Das Verkehrslexikon
VGH München Beschluss vom 30.09.2014 - 11 ZB 14.856 - Fortsetzungsfeststellungsklage zur Vorbereitung für einen beabsichtigten Amtshaftungsprozess
VGH München v. 30.09.2014: Fortsetzungsfeststellungsklage zur Vorbereitung für einen beabsichtigten Amtshaftungsprozess
Der VGH München (Beschluss vom 30.09.2014 - 11 ZB 14.856) hat entschieden:
- Ein ernstlich beabsichtigter Schadensersatzprozess vermag ein berechtigtes Interesse am Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht zu begründen, wenn der Prozess offensichtlich aussichtslos ist, was in der Regel der Fall ist, wenn das als rechtswidrig und schadenstiftend angegriffene Verhalten der Behörde von einem mit mehreren Berufsrichtern besetzten Kollegialgericht als objektiv rechtmäßig beurteilt worden ist und damit, selbst wenn es nachträglich als rechtswidrig beurteilt werden sollte, als jedenfalls vertretbar und nicht schuldhaft erscheint. - auch Kollegialentscheidungen, die im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes ergangen sind, brauchen jedenfalls dann, wenn sie inhaltlich eine Würdigung der Rechtslage enthalten, welche den Schluss auf die Vertretbarkeit des Verwaltungshandelns rechtfertig, nicht außer Betracht zu bleiben.
- Die Gewähr der Sicherheit der Fahrgäste steht bei der Frage der Verlängerung der Erlaubnis zur Personenbeförderung in Zweifel, wenn ein strafrechtlich auffälliges Verhalten Anlass zur ernsthaft begründeten Besorgnis gebe, der Betroffene könne in von der Rechtsordnung besonders geschützte Bereiche der ihm anvertrauten Fahrgäste unter Ausnutzung ihrer Situation eingreifen. Auf eine konkrete Gefahr kommt es nicht an (hier: Vorsätzliche Insolvenzverfahrensverschleppung und Bankrott sowie Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelten).
Siehe auch Amtshaftung im Verkehrsrecht und P-Schein / Personenbeförderungsschein - Taxischein
Gründe:
I.
Am 25. September 2012 beantragte der Kläger die Verlängerung der Gültigkeit seiner zuletzt bis 31. Oktober 2012 erteilten Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Das daraufhin eingeholte Führungszeugnis vom 26. September 2012 enthält folgende Eintragung:
"Entscheidung des Amtsgerichts München vom 22. Februar 2011, rechtskräftig seit 22. Februar 2011; Datum der Tat: 4. Dezember 2009; Tatbezeichnung: Vorsätzliche Insolvenzverfahrensverschleppung und Bankrott sowie Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelten in neun Fällen; (…) Verhängte Strafe: 150 Tagessätze."
Zuletzt mit Schreiben vom 26. Februar 2013 forderte die Beklagte den Kläger zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen einer Frist von drei Monaten auf. Die abgeurteilte Straftat zeige, dass der Kläger sich ihm bietende Gelegenheiten nutze, sich Vermögensvorteile auch dann zu verschaffen, wenn dies auf legalem Weg nicht möglich sei. Die begangene Straftat lasse vermuten, dass er den Anforderungen an die Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung nicht gerecht werden könne, da im Zusammenhang mit der Straftat die nicht unbegründete Besorgnis bestehe, dass er zukünftig seine Fahrgäste schädigen werde.
Der Kläger erhob Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht München und beantragte gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. März 2013 (M 6b E 13.512) ablehnte. Die Beschwerde gegen den Beschluss wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. Mai 2013 (11 CE 13.765) zurück.
Daraufhin ließ sich der Kläger begutachten und erhielt durch die Beklagte am 23. Juli 2013 nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Frage der Gewähr für die besondere Verantwortung die beantragte Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Taxen, Mietwagen und Personenkraftwagen im Linienverkehr.
Der Kläger beantragte daraufhin,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, die Fahrerlaubnis des Klägers zur Fahrgastbeförderung auf den Antrag des Klägers vom 25. September 2012 ohne vorherige Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu verlängern.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 19. Februar 2014 ab. Der Fortsetzungsfeststellungsklage fehle das erforderliche Feststellungsinteresse.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten im Klageverfahren sowie im einstweiligen Rechtschutzverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat das erforderliche Feststellungsinteresse für die Fortsetzungsfeststellungsklage sowohl im Hinblick auf die beabsichtigte Amtshaftungsklage als auch bezgl. einer Wiederholungsgefahr und hinsichtlich einer Rehabilitation des Klägers zu Recht verneint. Der Senat kann sich hierauf beziehen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
1.1 Ein ernstlich beabsichtigter Schadensersatzprozess vermag ein berechtigtes Interesse am Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht zu begründen, wenn der Prozess offensichtlich aussichtslos ist, was in der Regel der Fall ist, wenn das als rechtswidrig und schadenstiftend angegriffene Verhalten der Behörde von einem mit mehreren Berufsrichtern besetzten Kollegialgericht als objektiv rechtmäßig beurteilt worden ist und damit, selbst wenn es nachträglich als rechtswidrig beurteilt werden sollte, als jedenfalls vertretbar und nicht schuldhaft erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1985 – 2 C 42.83 – NVwZ 1986, 468). So ist es hier.
Zwar hat der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, dass diese sog. Kollegialgerichtsrichtlinie nicht uneingeschränkt gilt. Der für Amtshaftungsklagen letztinstanzlich zuständige Bundesgerichtshof, an dessen Rechtsprechung das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung anlehnt (vgl. BVerwG, B.v. 3.5.2004 – 6 B 17.04 – juris Rn. 4 f.), hat im Laufe der Zeit in seiner Rechtsprechung unter grundsätzlicher Beibehaltung der Rechtsfigur Einwänden gegen die sog. Kollegialgerichtsrichtlinie Rechnung getragen und damit gewichtige Vorbehalte in der Literatur ausgeräumt. Dies betrifft Ausnahmen vom Verschuldensausschluss im Falle eines gewichtigen Pflichtverstoßes der Behörde auf höchster Ebene, im Falle einfacher, leicht zu beantwortender Rechtsfragen, bei Entscheidungen in einem summarischen gerichtlichen Verfahren, aber auch bei offensichtlichen Fehlern in der Entscheidung des Kollegialgerichts, z. B. wenn dieses von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.1998 – 2 C 4.97 – NVwZ 1999, 404; B.v. 9.8.1990 – 1 B 94.90 – BayVBl 1991, 26; BayVGH, U.v. 20.12.2012 – 2 B 12.1977 – BayVBl 2013, 275) oder wenn das Gericht die bestehende Rechtslage trotz eindeutiger und klarer Vorschriften verkannt oder eine eindeutige Bestimmung handgreiflich falsch ausgelegt haben könnte (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2010 – 7 B 09.2566 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 17.10.1985 – 2 C 42.83 – NVwZ 1986, 468 m.w.N.).
Aber auch Kollegialentscheidungen, die im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes ergangen sind, brauchen jedenfalls dann, wenn sie inhaltlich eine Würdigung der Rechtslage enthalten, welche den Schluss auf die Vertretbarkeit des Verwaltungshandelns rechtfertigt (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.1993 – 2 B 28.93 – juris; BayVGH, B.v. 27.1.2012 – 3 ZB 09.75 – juris Rn. 5, B.v. 4.5.2010 – 3 ZB 09.88 – juris Rn. 6), nicht außer Betracht zu bleiben. Auch der Bundesgerichtshof (vgl. U.v. 2.4.1998 – III ZR 111/97 – NVwZ 1998, 878) geht davon aus, dass eine schuldhafte Amtspflichtverletzung nicht in Betracht kommt, wenn ein Kollegialgericht aufgrund sorgfältiger Sachverhaltsfeststellung unter erschöpfender Würdigung die Rechtmäßigkeit der Amtstätigkeit bejaht hat.
Hier hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. Mai 2013 (11 CE 13.765) einen Anspruch des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung verneint und dabei ausdrücklich die Gutachtensbeibringungsanordnung durch die Behörde für rechtmäßig befunden. Der Sachverhalt, der zur Gutachtensanordnung führte, war unstreitig, die Beantwortung der Rechtsfrage wies keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf. Auch dass es sich um einen grundsätzlich beschränkten Prüfungsmaßstab (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) handelte (vgl. hierzu BGH, U.v. 2.4.1998 – III ZR 111/97 – juris Rn. 13), kam nicht zum Tragen. Daher handelt es sich bei dem Beschluss um eine Entscheidung eines Kollegialgerichts mit inhaltlicher Würdigung der Rechtslage bei Zugrundelegung eines unstreitigen Sachverhaltes, so dass die Kollegialgerichtsrichtlinie zur Anwendung kommt.
1.2 Der Kläger kann sich zur Begründung seines Feststellungsinteresses auch nicht auf eine Wiederholungsgefahr berufen. Deren Bejahung würde voraussetzen, dass auch in Zukunft die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bestehen wie in dem für die Beurteilung der erledigten Maßnahme maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2013 – 3 C 6.12 – NVwZ 2013, 1550). Eine solche unverändert fortbestehende Sachlage gibt es hier nicht. Nachdem der Kläger die begehrte Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erhalten hat, ist die erneute Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei unveränderter Sachlage nicht zu erwarten. Auch wenn die Fahrerlaubnis befristet ist, so ist die erneute Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bei einem Verlängerungsantrag nur zulässig, wenn sich neue Anhaltspunkte für einen Eignungsmangel ergeben.
1.3 Schließlich kann der Kläger die Zulässigkeit seines Fortsetzungsfeststellungsantrags nicht mit einem Rehabilitierungsinteresse begründen. Das Verlangen nach Rehabilitierung begründet ein Feststellungsinteresse nur dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist. Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns wirksam begegnet werden könnte. Eine diskriminierende Wirkung ergibt sich z.B. regelmäßig nicht allein aus dem Umstand, dass ein Antrag auf Fahrerlaubniserteilung auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV abgelehnt wurde. Voraussetzung für eine solche Ablehnung ist lediglich, dass ein zu Recht angefordertes Fahreignungsgutachten nicht beigebracht wurde. Die Prüfung des Vorliegens einer rehabilitierungsbedürftigen Diskriminierung verlagert sich damit im Wesentlichen auf die Gründe, aufgrund derer die Behörde vom Betroffenen die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens fordert. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, auf welche fahreignungsrelevanten Mängel sich die Fahrerlaubnisbehörde dabei berufen hat und in welcher Art und Weise sowie in welcher Form das geschehen ist. Für die zu klärende Frage einer fortdauernden Beeinträchtigung des Betroffenen in seinen Persönlichkeitsrechten sowie eines daraus resultierenden Rehabilitierungsinteresses ist noch nicht zu prüfen, ob mit den von der Fahrerlaubnisbehörde für das Vorliegen von Eignungszweifeln aufgeführten Umständen auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Gutachtensanforderung erfüllt werden. Das ist, falls ein Rehabilitierungsinteresse anzuerkennen ist, dann erst eine Frage der Begründetheit des Feststellungsantrags (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2013, a.a.O.).
Im Fall des Klägers waren nach Einschätzung der Fahrerlaubnisbehörde Eignungszweifel dahingehend gegeben, ob er die Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung bieten könne, da im Zusammenhang mit der vom Amtsgericht München mit Urteil vom 22. Februar 2011 geahndeten Straftat die nicht unbegründete Besorgnis bestehe, dass er zukünftig seine Fahrgäste schädigen werde. Diese Gewähr stehe insbesondere dann in Zweifel, wenn ein strafrechtlich auffälliges Verhalten Anlass zur ernsthaft begründeten Besorgnis gebe, der Betroffene könne in von der Rechtsordnung besonders geschützte Bereiche der ihm anvertrauten Fahrgäste unter Ausnutzung ihrer Situation eingreifen. Auf eine konkrete Gefahr komme es nicht an. Die Anordnung sei geeignet, festzustellen, ob die aufgrund der problematischen Einstellung des Klägers zum Eigentum Anderer ersichtlichen Zweifel an der Gewähr für die besondere Verantwortung sich bewahrheiten oder ausräumen lassen.
Der Ausgangspunkt der Anforderung, nämlich die vom Amtsgericht München mit Urteil vom 22. Februar 2011 geahndete Straftat und deren Wertung als problematische Einstellung des Klägers zum Eigentum Anderer, ist kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Hinsichtlich der Straftat ergibt sich das schon daraus, dass diese unstreitig ist. Der Schluss auf bestehende Zweifel an der Gewähr für die besondere Verantwortung ergibt sich unmittelbar aus der rechtskräftig abgeurteilten Straftat gegen das Vermögen und das Eigentum Anderer. Die Schlussfolgerung, dass geklärt werden müsse, ob die Gefahr bestehe, dass der Kläger in von der Rechtsordnung besonders geschützte Bereiche der ihm anvertrauten Fahrgäste unter Ausnutzung ihrer Situation eingreife, liegt nicht so fern, dass sie den Verdacht auf eine unsachgemäße oder gar willkürliche, die persönlichen Belange des Klägers missachtende Sachbehandlung begründen könnte. Schließlich hat der Kläger in neun Fällen Arbeitsentgelte (Sozialversicherungsbeiträge) vorenthalten und veruntreut. Auch ist der Ton in der Anordnung sachlich gehalten. Die Gefahr einer Herabsetzung des Klägers in der Öffentlichkeit bestand nicht.
2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Sache (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bezieht sich auf die Begründetheit der Klage. Auf sie ist mangels Zulässigkeit der Klage nicht einzugehen. Der Zulassungsgrund kann nicht vorliegen, weil Fragen der Begründetheit der Klage nicht entscheidungserheblich sind.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anhang zu § 164 Rn. 14).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).