR) und Widerklage gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 GKG zu addieren, wobei das Gericht unter Anwendung von § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO orientiert an dem von der Beklagten formulierten wirtschaftlichen Interesse für die Widerklage insgesamt einen Streitwert von 15.000,- EUR angesetzt hat.