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Verwaltungsgericht Neustadt Urteil vom 09.09.2015 - 1 K 165/15.NW - Umtausch eines bulgarischen EU- Führerscheins

VG Neustadt v. 09.09.2015: Verwertbarkeit von Eintragungen und Umtausch eines bulgarischen EU- Führerscheins




Das Verwaltungsgericht Neustadt (Urteil vom 09.09.2015 - 1 K 165/15.NW) hat entschieden:

  1.  Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, die im Fahreignungs-/ Verkehrszentralregister auch nach der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis eingetragen ble iben, sind bei der Anordnung verkehrsrechtlicher Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich verwertbar.

  2.  Der Umtausch des deutschen Führerscheins gegen einen bulgarischen Führerschein steht der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht entgegen.


Siehe auch
Umausch bzw. Umschreibung einer EU-Fahrerlaubnis in eine Fahrerlaubnis anderer EU-Mitgliedsstaaten
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Tatbestand:


Der in Mazedonien geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis. Er gibt wechselnd an, deutscher oder bulgarischer Staatsangehöriger zu sein.

Der Kläger erwarb 1995 eine mazedonische Fahrerlaubnis, die 2002 in Deutschland in eine Fahrerlaubnis der Klasse B umgeschrieben wurde. In den Jahren 2005 bis 2007 beging der Kläger u.a. drei Fahrten mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l, 0,29 mg/l, 0,33 mg/l, die jeweils zu einem Eintrag im Verkehrszentralregister führten. Nach einem positiven Fahreignungsgutachten im Jahr 2007, allerdings nachdem der Kläger 20 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht hatte, verzichtete er auf seine Fahrerlaubnis.

Am 18.8.2008 - nach Vorlage eines Fahreignungsgutachtens vom 21.7.2008 sowie einer Bestätigung über die Teilnahme an einem anerkannten Kurs zur Widerherstellung der Fahreignung - wurde dem Kläger erneut die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Nach weiteren Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr führte der Kläger am 26.10.2013 ein Kraftfahrzeug im Stadtgebiet der Beklagten mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,52 mg/l. Daraufhin wurde gegen den Kläger ein Fahrverbot von einem Monat verhängt sowie eine Eintragung von vier Punkten im Verkehrszentralregister vorgenommen. Mit Schreiben vom 10.2.2014 forderte die Fahrerlaubnisbehörde beim Landkreis Germersheim den Kläger mit Blick auf die oben angeführten Trunkenheitsfahrten und § 13 Satz 1 Nr. 2 b Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zur Beibringung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens auf. Zwar erfolgte die Begutachtung am 23.4.2014, der Kläger legte der Beklagten jedoch kein Gutachten vor.




Nach dem Umzug des Klägers in die Stadt Landau entzog die Beklagte nach vorausgegangener Anhörung mit Verfügung vom 18.8.2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B, nahm dabei allerdings Bezug auf die im Jahr 2002 erteilte Fahrerlaubnis und ordnete den Sofortvollzug an. Diesen Bescheid korrigierte sie mit einem Änderungsbescheid vom 14.1.2015, indem sie hinsichtlich der Entziehung auf die im Jahr 2008 erteilte Fahrerlaubnis abstellte.

Der Kläger legte gegen die Entziehung Widerspruch ein und trug vor: Die Begutachtung habe seine Fahreignung bestätigt. Es bedürfe allerdings noch des Beweises längerer alkoholfreier Zeit, die er derzeit absolviere. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte er, er sei nicht mehr im Besitz eines deutschen Führerscheins und einer deutschen Fahrerlaubnis. Er habe eine ausländische Fahrerlaubnis erworben und sein deutscher Führerschein sei von der ausländischen Behörde eingezogen worden.

Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2015 zurückgewiesen: Bei einem Tausch des Führerscheins bleibe zumindest in der Europäischen Union gemäß § 30a FeV die deutsche Fahrerlaubnis unverändert fortbestehen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß §§ 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG), 11 Abs. 8, 13 Nr. 2b und 46 Abs. 3 FeV sei daher in rechtmäßiger Weise erfolgt. Aufgrund der vier Trunkenheitsfahrten des Klägers sei die Anforderung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens zwingend vorgeschrieben. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht auf die fehlende Geeignetheit des Klägers schließen dürfen.

Der Kläger hat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids (29.1.2015) am 24.2.2015 Klage erhoben.

Der Kläger trägt vor: Der Ausgangsbescheid sei wegen der Entziehung einer nicht mehr bestehenden Fahrerlaubnis rechtswidrig gewesen. Der Änderungsbescheid sei ebenfalls rechtswidrig, da zu diesem Zeitpunkt keine deutsche Fahrerlaubnis mehr vorgelegen habe. Zudem habe er am 18.8.2014 eine bulgarische Fahrerlaubnis beantragt und erhalten, weil er mittlerweile seinen Erstwohnsitz nach Bulgarien verlegt habe und dort einen Speditionsbetrieb leite. Die deutsche Fahrerlaubnis habe er bei der bulgarischen Fahrerlaubnisbehörde abgegeben.

Der Kläger beantragt,

   Ziffer 1. der Verfügung der Beklagten vom 18.8.2014, in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14.1.2015 sowie des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 26.1.2015, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie erwidert: Mittlerweile sei ihr der deutsche Führerschein von der bulgarischen Behörde zugeleitet worden. Die Vorlage einer bulgarischen Fahrerlaubnis könne der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die deutsche Fahrerlaubnis bestehe gemäß § 30a FeV fort und unterliege damit der Entziehung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Widerspruchsakte sowie der Gerichtsakte 1 K 165/15.NW verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.




Entscheidungsgründe:

Der Klage bleibt der Erfolg versagt. Ziffer 1. der angefochtenen Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse B durch die Beklagte findet ihre rechtliche Grundlage in den §§ 3 StVG; 11 Abs. 8 und 46 FeV.

Gegen die Entziehungsverfügung bestehen keine formellen Bedenken. Zum einen hat die Beklagte dem Kläger hinreichend Gelegenheit gegeben sich zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis zu äußern (§ 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz - LVwVfG, 28 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -). Zum anderen ist die Beklagte zum Erlass der Entziehungsverfügung örtlich zuständig gewesen, nachdem der Kläger in ihr Stadtgebiet zugezogen war (§§ 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FeV; 3 Abs. 1 Nr. 5 Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts). Der Wegzug aus dem Stadtgebiet der Beklagten in den Zuständigkeitsbereich der Kreisverwaltung Germersheim lässt die Zuständigkeit der Beklagten nicht rückwirkend entfallen. Die Entziehungsverfügung ist nunmehr auch hinreichend bestimmt, nachdem die Beklagte im Änderungsbescheid klargestellt hat, dass Gegenstand der Entziehung die am 18.8.2008 erteilte Fahrerlaubnis ist.

Gegen die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung bestehen keine materiell-​rechtlichen Bedenken.

Die Beklagte ist berechtigt, bei der Entziehung der Fahrerlaubnis Klasse B des Klägers, in Folge der Nichtvorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens, von der fehlenden Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr auszugehen. Die Voraussetzung hierfür, eine formell und materiell rechtmäßige Gutachtensanforderung durch die Beklagte (BVerwG, Beschluss vom 11.6.2008 - 3 B 99/07; Urteil vom 15.7.2001 - 3 C 13/01), ist erfüllt.


Die Beklagte hat den Kläger mit Anordnung vom 10.2.2014 in rechtlich unbedenklicher Weise zur Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens aufgefordert.

Die dem Kläger zur Vorlage des Gutachtens eingeräumte Frist (§ 11 Abs. 6 FeV) war hinreichend lang bemessen und wurde ausweislich des in der Verwaltungsakte dokumentierten Schriftverkehrs faktisch sogar einmal zugunsten des Klägers verlängert. Zudem wurde der Kläger auf die Folgen der Nichtvorlage des Gutachtens in der Anordnung hingewiesen (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Die Anordnung enthielt zudem eine - auch gemessen an den Anforderungen des BVerwG (Beschluss vom 5.2.2015 - 3 B 16/14) - hinreichend bestimmte Fragestellung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV), mit der vor dem Hintergrund wiederholter Zuwiderhandlungen des Klägers im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (§ 13 Satz 1 Nr. 2b FeV) dessen Trennungsvermögen mit Blick auf den Alkoholkonsum des Klägers aufgeklärt werden sollte.

Weiter ist die Anordnung auch anlassbezogen ergangen und steht im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BVerwG, Beschluss vom 11.6.2008, a.a.O.). Die Beklagte hat hierzu auf vier Zuwiderhandlungen des Klägers im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss in den Jahren 2005 bis 2013 verwiesen, die hinreichend den tragfähigen Verdacht, nicht nur die bloße Vermutung, eines näher aufzuklärenden Alkoholproblems des Klägers begründen. Der Verwertung dreier dieser Vergehen steht nicht entgegen, dass diese vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis vom 18.8.2008 begangen wurden und zwischenzeitlich ein dem Kläger günstiges Fahreignungsgutachten vom 24.9.2007 erstellt worden war, und obwohl ein weiteres Fahreignungsgutachten vom 21.7.2008 zwar die Erwartung formulierte, dass der Kläger zukünftig gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen mit Alkoholbeteiligung verstoßen werde, aber ein Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung die Verhaltensprognose günstig beeinflussen könne (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 14.7.2008 - 11 CS 08.1319; Beschluss vom 6.5.2008 - 11 CS 08.551; OVG Sachsen, Beschluss vom 24.7.2008 - 3 B 18/08). Denn solange diese Zuwiderhandlungen - wie hier - im Verkehrszentralregister eingetragen sind, sind sie unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls auch unter den gegebenen Verhältnissen verwertbar (BVerwG, Urteil vom 9.6.2005 - 3 C 21.04 und 25.04). In Anbetracht der langjährigen Latenz der unter Alkoholeinfluss begangenen Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr durch den Kläger, sowie mit Blick auf die offenbar nicht zu einem tiefgreifenden Wandel führende Kursteilnahme des Klägers zwecks Erlangung der Fahreignung bei vorangegangenen Alkoholproblemen - der Kläger hat danach wiederum alkoholisiert ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt - war es durchaus angemessen, vom Kläger die Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens zu verlangen.

Der Kläger ist seiner damit bestehenden Verpflichtung zur Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen. Er hat zwar geltend gemacht, dass er eine Begutachtung bewerkstelligt habe; danach sei eine Eignung gegeben; es werde jedoch von der zuständigen Stelle noch der Beweis einer längeren alkoholfreien Zeit gefordert. Dieser Vortrag ersetzt freilich nicht die fristgerechte Vorlage des medizinisch-​psychologischen Gutachtens bei der Beklagten.



Der Entziehung der Fahrerlaubnis steht der Umtausch des deutschen gegen einen bulgarischen Führerschein durch den Kläger am 18.8.2014 nicht entgegen. Das BVerwG (Urteil vom 27.9.2012 - 3 C 34/11) hat zunächst offengelassen, ob eine deutsche Fahrerlaubnis nach deren Umtausch in die Fahrerlaubnis eines anderen EU-​Staates weiter bestehen bleibt. Es hat aber darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber diese Frage in § 30a FeV mittlerweile dahingehend geregelt hat, dass die Fahrerlaubnis unverändert bestehen bleibt, wenn ein auf Grund einer deutschen Fahrerlaubnis ausgestellter Führerschein gegen denjenigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum umgetauscht wird. So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat ausweislich des von ihm vorgelegten bulgarischen Führerscheins den deutschen Führerschein vom 18.8.2008 lediglich umgetauscht, was die Spalte 12 des bulgarischen Führerscheins belegt. Dort sind die Nummer der 2008 erteilten deutschen Fahrerlaubnis mit dem Endkürzel "DEU" sowie der Code "70" eingetragen. Dies zeigt, dass gerade keine Neuerteilung sondern lediglich ein Umtausch im Rechtssinne erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.2012, a.a.O.). Im Falle des Umtauschs bleibt aber die deutsche Fahrerlaubnis unverändert bestehen (VG München, Urteil vom 9.5.2014 - M 6a K13.5484; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 30a FeV Rn 13) und kann daher auch entzogen werden.

Zur Vermeidung von rechtlichen Missverständnissen weist die Kammer darauf hin, dass der Kläger bei fortbestehender Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung weder von seiner deutschen Fahrerlaubnis noch von seinem bulgarischen Führerschein im Bereich der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen darf (§ 46 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FeV).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, LKRZ 2014, 169.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt den §§ 167 VwGO, 708 ff. Zivilprozessordnung.





Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-​Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Robert-​Stolz-​Str. 20, 67433 Neustadt, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Rheinland-​Pfalz (ERVLVO) vom 10. Juli 2015 (GVBl. S. 175) in der jeweils geltenden Fassung zu übermitteln ist.

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