- Nach dem Schutzzweck des § 42 Abs. 6 Nr. 1 Buchst. g StVO sind nur Radfahrer in den Schutzbereich einbezogen, die sich auf den Schutzstreifen unter Beachtung von § 2 StVO fortbewegen und nicht solche, die quer durch stehende Autos von einer Straßenseite die Fahrbahn überqueren, um sich auf der anderen Seite in den Schutzstreifen einzufädeln.
- Einen Fahrradfahrer, der die Straße durch haltende Fahrzeuge hindurch überquert, trifft die alleinige Haftung bei einer Kollision mit einem Pkw, dessen Fahrer auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter Ausnutzung der Straßenbreite und unter Benutzung eines mit gestrichelter Linie abmarkierten Schutzstreifens für Radfahrer an stehenden Fahrzeugen mit der Absicht rechts vorbeifährt, in eine Seitenstraße abzubiegen.
Siehe auch Schutzstreifen für Radfahrer - Angebotsstreifen und Radfahrer-Unfälle
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 18.10.2012 in Dresden ereignete.
Der Kläger fuhr am 18.10.2012 gegen 17:20 Uhr mit seinem Fahrzeug BMW, amtliches Kennzeichen ... auf der Güntzstraße in Dresden in Richtung Gerokstraße. Er beabsichtigte, in die Gerokstraße abzubiegen. An der Kreuzung Güntzstraße/ Gerokstraße hatte sich bezüglich der Fahrzeuge, die geradeaus fahren wollten, ein Rückstau gebildet. Der Kläger fuhr an dem Stau rechts vorbei und erfasste die Beklagte, die mit ihrem Fahrrad vom Fußweg der gegenüberliegenden Straßenseite der Güntzstraße durch die stehenden Fahrzeuge gekommen war.
Der Kläger stellt sich auf den Standpunkt, die Rechtsabbiegerspur (die bereits ab der Kreuzung Dürerstraße ausgezeichnet sei) sei frei gewesen. Vor diesem Hintergrund habe er sich auf die Rechtsabbiegerspur einordnen und auch rechts auf der eigens für Rechtsabbieger ausgewiesenen Fahrspur an den Fahrzeugen der Geradeausspur vorbei fahren dürfen. In diesem Moment sei die Beklagte, ohne dass dies für ihn ersichtlich gewesen sei, mit ihrem Fahrrad vom Fußweg der gegenüberliegenden Straßenseite der Güntzstraße aus über das Gleisbett hinweg durch die stehenden Fahrzeuge (auf der Geradeausspur) hindurchgefahren, um auf den Fußweg auf der anderen Straßenseite zu gelangen.
Er beziffert seinen Schadenersatzanspruch wie folgt:
Selbstbeteiligung der Kaskoversicherung: 500,00 EUR Unkostenpauschale 30,00 EUR Nutzungsausfall während der Reparatur (19.10. bis 29.10.2012) - 11 x 65,00 EUR = 715,00 EUR
Der Kläger beantragt:Die Beklagte beantragt,
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.245,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 17.12.2012 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von einer Forderung seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 136,50 EUR (1,3 Geschäftsgebühr gemäߧ13, 14 Nr. 2300 VV RVG) zuzüglich Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 EUR (gemäß Nr. 7200 VV RVG) und Mehrwertsteuer in Höhe von 29,74 EUR (gemäß Nr. 7008 VV RVG) freizuhalten.
die Klage abzuweisen.Sie stellt sich auf den Standpunkt, entgegen der Auflassung des Klägers trage die Beklagte die Schuld am Unfallhergang nicht allein. Vielmehr sei von einer überwiegenden Mitschuld des Klägers auszugehen, jedenfalls von einer Haftungsverteilung von 50 : 50 %. Der Kläger verkenne, dass er auf dem Fahrradweg gefahren sei, was eine erhöhte Aufmerksamkeit seinerseits erfordert habe, welche mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h nicht gegeben sein dürfte. Die Rechtsabbiegerspur, welche - wie der Kläger richtigerweise ausführe - sei bereits ab der Kreuzung Dürerstraße ausgezeichnet, beginne erst nach dem Unfallort - und zwar direkt nach der ersten Verkehrsampel. Schon aus diesem Grund sei ein 50 %iger Mitverschuldensanteil anzusetzen. Sie behauptet, sie habe zwischen den stehenden PKWs gestanden, um sich auf den Fahrrad an der betreffenden Stelle einzufädeln. Sie habe zwischen den stehenden Fahrzeugen angehalten und auch nach rechts geschaut, um sich zu vergewissern, ob ein Fahrzeug komme. Sie habe den Kläger auch heranfahren gesehen, ginge jedoch davon aus, dass er viel langsamer fahre bzw. abbremse, zumal sie sich in den für sie vorgesehenen Fahrradweg habe einfädeln wollen. Tatsächlich habe der Kläger jedoch seine Fahrt nicht vermindert und sei mit hoher Geschwindigkeit geradeaus gefahren. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger mit unverminderter Geschwindigkeit (50 km/h) auf eine in der Nähe befindliche Lichtzeichenanlage zufahre, zumal er sieh mit seinem PKW auf einem rot gekennzeichneten Fahrradweg befunden habe.
Ihr seien folgende Schäden entstanden:
Schaden am Fahrrad: - Federgabel: 150,00 EUR - Reifen inkl. Felgen: 100,00 EUR - Lenkerschaltung: 70,00 EUR Kosten für die Heilbehandlung: - bisher aufgelaufen: 677,64 EUR
Darüber hinaus seien die Kosten für die Sanierung des Oberkiefers auf weitere 2.956,52 EUR veranschlagt. Daneben könne sie infolge der erlittenen äußerst schmerzhaften Verletzungen (die vorderen Schneidezähne seien abgebrochen) ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens 2.000,00 EUR beanspruchen. Mithin ergebe sich ein Gesamtschaden für sie in Höhe von 3.954,16 EUR zuzüglich Schmerzensgeldansprüche in Höhe von mindestens 2.000,00 EUR. Mit diesen Ansprüchen rechne sie gegenüber der Klageforderung auf.
Das Gericht hat den Kläger zum Unfallhergang gemäß § 141 ZPO angehört. Des Weiteren wurde die Lichtbildmappe des beigezogenen Strafverfahrens, Az.: 706 Js 66125/12 (Bl. 12 bis 26, 29 bis 30) in Augenschein genommen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte wegen des Verkehrsunfalls vom 18.10.2012 einen Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, wie tenoriert.
Die Beklagte hat gegen § 2 Abs. 1 StVO verstoßen, indem sie auf ihrem Rad durch die stehenden PKWs hindurch die Güntzstraße überquerte. Dabei kann dahinstehen, ob sie, wie der Kläger vorträgt, auf den Fußweg der anderen Straßenseite gelangen wollte oder wie sie selbst vorträgt, sich in den "Fahrradweg habe einfädeln wollen". Dagegen liegt eine Pflichtverletzung des Klägers, die im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen wäre, nicht vor. Der Kläger durfte an dem Rückstau rechts vorbei fahren (§ 7 Abs. 3 StVO). Der Kläger hat dabei auch keinen "Fahrradweg überfahren", sondern im Wege des Abbiegevorganges von der Güntzstraße in die Gerokstraße den sogenannten Schutzstreifen für Radfahrer - eine am rechten Fahrbahnrand mittels Leitlinie (Zeichen 340) mit gestrichelter Linie abmarkierte Verkehrsfläche, bei dem es sich um einen Teil der Fahrbahn handelt. Ein Schutzstreifen wird dann angelegt, wenn die Abtrennung eines Radfahrstreifens aufgrund von Platzmangel nicht möglich ist, eine Entmischung von Rad- und sonstigen Verkehr aus Sicherheitsgründen aber dennoch erforderlich ist. Gleichzeitig erkennt der Gesetzgeber den Umstand an, dass der Schutzstreifen von dem motorisierten Verkehr unter bestimmten Umständen mit benutzt werden muss, da die Fahrbahn ansonsten nicht breit genug wäre. Diese Überlegung hat in § 42 Abs. 6 Nr. 1g StVO ihren Niederschlag gefunden: "Wird am rechten Fahrbahnrand ein Schutzstreifen für Radfahrer markiert, dann dürfen auch andere Fahrzeuge die Markierung bei Bedarf überfahren; eine Gefährdung von Radfahrern ist dabei auszuschließen.'' Nach dem Schutzzweck der Norm sind aber nur Radfahrer in den Schutzbereich einbezogen, die sich auf den Schutzstreifen unter Beachtung von § 2 StVO fortbewegen und nicht solche, die quer durch stehende Autos von einer Straßenseite die Fahrbahn überqueren. Dem Kläger ist auch kein Verstoß gegen § 3 StVO anzulasten. Dass er die innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten hätte, trägt nicht einmal die Beklagte vor. Er musste seine Geschwindigkeit auch nicht deshalb reduzieren, weil jemand wie die Beklagte grob verkehrswidrig die Fahrbahn durch die stehenden PKWs hindurch überqueren könnte. Mit einem solchen grob verkehrswidrigen Verhalten musste der Kläger nicht rechnen. Die allein zu Lasten des Klägers von seinem PKW ausgehende Betriebsgefahr tritt hinter der groben Pflichtverletzung der Beklagten zurück.
Der Schadenersatzanspruch des Klägers berechnet sich wie folgt:
Selbstbeteiligung Kaskoversicherung 500,00 EUR Unkostenpauschale 25,00 EUR Nutzungsausfallentschädigung 11 Tage à 65,00 EUR: 715,00 EUR Gesamtschaden: 1.240,00 EUR
Der Vorsitzende erachtet eine Unkostenpauschale von 25,00 EUR für ausreichend und angemessen. Die Klage war deshalb insoweit abzuweisen.
Da die Beklagte für den Unfall vom 13.10.2012 allein einstandspflichtig ist, hat sie gegen den Kläger keine aufrechenbaren Gegenansprüche.
Aufgrund der obigen Ausführungen ist die Beklagte auch verpflichtet, den Kläger von den in Ziffer 2. tenorierten außergerichtlichen Kosten freizustellen. Diese berechnen sich wie folgt:
Gegenstandswert: 1.240,00 EUR Geschäftsgebühr §§ 18, 14 RVG, Nr. 2300 VV-RVG - 1,3 136,50 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR Zwischensumme netto 156,50 EUR 19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV-RVG 29,74 EUR Gesamtbetrag 186,24 EUR
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.