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Landgericht Erfurt Urteil vom 10.05.2012 - 10 O 1061/11 - Regressklage des Unfallversicherungsträgers gegen einen Arbeitgeber im Falle der Schwarzarbeit

LG Erfurt v. 10.05.2012: Rechtsweg für eine Regressklage des Unfallversicherungsträgers gegen einen Arbeitgeber im Falle der Schwarzarbeit


Das Landgericht Erfurt (Urteil vom 10.05.2012 - 10 O 1061/11) hat entschieden:
  1. Unternehmer, die Schwarzarbeit nach dem Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz erbringen und dadurch bewirken, dass die Beiträge nicht, nicht in der richtigen Höhe oder nicht rechtzeitig entrichtet werden, haben den Unfallversicherungsträgern die Aufwendungen zu erstatten, die diesen infolge von Versicherungsfällen bei Ausführung der Schwarzarbeit entstanden sind.

  2. Bei dem unfallversicherungsrechtlichen Regreß des § 110 SGB VII handelt es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch, der die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründet.

Siehe auch Schwarzarbeit - Schwarzlohnabrede und Insassen-Unfallversicherung


Tatbestand:

Mit der am 07.10.2011 zugestellten Klage macht die Klägerin gegen die Beklagte einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 110 Abs. 1a SGB VII geltend.

Die Klägerin ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts gesetzliche Unfallversicherungsträgerin. Die Beklagte ist im Bereich der Herstellung und Verlegung von Industriefußböden tätig. Am 25.05.2009 beschäftigte sie Herrn ... auf einer Baustelle in .... Herr ... rutschte gegen 12:00 Uhr auf einem vollen Betonschlauch aus und brach sich hierbei mehrfach seinen linken Arm.

Zwischen der Beklagten und Herrn ... wurde ein Arbeitsvertrag geschlossen. Dieser ist auf den 28.04.2009 datiert. Beginn des Arbeitsverhältnisses war danach der 01.05.2009.

Eine Meldung des Herrn ... bei der Deutschen Rentenversicherung erfolgte am 22.09.2009; er wurde zum 10.11.2010 wieder abgemeldet. Die Meldung zur Sozialversicherung erfolgte am 13.04.2010 und zwar für die Beschäftigungszeit vom 01.05.2009 bis zum 31.07.2009. Die ... übersandte mit Datum vom 11.05.2009 an die Beklagte eine Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V über Herrn ..., in der der Beginn der Mitgliedschaft am 01.05.2009 bescheinigt wird.

Das Unfallereignis auf der Baustelle am 25.05.2009 wurde von der Klägerin als Arbeitsunfall anerkannt. Aus Anlass dieses Arbeitsunfalls erbrachte sie Leistungen für Arzt- und Röntgenkosten, Kosten der stationären Behandlung, Fahrt- und Transportkosten, Heilbehandlungskosten für Ergotherapie und Physiotherapie, Kosten für Hilfsmittel und Medikamente sowie Verletztengeld nebst der darauf zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 31.528,11 EUR. Aus dem Verletzungsbild ergibt sich, dass die Klägerin mit zukünftigen Aufwendungen aufgrund dieses Schadensereignisses zu rechnen hat.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe Herrn ... bis zum Zeitpunkt des Schadensereignisses weder bei der Krankenversicherung noch bei der Rentenversicherung gemeldet.

Die Klägerin beantragt:
  1. Die Beklagte wird verurteilt, an sie 31.528,11 EUR nebst gesetzlichen 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten ... vom 25.05.2009 entstanden sind und zukünftig noch entstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, ihr Mitarbeiter ... sei vor dem Unfall am 25.05.2009 zum 01.05.2009 bei der ... angemeldet worden. Dies sei durch die Krankenversicherung am 11.05.2009 bestätigt worden. Die Meldung an den Sozialversicherungsträger habe das von ihr beauftragte Steuerbüro ... zeitnah zum Einstellungstermin am 01.05.2009 gefertigt. Am 13.04.2010 habe die Meldung durch das Steuerbüro anscheinend wiederholt werden sollen oder müssen; Gründe hierfür seien ihr nicht bekannt. Herr ... sei zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls sowohl sozial- als auch rentenversichert gewesen. Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe den ihr nach § 110 Abs. 2 SGB VII zustehenden Ermessensspielraum nicht ausgeübt. Dazu behauptet sie, ihre wirtschaftliche Situation könne als derzeit schwierig bezeichnet werden.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 71 Abs. 1 GVG ist gegeben.

Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 110 Abs. 1a SGB VII ist umstritten. Nach einer Ansicht handelt es sich beim Anspruch nach § 110 Abs. 1a SGB VII um einen zivilrechtlichen Anspruch, für den die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben sei (SG Mannheim, Urteil vom 19.11.2008, Az.: S 7 U 533/06; Leube, Sgb 2006, 404 (407 f.)). Die gegenteilige Ansicht sieht in § 110 Abs. 1a SGB VII einen öffentlich-​rechtlichen Anspruch, für den die Sozialgerichte zuständig seien (Lehmacher, BG 2005, 408 (409); Riedel, Der unfallversicherungsrechtliche Regreß des § 110 SGB VII unter besonderer Berücksichtigung des neu eingeführten Absatzes 1a, S. 121; Waltermann, BG 2006, 79 (80)).

Der erstgenannten Auffassung, die den Anspruch nach § 110 Abs. 1 a SGB VII als einen zivilrechtlichen Anspruch ansieht, der die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründet, ist zu folgen. Zwar knüpft die Anspruchsvoraussetzung der Erbringung von Schwarzarbeit an eine öffentlich-​rechtliche Norm an. Jedoch spricht dies alleine nicht gegen die Annahme eines zivilrechtlichen Anspruchs. Denn die Norm des § 110 Abs. 1a SGB VII stellt eine eigenständige Regelung dar, die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ohne Vorbild ist (Leube, Sgb 2005, 404 (406)). Seiner systematischen Stellung nach ist § 110 Abs. 1a SGB VII aus zwei Gründen ein zivilrechtlicher Anspruch. Zum Einen knüpft er unmittelbar an § 110 Abs. 1 SGB VII an. Der Regressanspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII ist privatrechtlicher Natur (BGHZ 57, 96 (100 f.); BGHZ 154, 11 (18)). Des Weiteren haben die Begriffe „Erstattung“ (Abs. 1a) und „Haftung“ (Abs. 1) durch den Unternehmer keine rechtlich unterschiedliche Bedeutung; in beiden Fällen geht es darum, finanzielle Nachteile für den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund unkorrekten Verhaltens des Unternehmers als Mitglied der Risikogemeinschaft im Nachhinein zu kompensieren. Damit steht neben dem Präventions- und Sanktionsgedankens der bürgerlichrechtliche Gedanke der Schadloshaltung für erwachsene Aufwendungen im Vordergrund (SG Mannheim, aaO.; Leube, Sgb 2006, 404 (407)). Zum Anderen wurde § 110 Abs. 1a SGB VII zwischen dem zivilrechtlichen Regressanspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII und der Regelung über den Verzicht auf den Regressanspruch durch den Träger der Unfallversicherung in § 110 Abs. 2 SGB VII eingefügt. Der Gesetzgeber wollte damit den Regress wegen Schwarzarbeit in die bereits bestehende zivilrechtliche Regressregelung integrieren (Leube, Sgb 2006, 404 (408)).

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen in Höhe von 31.528,11 EUR gemäß § 110 Abs. 1a SGB VII.

Gemäß § 110 Abs. 1a SGB VII haben Unternehmer, die Schwarzarbeit nach § 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes erbringen und dadurch bewirken, dass Beiträge nach dem 6. Kapitel nicht, nicht in der richtigen Höhe oder nicht rechtzeitig entrichtet werden, den Unfallversicherungsträgern die Aufwendungen zu erstatten, die diesen infolge von Versicherungsfällen bei Ausführung der Schwarzarbeit entstanden sind. Eine nicht ordnungsgemäße Beitragsentrichtung vermutet, wenn die Unternehmer die Personen, bei denen die Versicherungsfälle eingetreten sind, nicht nach § 28a des 4. Buches bei der Einzugsstelle oder der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung angemeldet hatten. Strenger ist die Rechtslage bei Beschäftigungsverhältnissen nach § 28a Abs. 4 SGB IV. Nach § 28a Abs. 4 Nr. 1 SGB IV haben die Arbeitgeber von Beschäftigten im Baugewerbe den Tag des Beginns eines Beschäftigungsverhältnisses spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung zu melden.

Die Beklagte hat den Beitrag zur Sozialversicherung für Herrn ... nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 110 Abs. 1a SGB VII entrichtet. Ihre Tätigkeit, die Herstellung und Verlegung von Industriefußböden, unterfällt dem Baugewerbe nach § 28a Abs. 4 Nr. 1 SGB VI, denn ein Baugewerbe im Sinne dieser Norm umfasst auch das Ausbau- und Baunebengewerbe (Roßbach in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Auflage, § 28a SGB IV Rdnr. 26). Damit hatte die Beklagte den Tag des Beginns des Beschäftigungsverhältnisses ihres Arbeitnehmers ... spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung zu melden. Dazu, dass sie dieser Pflicht zur sog. Sofortmeldung nachgekommen ist, hat die Beklagte auch nach Hinweis des Gerichts im Schreiben vom 27.02.2012 nicht vorgetragen. Die Beklagte hat nur vorgetragen, dass sie ihren Mitarbeiter ... zum 01.05.2009 bei der ... angemeldet habe. Das reicht jedoch für einen Vortrag zur Erfüllung der Pflicht zur Sofortmeldung nicht aus, da dieser Vortrag auch eine rückwirkende Meldung zum 01.05.2009 inkludiert. Dies ist nach der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung in der email vom 13.04.2010 (Anlage K 5) auch geschehen; danach wurde Herr ... dort erst am 22.09.2009 angemeldet. Ein konkreter entgegenstehender Vortrag der Beklagten, nach dem Herr ... spätestens am 01.05.2009 bei der Deutschen Rentenversicherung angemeldet wurde, ist nicht erfolgt.

Die Vorlage der Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V reicht als Nachweis für die rechtzeitige Meldung des Arbeitnehmers ... nach § 28a Abs. 4 SGB IV nicht aus. Die Bestätigung der ... vom 01.05.2009 bescheinigt nicht einmal eine Meldung der Beklagten gegenüber der Krankenkasse. Denn aus der Ausstellung einer Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse kann die Beklagte nicht herleiten, dass Herr ... aufgrund ihrer Meldung tatsächlich bei der Krankenkasse versichert war und deshalb ein Regressanspruch nicht besteht. Denn nach § 173 Abs. 1 SGB V kann der gesetzlich Versicherte eine Krankenkasse wählen. Nach Ausübung des Wahlrechts hat die gewählte Krankenkasse gemäß § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung auszustellen. Dies ist deshalb erforderlich, damit diese vom Versicherten der zur Meldung verpflichteten Stelle unverzüglich vorgelegt werden kann. Sie begründet jedoch kein Versicherungsverhältnis, sondern deklariert lediglich die Wahl des Versicherungsnehmers für die Begründung der Zuständigkeit der Krankenkasse (LSG Hamburg, Urteil vom 10.09.2003, Az.: L 1 KR 32/00, zitiert nach juris).

Es liegt kein Ermessensfehlgebrauch darin, dass die Klägerin nicht ganz oder teilweise auf den Regressanspruch gegen die Beklagte verzichtet. Nach § 110 Abs. 2 SGB VII können die Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, auf den Ersatzanspruch ganz oder teilweise verzichten. Maßstab kann dabei der Umfang der Schwarzarbeit oder des entgangenen Beitrages sowie die Höhe der Aufwendungen für die Entschädigungsleistungen des Unfallversicherungsträgers sein (Leube, Sgb 2006, 404 (408)).

Zwar hat die Beklagte behauptet, ihre derzeitige wirtschaftliche Situation sei schwierig. Zudem kann die Höhe der Regressforderung als erheblich angesehen werden. Jedoch muss demgegenüber der Normzweck des § 110 Abs. 1a SGB VII berücksichtigt werden, der zugleich Verstöße gegen die Abführung von Beitragszahlungen und die Meldungen von Versicherungspflichtigen sanktionieren und zukünftigen Verstößen entgegenwirken soll, Eine weitgehende Anwendung eines Regressverzichts nach § 110 Abs. 2 SGB VII würde diesem Normzweck zuwider laufen. Zudem hat die Beklagte die Pflicht zur Sofortmeldung nach § 28a Abs. 4 Nr. 1 SGB IV nicht nur um wenige Tage, sondern um mehr als 4 ½ Monate verletzt, indem sie den Arbeitsnehmer ... erst am 22.09.2009 bei der Deutschen Rentenversicherung anmeldete. Diese beiden Umstände führen dazu, dass die Geltendmachung des vollen Aufwendungsbetrages durch die Klägerin nicht ermessensfehlerhaft ist.

Die Klägerin kann auf den Betrag der von ihr erbrachten Aufwendungen in Höhe von 31.528,11 EUR gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB Prozesszinsen verlangen.

Die Klägerin hat auch einen Feststellungsanspruch gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Denn – wie oben ausgeführt – ist der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten dem Grunde nach begründet, und nach dem Verletzungsbild des Herrn ... besteht die Möglichkeit, dass der Klägerin auch in der Zukunft noch weitere Aufwendungen aufgrund des Schadensereignisses vom 25.05.2009 entstehen werden.

Da die Beklagte im Rechtsstreit unterlegen ist, hat sie gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten zu tragen.

Das Urteil ist gemäß § 709 S. 1 und 2 ZPO vorläufig vollstreckbar.