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OLG Celle Beschluss vom 30.04.2015 - 321 SsBs 42/15 - Fahrlässigkeitsvorwurf bei Fahrten unter Rauschmitteleinfluss

OLG Celle v. 30.04.2015: Fahrlässigkeitsvorwurf bei Fahrten unter Rauschmitteleinfluss


Das OLG Celle (Beschluss vom 30.04.2015 - 321 SsBs 42/15) hat entschieden:
  1. Nimmt ein Betroffener nach dem Konsum von Cannabis als Kraftfahrer am Straßenverkehr teil, handelt er nach § 24a Abs. 3 StVG fahrlässig, wenn er nicht sicher sein kann, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum abgebaut ist (Anschluss KG, Blutalkohol 52, 32; OLG Frankfurt, NStZ RR 2013, 47; OLG Koblenz, NStZ RR 2014, 322; OLG Bremen, NStZ RR 2014, 257; OLG Hamm, Blutalkohol 48, 288).

  2. Im Regelfall besteht für den Tatrichter kein Anlass, an dem subjektiven Sorgfaltsverstoß zu zweifeln, wenn der analytische Grenzwert bei der Fahrt erreicht wird. Nur wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Betroffene trotz Erreichen des analytischen Grenzwertes seinen Sorgfalts- und Erkundigungspflichten nachgekommen ist, ist der Tatrichter gehalten, sich angesichts der entgegenstehenden Messwerte mit der Möglichkeit eines solchen Tatverlaufs auseinanderzusetzen (Anschluss OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.).

Siehe auch Fahrlässigkeit und drogenbedingte Rauschfahrt und Stichwörter zum Thema Drogen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung berauschender Mittel schuldig gesprochen und ihn zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene mit einem Pkw am 25.04.2014 gegen 00:15 Uhr eine öffentliche Straße in S., wobei sich in seinem Blutkreislauf THC mit einer Konzentration von 1,0 ng/ml befand. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte er dies erkennen können. Im Fahrzeug und in der Geldbörse des Betroffenen wurden ferner 3,7 g Marihuana und ca. 1 g Amphetamin gefunden.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 19.01.2015 Rechtsbeschwerde eingelegt, die, nach Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 23.01.2015, mit Schriftsatz vom 23.02.2015 mit der allgemeinen Sachrüge begründet wurde. Dennoch verwarf das Amtsgericht mit Beschluss vom 03.03.2015 die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da sie nicht begründet worden sei. Gegen diesen Beschluss, zugestellt am 05.03.2015, hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 12.03.2015 Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 03.03.2015 aufzuheben und die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.


II.

1. Auf den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts war der Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 03.03.2015 aufzuheben, da die Begründung der am 19.01.2014 erhobenen Rechtsbeschwerde durch anwaltlichen Schriftsatz vom 23.02.2014 fristgerecht erfolgt ist. Die Rechtsbeschwerde war daher zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des materiellen Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen im Hinblick auf die Frage, welche Anforderungen an den Fahrlässigkeitsvorwurf im Rahmen des § 24 a Abs. 2 und Abs. 3 StVG zu stellen sind.

3. Die Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet.

a) Der Verfolgung der Tat steht kein Verfahrenshindernis entgegen. Zwar sind bei dem Betroffenen anlässlich der Verkehrskontrolle auch illegale Betäubungsmittel gefunden worden, wegen deren Besitzes ein Strafverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet wurde. Das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinwirkung und der gleichzeitige Drogenbesitz stellen jedoch im Regelfall keine einheitliche Tat im prozessualen Sinne dar (vgl. dazu OLG Braunschweig, Blutalkohol 51, 353; BGH, Beschluss vom 27.04.2014 - 1 StR 466/03). Anhaltspunkte dafür, dass hier eine unlösbare innere Verknüpfung über die bloße Gleichzeitigkeit der Ausführungen der Tathandlungen hinaus bestand, weil die Verkehrsordnungswidrigkeit Drogenfahrt dazu diente, die vom Angeklagten erworbenen Betäubungsmittel zu seinem Wohnort zu transportieren (vgl. dazu BGH, NZV 2012, 250), ergeben sich aus den Akten nicht.

b) Für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 24 a Abs. 2 StVG ist der Nachweis der berauschenden Substanz im Blut des Betroffenen in einer Konzentration erforderlich, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt und damit die in Satz 2 dieser Bestimmung aufgestellte gesetzliche Vermutung rechtfertigt (BVerfG NJW 2005, 349; OLG Koblenz, Blutalkohol 51, 351; OLG Frankfurt, NStZ-​RR 2013, 47). Dies ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft jedenfalls dann der Fall, wenn zumindest der in der Empfehlung der Grenzwertkommission vom 20.11.2002 angegebene Nachweisgrenzwert erreicht ist. Dieser beträgt für THC (Cannabis) 1,0 ng/ml (ständige Rechtsprechung, vgl. nur OLG Koblenz, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.). Nach den tatrichterlichen Feststellungen ist dieser Grenzwert im vorliegenden Fall gerade erreicht worden.

c) Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene auch fahrlässig i. S. von § 24 a Abs. 2 und 3 StVG gehandelt. Es entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats und anderer Oberlandesgerichte, für die Annahme von Fahrlässigkeit bei einer Drogenfahrt die Feststellung einer über dem Grenzwert der jeweiligen Substanz im Blut liegenden Wirkstoffkonzentration allein nicht ausreichen zu lassen. Es soll vielmehr die Vorstellung des Betroffenen unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festgestellt werden, wobei Fahrlässigkeit ohne weiteres dann anzunehmen sein soll, wenn der Betroffene sich in zeitlicher Nähe zum Cannabiskonsum an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt. An der Erkennbarkeit der fortwährenden Wirkung des Betäubungsmittels zum Tatzeitpunkt soll es demgegenüber fehlen können, wenn zwischen Drogenkonsum und Fahrt eine größere Zeitspanne liegen (vgl. OLG Celle, zuletzt Blutalkohol 52, 150).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat in Übereinstimmung mit zahlreichen in der neueren Zeit ergangenen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte nicht weiter fest. Nimmt ein Betroffener nach dem Konsum von Cannabis als Kraftfahrer am Straßenverkehr teil, handelt er vielmehr nach § 24 a Abs. 3 StVG fahrlässig, wenn er nicht sicher sein kann, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum abgebaut ist. Kann er diese Gewissheit nicht erzielen, darf er nicht am Straßenverkehr teilnehmen (vgl. dazu KG, Blutalkohol 52, 32; OLG Frankfurt, NStZ-​RR 2013, 47; OLG Koblenz, NStZ-​RR 2014, 322; OLG Bremen, NStZ-​RR 2014, 257; OLG Hamm, Blutalkohol 48, 288; wohl auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.01.2015, 2 (5) SsBs 720/14). Der Senat schließt sich dabei den ausführlichen Argumentationen in den Entscheidungsgründen der Beschlüsse insbesondere des Kammergerichtes und des OLG Bremen an. Angesichts der erheblichen Gefahren, die von einer Fahrt mit einem Kfz unter Drogeneinfluss ausgehen, muss sich ein Kraftfahrzeugführer nach vorherigem Drogenkonsum der Gefahrlosigkeit seiner Fahrt gewiss sein, sonst darf er sich nicht in den Straßenverkehr begeben. So wie ein Kraftfahrzeugführer, der legale Medikamente einnimmt, verpflichtet ist, die Gebrauchsanleitung des Medikamentes zu beachten und ggf. Erkundigungen einholen muss, so kann und muss sich der Kraftfahrzeugführer, der verbotenerweise Drogen konsumiert hat, Kenntnis darüber verschaffen, wie lange deren Wirkung andauert. Denn noch weniger als beim Alkohol kann der Wirkverlauf von Drogen von dem Betroffenen selbst eingeschätzt werden (OLG Hamm, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.). Führt die Recherche des Betroffenen - etwa im Internet - dazu, dass er sich nicht sicher sein kann, ob die Rauschmittelkonzentration in seinem Blut unter den analytischen Grenzwert abgesunken ist, muss er von einer Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrer Abstand nehmen (KG, a.a.O.), denn er kann sich der Gefahrlosigkeit seiner Fahrt nicht gewiss sein.

Im Regelfall besteht daher für den Tatrichter kein Anlass, an dem subjektiven Sorgfaltsverstoß zu zweifeln, wenn der analytische Grenzwert bei der Fahrt erreicht wird (vgl. dazu KG a. a. O.). Nur wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Betroffene trotz Erreichen des analytischen Grenzwertes seinen Sorgfalts- und Erkundigungspflichten nachgekommen ist, ist der Tatrichter gehalten, sich angesichts der entgegenstehenden Messwerte mit der Möglichkeit eines solchen Tatverlaufs auseinanderzusetzen (OLG Koblenz, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.).

Hier hat der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen. Es lagen daher keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er vor seiner Fahrt zuverlässige Erkundigungen über die Wirkungsweise und Wirkungsdauer der von ihm konsumierten Drogen eingeholt hat und sich an die ihm erteilten Empfehlungen gehalten hat. Die vom Amtsrichter aus dem Vorliegen des objektiven Tatbestandes gezogenen Schlussfolgerungen zum Vorliegen des Fahrlässigkeitsvorwurfes sind daher nach dieser neueren Rechtsprechung ausreichend.

d) Auch die vom Amtsgericht getroffene Rechtsfolgenentscheidung ist frei von Rechtsfehlern. Auch ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen durfte der Tatrichter auf die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße von 500 € erkennen (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 01.12.2014, 321 SsBs 133/14).


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 StPO.

Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar macht, wenn er nach Ablieferung des Führerscheins oder vier Monate nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung, also nach dem 30. August 2015, ein Kraftfahrzeug führt, dass die Fahrverbotsfrist aber erst vom Tage der Ablieferung des Führerscheins bei der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft Lüneburg) an gerechnet wird (§ 25 Abs. 5 Satz 1 StVG).